OLG Naumburg, Beschluss vom 17.04.2014 - 2 Ws 84/14
Fundstelle
openJur 2016, 11901
  • Rkr:

1. Eine allgemeine Bindung der Strafgerichte an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und die in dieser vertretenen Rechtsansichten besteht, abgesehen von den Wirkungen der Rechtskraft (§ 121 VwGO), nicht.

2. Verwaltungsgerichte und Strafgerichte haben den Inhalt einer Norm jeweils nach den ihnen obliegenden Grundsätzen zu interpretieren.

3. Eine Ausdehnung des Begriffes "Werkzeug" auf Pumpen verstöß gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, da Pumpen nach allgemeinem Sprachgebrauch keine Werkzeuge sind.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 12. Dezember 2013 aufgehoben.

Die Betroffene wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt, freigesprochen.

Gründe

I.

Mit Urteil vom 12. Dezember 2013 hat das Amtsgericht Dessau-Roßlau gegen die Betroffene wegen fährlässigen Inverkehrbringens von Elektrogeräten ohne die erforderliche Registrierung eine Geldbuße von 5.000,00 € verhängt.

Hiergegen richtet sich deren Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichts Dessau-Roßlau und zum Freispruch der Betroffenen von Rechts wegen.

Die getroffenen Feststellungen tragen eine Verurteilung der Betroffenen nach dem ElektroG nicht.

Ordnungswidrig handelt nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 ElektroG, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 6 Abs. 2 Satz 5 ElektroG Elektro- und Elektronikgeräte in Verkehr bringt. Diese Norm bestimmt, dass Hersteller, die sich nicht haben registrieren lassen oder deren Registrierung widerrufen ist, Elektro- und Elektronikgeräte nicht in Verkehr bringen dürfen. Der Anwendungsbereich des ElektroG ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 ElektroG eröffnet, wenn es sich bei den von der Betroffenen in Verkehr gebrachten Pumpen um elektrische und elektronische Werkzeuge mit Ausnahme ortfester industrieller Großanlagen handelt. In Anhang II Nr. 6 werden als Werkzeuge u. a. beispielhaft Geräte zum Versprühen, Ausbringen, Verteilen oder zur sonstigen Verarbeitung von flüssigen oder gasförmigen Stoffen mit anderen Mitteln genannt.

Dies zugrunde gelegt, hat sich die Betroffene nicht des fahrlässigen Inverkehrbringens von Elektrogeräten ohne die erforderliche Registrierung schuldig gemacht.

Für Vorschriften, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit festlegen, gilt ebenso wie für Regelungen über Straftatbestände das Bestimmtheitsgebot, mit denselben Anforderungen wie an Straftatbestände. Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Die Bedeutung dieser Verfassungsnorm erschöpft sich jedoch nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein für die Gesetzgebung wesentliches Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie (BVerfGE 14, 174 (185); 73, 206 (234); st. Rspr.).

Der Gesetzgeber ist danach bestimmten verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen:

Art. 103 Abs. 2 GG enthält - neben dem hier nicht zu erörternden Rückwirkungsverbot - die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 41, 314 [319]; 47, 109 [120]; 55, 144 [152]). Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (vgl. z. B. BVerfGE 41, 314 [319]; 45, 346 [351]; 47, 109 [120]; 48, 48 [56]; 64, 389 [393 f.]). Art. 103 Abs. 2 GG hat insofern freiheitsgewährleistende Funktion. Andererseits soll sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber selbst abstrakt-generell über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung festzulegen (vgl. BVerfGE 47, 109 (120)).

Prinzipiell muss der Normadressat mithin anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen geht er dann, für ihn erkennbar, das Risiko einer Bestrafung ein. Beides ist nur möglich, wenn in erster Linie der für den Adressaten verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Straftatbestandes maßgebend ist. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so kann dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen (vgl. BVerfGE 47, 109 (121, 124); 64, 389 (393)).

Eine Strafe kann nach Art. 103 Abs. 2 GG nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes oder aufgrund einer Rechtsverordnung verhängt werden, die im Rahmen einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß derart bestimmten gesetzlichen Ermächtigung ergangen ist. Die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe müssen für den Bürger schon aufgrund des Gesetzes, nicht erst aufgrund der hierauf gestützten Verordnung voraussehbar sein (Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerfGE 14, 174 [185 f.]; vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschl. v. 06.05.1987 - 2 BvL 11/85 -, RdNr. 33 ff. zitiert nach juris).

Der Anwendungsbereich des ElektroG ist deshalb nur dann eröffnet, wenn die von der Betroffenen in Verkehr gebrachten Pumpen nach allgemeinem Sprachgebrauch Werkzeuge im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 ElektroG sind. Zu Recht hat die Betroffene darauf hingewiesen, dass, soweit sich § 2 Abs. 1 Satz 2 ElektroG auf die im Anhang aufgeführten Elektro- und Elektronikgeräte bezieht, diese Kategorien hierdurch keine Ausweitung erfahren, sondern lediglich durch Einzelbeispiele erläutert werden. Durch eine weite Auslegung von Beispielsfällen kann daher nicht der Inhalt der Oberbegriffe ausdehnend bestimmt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.02.2008 - 7 C 43.07 -, RdNr. 12, zitiert nach juris).

Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind die von der Betroffenen in Verkehr gebrachen Pumpen keine Werkzeuge. Nach der Bedeutung des Wortes Werkzeug werden hiermit ausschließlich solche Gegenstände bezeichnet, die dem Bearbeiten von Werkstücken oder Werkstoffen dienen. In Wörterbüchern und Lexika werden Werkzeuge definiert "als Geräte zur Bearbeitung von Werkstücken oder Werkstoffen" (s. Brockhaus in 5 Bänden, Stichwort "Werkzeug"; Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Stichwort "Werkzeug") beziehungsweise "als Geräte als Mittel zur Unterstützung oder Ersetzung der menschlichen Hand bei der Bearbeitung von Gegenständen oder Stoffen" (Duden, Das Bedeutungswörterbuch, Stichwort "Werkzeug").

Deshalb sind die von der Betroffenen in den Verkehr gebrachten Pumpen keine Werkzeuge im Sinne von §§ 23, 6, 2 Abs. 1 Nr. 6 ElektroG.

Dieser Annahme stehen die Entscheidungen des Bayrischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 13. Januar 2010 (Az.: AN 11 K 09.0185) und die des Bayrischen VGH, Beschl. v. 28.06.2010 (Az.: 20 ZB 10.401), die für die Druckerhöhungsanlage Hydrojet JP 6 und die Schmutzwasserpumpe Typ AP 50.50.08.A1 die Anwendbarkeit des ElektroG bejaht haben, nicht entgegen.Eine allgemeine Bindung der Strafgerichte an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung und die in dieser vertretenen Rechtsansichten besteht, abgesehen von den Wirkungen der Rechtskraft (§ 121 VwGO), nicht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.05.1987 - 2 BvL 11/85 -, RdNr. 48, zitiert nach juris; BVerfGE 22, 373 [379]; 68, 337 [345]). Vielmehr haben Verwaltungsgerichte und Strafgerichte den Inhalt der Norm jeweils nach den ihnen obliegenden Grundsätzen zu interpretieren.

Im Hinblick auf das im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG bildet für die Strafgerichte der Wortlaut der Vorschrift nach allgemeinem Sprachgebrauch die Grenze, die sie nicht überschreiten dürfen. Dies mag für die Verwaltungsgerichte, für die dieses strenge Analogieverbot nicht gilt, anders zu beurteilen sein.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.