LG Aachen, Urteil vom 10.04.2015 - 6 S 119/14
Fundstelle
openJur 2016, 11111
  • Rkr:
Verfahrensgang

1. Anforderungen an die Feststellung des Benachteiligungsvorsatzes im Insolvenzanfechtungsverfahren.

2. Unkommentierte Nichtzahlung und Abschluß eines Ratenzahlungsvergleichs reichen als Indizien für einen Benachteiligungsvorsatz und der Kenntnis hier von nicht aus.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 05.11.2014 verkündete Urteil des Amtsgerichts Aachen - 101 C 363/13 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Pinneberg vom 24.02.2011 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der D GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) ernannt; dem vorgenannten Eröffnungsbeschluss lag ein Eröffnungsantrag vom 07.12.2010 zugrunde. Die Insolvenzschuldnerin war u.a. gewerbsmäßig mit der Vermittlung von Transporten beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das u.a. Schwertransporte durchführt.

Die Insolvenzschuldnerin unterhielt in der Vergangenheit Geschäftsbeziehungen zu der Beklagten. Im Jahre 2009 führte die Beklagte für die Insolvenzschuldnerin einen Materialtransport von F nach B durch. Den hierdurch entstandenen Vergütungsanspruch in Höhe von insgesamt 16.195,70 € stellte die Beklagte der Insolvenzschuldnerin unter dem 30.06.2009 (Bl. 31 f. d.A.) und unter dem 31.08.2009 (Bl. 33 f. d.A.) in Rechnung.

Zahlungen leistete die Insolvenzschuldnerin in der Folgezeit zunächst nicht, so dass die Beklagte ihren Vergütungsanspruch mit Schreiben vom 22.07.2009, 29.07.2009, 05.08.2009 und 23.09.2009 (Bl. 35 ff. d.A.) anmahnte. Die Beklagte beauftragte sodann ein Inkassounternehmen mit der Einziehung der Forderung. Auch auf die Zahlungsaufforderung des Inkassounternehmens vom 08.10.2009 (Bl. 39 d.A.) erfolgte keine Zahlung durch die Insolvenzschuldnerin. Daraufhin erwirkte die Beklagte unter dem 19.11.2009 einen Mahnbescheid über eine Hauptforderung in Höhe von 16.195,70 € zuzüglich Zinsen und Kosten der Rechtsverfolgung. Die Insolvenzschuldnerin erhob Widerspruch gegen den Mahnbescheid. In dem sodann durchgeführten streitigen Verfahren vor dem Landgericht Itzehoe (10 O 16/10) begründete die Beklagte ihre Forderung näher; u.a. machte sie geltend, dass die Insolvenzschuldnerin keine Einwendungen gegen die Forderung erhoben habe. Die Insolvenzschuldnerin zeigte zunächst ihre Verteidigungsabsicht an und teilte im weiteren Verlauf mit, dass sie der Beklagten ein Vergleichsangebot unterbreitet habe. Im Anschluss unterbreiteten die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag. Der hierdurch zustande gekommene Vergleich wurde mit Beschluss des Landgerichts Itzehoe vom 21.04.2009 (Bl. 48 der Akte 10 O 16/10 - Landgericht Itzehoe) festgestellt. Danach verpflichtete sich die Insolvenzschuldnerin, an die Beklagte 16.195,70 € nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten zu zahlen, wobei der Insolvenzschuldnerin nachgelassen wurde, die Forderung in monatlichen Raten von 1.500,00 €, beginnend ab dem 15.04.2010 zu zahlen.

Die Insolvenzschuldnerin leistete hierauf an die Beklagte Zahlungen in Höhe von jeweils 1.500,00 € am 12.04.2010, 14.05.2010 und 29.06.2010.

Von den im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin anerkannten Forderungen waren spätestens seit dem 12.04.2010 101.460,11 € fällig. Diese Forderungen wurden auch bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Insolvenzschuldnerin nicht beglichen.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug geltend gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Rückzahlung der gezahlten Raten aus §§ 143 Abs. 1 S. 1, 129, 133 Abs. 1 InsO zustehe. Die für einen solchen Anspruch erforderliche Kenntnis der Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin ergebe sich daraus, dass die Beklagte aus dem Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin ihr gegenüber auf eine Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin habe schließen müssen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.02.2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, bei Entgegennahme der Ratenzahlungen keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin gehabt zu haben.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass sich ein Zahlungsanspruch des Klägers insbesondere nicht aus §§ 143 Abs. 1 S. 1, 129, 133 Abs. 1 InsO ergebe. Es fehle an der Kenntnis der Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin. Diesbezüglich sei zunächst zu berücksichtigen, dass die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte in ständiger Geschäftsbeziehung gestanden hätten. In einem solchen Fall sei eine schleppende Tilgung alleine unzureichend für die Annahme einer Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz. Weitere Anhaltspunkte fehlten. Insbesondere seien die Zahlungen gerade nicht im Rahmen einer Zwangsvollstreckung, sondern freiwillig erfolgt. Auch der Umstand, dass eine Forderung in Raten beglichen werde, begründe keine Anhaltspunkte für eine Zahlungsunfähigkeit.

Der Kläger verfolgt mit der Berufung seinen ursprünglichen Klageantrag weiter. Zur Begründung führt er aus, dass gemäß § 133 Abs. 1 S. 2 InsO die Kenntnis vom Benachteiligungsvorsatz vermutet werde, wenn der Gläubiger wisse, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Diese Voraussetzungen seien gegeben. Die Kenntnis der Beklagten von der drohenden Zahlungsunfähigkeit ergebe sich aus dem Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin gerade gegenüber der Beklagten. Diesbezüglich sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Insolvenzschuldnerin zu keinem Zeitpunkt Einwendungen gegen die Forderung der Beklagten erhoben habe. Die Kenntnis der Beklagten von der Benachteiligung der Gläubiger ergebe sich aus der unternehmerischen Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin, da in diesem Fall nach der Lebenserfahrung eine Vielzahl von Gläubigern existiere.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Aachen vom 05.11.2014, 101 C 363/13, zu verurteilen, an den Kläger 4.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.02.2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend trägt sie vor, dass die Insolvenzschuldnerin durch den Abschluss des gerichtlichen Vergleichs gerade ihre Leistungsfähigkeit zugesichert habe.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

A)

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung von 4.500,00 € zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus §§ 129 Abs. 1, 133 Abs. 1 S. 1, 143 Abs. 1 S. 1, S. 2 InsO.

Nach § 133 Abs. 1 S. 1 InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, die der Insolvenzschuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Insolvenzschuldners kannte. Rechtsfolge ist hierbei nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO, dass das aus dieser anfechtbaren Rechtshandlung Erlangte zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden muss.

Während die übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 S. 1 InsO vorliegen, fehlt es an einer Kenntnis der Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der Insolvenzschuldnerin.

Mangels anderweitiger Anhaltspunkte kann eine Kenntnis der Beklagten vorliegend lediglich aus der Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO abgeleitet werden. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen indes nicht vor.

Nach § 133 Abs. 1 S. 2 InsO wird die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes vermutet, wenn der Gläubiger wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners drohte und die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Dabei reicht es aus, wenn der Gläubiger diejenigen Umstände kennt, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuten (vgl. BGH, Urteil v. 17.07.2003, IX ZR 215/02; Urteil v. 20.11.2008, IX ZR 188/07, jeweils zitiert nach juris).

Objektiv war die Insolvenzschuldnerin bei Vornahme der Zahlungen zahlungsunfähig im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO. Eine Zahlungseinstellung im Sinne von § 17 Abs. 2 S. 2 InsO ist dasjenige äußere Verhalten des Insolvenzschuldners, in dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt, so dass sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängt, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen (vgl. BGH, Urteil v. 21.06.2007, IX ZR 231/04, zitiert nach juris). Es reicht daher bereits die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten für eine Zahlungseinstellung aus (vgl. BGH, Urteil v. 21.06.2007, IX ZR 231/04, zitiert nach juris). Am 12.04.2010 waren jedenfalls Forderungen in Höhe von 101.460,11 € fällig, auf die keine hinreichenden Zahlungen durch die Insolvenzschuldnerin geleistet wurden. Es lag insoweit auch nicht bloß eine Zahlungsstockung vor, da die unzweifelhaft aufgetretene Liquiditätslücke über längere Zeit, jedenfalls deutlich länger als die maßgeblichen drei Wochen andauerte. Schließlich lag auch keine die anzunehmende Zahlungseinstellung wieder beseitigende Zahlungsaufnahme vor, zumal von einer solchen nur dann ausgegangen werden, wenn der Insolvenzschuldner seine Zahlungen allgemein wieder aufnimmt (vgl. BGH, Urteil v. 08.12.2005, IX ZR 182/01; Urteil v. 21.06.2007, IX ZR 231/04, jeweils zitiert nach juris).

Eine wenigstens drohende Zahlungsunfähigkeit kennen in der Regel diejenigen Gläubiger, die einen Gesamtüberblick über die Liquiditäts- oder Zahlungslage des Insolvenzschuldners haben; bei Außenstehenden kann eine solche Kenntnis dagegen im Hinblick auf die gesetzliche Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO regelmäßig nur angenommen werden, wenn Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners gegenüber dem Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg trotz intensiver Beitreibungsversuche ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden und wenn der Anfechtungsgegner weiß, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt, wobei von Letzterem bei unternehmerisch tätigen Schuldnern in aller Regel auszugehen sein wird; ein erstmaliger Zahlungsrückstand, mag er auch erheblich sein, kann dagegen regelmäßig nicht genügen (vgl. Kayser in: Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl., § 133 Rn. 24a m.w.N.).

Nach diesen Grundsätzen kann eine Kenntnis der Beklagten von Umständen, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuteten, vorliegend nicht bejaht werden. Einen Gesamtüberblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Insolvenzschuldnerin hatte die Beklagte nicht. Der Beklagten war lediglich das Zahlungsverhalten der Insolvenzschuldnerin ihr gegenüber bekannt. Zwar begründet bereits dieses Zahlungsverhalten rückwirkend betrachtet die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin; denn bei der Forderung der Beklagten handelte sich um eine erhebliche fällige Verbindlichkeit, auf die über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten keine Zahlungen durch die Insolvenzschuldnerin geleistet worden sind. Die Beklagte musste zum maßgebenden Zeitpunkt der Entgegennahme der Ratenzahlungen jedoch aus der Nichtzahlung nicht zwingend auf die wenigstens drohende Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin schließen. Denn die Beklagte konnte und durfte im vorliegenden Fall für die Nichtzahlung andere Ursachen als eine Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin in Rechnung stellen und zwar ungeachtet des Umstandes, dass die Insolvenzschuldnerin gegenüber der Beklagten zu keinem Zeitpunkt Einwendungen gegen die geltend gemachte Forderung erhoben hat. So kam aus Sicht eines Außenstehenden insbesondere in Betracht, dass die Insolvenzschuldnerin die Prüfung der Berechtigung der von der Beklagten geltend gemachten Forderung noch nicht abgeschlossen hatte, wobei sich hiermit auch das prozessuale Verhalten, namentlich die Erhebung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid und die Anzeige der Verteidigungsabsicht, erklären ließe. Dies gilt umso mehr als zwischen der Fälligkeit der Forderung und den streitgegenständlichen Rechtshandlungen ein noch überschaubarer Zeitraum lag. Eine Kenntnis der Beklagten im vorgenannten Sinne kann schließlich nach Auffassung der Kammer auch nicht daraus abgeleitet werden, dass es zusätzlich zu der Nichtzahlung über sechs Monate zu einer Ratenzahlungsvereinbarung zwischen der Beklagten und der Insolvenzschuldnerin gekommen ist. Aus dieser Vereinbarung konnte die Beklagte zwar schlussfolgern, dass die Insolvenzschuldnerin ein Interesse daran hatte, die Gesamtfälligkeit abzuwenden. Auch diese Erkenntnis deutete für die Beklagte indes nicht zwingend auf eine wenigstens drohende Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin hin. Denn der Abschluss von Ratenzahlungsvereinbarungen im Vergleichswege ist in der Rechtspraxis gängige Übung und bietet auch dem Schuldner, dem nicht die Zahlungsunfähigkeit droht, erhebliche Vorteile, weil die verfügbaren Finanzmittel in diesem Fall zumindest zeitweise anderweitig eingesetzt werden können. Hinzu kommt vorliegend, dass seit Abschluss des Vergleichs bis zum maßgeblichen Eröffnungsantrag mehr als sieben weitere Monate vergangen sind.

B)

Mangels einer Hauptforderung besteht auch die auf Zahlung von Zinsen gerichtete Nebenforderung nicht.

C)

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

D)

Die Kammer lässt die Revision gemäß § 543 Abs.1 Nr.1, Abs.2 ZPO zu. Die Frage, ob aus einer unkommentierten Nichterfüllung einer erheblichen Forderung bzw. aus dem anschließenden Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners geschlossen werden kann, hat nach Auffassung der Kammer grundsätzliche Bedeutung.

Berufungsstreitwert: 4.500,00 €

Dr. X2 Dr. X2 T Richter am Amtsgericht W ist urlaubsbedingt an der Unterschriftsleistung gehindert