OLG Hamm, Urteil vom 21.09.2001 - 30 U 54/01
Fundstelle
openJur 2011, 16259
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 O 471/00
Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 15. Februar 2001 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Klägern je zur Hälfte auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zur Vollstreckung anstehenden Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Parteien dürfen die Sicherheit durch die Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlich rechtlichen Sparkasse erbringen.

Die Beschwer der Kläger liegt über 60.000,00 DM.

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks I2-Straße in I. Mit schriftlichen Vertrag vom 19.04.1968/27.11.1969 vermietete ein Rechtsvorgänger der Kläger, Herr C, das Grundstück an die S GmbH zum Betrieb einer von letzterer noch zu errichtenden Tankstelle. Die Beklagte erwarb im folgenden von der inzwischen unter dem Namen B GmbH firmierenden S GmbH das gesamte Mineralölgeschäft und trat in den Mietvertrag ein. § 6 Abs. 1 des Mietvertrages lautet: "Dieser Vertrag wird mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 1998 geschlossen. Er verlängert sich jeweils automatisch um fünf Jahre, sofern er nicht ein Jahr vor Ablauf der ursprünglichen oder der verlängerten Laufzeit durch eingeschriebenen Brief gekündigt wird."

Durch schriftlichen Nachtrag vom 30.09./26.10.1987 vereinbarten die Erbengemeinschaften nach dem inzwischen vertorbenen Herrn C und die Beklagte diverse Änderungen bzw. Ergänzungen des Mietvertrages vom 19.04.1968/27.11.1969. Unter Ziffer 3 des Nachtrages trafen die Beteiligten bezüglich der Laufzeit folgende Regelung:

"Der Grundstücksmietvertrag hat gemäß § 6 Abs. 1 eine feste Laufzeit bis zum 31.12.1998. Hiermit wird vereinbart,daß F den Vertrag über dieses Datum hinaus zweimal um je fünf Jahre verlängern kann. Diese Optionen gelten als ausgeübt, wenn F nicht jeweils ein Jahr vor Vertragsverlauf ausdrücklich auf dieses Recht verzichtet."

Mit der Beklagten am 03.12.1999 zugegangenen Schreiben vom 29.11.1999 kündigten die Kläger das Mietverhältnis unter Hinweis auf § 567 BGB zum 31.03.2000.

Die Kläger haben die Ansicht vertreten, zur Kündigung berechtigt gewesen zu sein. Sowohl nach § 6 des Mietvertrages, als auch nach den im Nachtrag getroffenen Regelungen habe die Beklagte die Möglichkeit gehabt, die Vermieterseite für mehr als 30 Jahre an den Vertrag zu binden.

Die Kläger haben beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, das Grundstück I2-Straße in I an sie herauszugeben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat unter Berufung auf das Urteil des BGH in NJW 1996 S. 2028 die Ansicht vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Die 30-Jahres-Frist des § 567 BGB beginne erst mit dem Abschluß des Nachtrages im Jahre 1987 zu laufen. Eine Möglichkeit, die Laufzeit des Mietvertrages über 30 Jahre hinaus einseitig auszudehnen, habe nach dem ursprünglichen Inhalt des Mietvertrages nicht bestanden.

Durch Urteil vom 15.02.2001, auf das auch wegen des weiteren Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung wie folgt ausgeführt: Die Laufzeit des Mietvertrages in seiner ursprünglichen Form habe den Zeitraum von 30 Jahren nicht überschritten, da jede Partei durch rechtzeitige Kündigung einer Verlängerung habe widersprechen können. Durch das der Beklagten durch den Nachtrag eingeräumte Optionsrecht habe diese es zwar nunmehr in der Hand, die Laufzeit über 30 Jahre hinaus gerechnet vom Vertragsschluß - auszudehnen. Die 30-Jahres-Frist beginne jedoch vorliegend erst mit dem Abschluß des Nachtrages.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Kläger, zu deren Begründung sie ausführen:

Die Laufzeit des Mietvertrages habe bereits in seiner Ursprungsfassung den Zeitraum von 30 Jahren überschritten. Abzustellen sei auf die am 19.04.1968 durch den damaligen Vermieter geleistete Unterschrift, mit der er an den Mietvertrag gemäß dessen § 10 Abs. 5 gebunden gewesen sei. Die Kündigungsfrist aus § 6 Abs. 1 des Mietvertrages für den Vermieter sei nicht eindeutig geregelt und wegen der Gefahr von Mißverständnissen darüber, wem das Recht zustehe, so für den Vermieter erschwert, daß § 567 BGB eingreife. Letztlich habe das Landgericht das von der Beklagten zitierte Urteil des BGH mißverstanden. Die Frist von 30 Jahren rechne vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses 1968/1969, weil bereits in diesen Vertrag der Mieterin eine Verlängerungsoption von 5 Jahren eingeräumt worden sei.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, das Grundstück I2-Straße in I zu räumen und an die Kläger herauszugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Sachvortrag.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst den damit überreichten Anlagen verwiesen.

Gründe

I.

Die Berufung ist unbegründet.

Den Klägern steht der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch aus § 546 BGB n.F. gegenüber der Beklagten nicht zu. Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist nicht durch die Kündigung der Kläger vom 29.11.1999 beendet worden. Die von den Klägern unter Hinweis auf § 567 BGB a.F. erklärte Kündigung ist unwirksam.

II.

Die Frage der Wirksamkeit der von den Klägern mit Schreiben vom 29.11.1999 ausgesprochene Kündigung bestimmt sich gemäß Artikel 229 § 3 EGBGB neuer Fassung (n.F.) nach den bis zum 01.09.2001 geltenden Vorschriften. Zwar führt Artikel 229 § 3 EGBGB n.F. in seinem Abs. 1 Nr. 1 § 567 BGB a.F. nicht auf. Einer gesonderten Nennung dieser Norm bedurfte es indessen nicht. Anders als im Falle des § 570 BGB a.F. handelt es sich bei der Kündigung nach § 567 BGB a.F. nicht um eine außerordentliche Kündigung mit gesetzlicher Kündigungsfrist, sondern um eine ordentliche Kündigung eines befristeten Mietverhältnisses nach § 565 BGB

a.F. , der seinerseits in der genannten Überleitungsvorschrift aufgeführt ist.

III.

1.

Gemäß § 565 BGB a.F. kann jeder Vertragsteil das Mietverhältnis nach 30 Jahren unter Einhaltung der gesetzlichen Frist kündigen, wenn ein Mietvertrag für eine längere Zeit ab 30 Jahre geschlossen worden ist.

2.

Das trifft auf den Mietvertrag in seiner ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1968/1969 nicht zu. Der Lauf der 30-Jahres-Frist gemäß § 567 BGB a.F. begann mit Abschluß des Mietvertrages durch die damaligen Vertragspartner Herr C und der S GmbH als jeweiligen Rechtsvorgängern der Parteien. Maßgebend für die Berechnung der 30-Jahres-Frist ist daher der 27.11.1969, so daß die vereinbarte Vertragslaufzeit bis zum 31.12.1998 den Zeitraum von 30 Jahren nicht überschritt. Zwar hat Herr C als damaliger Vermieter seinerseits den Vertragstext bereits am 19.04.1968 unterzeichnet. Zustandegekommen ist der Vertrag jedoch erst durch Gegenzeichnung der Vertragsurkunde durch die S GmbH am 27.11.1969. Die Unterzeichnung durch Herrn C stellte zunächst nur ein an die S GmbH gerichtetes Angebot auf Abschluß eines im einzelnen schon ausgehandelten Mietvertrages über das Grundstück dar. Herr C war somit noch nicht auf Grund eines bereits geschlossenen Mietvertrages gegenüber der S GmbH zur Überlassung des Grundstücks verpflichtet. Er hat am 19.04.1968 lediglich durch seine Unterschrift gegenüber der S GmbH ein Vertragsangebot abgegeben, an das er sich - wie es die damaligen Vertragsparteien in § 10 Abs. 5 des Vertragestextes ausdrücklich hervorgehoben haben - 6 Monate, mindestens jedoch bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Einholung der Baugenehmigung für die von der S GmbH geplanten Baulichkeiten hat binden wollen.

3.

Die Frage, ob § 567 BGB a.F. auch schon an ein eine Vertragspartei gewisse Zeit bindendes Angebot anknüpfen kann, mithin, ob in die 30-Jahres-Frist des § 567 BGB a.F. der durch eine vereinbarte Bindungsfrist verstrichene Zeitraum eingerechnet werden muß, ist bislang - soweit ersichtlich - weder höchstrichterlich entschieden, noch in der Literatur behandelt worden. Die Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen.

Gemäß § 145 BGB ist derjenige, der einem die Schließung eines Vertrages anträgt, an diesen Antrag gebunden. Diese durch § 145 BGB begründete grundsätzliche Bindung an ein Vertragsangebot kann, wie § 148 BGB zeigt, zeitlich modifiziert werden, indem der antragende für die Annahme eine Frist bestimmen kann. Diese Frist kann auch durch Parteivereinbarung gegenüber der gesetzlichen Frist abgekürzt, aber auch verlängert werden. Von dieser Verlängerungsmöglichkeit haben die ursprünglichen Vertragsparteien durch die Aufnahme von § 10 Abs. 5 in den Vertragstext Gebrauch gemacht. Wenn diese von der Zeitdauer her der Vereinbarung der Parteien unterliegende Bindungszeit des Angebots grundsätzlich im Rahmen des § 567 BGB a.F. hätte Berücksichtigung finden sollen, so hätte dies durch den Gesetzgeber festgelegt werden müssen, was jedoch nicht geschehen ist. Dem Umstand, daß jedenfalls unter Abwesenden bis zur Annahme eines Angebots ein im Einzelfall kürzere oder längere Frist grundsätzlich verstreicht, hat der Gesetzgeber durch die Regelung in § 147 Abs. 2 BGB Rechnung getragen, ohne jedoch gleichzeitig im Rahmen des § 567 BGB a.F. eine vergleichbare Regelung zu treffen.

Daß Herr C durch § 10 Abs. 5 des Mietvertrages mindestens 6 Monate an sein Angebot gebunden war, und es letztlich erst nach 19 Monaten zur Annahme des Angebots gekommen ist, vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Den Vertragsparteien stand es frei, die Bindungsfrist nach ihrem Belieben festzulegen.

4.

In seiner ursprünglichen Fassung gab der Mietvertrag der S GmbH auch nicht die Möglichkeit, unabhängig vom Willen des Vermieters die Laufzeit des Vertrages über 30 Jahre hinaus auszudehen, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt eine Anwendung des § 567 BGB a.F. ausscheidet. Denn ebenso wie die S GmbH konnte auch der Vermieter gemäß § 6 Abs. 1 des Mietvertrages nach dem Parteiwillen den Eintritt der Verlängerungsklausel durch Ausspruch einer Kündigung vor dem 31.12.1998 verhindern. Die von den Klägern geäußerten Zweifel hinsichtlich der Wirksamkeit des § 6 Abs. 1 des Mietvertrages vermag der Senat angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts dieser Regelung nicht zu teilen.

5.

Erst Ziffer 3 des ersten Nachtrages vom 30.09./26.10.1987 eröffnete der Beklagten als nunmehriger Mieterin durch Einräumung eines ihr zugestandenen einseitigen Optionsrechts die Möglichkeit, unabhängig vom Mitwirken des Vermieters die Gesamtlaufzeit des Mietverhältnisses über 30 Jahre hinaus auszudehnen. Dies führt jedoch nicht dazu, daß nunmehr die Regelung des § 567 BGB a.F. auch auf den Ursprungsmietvertrag anzuwenden wäre.

Maßgebend ist nicht, daß auf diesem Wege die Gesamtlaufzeit des Vertrages 30 Jahre übersteigt. Entscheidend für den Beginn des Laufs der 30-Jahres-Frist ist der Zeitpunkt des Abschlusses der Verlängerungsvereinbarung, wenn erst durch diese eine 30 Jahre übersteigende Bindung eines Vertragespartners begründet worden ist. Die bisherige Vertragslaufzeit bleibt hierbei unberücksichtigt. Wenn die Parteien nicht gehindert sind, ein schon lange währendes Mietverhältnis durch Abschluß eines neuen Vertrages um bis zu weiteren 30 Jahre zu verlängern, so ist kein trifftiger Grund dafür ersichtlich, warum dieses Ziel nicht auch durch eine vertragliche Verlängerung des bestehenden Mietverhältnisses herbeigeführt werden können soll (BGH NJW 1996, S. 2028).

IV.

Ein Recht zur Kündigung mit gesetzlicher Frist steht den Klägern auch nicht aus anderen Gründen zu.

Der Nachtrag Nr. 1 nimmt zwar auf den Mietvertrag vom 19.04.1968/27.09.1969 Bezug. Dabei ist letztere Datumsangabe unzutreffend, da die Vermieterseite tatsächlich am 27.11.1969 den Vertrag unterzeichnet hat. Ernstzunehmende Bedenken im Hinblick auf das Schriftformerfordernis des § 566 BGB a.F. ergeben sich daraus jedoch nicht. Die Bezeichnung der Vertragsparteien und des Mietobjekts, sowie der Sachzusammenhang des Mietvertrages und des Nachtrages lassen keine Zweifel an der inhaltlichen Zusammengehörigkeit der Regelungswerke aufkommen. Daß es sich bei der unzutreffenden Datumsangabe im ersten Nachtrag nur um ein unbeachtlichen Schreibfehler handelt, wird offensichtlich von den Klägern in gleicher Weise gesehen. Dies ergibt sich daraus, daß sie diese Divergenz zu keinem Zeitpunkt während des Prozesses angesprochen und bereits in ihrer Klageschrift den Nachtrag als zum ursprünglichen Mietvertrag gehörend dargestellt haben, so daß sie über den Bestand und Inhalt des Mietvertrages mit der Beklagten in vollem Umfang zutreffend in Kenntnis gesetzt waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711. Die Entscheidung über die Beschwer beruht auf § 546 ZPO.