FG Düsseldorf, Urteil vom 09.03.2011 - 4 K 3482/10 AO
Fundstelle
openJur 2016, 4813
  • Rkr:
Tenor

Die Bescheide vom 4. Mai 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 31. August 2010 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger betreiben mehrere Sonnenstudios, in denen sie auch Kosmetikartikel zum Kauf anbieten. Die Sonnenbänke werden über Computersysteme gesteuert. Am Ende eines Geschäftstages werden Computerausdrucke erstellt, die unter anderem die Laufzeiten der Sonnenbänke ausweisen. Die Angestellten der Kläger erstellen darüber hinaus Tagesabschlussberichte, in denen Bar- und Kartenumsätze sowie Umsätze aus dem Verkauf von Cremes getrennt nach "Kasse" und "Computer" aufgeführt werden. In den Tagesabschlussberichten werden Tagesumsätze ermittelt. Die Kläger erstellen ferner für jedes Sonnenstudio geschäftstäglich Kassenberichte, in denen sie neben einem Anfangs- und Endbestand die Tageseinnahmen in einer Summe festhalten.

Im Rahmen von bei den Klägern durchgeführten Außenprüfungen (Prüfungsberichte vom ...2008) stellte das Finanzamt ... fest, dass die Computerausdrucke, die auch Angaben zu den erzielten Umsätzen enthalten hätten, und die Tagesabschlussberichte vernichtet worden waren. Auf der Grundlage wiederhergestellter Daten gelangten die Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Einnahmen in den Kassenberichten nicht mit den aus den Computerausdrucken ersichtlichen Bareinnahmen übereingestimmt hätten. Sie schätzten deshalb für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2006 Einnahmen der Kläger in Höhe von 15 v.H. hinzu. Hiergegen erhoben die Kläger Klagen, die beim Gericht unter den Aktenzeichen 10 K 1307/10 E und 10 K 1308/10 G, U, 10 K 1309/10 G, U anhängig sind.

Mit zwei Bescheiden vom 4. Mai 2010 erteilte das beklagte Finanzamt den Klägern die "Auflage", ab sofort "die im Datensystem des Sonnenstudios befindlichen digitalen Daten, soweit diese Bestandteile von steuerlich relevanten (und) nach den §§ 140 ff. AO und § 22 UStG aufzeichnungspflichtigen Geschäftsvorfällen sind, .. aufzubewahren/zu archivieren und eine Löschung der Daten zu unterlassen". Diese Aufforderung sollte sich "insbesondere" auf folgende täglich aufgezeichneten Daten beziehen:

Uhrzeit, Laufzeit und Preis jeder Einschaltung für jede einzelne Sonnenbank

Art der Zahlung

Umsatz aus Barverkauf

Serviceeinschaltungen

Personalbräunungen

Anzahl der Gesamteinschaltungen

Tagesgesamtübersicht

Mit ihren hiergegen eingelegten Einsprüchen machten die Kläger geltend, dass es für die Aufforderungen keine gesetzliche Grundlage gebe.

Die Einsprüche wies das beklagte Finanzamt mit Entscheidungen vom 31. August 2010 zurück und führte aus: Der Datenzugriff nach § 146 Abs. 5 Satz 2 und 3 i.V.m. § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) umfasse auch Vorbereitungsmaßnahmen zur Sicherstellung des Zugriffs. Andernfalls würde das Datenzugriffsrecht der Finanzbehörden im Rahmen einer Außenprüfung ins Leere gehen.

Die Kläger tragen mit ihrer Klage vor: Die Aufzeichnungen des Sonnenbank-Steuerungssystems seien nicht aufbewahrungspflichtig und auch nicht geeignet, für die Buchführung verwertbare Daten zu liefern. Das Steuerungssystem sei keine Kasse und nicht zur Aufzeichnung von Erlösen bestimmt. Im Übrigen gebe es für die Anordnungen des beklagten Finanzamts keine Rechtsgrundlage.

Der Kläger beantragt,

den an ihn gerichteten Bescheid vom 4. Mai 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2010 aufzuheben.

Die Klägerin beantragt,

den an sie gerichteten Bescheid vom 4. Mai 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. August 2010 aufzuheben.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise die Revision zuzulassen.

Zur Begründung trägt es vor: Der Aufbewahrungspflicht und dem Datenzugriff unterlägen alle Daten, die zum Verständnis und zur Überprüfung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen von Bedeutung seien. Das Datenverarbeitungssystem müsse nicht unmittelbarer Bestandteil der Kasse sein. Das Datenzugriffsrecht der Finanzbehörde bestehe auch hinsichtlich solcher Vorgänge, die nicht vollständig oder zutreffend archiviert worden seien.

Gründe

Die Klage ist begründet. Die Bescheide vom 4. Mai 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 31. August 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Bescheide vom 4. Mai 2010 inhaltlich hinreichend bestimmt sind (§ 119 Abs. 1 AO), weil die "steuerlich relevanten" Geschäftsvorfälle nicht abschließend ("insbesondere") konkretisiert worden sind. Für die Aufforderungen fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage. Dabei kann zugunsten des beklagten Finanzamts davon ausgegangen werden, dass die Kläger überhaupt buchführungspflichtig sind, so dass die §§ 140 ff. AO für sie gelten.

Der aus Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes i.V.m. den Grundrechten folgende Vorbehalt des Gesetzes erfordert für behördliche Eingriffe in Freiheit und Eigentum eine gesetzliche Grundlage (Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. November 2005 VII R 55/04, BFHE 212, 297).

Die §§ 146 Abs. 2 und 147 Abs. 1 AO enthalten lediglich Ordnungsvorschriften, die der Finanzbehörde nicht die Befugnis verleihen, dem Steuerpflichtigen aufzugeben, eine bestimmte Handlung vorzunehmen oder zu unterlassen. Ein Verstoß gegen diese Ordnungsvorschriften kann die Finanzbehörde allenfalls zu einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen berechtigen (§ 162 Abs. 1 und 2 Satz 2 AO) und straf- oder bußgeldrechtliche Folgen haben (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 149 Randnr. 17; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 147 Randnr. 11 sowie Görke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO Vor §§ 140-148 Randnr. 43 f.; Dumke in Schwarz, AO § 147 Randnr. 19). Dies gilt auch für § 146 Abs. 5 Satz 2 AO, der gleichfalls nur eine steuerliche Ordnungsvorschrift ist (Drüen in Tipke/Kruse, AO § 146 Randnr. 69). § 146 Abs. 5 Satz 3 AO ist selbst keine Befugnisnorm, sondern verknüpft nur die in § 146 Abs. 5 Satz 1 und 2 AO geregelten Ordnungsvorschriften mit den Datenzugriffsrechten der Finanzbehörde nach § 147 Abs. 6 AO (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO § 146 Randnr. 69).

Das beklagte Finanzamt kann sich für die an die Kläger gerichteten Aufforderungen auch nicht auf § 147 Abs. 6 Satz 1 und 2 AO stützen. Dies scheitert bereits daran, dass diese Bestimmungen der Finanzbehörde ein Datenzugriffsrecht nur im Rahmen der Außenprüfung verleihen (vgl. Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO § 147 Randnr. 42). Die Außenprüfungen bei den Klägern sind jedoch abgeschlossen (Prüfungsberichte vom ...2008).

Unbeschadet dessen ermächtigt § 147 Abs. 6 Satz 1 AO die Finanzbehörde nur dazu, Einsicht in die gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zu nutzen. Ferner kann die Finanzbehörde nach § 147 Abs. 6 Satz 2 AO verlangen, dass die Daten maschinell ausgewertet oder die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden. § 147 Abs. 6 Satz 1 und 2 AO ermächtigt die Finanzbehörde jedoch nicht dazu anzuordnen, dass gespeicherte Daten aufbewahrt bzw. archiviert werden und ihre Löschung unterlassen wird.

§ 147a Satz 6 AO kann auch nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden. Unbeschadet dessen, ob die Voraussetzungen des § 147a Satz 1 AO im Streitfall vorliegen, gilt § 147a Satz 6 AO nur in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige seinen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 Satz 3 AO nicht nachgekommen ist. Die letztgenannte Bestimmung ist im Streitfall nicht einschlägig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Es ist bereits zweifelhaft, ob die vom beklagten Finanzamt in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Rechtsfrage im Hinblick auf die weiteren rechtlichen Bedenken an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide in einem Revisionsverfahren klärungsfähig wäre. Jedenfalls ist die Rechtsfrage, ob eine Finanzbehörde von einem Steuerpflichtigen die mit den Bescheiden angeordnete Handlung bzw. Unterlassung fordern kann, nicht klärungsbedürftig. Aus den genannten Bestimmungen der Abgabenordnung ergibt sich eindeutig, dass es für die vom beklagten Finanzamt erteilten "Auflagen" an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage fehlt.

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