SG Neuruppin, Urteil vom 18.02.2016 - S 18 AS 882/15
Fundstelle
openJur 2016, 5749
  • Rkr:

1. Die Werte der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen können nicht herangezogen werden, um Betriebsausgaben zu "kürzen", sofern eine ordnungsgemäße Buchführung des Leistungsberechtigten vorliegt.

2. Die Prüfung, ob Betriebsausgaben notwendig sind, ist anhand des konkreten Enzelfalls vorzunehmen.

Tenor

1. Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 10.11.2015 verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - mit der Maßgabe zu gewähren, dass im Bewilligungszeitraum Januar 2015 bis Juni 2015 bei ihm kein Einkommen angesetzt wird.

2. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen.

Der Kläger ist seit dem Jahr 2012 selbständig tätig. Er begann zunächst mit einem Kfz-Teilehandel als Nebenerwerb. Ab dem 10.06.2014 eröffnete er zudem eine Kfz-Werkstatt.

Der Kläger, der zusammen mit seiner Bedarfsgemeinschaft seit geraumer Zeit im SGB II-Leistungsbezug steht, beantragte am 24.11.2014 die Weitergewährung der Leistungen. Er reichte hierzu die „Anlage EKS“ ein (voraussichtliche Einnahmen aus selbständiger Arbeit im Zeitraum Januar 2015 bis Juni 2015).

Der Beklagte bewilligte dem Kläger (und seiner Bedarfsgemeinschaft) daraufhin für den Zeitraum 01.01.2015 bis 30.06.2015 im Wege der vorläufigen Leistungsbewilligung Arbeitslosengeld II (Bescheid vom 05.01.2015). Hierbei berücksichtigte er ein monatliches Einkommen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 488,62 Euro. Zur Berechnung des Einkommens führte der Beklagte aus, dass die Angaben des Klägers aus der „Anlage EKS“ zunächst übernommen worden seien. Da jedoch das Verhältnis von Waren-/Materialkosten zu Umsatz deutlich von den Werten der Richtsatzsammlung für das Kalenderjahr 2014 des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) für Kfz-Werkstätten abweiche, habe er eine Anpassung des Gewinns vorgenommen. In der Richtsatzsammlung sei ein maximaler Wert von 42 Prozent angegeben. Soweit die Waren-/Materialkosten des Klägers diesen Wert überstiegen, könnten sie nicht anerkannt werden und erhöhten daher den Gewinn.

Gegen den Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 30.01.2015 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass die Werte der Richtsatzsammlung nicht den tatsächlichen Verhältnissen seiner Werkstatt entsprächen. Er bitte daher um Berücksichtigung der nachgewiesen Waren-/Materialkosten.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2015 zurück.

Mit der am 27.04.2015 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Am 09.11.2015 hat der Kläger die Anlage „Abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Arbeit nach Ablauf des Bewilligungszeitraums“ nebst betriebswirtschaftlichen Auswertungen und Fahrtenbüchern beim Beklagten eingereicht. Dieser hat daraufhin das Einkommen des Klägers aus selbständiger Arbeit neu berechnet und ihm (sowie seiner Bedarfsgemeinschaft) für den Zeitraum 01.01.2015 bis 30.06.2015 Arbeitslosengeld II endgültig bewilligt (Bescheid vom 10.11.2015). Hierbei hat er beim Kläger Einkommen aus selbständiger Arbeit in Höhe von monatlich 429,06 Euro berücksichtigt. Zur Berechnung des Einkommens hat der Beklagte ausgeführt, dass das Verhältnis von Waren-/Materialkosten zu Umsatz weiterhin die Werte der Richtsatzsammlung des BMF für Kfz-Werkstätten übersteige. Die übersteigenden Kosten könnten nicht anerkannt werden und erhöhten den Gewinn.

Der Kläger führt aus, dass ihm höhere Leistungen zuständen. Der Beklagte habe bei der Leistungsberechnung ein Einkommen aus selbständiger Arbeit angesetzt, welches er tatsächlich nicht erziele. Ihm fehlten daher ausreichende Mittel, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es sei nicht zulässig, dass der Beklagte unter Berufung auf die Werte der Richtsatzsammlung des BMF für Kfz-Werkstätten einen Teil seiner Betriebsausgaben nicht anerkenne. So sei bereits fraglich, ob die Richtsatzsammlung im Bereich des SGB II überhaupt herangezogen werden könne. Jedenfalls könne sie dann nicht angewandt werden, wenn formell ordnungsgemäß ermittelte Buchführungsergebnisse vorlägen. In seinem Fall habe er eine prüffähige betriebswirtschaftliche Auswertung mit plausiblen Nachweisen eingereicht. Einwände hiergegen habe der Beklagte nicht vorgebracht. Die Werte der Richtsatzsammlung des BMF für Kfz-Werkstätten könnten zudem auch deswegen nicht herangezogen werden, weil er weiterhin den Kfz-Teilehandel betreibe. Die erzielbaren Gewinne seien hier niedriger als bei der Reparatur von Kraftfahrzeugen. Der Beklagte habe nicht danach unterschieden, ob sich das streitige Missverhältnis aus dem Kfz-Teilehandel oder aus der Kfz-Werkstatt ergebe. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass die Richtsatzsammlung des BMF im Besteuerungsverfahren lediglich als Anhaltspunkt für weitere Ermittlungen diene. Es erfolge immer eine Einzelfallprüfung anhand der konkreten tatsächlichen Umstände. Eine solche sei vorliegend jedoch nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.11.2015 zu verpflichten, ihm Leistungen nach dem SGB II mit der Maßgabe zu gewähren, dass im Bewilligungszeitraum Januar 2015 bis Juni 2015 bei ihm kein Einkommen angesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen.

2. die Berufung zuzulassen.

Er verweist auf seine Bescheide und hält die dort geäußerte Auffassung Aufrecht. Er führt weiter aus, dass Betriebsausgaben dann nicht anerkannt werden könnten, wenn sich ein auffälliges Missverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben ergebe. Die Richtsatzsammlung des BMF könne zur Prüfung herangezogen werden, ob ein solches Missverhältnis vorliege. Beim Kläger weiche das Verhältnis von Waren-/Materialkosten zu Umsatz deutlich von den Werten der Richtsatzsammlung des BMF für Kfz-Werkstätten ab. Die Ausgaben könnten daher nur zum Teil anerkannt werden. Zu beachten sei hierbei, dass Leistungsberechtigte gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II alles tun müssten, um ihre Hilfebedürftigkeit soweit wie möglich zu reduzieren. Dies bedeute bei Selbständigen, dass sie versuchen müssten, maximal mögliche Erträge zu erwirtschaften. Sie müssten insbesondere die Angebotspreise so wählen, dass ein auf dem Markt üblicher Ertrag herauskomme. Dies sei beim Kläger offensichtlich nicht der Fall. Es sei nicht Aufgabe des Grundsicherungsrechts, unrentable Selbständigkeiten zu subventionieren. So werde auch verhindert, dass im Leistungsbezug stehende Gewerbetreibende einen Wettbewerbsvorteil dadurch erlangten, dass sie - subventioniert durch den Grundsicherungsträger - geringere Preise ansetzen könnten als sonstige Gewerbetreibende.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig und begründet.

Streitgegenstand der Klage ist der Bescheid vom 10.11.2015, mit dem der Beklagte dem Kläger (und seiner Bedarfsgemeinschaft) Leistungen zur Grundsicherung für den Zeitraum Januar 2015 bis Juni 2015 endgültig gewährt und hierbei beim Kläger ein monatliches Einkommen aus selbständiger Arbeit in Höhe von 429,06 Euro angesetzt hat. Nicht (mehr) Streitgegenstand ist demgegenüber der Bescheid vom 05.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2015, mit dem der Beklagte dem Kläger vorläufige Leistungen bewilligt hatte. Denn dieser hat sich mit Erlass des endgültigen Bescheids auf sonstige Weise erledigt (vgl. § 39 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -). Der endgültige Bescheid hat den vorläufigen Bescheid vollumfänglich ersetzt, ohne dass es einer Aufhebung oder Änderung der vorläufigen Entscheidung bedurft hätte. Der nach Klageerhebung erlassene endgültige Bescheid hat die von dem Kläger geltend gemachte Beschwer nicht beseitigt und ist damit nach § 96 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden (so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der die Kammer folgt; vgl. beispielsweise BSG, Urteil v. 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R).

Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, ohne dass bei ihm ein anzurechnendes Einkommen anzusetzen wäre. Soweit der Beklagte ein Einkommen in Höhe von bereinigt 263,25 Euro berücksichtigt hat, ist der Bescheid vom 10.11.2015 rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 und 2 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Bei Personen, die - wie der Kläger - in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig.

Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum anspruchsberechtigt im Sinne der genannten Vorschriften. Die Kammer folgt insoweit dem Bescheid des Beklagten, der diesbezüglich zwischen den Beteiligten nicht streitig ist.

Auch hinsichtlich des Bedarfs des Klägers folgt die Kammer dem - diesbezüglich unstreitigen - Bescheid des Beklagten.

Soweit der Beklagte jedoch bei der Leistungsberechnung beim Kläger ein Einkommen aus selbständiger Arbeit in Höhe von monatlich 429,06 Euro (bereinigt in Höhe von 263,25 Euro) angesetzt hat, folgt die Kammer dem nicht. Denn dieses ist fehlerhaft berechnet worden.

Rechtsgrundlage für die Berechnung des Einkommen ist § 11 Abs. 1 SGB II. Danach sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Die Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft bestimmt sich nach § 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V - (i. V. m. § 13 Abs. 1. SGB II). Danach ist zunächst von den Betriebseinnahmen auszugehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Alg II-V). Betriebseinnahmen sind alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) tatsächlich zufließen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Alg II-V). Von den Betriebseinnahmen sind sodann die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Betriebsausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (§ 3 Abs. 2 Alg II-V). Tatsächliche Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V). Ausgaben können zudem nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht (§ 3 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V). Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt (§ 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V).

Der Beklagte hat vorliegend das Einkommen des Klägers aus selbständiger Arbeit dergestalt berechnet, dass er zunächst die Betriebseinnahmen (14.719,22 Euro) aus dem eingereichten Betriebswirtschaftlichen Kurzbericht (Bl. 1770 der Verwaltungsakte) herangezogen hat. Dem gegenüber gestellt hat er die im Bericht aufgeführten Betriebsausgaben (12.614,97 Euro). Den so errechneten Gewinn in Höhe von 2104,25 Euro hat er zunächst um privat gefahrene Kilometer mit dem betrieblichen Kfz (zuzüglich 139,80 Euro) und um Kosten für Tilgungsleistungen für ein betriebliches Darlehen (abzüglich 2196,30 Euro) angepasst. Zudem hat er - was vorliegend streitig ist - Waren-/Materialkosten in Höhe von 2.526,59 Euro nicht als Betriebsausgaben anerkannt und den errechneten Gewinn um diesen Betrag erhöht. Dies ergab einen bereinigten Gewinn in Höhe von insg. 2.574,34 Euro. Als anzusetzendes Einkommen aus selbständiger Arbeit ergab sich so ein Monatsbetrag in Höhe von 429,06 Euro (zur Berechnung siehe Bl. 1802 der Verwaltungsakte).

Die Nichtanerkennung eines Teils der Waren-/Materialkosten begründete der Beklagte damit, dass diese außer Verhältnis zu den erzielten Umsätzen stünden. Dies lasse sich der Richtsatzsammlung des BMF entnehmen, die vorliegend zur Prüfung der Notwendigkeit herangezogen werden könne. Gemäß der Richtsatzsammlung könne bei dem Gewerbe des Klägers (Kfz-Werkstatt) - nach Abzug der Warenkosten vom Umsatz - ein durchschnittlicher Rohgewinn (Netto-Umsatz minus Netto-Wareneinlauf) in Höhe von 58 Prozent erzielt werden. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass Waren-/Materialkosten maximal in Höhe von 42 Prozent des Umsatzes als notwendig anerkannt werden könnten. Vorliegend habe der Kläger einen Umsatz in Höhe von insg. 12682,92 Euro erzielt. Entsprechend den Vorgaben der Richtsatzsammlung könnten daher Waren-/Materialkosten in Höhe von 5326,83 Euro (= 42 Prozent des erklärten Umsatzes) anerkannt werden. Soweit der Kläger höhere Waren-/Materialkosten geltend mache, seien diese als nicht notwendig anzusehen. Der Differenzbetrag könne nicht als Betriebsausgabe berücksichtigt werden und erhöhe dementsprechend den Gewinn.

Dieser Verfahrensweise kann die Kammer nicht folgen. Der Beklagte hat zu Unrecht den errechneten Gewinn des Klägers um vermeintlich nicht notwendige Betriebsausgaben in Höhe von 2.526,59 Euro erhöht.

Bei der Bestimmung der Betriebsausgaben ist zunächst die Grundnorm des § 3 Abs. 2 Alg II-V zu beachten. Danach sind Betriebsausgaben bei der Einkommensberechnung grundsätzlich in tatsächlicher Höhe anzusetzen. Dies soll sicherstellen, dass der bei der Leistungsberechnung berücksichtigte Gewinn dem selbständigen Leistungsberechtigten auch tatsächlich für den Lebensunterhalt als sog. „bereites Mittel“ zur Verfügung steht.

Ausnahmen von dieser Grundregel können daher nur vorgenommen werden, wenn dies gesetzlich normiert ist. Der Verordnungsgeber hat hierzu bestimmt, dass Betriebsausgaben dann ganz oder teilweise nicht anzusetzen sind, wenn sie sich als nicht notwendig erweisen (§ 3 Abs. 2 Alg II-V). Den Begriff der Notwendigkeit hat er durch die Vorgaben des § 3 Abs. 3 Sätze 1 und 3 Alg II-V konkretisiert (vgl. Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 26.06.2009 - L 5 AS 143/09 B ER). Danach sind Betriebsausgaben dann als nicht notwendig anzusehen, wenn sie ganz oder teilweise vermeidbar sind oder sie offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Leistungsbezugs entsprechen (§ 3 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V). Betriebsausgaben sind ferner als nicht notwendig anzusehen, wenn sie zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis stehen (§ 3 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V).

Der Verordnungsgeber hat mit den genannten Regelungen auch die Norm des § 3 Abs. 3 SGB II konkretisiert, wonach Grundsicherungsleistungen nur erbracht werden dürfen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Er führt in der Verordnungsbegründung aus, dass die Leistungsträger im Rahmen der Betreuung der Leistungsberechtigten auf Ausgabensenkungen und -verschiebungen hinwirken könnten. Dies könne z. B. durch Vereinbarung einer Umschuldung oder der Reduzierung von Tilgungsraten geschehen. Auch solle verhindert werden, dass ein Leistungsberechtigter überteuerte Artikel oder „Luxusartikel“ als Betriebsausgaben geltend macht, um den zu berücksichtigenden Gewinn zu verringern. Der Verordnungsgeber hat hier u. a. unnötige oder überdimensionierte Kraftfahrzeuge oder technische Geräte wie Computer im Blick (vgl. die Verordnungsbegründung zur seit dem 01.01.2008 geltenden Alg II-V, abgedruckt in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, S. 1270 ff.).

Der Verordnungsgeber hat mit den genannten Vorschriften bei der Prüfung, ob Betriebsausgaben notwendig sind, eine Zweiteilung vorgenommen. Danach sind zum einen Betriebsausgaben dann nicht notwendig, wenn ein „offensichtliches“ Nichtentsprechen der Lebensumstände während des Leistungsbezugs bzw. ein „auffälliges“ Missverhältnis vorliegt. Wie aus den Begriffen „offensichtlich“ und „auffällig“ ersichtlich ist, muss das Nichtentsprechen bzw. das Missverhältnis geradezu ins Auge fallen und damit auch für jeden Leistungsberechtigten ersichtlich sein. Eines vorherigen Hinweises durch den Leistungsträger bedarf es daher nicht. Zum anderen sind Betriebsausgaben dann nicht notwendig, wenn sie ganz oder teilweise vermeidbar sind. Die „normale“ Vermeidbarkeit einer Betriebsausgabe ist - anders als die Begriffe der „Offensichtlichkeit“ und „Auffälligkeit“ - nicht ohne weiteres für den Leistungsberechtigten erkennbar. Es bedarf daher - im Hinblick auf die Bedeutung der verfassungsrechtlich garantierten Existenzsicherung - eines vorherigen Hinweises durch den Leistungsträger, welche Ausgaben er als vermeidbar ansieht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Frage, welche Ausgaben vermeidbar sind, von den Leistungsträgern sehr unterschiedlich beantwortet wird und eine einheitliche Linie nicht ersichtlich ist (siehe nur die Frage, ob und in welchen Fällen Steuerberatungskosten als Betriebsausgaben anerkannt werden können).

Hinsichtlich der „Offensichtlichkeit“ und der „Auffälligkeit“ im obigen Sinne ist weiter zu beachten, dass diese schon zum Zeitpunkt des Geldabflusses erkennbar sein müssen. Es reicht daher nicht aus, wenn der Leistungsträger deren Vorliegen erst retrospektiv feststellt (vgl. Geiger, in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 11 Rz. 59).

Hinsichtlich der Vermeidbarkeit von Betriebsausgaben ist weiter zu beachten, dass die erforderliche Belehrung so konkret sein muss, dass der Leistungsberechtigte sein zukünftiges Verhalten darauf einstellen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Leistungsträger der Auffassung ist, dass die Betriebsführung verbesserungswürdig und -fähig ist. Der Leistungsträger muss in diesem Fall den Leistungsberechtigten auf seine Auffassung hinweisen und diesem konkret mitteilen (vorzugswürdig in Form einer Eingliederungsvereinbarung), wie er zukünftig vorzugehen hat (z. B. welche Ausgaben er zu vermeiden oder wie er seine Preise zu berechnen hat) und welche Folgen im Falle einer „Verletzung“ dieser Vorgaben drohen.

Macht der Leistungsträger dem Leistungsberechtigten „Vorgaben“ darüber, in welchem Umfang und in welcher Höhe er Betriebsausgaben anerkennt, muss dies nachvollziehbar begründet und durch Erfahrungswerte/Ermittlungen belegt sein. Pauschale Vorgaben, die dem Einzelfall des Leistungsberechtigten nicht gerecht werden, sind daher unzulässig.

Ist dem Leistungsträger eine solche Begründung nicht möglich oder hat er den Leistungsberechtigten nicht ausreichend belehrt, hat er dessen unternehmerische Entscheidungen für abgelaufene Bewilligungszeiträume zu respektieren, auch wenn er diese nicht nachvollziehen kann oder gar für wirtschaftlich unsinnig hält.

Den Leistungsträgern steht bei der Frage, ob Betriebsausgaben notwendig sind, kein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung ist im Falle einer Klage von den Gerichten in vollem Umfang zu überprüfen (vgl. Geiger, in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 11 Rz. 59).

Gemessen an diesen Vorgaben war der Beklagte vorliegend nicht berechtigt, die vom Kläger geltend gemachten Waren-/Materialkosten in Höhe von 2.526,59 Euro nicht als Betriebsausgaben anzuerkennen. Denn es liegt weder einer der Fälle des § 3 Abs. 3 Sätze 1 und 3 Alg II-V vor noch sind die Kosten ansonsten als nicht notwendig anzusehen. Soweit der Beklagte die streitigen Betriebsausgaben bereits deshalb für nicht notwendig erachtet, weil sie von den Werten der Richtsatzsammlung des BMF für Kfz-Werkstätten abweichen, folgt die Kammer dem nicht.

Die Kammer geht - wie wohl auch der Beklagte - zunächst davon aus, dass die streitigen Waren-/Materialkosten grundsätzlich notwendig waren, um insb. die Kfz-Werkstatt des Klägers gewinnbringend betreiben zu können. Anhaltspunkte dafür, dass die Kosten offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Leistungsbezugs entsprochen oder dass sie in einem auffälligen Missverhältnis zu den Erträgen gestanden haben, sind weder ersichtlich noch konkret vom Beklagten vorgetragen worden. Der Beklagte hat - auch wenn er sich letztendlich auf § 3 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V beruft - nichts vorgetragen, was auf ein auffälliges Missverhältnis einzelner Ausgaben hindeuten könnte.

Soweit der Beklagte darauf abstellt, dass ein Abweichen von den Werten der Richtsatzsammlung des BMF zeige, dass die Waren-/Materialkosten als Ganzes in einem Missverhältnis zu den Erträgen stünden, missversteht er offensichtlich die Intention des § 3 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V. Denn diese Norm dient vor allem der Vermeidung von Leistungsmissbrauch. Es sollen solche (Einzel-)Ausgaben nicht anerkennt werden, die in keinem Verhältnis zu den Erträgen stehen (z. B. Anschaffung eines Kraftfahrzeugs bei einem Kleinstgewerbe). Dass dies beim Kläger der Fall sein könnte, ist nicht ersichtlich. Der Beklagte wirft dem Kläger vielmehr vor, dass mit den geltend gemachten Ausgaben höhere Erträge zu erzielen seien. Dies ist vom Anwendungsbereich des § 3 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V jedoch nicht gedeckt.

Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die angesetzten Waren-/Materialkosten ganz oder teilweise vermeidbar gewesen sind. Soweit der Beklagte zeitweise vorgetragen hat, dass ein Abweichen von den Werten der Richtsatzsammlung des BMF darauf hindeute, dass der Kläger im Streitzeitraum Wareneinkäufe getätigt habe, die zu diesem Zeitpunkt nicht notwendig gewesen seien (er also Wareneinkäufe bewusst „vorgezogen“ habe, um seinen Gewinn zu verringern), sieht die Kammer hierfür keinerlei Anhaltspunkte. Der Beklagte hat nichts vorgetragen (und erst recht nichts nachgewiesen), was das Vorbringen untermauern könnte. Die Kammer sieht sich auch nicht verpflichtet - gleichsam ins Blaue hinein -, hier weiter zu ermitteln.

Soweit der Beklagte der Auffassung ist, dass die fehlende Notwendigkeit damit begründet werden könne - und zwar ohne dass es einer Einzelfallprüfung bedürfe -, dass die geltend gemachten Betriebsausgaben von den Werten der Richtsatzsammlung des BMF abwichen, folgt die Kammer dem nicht. Dabei kann dahin stehen, ob die Richtsatzsammlung des BMF, die für den Bereich der Steuerverwaltung erstellt wird, im Leistungsrecht des SGB II überhaupt herangezogen werden kann. Jedenfalls ist sie - wenn sie für anwendbar gehalten wird, wofür einiges spricht - bestimmungsgemäß zu nutzen. Dies bedeutet, dass die Grundsicherungsämter grundsätzlich die Vorgaben zu beachten haben, die auch für die Finanzämter gelten. Es müssen daher bestimmte Voraussetzungen gegeben sein (dazu sogleich), bevor eine „Anpassung“ des Betriebsgewinns zulässig ist.

Gemäß Ziff. A) 1. der „Vorbemerkungen“ der Richtsatzsammlung stellt diese ein Hilfsmittel (Anhaltspunkt) für die Finanzverwaltung dar, Umsätze und Gewinne der Gewerbetreibenden zu verproben und diese ggf. bei Fehlen anderer geeigneter Unterlagen zu schätzen. Dies bedeute, dass bei formell ordnungsgemäß ermittelten Buchführungsergebnissen eine Gewinn- oder Umsatzschätzung nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nicht allein darauf gestützt werden dürfe, dass die erklärten Gewinne oder Umsätze von den Zahlen der Richtsatzsammlung abweichen. Würden hingegen für einen Gewerbebetrieb, für den eine Buchführungspflicht besteht, keine Bücher geführt, oder sei die Buchführung nicht ordnungsgemäß, so sei der Gewinn unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles, unter Umständen unter Anwendung von Richtsätzen, zu schätzen. Die Richtsätze finden gemäß Ziff. A) 4. der „Vorbemerkungen“ (mit einigen Anpassungen) auch auf Steuerpflichtige mit Gewinnermittlung durch Einnahmeüberschussrechnung Anwendung.

Wie den „Vorbemerkungen“ deutlich zu entnehmen ist, sollen die Richtsätze lediglich Anhaltspunkte dafür geben, in welchen Fällen die Steuerverwaltung weiter zu ermitteln hat. Sie sind daher vor allem in solchen Fällen heranzuziehen, in denen entweder keine ordnungsgemäße oder überhaupt keine Buchführung vorliegt, auf deren Grundlage der Gewinn des Selbständigen berechnet werden kann. In diesen Fällen ist - nach Durchführung einer Einzelfallprüfung - eine Schätzung des Gewinns möglich. Wie der Kläger zu Recht ausgeführt hat, dienen die Richtsätze also gerade nicht dazu, ein pauschales „Kürzen“ von Betriebsausgaben oder „Erhöhen“ des Gewinns zu rechtfertigen. Vielmehr stellen sie ein Instrument dar, um die Fälle herauszufiltern, in denen eine Einzelfallprüfung notwendig ist. Nach deren Abschluss kann - „unter Umständen unter Anwendung von Richtsätzen“ - eine Schätzung des Gewinns erfolgen.

Die Kammer kann nicht erkennen, warum diese Vorgaben nicht auch im Leistungsrecht des SGB II gelten sollen. Es ist inkonsequent, wenn der Beklagte einerseits die Richtsatzsammlung des BMF heranziehen will, diese aber andererseits bestimmungswidrig einsetzt. Dies umso mehr, als der Gesetzgeber bei den Normen zur Einkommensberechnung davon abgesehen hat, Pauschalvorgaben zu machen (von einigen Freibeträgen, die zugunsten der Leistungsberechtigten pauschaliert wurden, einmal abgesehen). Die Kammer geht daher davon aus, dass die Richtsammlung des BMF ggf. in den Fällen herangezogen werden kann, in denen eine ordnungsgemäße Buchführung nicht vorliegt. In diesen Fällen kann es sinnvoll sein, Schätzungen anhand der Werte der Richtsatzsammlung zuzulassen.

Die Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die - pauschale - Anwendung der Werte der Richtsatzsammlung im Ergebnis dazu führt, dass beim Leistungsberechtigten Einnahmen berücksichtigt werden, die dieser tatsächlich nicht erwirtschaftet hat (sog. fiktive Einnahmen). Dies widerspricht dem Faktizitätsprinzip, welches eines der zentralen Grundsätze des SGB II ist (vgl. BSG, Urteil v. 19.03.2008 - B 11b AS 33/06 R). Das BSG hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass grundsätzlich nur das als Einkommen angerechnet werden darf, was dem Leistungsberechtigten als sog. „bereites Mittel“ tatsächlich zur Bestreitung seines Lebensunterhalts zur Verfügung steht (vgl. beispielsweise BSG, Urteil v. 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R). Er muss mit den Mitteln in der Lage sein, seinen konkreten Bedarf im jeweiligen Monat decken zu können (vgl. beispielsweise BSG, Urteil v. 19.08.2015 - B 14 AS 43/14 R, m. w. N.). Dies gilt auch im Rahmen der Einkommensberechnung bei selbständig Erwerbstätigen. Der ermittelte Gewinn muss tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen. Denn nur so kann der Zweck des SGB II, die Existenzsicherung zu gewährleisten, erfüllt werden (vgl. BSG, Urteil v. 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R).

Die - pauschale - Anwendbarkeit der Richtsatzsammlung des BMF kann auch nicht aus den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II und § 3 Abs. 3 SGB II normierten Pflichten hergleitet werden.Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II müssen Leistungsberechtigte zwar alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Auch dürfen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 3 Abs. 3 SGB II nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann. Diese Vorschriften regeln jedoch keine eigenständigen Leistungsminderungs- oder Ausschlusstatbestände. Es handelt sich vielmehr um Grundsatznormen, die erst durch die Regelungen insbesondere über den Einsatz von Einkommen und Vermögen bzw. sonstige leistungshindernde Normen konkretisiert werden und regelmäßig nur im Zusammenhang mit ihnen Wirkung entfalten (vgl. BSG, Urteil v. 27.09.2011 - B 4 AS 202/10 R). Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen alleine aufgrund der Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei einem bestimmten wirtschaftlichen Verhalten (teilweise) abzuwenden gewesen wäre, ist daher mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht vereinbar (vgl. BSG, Urteil v. 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R). Eine Leistungsverweigerung oder Leistungsminderung auf Grundlage der § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II bzw. § 3 Abs. 3 SGB II ist daher selbst dann nicht möglich, wenn die Hilfebedürftigkeit vorwerfbar herbeigeführt wurde.

Soweit der Beklagte darauf hinweist, dass das Leistungsrecht des SGB II - mit Ausnahme der Vorschriften der §§ 16 ff. SGB II - nicht der Förderung von selbständig Erwerbstätigen dienen solle, stimmt die Kammer dem grundsätzlich zu. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass der nach den Vorschriften des § 3 Alg II-V ermittelte Gewinn mit dem Argument nicht akzeptiert wird, dass der Leistungsberechtigte (bei „angemessener“ Führung seines Betriebs) einen höheren Gewinn hätte erzielen können.

Letztlich kann die - pauschale - Anwendbarkeit der Richtsatzsammlung des BMF auch nicht mit wirtschaftlichen Erwägungen begründet werden. Soweit der Beklagte der sinngemäßen Auffassung ist, dass es Leistungsträgern schon aus wettbewerbspolitischen Gründen untersagt sein müsse, solche Selbständige mittels Grundsicherungsleistungen zu „fördern“, die marktunübliche (d. h. zu niedrige) Preise verlangten und sich hierdurch einen Wettbewerbsvorteil verschafften (was Wettbewerbsverzerrung sei), kann die Kammer dies zwar grundsätzlich nachvollziehen. Eine Befugnis zur „Kürzung“ von Betriebsausgaben - an den Vorgaben des SGB II und der Alg II-V vorbei - ergibt sich hieraus jedoch nicht. Die Kammer weist zudem darauf hin, dass es auch Selbständigen im Leistungsbezug beim Start eines Gewerbes möglich sein muss, Kunden für eine gewisse Zeit durch niedrigere Preise zu „locken“, um sie so für ihren Betrieb zu gewinnen.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass die Auffassung des Beklagten - soweit ersichtlich - auch nicht in Rechtsprechung und/oder Literatur geteilt wird. Die Kammer konnte keine veröffentlichte Entscheidung finden, die eine Vorgehensweise, wie sie der Beklagte hier vorgenommen hat, befürworten würde. Dies gilt auch für die vom Beklagtem genannte Entscheidung des LSG Baden-Württemberg (Beschluss v. 04.04.2008 - L 7 AS 5626/07 ER-B), in dem die Richtsatzsammlung des BMF nur am Rande erwähnt wird, ohne dass sich das Gericht zu dessen Anwendbarkeit äußert. Auch die Fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu den §§ 11 - 11b SGB II (derzeitiger Stand: 20.08.2014) enthalten keine Hinweise darauf, dass die Werte der Richtsammlung pauschal als Korrektiv herangezogen werden könnten.

Die vom Beklagten durchgeführte „Anpassung“ des Gewinns kann letztlich auch nicht mit § 3 Abs. 3 Satz 2 Alg II-V begründet werden. Danach können die geltend gemachten Betriebseinnahmen bei der Berechnung angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen ist, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen entspricht. Hiermit sollen z. B. Fälle erfasst werden, in denen Einnahmen nicht erzielt werden, weil - wie etwa in der Gastronomie - ein Teil des Warenbestandes vom Leistungsberechtigten selbst verbraucht wird. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, dass der Kläger einen Teil des Warenbestandes - ohne dies in der Buchführung zu vermerken - selbst verbraucht hat. Entsprechendes ist vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden.

Ohne die vom Beklagten vorgenommene Anpassung bei den Waren-/Materialkosten ergibt sich ein bereinigter Gewinn in Höhe von 47,84 Euro. Dieser führt nach Aufteilung auf den Bewilligungszeitraum und nach Bereinigung um den Grundfreibetrag (vgl. § 11b Abs. 2 SGB II) zu keinem anrechenbaren Einkommen. Der Beklagte hat daher die Leistungen des Klägers mit der Maßgabe neu zu berechnen, dass hinsichtlich seiner selbständigen Tätigkeit kein Einkommen angesetzt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz - SGG - und entspricht dem Ergebnis des Verfahrens.

Hinsichtlich des Unterliegens des Beklagten ist gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG über die Zulassung der Berufung zu entscheiden, da der Wert der Beschwer unter 750,00 Euro liegt (streitig sind im Endeffekt 699,98 Euro; dieser Betrag stellt das beim Kläger angerechnete Einkommen im Bewilligungszeitraum dar) und auch nicht um Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird. Die Berufung wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob die Richtsatzsammlung des BMF im Rahmen der Einkommensberechnung bei selbständiger Arbeit herangezogen werden kann und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen, ist bisher - soweit für die Kammer ersichtlich - obergerichtlich noch nicht geklärt.