VG Berlin, Urteil vom 04.03.2016 - 23 K 323.14 A
Fundstelle
openJur 2016, 5430
  • Rkr:

Ungarn ist ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26 a AsylG

Ein Ausnahmefall, der das Konzept der normativen Vergewisserung entkräften könnte, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festzustellen

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2014 in der Fassung des Änderungsbescheides dieser Behörde vom 17. Juni 2015 wird insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Ungarn angedroht worden ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt sinngemäß die Durchführung seines Asylverfahrens im Bundesgebiet.

Er stammt eigenen Angaben zufolge aus Syrien und flüchtete im April 2012 auf dem Landweg über die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien nach Ungarn. Auf seinen Asylantrag erhielt er von den ungarischen Behörden den subsidiären Schutzstatus zuerkannt. Anschließend reiste er im Februar 2014 nach Deutschland weiter. Am 3. März 2014 stellte der Kläger beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erneut einen Asylantrag. Das Bundesamt richtete nach einem persönlichen Gespräch und Eingang eines entsprechenden Eurodac-Treffers der Kategorie 1 am 30. April 2014 ein auf die Dublin III-Verordnung gestütztes Übernahmeersuchen an Ungarn. Die ungarischen Behörden teilten hierauf mit Schreiben vom 12. Mai 2014 mit, dass sie eine Übernahme des Klägers gemäß den Dublin-Bestimmungen nicht akzeptierten, weil diesem am 12. Dezember 2012 der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei („subsidiary protection“). Er sei dort als syrischer Staatsangehöriger mit dem Namen, geb. am 5. Juni 1995, erfasst. Der Transfer sei vielmehr nach dem deutsch-ungarischen Rückübernahmeabkommen vorzunehmen, zuständig hierfür sei die Ausländerpolizei der Grenzpolizei im Hauptquartier der Nationalpolizei Ungarns.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2014 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger in der Bundesrepublik Deutschland kein Asylrecht zusteht (Ziffer 1) und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2). Er könne sich auf Grund seiner Einreise aus Ungarn, einem sicheren Drittstaat, gemäß § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf Art. 16a Abs. 1 GG berufen; dort habe er bereits internationalen Schutz erhalten. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34a AsylVfG.

Der Kläger hat am 28. Mai 2014 beim Verwaltungsgericht Berlin Klage erhoben und macht zur Begründung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte geltend, in Ungarn drohe ihm eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK. Dort werde er obdachlos; eine menschenwürdige Existenzsicherung sei nicht sichergestellt. Ungarn verletze seine Verpflichtungen aus Art. 26, 28, 29 und 31 der Richtlinie 2004/83/EG. Trotz des ihm gewährten subsidiären Schutzes habe das Bundesamt hier ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, weil ihm die Flüchtlingseigenschaft wegen der aktuellen Verhältnisse in Syrien zuzuerkennen sei. In Ungarn sei er damals noch minderjährig gewesen, dennoch seien die in der Kinderrechtskonvention verankerten Rechte nicht gewährleistet worden. Er habe den ungarischen Behörden seinen Clannamen genannt, dies erkläre die verschiedenen Namen; warum dort ein anderes Geburtsdatum erfasst worden sei, könne er nicht sagen. Zudem sei er psychisch krank und behandlungsbedürftig. Die Abschiebung sei nicht möglich, weil eine Anfrage nach dem deutsch-ungarischen Rückübernahmeabkommen bisher nicht stattgefunden habe und inzwischen wegen des Ablaufs der in dem Abkommen geregelten Frist auch nicht mehr möglich sei. Daher sei die Ziffer 2 des Bescheides rechtswidrig.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2015 (zugestellt am 16. Mai 2014) hat das Bundesamt die ursprünglich in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides enthaltene Abschiebungsanordnung in eine Abschiebungsandrohung abgeändert. Danach wird der Kläger nunmehr aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, und ihm wird für den Fall, dass er die Frist nicht einhält, die Abschiebung nach Ungarn angedroht. Nach Syrien darf er auf Grund dieses Bescheides nicht abgeschoben werden. Daraufhin hat der Kläger die Änderung im Einverständnis der Beklagten in das laufende Verfahren einbezogen.

Der Kläger beantragt nunmehr,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Mai 2014 in Gestalt des Änderungsbescheides derselben Behörde vom 17. Juni 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Gründe des Ausgangsbescheides in der Fassung des Änderungsbescheides. Anerkannte Schutzberechtigte seien in Ungarn - bis auf das Wahlrecht bzw. die Wählbarkeit - ungarischen Staatsbürgern gleichgestellt; eine Verletzung des Art. 3 EMRK sei nicht ersichtlich. Sie hätten Anspruch auf Unterbringung, Krankenversicherung und die Gewährung von Unterstützungsleistungen.

Die Kammer hat zunächst den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Verhandlung und Entscheidung übertragen. Wegen einer wesentlich geänderten Prozesslage hat die Einzelrichterin den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. Januar 2016 auf die Kammer zurückübertragen, § 76 Abs. 3 Satz 1 AsylG.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die den Kläger betreffende Ausländerakte des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten haben vorgelegen und sind - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Entscheidung gewesen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung zur Sache verhandeln und entscheiden, weil sie mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 102 Abs. 2 VwGO.

Die Anfechtungsklage ist zulässig (zur Klageart ausführlich Urteil der Kammer vom 4. Juni 2015 - VG 23 K 906.14 A -, juris Rn. 14 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 - BVerwG 1 C 32.14 -, juris Rn. 13 f.) und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 14. Mai 2014 ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Das Bundesamt hat zu Recht gemäß §§ 26a, 31 Abs. 4 Satz 1 des hier anzuwendenden Asylgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das durch Art. 1 des Gesetzes vom 2. Februar 2016 (BGBl. I S. 130) geändert worden ist (AsylG), festgestellt, dass dem Kläger auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Nach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG kann sich ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG (sicherer Drittstaat) eingereist ist, nicht auf das Asylgrundrecht berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt (vgl. § 26a Abs. 1 Satz 2 AsylG). Wird der Asylantrag nur nach § 26a AsylG abgelehnt, ist nur festzustellen, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht (§ 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG). ... So liegt der Fall hier. Der Kläger ist aus Ungarn, das als Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG als sicherer Drittstaat gilt (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93 -, juris Rn. 159), in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.

Die Anwendung von § 26a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG ist nicht durch § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG ausgeschlossen, wonach § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht gilt, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist insbesondere nicht auf Grund der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin III-VO), zur Aufnahme des Klägers verpflichtet. Zwar ist der zeitliche Anwendungsbereich dieser Verordnung hier eröffnet, obwohl dem Kläger bereits im Jahre 2012 der subsidiäre Schutz in Ungarn zuerkannt worden ist. Denn nach Art. 49 UAbs. 2 Satz 1 Dublin III-VO kommt es auf den Zeitpunkt der Antragstellung an. Liegt er nach dem Inkrafttreten der Dublin III-Verordnung zum 1. Januar 2014, ist sie anwendbar. So liegt es hier, weil der Kläger seinen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes im Bundesgebiet erst am 3. März 2014 gestellt hat. Jedoch ist der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung nach der Rechtsprechung der Kammer bei Ausländern, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, nachdem ihnen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union - wie hier in Ungarn - die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (RL 2011/95/EU) zuerkannt wurde, nicht gegeben (ausführlich Urteil der Kammer vom 4. Juni 2015 - VG 23 K 906.14 A -, juris Rn. 17 m.w.N.).

Die Kammer hält an dieser Rechtsprechung auch mit Blick auf die anderslautenden Entscheidungen der 33. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin (Urteile vom 11. September 2015 - VG 33 K 152.15 A - und vom 10. September 2015 - VG 33 K 113.15 A -, jeweils juris) fest. Nach ihrer Überzeugung begründet allein der Umstand, dass einem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat nur subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, nicht aber die Flüchtlingseigenschaft, keine Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für den weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Zwar mag ein Schutzsuchender nach der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrensrichtlinie, RL 2013/32/EU) und der RL 2011/95/EU auch dann noch einen unionsrechtlichen Anspruch auf Prüfung seines Antrages auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben, wenn ihm bereits subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, und zwar auch dann, wenn es sich um einen weiteren Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft handelt (vgl. Art. 46 Abs. 2 RL 2013/32/EU). Das sagt aber nichts darüber aus, in welchem Mitgliedstaat der (weitere) Antrag zu prüfen ist. Vielmehr ist dem Antragsteller grundsätzlich zuzumuten, unmittelbar in dem jeweiligen Mitgliedstaat um Rechtsschutz nachzusuchen, dessen Behörden ihm lediglich subsidiären Schutz zuerkannt haben (vgl. Urteile der Kammer vom 22. Januar 2016 - VG 23 K 399.14 A - und - VG 23 K 618.14 A -, jeweils juris Rn. 16 und vom 20. November 2015 - VG 23 K 864.14 A -, juris Rn. 19; VG Berlin, Urteil vom 14. Oktober 2015 - VG 9 K 457. 14 A -). Nachteile, die aus dem Nichtgebrauch dieser Rechtsschutzmöglichkeit entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last; sie vermögen indessen nicht die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates zu begründen.

Die Vorschrift des § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG ist auch auf Antragsteller anwendbar, denen in einem sicheren Drittstaat bereits internationaler Schutz zuerkannt worden ist. Ihrer Anwendung steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber bei der Einführung von § 26a Abs. 1 Satz 1 AsylG im Jahr 1993 nur solche Ausländer „im Blick“ hatte, denen in dem sicheren Drittstaat noch kein internationaler Schutz gewährt worden ist (ausführlich Urteil der Kammer vom 4. Juni 2015 - VG 23 K 906.14 A -, juris Rn. 19 m.w.N.).

Gegen die Heranziehung der Drittstaatenregelung spricht ferner nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach vor dem 20. Juli 2015 gestellte Asylanträge nicht allein deshalb als unzulässig behandelt werden dürfen, weil dem Antragsteller in einem anderen Mitgliedstaat bereits subsidiärer Schutz gewährt worden ist (Beschluss vom 23. Oktober 2015 - BVerwG 1 B 41.15 -, juris Rn. 11 f.). Denn diese Rechtsprechung verhält sich nicht zur Ablehnung eines Asylantrages nach § 26a AsylG. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts sind vielmehr bezogen auf die Ablehnung eines Asylantrages als unzulässig gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG. Das Bundesamt hatte diese Norm in der Vorinstanz herangezogen, um die Rechtmäßigkeit des angefochtenen - im zeitlichen Anwendungsbereich der Dublin II-Verordnung ergangenen und ursprünglich auf § 27a Asyl(Vf)G gestützten - Bescheides im Wege der Umdeutung zu begründen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 57.15 -, juris Rn. 14). Allein in diesem Zusammenhang war im Lichte der europarechtlichen Vorgaben darüber zu befinden, ob die Norm die Ablehnung eines Asylantrages „als unzulässig“ nur bei andernorts zuerkannter Flüchtlingseigenschaft oder aber auch bei gewährtem subsidiärem Schutz erlaubt; es ging um den „Umfang der aus § 60 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abzuleitenden Unzulässigkeit eines materiellen Prüfverfahrens“ (wörtlich Beschluss vom 23. Oktober 2015 - BVerwG 1 B 41.15 -, juris Rn. 11). Diese Erwägungen lassen sich nicht auf die hier inmitten stehende Drittstaatenregelung übertragen, bei der der Asylantrag nicht „als unzulässig“ abgelehnt, sondern gemäß § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur „festgestellt“ wird, „dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht“. Hinzu kommt, dass sich das Bundesverwaltungsgericht maßgeblich auf die Übergangsbestimmung der Art. 52 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 RL 2013/32/EU stützt. Bei § 26a AsylG handelt es sich aber nicht - wie von dieser Übergangsregelung vorausgesetzt - um eine der in Umsetzung der Verfahrensrichtlinie entstandene Rechts- und Verwaltungsvorschrift. Vielmehr existiert diese Norm bereits seit 1993 und galt damit sogar schon, als die frühere Fassung der Asylverfahrensrichtlinie in Kraft trat. § 26a AsylG enthält zudem eine speziellere Regelung für eine Teilmenge der von § 60 Abs. 1 AufenthG erfassten Personengruppe (vgl. Urteile der Kammer vom 22. Januar 2016 - VG 23 K 399.14 A - und - VG 23 K 618.14 A -, jeweils juris Rn. 18 und vom 20. November 2015 - VG 23 K 864.14 A -, juris Rn. 21; ebenso nunmehr OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2016 - 1 A 11081/14 -, juris Rn. 27 und offenbar auch VG Stade, Urteile vom 21. September 2015 - 1 A 791/14 -, juris Rn. 30 sowie vom 15. Dezember 2015 - 4 A 980/15 -, juris Rn. 33; vgl. in diesem Zusammenhang auch VG Berlin, Urteil vom 25. Januar 2016 - VG 34 K 162.15 A -, juris Rn. 35).

Ungarn gilt als Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG als sicherer Drittstaat (vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93 -, juris Rn. 159). Dieser Verfassungsnorm liegt das Konzept der normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat zugrunde. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten als sicher kraft Entscheidung der Verfassung. Die normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Damit entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu bieten (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93 -, juris Rn. 181). Soweit das Bundesverfassungsgericht in engen Grenzen ausnahmsweise die Möglichkeit einer Entkräftung der Vermutung der Sicherheit im Drittstaat aufgezeigt hat, verhilft dies dem Kläger nicht zum Erfolg. Denn diese kommt nur dann in Betracht, wenn tatsächliche Umstände vorliegen, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Es muss sich dabei auf Grund bestimmter Tatsachen aufdrängen, dass der Ausländer von einem im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfall betroffen ist; an diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93 -, juris Rn. 189 f.; zu den Fallgruppen vgl. Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 26a Rn. 3 ff.). Auch - hier allenfalls in Betracht kommende - Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK) greift, sind vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat nicht umfasst (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938.93, 2 BvR 2315.93 -, juris Rn. 189).

Eine Misshandlung im Sinne von Art. 3 EMRK setzt ein Mindestmaß an Schwere voraus, welches von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wie der Dauer der Behandlung und ihren physischen und psychischen Wirkungen sowie der Person des Betroffenen. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit weckt und geeignet ist, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland - Rn. 219 f., ZAR 2011, S. 395 [397] m.w.N.). Aus Art. 3 EMRK folgen dabei neben Unterlassungs- auch staatliche Schutzpflichten (vgl. Sinner in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2. Auflage 2015, Art. 3 Rn. 9 ff.). Hiernach können sich auch die - staatlich verantworteten - allgemeinen Lebensverhältnisse grundsätzlich als eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die dabei bestehenden staatlichen Gewährleistungspflichten im Einzelnen konkretisiert. Hiernach verpflichtet Art. 3 EMRK die Mitgliedstaaten nicht, jede Person innerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs mit einem Obdach zu versorgen oder sie finanziell zu unterstützen, um ihnen einen gewissen Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 - 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande - Rn. 70, ZAR 2013, S. 336 [337] und Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696.09, M.S.S./Belgien und Griechenland - Rn. 249, ZAR 2011, S. 395 [397]). Diese Vorschrift gewährt von einer Überstellung betroffenen Ausländern grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Wenn keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse bei einer Überstellung bedeutend geschmälert würden, nicht ausreichend, einen Verstoß gegen diese Vorschrift zu begründen (vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 - 27725.10, Mohammed Hussein/Italien und Niederlande - Rn. 71, ZAR 2013, S. 336 [337]). Die Verantwortlichkeit eines Staates nach Art. 3 EMRK wegen der Behandlung eines Ausländers kann allerdings ausnahmsweise begründet sein, wenn dieser vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. hierzu EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696.09, M.S.S./Bel-gien und Griechenland - Rn. 253, ZAR 2011, S. 395 [397]).

Ein solcher Ausnahmefall, der das Konzept der normativen Vergewisserung entkräften könnte, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festzustellen (ebenso VG Magdeburg, Urteil vom 9. Juli 2015 - 9 A 216/15 -, juris Rn. 39 ff.; VG München, Urteile vom 29. Juli 2015 - M 23 14.50307 -, juris Rn. 30 und - M 23 K 13.31389 -, juris Rn. 31 sowie Beschlüsse vom 30. März 2015 - M 12 S 15.50022 -, juris Rn. 43 f. und - M 12 S 15.50038 -, juris Rn. 44 f.; a.A. VG Freiburg, Urteil vom 13. Oktober 2015 - A 5 K 1405/13 -, juris Rn. 30 ff.; offengelassen VG Aachen, Beschluss vom 11. März 2015 - 5 L 736/14.A -, juris Rn. 36 f.). Auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn kommt es hierbei nicht an (vgl. dazu Urteil der Kammer vom heutigen Tag - VG 23 K 26.16 A -). Denn der Rechtsbegriff der systemischen Schwachstelle entstammt der hier nicht anwendbaren Dublin III-Verordnung (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO; vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. -, juris Rn. 81 ff.). Er bildet nicht den Maßstab für die Prüfung, ob die Vermutung des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG ausnahmsweise im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchbrochen ist. Vor allem aber ist der Kläger kein Asyl(erst)antragsteller mehr und unterliegt nicht den gesetzlichen Regelungen und Restriktionen der noch im Anerkennungsverfahren befindlichen Asylsuchenden in Ungarn. Entscheidend ist allein, ob in Ungarn der gebotene Inhalt des ihm zuerkannten Schutzstatus hinreichend eingehalten wird oder ob für ihn als subsidiär Schutzberechtigten insoweit eine tatsächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso VG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2015 - 17 K 3135/14.A -, juris Rn. 24; VG Magdeburg, Beschluss vom 4. Dezember 2014 - 9 B 438.14 -, juris Rn. 16). Dass die Verhältnisse in Ungarn hinter dem unionsrechtlich vorgesehenen, hier gewährten internationalen Schutz derart erheblich im Sinne eines strukturellen Versagens zurückbleiben, trägt weder der Kläger substantiiert vor noch ist dies bei Würdigung der der Kammer vorliegenden aktuellen Erkenntnisse sonst ersichtlich; erst recht drängt sich dieser Eindruck nicht auf im Sinne der dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Hierfür sind namentlich mehrere Auskünfte des Auswärtigen Amtes an verschiedene Verwaltungsgerichte im Bundesgebiet (an das VG Berlin vom 29. Januar 2016 [einschließlich der dort mitgesandten Auskunft gegenüber dem VG Regensburg vom 27. Januar 2016], an das VG Oldenburg vom 3. Juli 2015, an das VG Freiburg vom 12. März 2015, an das VG Magdeburg vom 2. März 2015 sowie erneut an das VG Freiburg vom 2. März 2015, zitiert als AA), der Bericht des European Asylum Support Office von Juni 2015 („Description oft he Hungarian asylum system“, im Folgenden EASO) sowie der Report von Nils Muiznieks nach seinem Besuch in Ungarn vom 1. bis zum 4. Juli 2014 (nachfolgend Muiznieks-Report) berücksichtigt worden, ebenso der Lagebericht zum Mitgliedstaat Ungarn des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 17. Februar 2016 an das Verwaltungsgericht Berlin (zum Verfahren - VG 3 K 698.15 A -).

Danach ergibt sich übereinstimmend, dass das Unterstützungssystem für anerkannte Schutzberechtigte zum 1. Januar 2014 neu organisiert worden ist. Personen, die internationalen Schutz in Ungarn erlangt haben, werden regelmäßig am Flughafen in Budapest in Empfang genommen; anschließend wird zunächst ihr Aufenthaltsstatus geprüft. Die Zuständigkeit für die Förderung und soziale Integration liegt sodann beim Amt für Einwanderung und Staatsangehörigkeit; hierfür sind zehn Mitarbeiter für die Unterkunft und Integration (Finanzhilfe) verantwortlich. Bei der Erfüllung der Aufgaben wirkt der zuständige Dienst für Familienförderung mit (EASO S. 21; AA an VG Regensburg vom 27. Januar 2016, zu Frage 3). Der Schutzberechtigte hat bis vier Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung Anspruch auf den Abschluss einer individuellen Integrationsvereinbarung, worin ein jeweils nach sechs Monaten in Stufen abschmelzendes Grundeinkommen geregelt ist, das über dem gesetzlichen Mindestlohn liegt. Bedingung ist lediglich, dass die Person bedürftig ist. Die Vertragsdauer beläuft sich auf maximal zwei Jahre (AA an VG Regensburg vom 27. Januar 2016, zu Frage 3; AA an VG Freiburg vom 12. März 2015, zu Frage 4). Der Integrationsvertrag beinhaltet die Verpflichtung für die Schutzberechtigten, sich zu integrieren, mit dem Arbeitsamt zu kooperieren und Anstrengungen zu unternehmen, eine Arbeit zu finden, und sich die Unterkunft zu sichern. Es besteht keine Pflicht zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit (vgl. EASO, S. 21, AA an VG Oldenburg vom 3. Juli 2015, zu Frage 2). Neben dem Grundeinkommen gibt es noch einen Anspruch auf ergänzende Leistungen, beispielsweise wird gegebenenfalls ein Zuschuss zur Mietkaution gezahlt (AA an VG Regensburg vom 27. Januar 2016, zu Frage 3). Der für den Wohnsitz des anerkannten Schutzberechtigten zuständige staatliche Dienst für Familienförderung begleitet nicht nur den Integrationsprozess, sondern hilft auch bei der Arbeits- und Wohnungssuche, der Anmeldung im Kindergarten und in der Schule sowie beim Finden von Möglichkeiten zum Spracherwerb. Außerdem vermittelt er bei Bedarf den Kontakt zu Selbstverwaltungsstellen, der Arbeitszentrale und kirchlichen Einrichtungen (zuletzt AA an VG Regensburg vom 27. Januar 2016, zu Frage 3, vgl. schon AA an VG Freiburg vom 12. März 2015, zu Frage 4). Dieser staatliche Familiendienst ist lokal präsent und setzt sich überwiegend aus Sozialarbeitern zusammen. Er leistet auch Hilfe für Einzelpersonen und für Schutzberechtigte, die keinen Integrationsvertrag abgeschlossen haben (AA an VG Magdeburg vom 2. März 2015, zu Frage 1). Daneben gibt es kirchliche Beratungsstellen, die auch bei der Wohnungsvermittlung behilflich sind.

Wird kein Integrationsvertrag abgeschlossen, besteht (nur) ein Anspruch auf Sozialhilfe; die entsprechenden gesetzlichen Regelungen sind zum 1. März 2015 umfassend geändert worden. Die sozialgesetzlichen Bestimmungen normieren dabei keine bestimmten, über ein allgemeines Bedürftigkeitskriterium hinausgehenden Anspruchsvoraussetzungen, allerdings bestehen teilweise Verwaltungsvorschriften. Der Empfänger der Sozialhilfe ist zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit verpflichtet, andernfalls drohen Leistungskürzungen. Wird gemeinnützige Arbeit geleistet, erhöht sich die Sozialhilfe auf ca. 200 Euro netto pro Monat (AA an VG Oldenburg vom 3. Juli 2015, Vorbemerkungen in Ziffer 1 und zu Frage 2).

Der praktische Erfolg am Arbeitsmarkt hängt von der Ausbildung und den Sprachkenntnissen des einzelnen Schutzberechtigten ab; rechtlich sind sie insoweit ungarischen Staatsbürgern gleichgestellt (AA an VG Magdeburg vom 2. März 2015, zu Frage 3). Auch der Zugang zum Wohnungsmarkt ist gesichert, entweder durch den Abschluss des Integrationsvertrages oder aber durch die Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen; hierfür ist lediglich die Registrierung im entsprechenden Bezirk notwendig (AA an VG Magdeburg vom 2. März 2015, zu Frage 4/8). Ein den ungarischen Staatsangehörigen entsprechender Krankenversicherungsschutz ist ebenfalls gewährleistet, und zwar (kostenfrei) auch für bedürftige Personen, die keinen Integrationsvertrag abgeschlossen haben (AA an VG Magdeburg vom 2. März 2015, zu Frage 5/9 und 6/9).

Soweit die gesetzgeberischen Änderungen im ungarischen Asylgesetz vom Sommer 2015 auch Fragen der verpflichtenden gemeinnützigen Arbeit, der Unterbringung und der Kosten berührt haben mögen (vgl. AA an VG Oldenburg vom 3. Juli 2015, Vorbemerkungen in Ziffer 2), kommt es hierauf im vorstehenden Zusammenhang nicht an, weil es - wie dargelegt - hier nicht um den Personenkreis der Asylantragsteller geht.

Insofern mögen danach die Lebensbedingungen für Personen mit internationalem Schutzstatus in Ungarn nicht einfach sein, zumal diese anders als bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht auf ihre Sprachkenntnisse und ein soziales Netz zurückgreifen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795.14 -, juris Rn. 13). Es herrschen allerdings keineswegs derart handgreiflich eklatante Missstände, die den Schluss zuließen, anerkannte Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem inzwischen - sowohl unter Zugrundelegung des im Bundesgebiet angegebenen als auch des in Ungarn erfassten Geburtsdatums - unstreitig volljährigen Kläger müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Ob er seinerzeit in Ungarn noch minderjährig war, ist hier unerheblich. § 77 Abs. 1 AsylG bestimmt, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der (letzten) mündlichen Verhandlung maßgebend ist. Abweichendes folgt entgegen der im Termin zur mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung des Klägers auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts namentlich im Urteil vom 16. November 2015 (- BVerwG 1 C 4.15 -, juris). Denn diese ist zu einem Dublin-Bescheid ergangen, wo es in Art. 5 Abs. 2 der Dublin II-VO - ebenso wie in Art. 7 Abs. 2 der inzwischen geltenden Dublin III-Verordnung - eine auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts dem § 77 Abs. 1 AsylG vorgehende Spezialregelung gibt, nach der die Situation zum Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend ist (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - BVerwG 1 C 4.15 -, juris Rn. 17). Mangels Anwendbarkeit der Dublin-Bestimmungen im vorliegenden Fall bleibt es hier jedoch bei der Zeitpunktfixierung des § 77 Abs. 1 AsylG.

Auch der Umstand, dass der Kläger inzwischen keinen Anspruch auf Abschluss eines Integrationsvertrages gegenüber den ungarischen Behörden (mehr) hat, verhilft ihm nicht zum Erfolg. Denn zu berücksichtigen ist, dass er durch sein eigenes Verhalten - nämlich die Weiterreise ins Bundesgebiet - diesen Nachteil selbst herbeigeführt hat. Ausweislich der Berichtslage hätte er als „Altfall“ bis zum 28. Februar 2014 den Abschluss eines solchen Vertrages beanspruchen können (vgl. EASO, S. 21). Unabhängig davon ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger im Ermessenswege auch jetzt noch zu einer Integrationsvereinbarung kommt. Andernfalls hat er bei Nachweis seiner Bedürftigkeit Anspruch auf Sozialhilfe im dargestellten Umfang und kann zusätzlich auf die Unterstützungsleistungen des zuständigen staatlichen Dienstes für Familienförderung zurückgreifen. Von einem schwierigen Arbeitsmarkt sind die ungarischen Staatsangehörigen gleichermaßen betroffen. Ein Verstoß Ungarns gegen seine Pflicht, Schutz vor Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit zu gewähren, lässt sich ebenfalls nicht feststellen. Soweit es um rassistische Übergriffe in Ungarn geht, denen die Schutzberechtigten - nicht zuletzt wegen der ausländerfeindlichen Stimmung der Regierung Ungarns - ausgesetzt sein könnten, ist jedenfalls ein strukturelles staatliches Versagen nicht erkennbar. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Staat die Strafverfolgung nicht gegen die Täter richtet (ebenso VG Magdeburg, Urteil vom 9. Juli 2015 - 9 A 216/15 -, juris Rn. 48).

Ebenso wenig stellt ein etwaiger Verstoß Ungarns gegen Sekundärrecht - der Kläger führt insoweit Art. 26, 28, 29 und 31 der früheren Fassung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG an - eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar (siehe OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2015 - 14 A 134/15.A -, juris Rn. 15).

Im Übrigen ist der Kläger nach eigenen Angaben auf dem Landweg in das Bundesgebiet gereist, und zwar vermutlich über Österreich, das unstreitig ein sicherer Drittstaat nach § 26a Abs. 1 AsylG ist. Bereits dort hätte er die Möglichkeit gehabt, mit der Begründung, dass es sich bei Ungarn nicht um einen sicheren Drittstaat handele, um Schutz nachzusuchen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2016 - 1 A 11081/14 -, juris Rn. 30).

Die Klage hat demgegenüber Erfolg, soweit sie sich gegen die Abschiebungsan-drohung richtet. Die mit Änderungsbescheid vom 17. Juni 2015 ausgesprochene Ab-schiebungsandrohung, die die im angegriffenen Bescheid vom 14. Mai 2014 in Ziffer 2 ursprünglich vorgesehene Abschiebungsanordnung ersetzt, ist zulässigerweise in das Klageverfahren einbezogen worden. Mit der Klageänderung hat sich die Beklagte einverstanden erklärt. Im Übrigen ist sie auch sachdienlich im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO, weil der Streitstoff des Verfahrens im Wesentlichen derselbe bleibt und die Zulassung des Klageantrages eine endgültige Beilegung des Rechtsstreits zu fördern geeignet ist.

Die Klage ist insoweit begründet, weil sich die nunmehr erlassene Abschie-bungsandrohung weder auf § 34a AsylG noch auf § 34 AsylG stützen lässt.

Nach § 34a AsylG, den die Behörde ihrer ursprünglichen Entscheidung zugrundegelegt hatte, ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Rechtsgrundlage deckt ihrer Rechtsfolge nach den Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht ab; der Wortlaut des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG lässt dies eindeutig nicht zu („ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an“). Die Androhung der Abschiebung stellt auch kein zulässiges milderes Mittel gegenüber der Anordnung dar. Andererseits kann auch § 34 Abs. 1 AsylG nicht als Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung herangezogen werden. Danach erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Denn diese Vorschrift ist vorliegend nicht anwendbar. Wenn das Bundesamt einen Asylantrag - wie hier - nur nach § 26a AsylG ablehnt, ist nach § 31 Abs. 4 Satz 1 AsylG lediglich festzustellen, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Diese Entscheidung ist gemäß § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG „zusammen“ - mithin zeitgleich - mit „der Abschiebungsanordnung nach § 34a“ zu treffen und dann „dem Ausländer selbst zuzustellen“. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber von einer Verknüpfung des § 26a AsylG und im Übrigen auch des § 27a AsylG allein mit § 34a AsylG ausging. Nach der Gesetzessystematik besteht danach ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Asylversagung wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat bzw. der Zuständigkeit eines anderen Staates und der Anordnung der Abschiebung in diesen Staat. Insofern ist § 34a AsylG bei einer Entscheidung (nur) nach den §§ 26a, 27a AsylG gegenüber § 34 Abs. 1 AsylG spezieller (in diesem Sinne auch BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - BVerwG 1 B 41.15 -, juris Rn. 15). Zur weiteren Begründung und zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die den Beteiligten des Verfahrens bekannte Entscheidung der Kammer vom 4. Juni 2015 (- VG 23 K 906.14 A -, juris) verwiesen, der sich zwischenzeitlich eine Reihe anderer Verwaltungsgerichte angeschlossen haben (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19. Februar 2016 - 2a K 2466/15.A -, juris Rn. 64 ff.; VG Ansbach, Urteile vom 5. Februar 2016 - AN 14 K 15.50478 -, juris Rn. 22 ff. und vom 7. Oktober 2015 - AN 11 K 15.50067 -, juris Rn. 29 ff.; VG Stade, Urteile vom 15. Dezember 2015 - 4 A 980/15 -, juris Rn. 28 ff. und vom 21. September 2015 - 1 A 791.14 -, juris Rn. 25 ff.; VG Münster, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 8 K 436/15 -, juris Rn. 14 ff.; VG Düsseldorf, Urteile vom 3. Juli 2015 - 8 K 2181/15.A -, juris Rn. 17 ff. und vom 29. Juni 2015 - 13 K 3215/15.A -, juris Rn. 21 ff.; a.A. VG Schleswig-Holstein, Urteil vom 4. Dezember 2015 - 10 A 25/15 -, juris Rn. 38 ff.).

Schließlich verletzt die Abschiebungsandrohung den Kläger auch in seinen Rechten, weil sich das Bundesamt durch den Erlass einer Abschiebungsandrohung seinem ihm gesetzlich zugewiesenen Prüfungsauftrag hinsichtlich des Bestehens inländischer Abschiebungshindernisse entzieht. Während derartige Vollstreckungshindernisse beim Erlass einer Abschiebungsanordnung unmittelbar von dieser Behörde geprüft werden müssen, nimmt das Bundesamt in der hiesigen Konstellation diese Prüfung nicht vor, und zwar offenbar auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt (hierzu siehe OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Juni 2015 - 14 A 1233/15.A -, juris Rn. 10). Liegen solche Hindernisse später vor, kann der betroffene Asylsuchende diese nur gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen und vorläufigen Rechtsschutz im Streitfall allein nach § 123 Abs. 1 VwGO erreichen, was ihn vor deutlich höhere Darlegungshürden stellt. Sind damit die Rechtsschutzmöglichkeiten des Ausländers jedenfalls hinsichtlich der Prüfung inländischer Vollstreckungshindernisse empfindlich eingeschränkt, ist unerheblich, dass dem Kläger durch die geänderte Entscheidung statt der ursprünglichen Verpflichtung zur sofortigen Ausreise eine auf 30 Tage verlängerte Ausreisefrist zugestanden wird (so aber VG Ansbach, Urteil vom 22. April 2015 - AN 14 K 15.50044 -, juris Rn. 24).

Auf die geltend gemachte krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit kommt es somit im hiesigen Verfahren nicht an, ebenso wenig darauf, ob die Voraussetzungen des deutsch-ungarischen Rückübernahmeabkommens vom 17. Dezember 1998 (BGBl. 1999 II S. 90) gegeben sind, woran der Kläger zweifelt. Anhaltspunkte dafür, dass seine Überstellung nach dem Rückübernahmeabkommen auf Dauer nicht mehr möglich ist, bestehen auch mit Blick auf Art. 5 Abs. 2 des Abkommens nicht, weil die Norm eine - hier noch fehlende - Ermessensausübung Ungarns erfordert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO.

De Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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