OLG Köln, Urteil vom 22.08.2001 - 5 U 52/01
Fundstelle
openJur 2016, 4909
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 17. Januar 2001 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 23 O 31/00 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 17.000,- DM abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Den Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch eine selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte (als Rechtsnachfolgerin der O Versicherungs AG) auf Leistungen aus einer Unfallversicherung mit einer Versicherungssumme von 285.000,- DM bei Vollinvalidität in Anspruch. Dem Vertrag liegen die AUB 88 mit einer progressiven Invaliditätsstaffel zugrunde; dazu heißt es im Versicherungsvertrag:

§ 7 I. der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen wird wie folgt erweitert:

Führt ein Unfall ohne Mitwirkung von Vorerkrankungen oder Gebrechen (§ 8 AUB) nach den Bemessungsgrundsätzen der Nummern (2) und (3) zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit, werden der Berechnung der Invaliditätsleistung folgende Versicherungssummen zugrunde gelegt:

A) Für den 25 Prozent nicht übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die im Versicherungsschein festgelegte Invaliditätssumme,

B) für den 25 Prozent, nicht aber 50 Prozent übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die dreifache Invaliditätssumme,

C) für den 50 Prozent übersteigenden Teil des Invaliditätsgrades die vierfache Invaliditätssumme...

Am 8. Februar 1998 stürzte der Kläger aus etwa 2 ½ Metern Höhe von einer Leiter und zog sich dabei eine Kompressionsfraktur des 3. Lendenwirbelkörpers zu. Nach den Feststellungen des von der Beklagten vorprozessual beauftragten Sachverständigen Dr. I beträgt die dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit des Klägers insgesamt 60%. Hierin ist einbezogen eine Vorinvalidität von 25% als Folge eines 1994 erlittenen Unfalls sowie eine Vorinvalidität von 10% wegen einer Vorschädigung der Lendenwirbelsäule aufgrund eines degenerativen Bandscheibenvorfalles. Die Beklagte rechnete den Versicherungsfall auf der Basis einer 25%-igen unfallbedingten Invalidität ab und zahlte an den Kläger einen Betrag von 71.250,- DM aus.

Die Parteien streiten alleine darum, wie sich die Vorinvalidität des Klägers auf die Berechnung der Invaliditätsentschädigung unter Berücksichtigung der vereinbarten progressiven Invaliditätsstaffel auszuwirken hat. Der Kläger hat zunächst die Auffassung vertreten, die Entschädigungssumme sei so zu ermitteln, dass der sich auf der Basis der jetzt vorliegenden Gesamtinvalidität von 60% nach der Progressionsstaffel ergebende Betrag (=140% der Versicherungssumme = 399.000,- DM) um den Betrag zu kürzen sei, den die Vorinvalidität von 35% ausmache (vom Kläger berechnet auf 139.650,- DM), und hat den Differenzbetrag (unter Abzug der Leistung der Beklagten) in Höhe von 188.100,- DM eingeklagt. Im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens hat er sich - bedingt durch einen Hinweis des Landgerichts - auf den Standpunkt gestellt, die nicht unfallbedingte Vorinvalidität von 10% sei überhaupt nicht zu berücksichtigen, so dass ihm eine Gesamtentschädigung von 327.750,- DM zustehe, die er nunmehr in der Weise berechnet hat, dass er von dem Entschädigungssatz nach der Progressionsstaffel von 140% (bei 60%-iger Gesamtinvalidität) den Grad der durch den früheren Unfall verursachten Vorinvalidität (25%) abgezogen hat, was zu dem Ergebnis führt, dass die Entschädigungsleistung nach Auffassung des Klägers 115% der Versicherungssumme beträgt; demgemäss hat er die Klage (unter Abzug der von der Beklagten erbrachten Leistung) auf Zahlung von 256.500,- DM erhöht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 256.500,- DM nebst 6,5% Zinsen seit dem 11. November 1999 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, die von ihr vorgenommene Abrechnung entspreche den vereinbarten Versicherungsbedingungen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Januar 2001 abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die nicht durch den Unfall aus dem Jahre 1998 bedingten Beeinträchtigungen seien bei der Bemessung der Entschädigungsleistung nach der Progressionsstaffel nicht zu berücksichtigen. Die unfallbedingte Invalidität betrage 25%. Auf dieser Basis sei nach den Versicherungsbedingungen abzurechnen.

Gegen dieses ihm am 19. Januar 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Januar 2001 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit einem am 21. März 2001 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30. März 2001 verlängert worden war.

Der Kläger hält das Urteil des Landgerichts für falsch. Auf § 8 AUB 88, auf den das Landgericht abgestellt hat, komme es nicht an, weil unstreitig keine Vorerkrankungen mitgewirkt hätten. Entscheidend sei die Auslegung der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen zur progressiven Invaliditätsstaffel. Dort werde von der "Invaliditätsleistung" gesprochen, worunter der durchschnittliche Versicherungsnehmer die Entschädigungssumme verstehe, die ihm der Versicherer zu zahlen habe. Über die Frage, wie eine Vorinvalidität anzurechnen sei, sei den Bedingungen nichts zu entnehmen; insbesondere führe auch die Verweisung auf § 7 I (3) AUB 88 nicht weiter, weil dort nicht geregelt sei, ob der Abzug von dem Invaliditätsgrad oder von der Entschädigungssumme vorzunehmen sei. Hier sei davon auszugehen, dass die Entschädigungssumme zu kürzen sei; wenn der Versicherer dies anders gewollt hätte, hätte er dies deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Die vom Landgericht zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (VersR 1988, 461) sei nicht einschlägig. Die dort maßgebenden Bedingungen seien im Tatbestand nicht einmal vollständig wiedergegeben. Außerdem seien dort die AUB 61 anwendbar gewesen, so dass insoweit § 10 Nr. 4 AUB 61 einschlägig gewesen sei; eine vergleichbare Bestimmung enthielten die AUB 88 indes nicht.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 256.000,- DM nebst 6,5% Zinsen seit dem 11. November 1999 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Beklagte hat die Entschädigungsleistung zutreffend in der Weise berechnet, dass sie von der Gesamtinvalidität von 60% die Vorinvalidität von 35% abgezogen und auf der Grundlage eines unfallbedingten Invaliditätsgrades von 25% abgerechnet hat mit der Folge, dass die progressive Invaliditätsstaffel nicht zur Anwendung kommt. Durch die vorprozessual an den Kläger erbrachte Zahlung von 71.250,- DM hat die Beklagte mithin ihre Leistungspflicht erfüllt.

In welcher Weise eine bestehende Vorinvalidität bei der Berechnung der Invaliditätsentschädigung zu berücksichtigen ist, ist durch Auslegung der Versicherungsbedingungen zu ermitteln. Diese sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (BGHZ 123, 83, 85; BGH, VersR 2000, 1090, 1091; OLG Köln, VersR 2001, 851, 852). Bei Anlegung dieses Auslegungsmaßstabs kann indes kein Zweifel daran bestehen, dass gemäß § 7 I (3) AUB 88, auf den im Eingangssatz der vereinbarten Zusatzbedingungen zur progressiven Invaliditätsstaffel ausdrücklich Bezug genommen wird, ein Abzug der Vorinvalidität von der ermittelten Gesamtinvalidität vorzunehmen ist, bevor die Progressionsvereinbarung angewendet werden kann. Das ist auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres verständlich, denn der Versicherer will alleine für die durch den Unfall bedingte Invalidität einstehen und demgemäss die besonderen Leistungen nach der progressiven Invaliditätsstaffel auch nur dann erbringen, wenn der Versicherungsnehmer durch den Unfall eine dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit erlitten hat (ebenso Knappmann, NVersZ 1999, 352, 353; Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 8 Rdnr. 6; Wussow/Pürckhauer, AUB, 6. Aufl., S. 370). Die Regelung in § 7 I (3) AUB 88 will gerade sicherstellen, dass der Versicherer nur die Folgen des Unfalls, für die er eintrittspflichtig ist, entschädigen muss (vgl. auch OLG Köln, VersR 1989, 1036 - sofern zwischen einem früheren und dem späteren Unfall kein adäquater Kausalzusammenhang besteht; vgl. insoweit BGH, VersR 1998, 308). Insoweit ist es auch unerheblich, ob die Vorinvalidität auf einem früheren Unfall oder auf einem anderen Ereignis beruht, so dass im vorliegenden Fall sowohl die Vorinvalidität aufgrund des 1994 erlittenen Unfalls als auch die Vorinvalidität aufgrund des Bandscheibenvorfalls zu berücksichtigen sind. Dass die vom Kläger favorisierte Auslegung nicht richtig sein kann, zeigt ein einfacher, auch einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer unmittelbar einleuchtender Vergleich: Hätte ein nicht vorgeschädigter Versicherungsnehmer den gleichen Unfall wie der Kläger erlitten, wäre dieser ohne Zweifel nach einer Gesamtinvalidität von 25% zu entschädigen gewesen. Warum der Kläger alleine deshalb besser stehen soll, weil er vorgeschädigt war, ist schlechterdings nicht einzusehen. Das Risiko der Vorschädigung trägt der Kläger, nicht die Beklagte.

Das entspricht auch der Auffassung des Bundsgerichtshofs (VersR 1988, 461). Zu Unrecht hält der Kläger diese Entscheidung nicht für einschlägig. Dass jenem Fall die AUB 61 zugrunde lagen, spielt keine maßgebliche Rolle, weil § 10 Nr. 4 AUB 61 ? trotz etwas anderer Formulierung - in der Grundaussage mit § 7 I (3) AUB 88 identisch ist. Die dort wiedergegebenen Bedingungen zur Progressionsstaffel enthielten offenbar nicht einmal ausdrücklich einen Verweis auf § 10 Nr. 4 AUB 61. Gerade der Umstand, dass insoweit nichts anderes in den besonderen Bedingungen vermerkt war, festigte nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sogar den Eindruck, dass zur Ermittlung der Invalidität insoweit auf die allgemeinen Grundsätze nach den AUB (also dort auf § 10 Nr. 4 AUB 61) abzustellen ist, wonach zunächst die unfallunabhängige Vorinvalidität von der Gesamtinvalidität abzuziehen ist, um dann aus der so ermittelten unfallbedingten Invalidität die Entschädigungsleistung zu ermitteln. Das muss dann im vorliegenden Fall erst recht gelten, zumal in den Zusatzbedingungen auf die einschlägige Bestimmung (§ 7 I (3) AUB 88) sogar ausdrücklich Bezug genommen wird.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 3. Dezember 1997 (VersR 1998, 836 ff.). Dort ging es darum, wie bei einer vereinbarten progressiven Invaliditätsstaffel die Mitwirkung einer Vorerkrankung (also: § 10 Nr. 1 AUB 61 bzw. § 8 AUB 88) zu berücksichtigen ist. Das Oberlandesgericht Saarbrücken hat insoweit entschieden, dass (soweit im Einzelfall nichts Abweichendes vereinbart ist) in diesem Fall zunächst die Entschädigungssumme nach der Gesamtinvalidität unter Berücksichtigung der Progressionsstaffel zu ermitteln ist und von diesem Betrag ein prozentualer Abzug in Höhe der Mitwirkung der Vorerkrankung zu machen ist. Diese Auffassung hat der Bundesgerichtshof mittlerweile gebilligt (BGH, VersR 2000, 444, 445). Der Grund hierfür liegt darin, dass § 10 Nr. 1 AUB 61 bzw. § 8 AUB 88 - anders als § 10 Nr. 4 AUB 61 und § 7 I (3) AUB 88 - ausdrücklich darauf abstellen, dass bei Mitwirkung von Vorerkrankungen (nicht der Invaliditätsgrad, sondern) die Leistung entsprechend zu kürzen ist. Dass demgegenüber eine Vorinvalidität zu einer Kürzung des Invaliditätsgrades führt, hat der Bundesgerichtshof in der vorzitierten Entscheidung nochmals bestätigt, indem er ausgeführt hat, Ausgangspunkt (für die Kürzung nach § 10 Nr. 1 AUB 61) sei "die Versicherungsleistung, die nach Abzug einer etwaigen Vorinvalidität gemäss § 10 Nr. 4 AUB 61 dem festgestellten Invaliditätsgrad entspricht".

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert

und Wert der Beschwer des Klägers: 256.000,- DM

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