LG Bonn, Urteil vom 27.04.2012 - 2 O 296/11
Fundstelle
openJur 2016, 4642
  • Rkr:
Tenor

I.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 8.743,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2010 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 7 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 93 %.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aus dem Urteil für die Beklagten vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit leisten in Höhe von 120% des jeweils durch sie zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Bank, nimmt die beklagten Eheleute auf Rückzahlung von Darlehen und auf Zahlung von Verzugszinsen in Anspruch.

Die Klägerin gewährte den Beklagten durch Vertrag vom 11. Juli 2008 einen Ratenkredit in Höhe von 43.089,87 EUR mit einer Laufzeit von 72 Monaten. Einschließlich einer Bearbeitungsgebühr von 982,45 EUR (2,28%) und Nominalzinsen von 12.358,70 EUR (8,49%) belief sich der Gesamtbetrag des Darlehens auf 56.431,02 EUR. Der Vertrag enthielt eine Widerrufsbelehrung, in der nicht gemäß § 358 Abs. 5 BGB auf die für verbundene Verträge geltenden Rechtsfolgen des § 358 Abs. 1 und 2 BGB hingewiesen wurde. Von dem Darlehen wurden den Beklagten 5.000,00 EUR ausgezahlt; ein Teilbetrag von 3.030,30 EUR diente der Finanzierung des Versicherungsbeitrags für eine Restschuldversicherung (Kreditlebensversicherung), die die Beklagten am selben Tag mit einer als "Partner" der Klägerin bezeichneten Versicherungsgesellschaft abschlossen. Der Restbetrag des Darlehens in Höhe von 35.059,57 EUR diente der Ablösung eines Darlehens vom 26. Oktober 2007, das wiederum neben der Einräumung eines nicht zweckgebundenen Zusatzkredits einen Kredit vom 29. Juni 2006 abgelöst hatte. Bereits im Zusammenhang mit den Darlehensverträgen vom 26. Oktober 2007 und vom 29. Juni 2006, die jeweils eine § 358 Abs. 5 BGB nicht entsprechende Widerrufsbelehrung enthielten, hatten die Beklagten bei derselben Versicherungsgesellschaft Restschuldversicherungen abgeschlossen.

Durch den Vertrag vom 26. Oktober 2007 hatten die Beklagten bei der Klägerin einen Ratenkredit in Höhe von 39.468,20 EUR mit einer Laufzeit von 82 Monaten aufgenommen. Einschließlich einer Bearbeitungsgebühr von 1.381,39 EUR (3,50%) und Nominalzinsen von 13.676,30 EUR (8,89%) belief sich der Gesamtbetrag des Darlehens auf 54.525,89 EUR. Von dem Darlehen wurden den Beklagten 30.000,00 EUR ausgezahlt; ein weiterer Teilbetrag von 2.917,10 EUR diente der Finanzierung des Versicherungsbeitrags für eine Restschuldversicherung (Kreditlebensversicherung), die die Beklagten am selben Tag mit einer als "Partner" der Klägerin bezeichneten Versicherungsgesellschaft abschlossen. Der Restbetrag des Darlehens in Höhe von 6.551,10 EUR diente der Ablösung eines Darlehens vom 29. Juni 2006, das die Beklagte zu 2) bei der Klägerin aufgenommen hatte.

Durch Vertrag vom 29. Juni 2006 hatte die Klägerin der Beklagten zu 2) einen Ratenkredit in Höhe von 10.418,00 EUR mit einer Laufzeit von 36 Monaten gewährt. Davon wurden der Beklagten zu 2) 9.900,00 EUR ausgezahlt. Der Restbetrag von 518,00 EUR diente zur Finanzierung des Versicherungsbeitrags für eine Restschuldversicherung (Kreditlebensversicherung mit eingeschlossener Arbeitsunfähigkeitszusatzversicherung), die die Beklagte zu 2) am selben Tag mit einer als "Partner" der Klägerin bezeichneten Versicherungsgesellschaft abschloss. Einschließlich einer Bearbeitungsgebühr von 312,54 EUR (3%) und Nominalzinsen von 1.791,33 EUR (9,99%) belief sich der Gesamtbetrag des Darlehens auf 12.521,87 EUR.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 25. Juni 2010, das am selben Tag sowohl an die Klägerin als auch an die Versicherungsgesellschaft per Fax versandt wurde, erklärten die Beklagten den Widerruf ihrer auf den Abschluss der vorgenannten Darlehens- und Versicherungsverträge gerichteten Willenserklärungen und kündigten die Erstattung der Darlehensvaluta nach Verrechnung der von ihnen in der Vergangenheit ge- bzw. überbezahlten Beträge an verbunden mit der an die Klägerin gerichteten Bitte, ihnen eine Neuberechnung der Darlehensvaluta nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 15. Dezember 2009 (XI ZR 45/09, BGHZ 184, 1) zu übersenden. Da die Klägerin einen Widerruf der Verträge vom 29. Juni 2006 und vom 26. Oktober 2007 für nicht mehr möglich erachtete, beschränkte sie die Neuberechnung auf den Kredit vom 11. Juli 2008, wie er am 5. August 2008 valutierte, und errechnete so eine Restforderung von mehr als 8.000,00 EUR, die von den Beklagten nicht akzeptiert wurde. Nachdem daraufhin die Klägerin zunächst eine negative Meldung an die Schufa weitergegeben hatte, veranlasste sie auf Betreiben der von den Beklagten eingeschalteten Prozessbevollmächtigten die Löschung der an die Schufa gemeldeten Negativmerkmale.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung des Nettokreditbetrages (abzgl. geleisteter Zahlungen), die auf den Nettokreditbetrag bezogene anteilige Bearbeitungsgebühr, Rücklastschrift- und Mahnkosten, Zinsen auf den Nettokreditbetrag in Höhe des - von den Parteien einvernehmlich auf durchgehend 8,40 % festgelegten - Zinssatzes, Wertersatz für den Versicherungsschutz ab Vertragsbeginn bis zum Widerruf (Differenz zwischen Restschuldversicherung und Rückkaufswert) sowie Zinsen auf diesen Wertersatz.

Die Klägerin ist zunächst der Auffassung gewesen, dass sich eine Neuberechnung auf den Vertrag vom 11. Juli 2008 beschränken müsse. Zur Begründung hat sie angeführt, ein Widerruf der Kreditverträge aus 2006 und 2007 sei nicht mehr möglich gewesen, weil diese durch die erfolgte Ablösung des jeweiligen Netto-Restschuldsaldos von der Beklagten zu 2) bzw. von den Beklagten zuvor erfüllt worden seien.

Auf dieser Grundlage hat die Klägerin zunächst beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 8.550,99 EUR nebst Zinsen aus 8.054,02 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2010 zu bezahlen.

Auf entsprechenden Hinweis der Kammer hat die Klägerin eine Neuberechnung ihrer Forderung auf Grundlage einer Rückabwicklung aller drei Kreditverträge vorgenommen und die Klageforderung sukzessive erhöht.

Die Klägerin hat zunächst beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 8.724,08 EUR nebst Zinsen aus 8.225,96 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2010 zu bezahlen.

Nach der einvernehmlich erfolgten Festlegung eines einheitlichen Zinssatzes von 8,40 % für alle drei Kreditverträge und unter zunächst unterbliebener Einbeziehung eines am 5. August 2008 herausgelegten Betrages von 5.000,00 EUR in ihre Forderungsberechnung, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird (vgl. Anlagen K 11 [Bl...# ff./..., Bl. ...# ff./...] und K 12 [Bl. ...# ff./...# d.A.]), beantragt die Klägerin,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.360,73 EUR nebst Zinsen aus 8.801,59 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.09.2010 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, es müsse hinsichtlich aller Kreditverträge eine Rückabwicklung erfolgen, weil es sich bei diesen Verträgen um verbundene Geschäfte im Sinne von § 358 BGB handle und weil infolge der unrichtigen Widerrufsbelehrung das Widerrufsrecht jeweils unbefristet fortbestehe. Die Beklagten treten im Wesentlichen der Berechnung der Klageforderung entgegen. Sie vertreten insbesondere den Standpunkt, dass Ansprüche der Klägerin auf Zahlung von Zinsen und Kosten aus der Rückabwicklung der Verbraucherdarlehensverträge gemäß § 358 Abs. 4 Satz 2 BGB ausgeschlossen seien und im Gegenzug die Klägerin die von ihnen gezahlten Beträge herauszugeben und zu einem Zinssatz von 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen habe. Von diesem Standpunkt ausgehend haben die Beklagten in der Klageerwiderung zunächst geltend gemacht, dass die Klageforderung von ihnen bereits (über)erfüllt worden sei. In ihrer Replik haben sie eine Restforderung der Klägerin von allenfalls 530,47 EUR beziffert und diesbezüglich die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Freistellung von Kosten (596,90 EUR), die ihnen im Zusammenhang mit dem Schufa-Eintrag durch ihre Prozessbevollmächtigten in Rechnung gestellt worden sind, erklärt. Zuletzt haben sie mit Schriftsatz vom 17. Februar 2012 auf Grundlage einer abgewandelten Berechnung eine Restforderung der Klägerin in Höhe von 3.493,70 EUR ermittelt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, auf die Parteierklärungen in der mündlichen Verhandlung vom 6. Dezember 2012 (Bl. ... f. d.A.) und auf die nachstehenden Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Gründe

I. Die Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet.

1. Durch den wirksamen Widerruf der auf den Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen haben sich diese gemäß § 357 Abs. 1, §§ 346 ff. BGB in ein Rückabwicklungsverhältnis umgewandelt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 25 m.w.N.).

a. Die der Klage zuletzt zugrunde gelegte Berechnung ist in ihrem Ausgangspunkt insofern zutreffend, als sie alle drei Darlehensverträge einbezieht. Entgegen der ursprünglich geäußerten Annahme der Klägerin sind auf Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2009 (XI ZR 45/09, BGHZ 184, 1 = WM 2010, 166) alle drei Darlehensverträge neu abzurechnen, weil die Beklagten nicht nur ihre auf den Abschluss des zeitlich letzten, sondern auf den Abschluss aller drei Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen widerrufen haben (vgl. auch OLG Köln - 13 U 103/08: Hinweis vom 29. März 2010 und Seite 2 des Sitzungsprotokolls vom 28. April 2010).

aa. Die Beklagten haben ihre auf Abschluss der drei Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen gemäß § 495 Abs. 1, § 355 Abs. 1 BGB wirksam widerrufen. Bei Abgabe der Widerrufserklärung vom 25. Juni 2010 war die Widerrufsfrist noch nicht verstrichen. Sie war durch keine der in den Darlehensverträgen enthaltenen Widerrufsbelehrungen in Lauf gesetzt worden. Die Belehrungen waren nicht ordnungsgemäß, weil sie keinen Hinweis gemäß § 358 Abs. 5 BGB auf die Rechtsfolgen nach § 358 Abs. 1 und 2 BGB enthielten.

Ein Darlehensvertrag und ein Restschuldversicherungsvertrag bilden verbundene Geschäfte, wenn die Voraussetzungen des § 358 Abs. 3 BGB vorliegen (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 2009 - XI ZR 45/09, BGHZ 184, 1 Rn. 13 ff. 17 ff. und vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 16 ff. m.w.N.). Dies ist hier - bezogen auf jeden der drei Darlehensverträge nebst jeweiligem Restschuldversicherungsvertrag - der Fall.

(1) Alle Darlehen dienten teilweise der Finanzierung des Restschuldversicherungsvertrages, mithin eines Vertrages über die Erbringung einer anderen Leistung im Sinne von § 358 Abs. 3 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 2009 - XI ZR 45/09, BGHZ 184, 1 Rn. 16 ff. [19] und vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 18): Das Darlehen vom 29. Juni 2006 in Höhe von 518,00 EUR, das Darlehen vom 26. Oktober 2007 in Höhe von 2.917,10 EUR und das Darlehen vom 11. Juli 2008 in Höhe von 3.030,30 EUR (bzw. 2.996,40 EUR [vgl. Bl. # d.A.]).

(2) Die Darlehensverträge und der jeweilige Restschuldversicherungsvertrag bilden auch eine wirtschaftliche Einheit.

Eine wirtschaftliche Einheit ist nach § 358 Abs. 3 Satz 1 BGB anzunehmen, wenn über ein Zweck-Mittel-Verhältnis hinaus beide Verträge derart miteinander verbunden sind, dass der eine Vertrag nicht ohne den anderen geschlossen worden wäre. Die Verträge müssen sich wechselseitig bedingen bzw. der eine seinen Sinn erst durch den anderen erhalten. Dazu bedarf es der Verknüpfung durch konkrete Umstände, die sich nicht wie notwendige Tatbestandsmerkmale beschreiben lassen, sondern im Einzelfall verschieden sein oder gar fehlen können, wenn sich die wirtschaftliche Einheit aus anderen Umständen ergibt.

Zu diesen Indizien gehören die Zweckbindung des Darlehens zur Finanzierung eines bestimmten Geschäfts, durch die dem Darlehensnehmer die freie Verfügbarkeit über die Darlehensvaluta genommen wird, der zeitgleiche Abschluss beider Verträge, das Verwenden einheitlicher Formulare mit konkreten wechselseitigen Hinweisen auf den jeweils anderen Vertrag, die Einschaltung derselben Vertriebsorganisation durch Darlehensgeber und Unternehmer sowie das Abhängigmachen des Wirksamwerdens des Erwerbsvertrages vom Zustandekommen des Finanzierungsvertrages mit einer vom Unternehmer vorgegebenen Bank (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 2009 - XI ZR 45/09, BGHZ 184, 1 Rn. 31 und vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 21).

In Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier hinsichtlich aller drei Darlehensverträge im Verhältnis zum jeweiligen Restschuldversicherungsvertrag eine wirtschaftliche Einheit vor. Das Darlehen war jeweils zweckgebunden, soweit der Darlehensvertrag seine Verwendung zur Bezahlung die Versicherungsprämie der am selben Tag abgeschlossenen Restschuldversicherung vorsah. Dadurch wurde den Beklagten die freie Verfügungsbefugnis über diesen unmittelbar an das Versicherungsunternehmen gezahlten Teil der Darlehensvaluta genommen. Darüber hinaus nehmen jeweiliger Darlehens- und Restschuldversicherungsvertrag wechselseitig aufeinander Bezug. Im Darlehensvertrag wird der Versicherungsbeitrag selbstständig neben dem Nettokredit ausgewiesen. In dem Restschuldversicherungsvertrag wird darauf hingewiesen, dass dieser Vertrag nur in Verbindung mit dem gleichzeitig bei der Klägerin aufgenommenen Kredit gilt und der Absicherung dieses Kredits dient; damit wird die Wirksamkeit des Restschuldversicherungsvertrages ausdrücklich vom Zustandekommen des Darlehensvertrages abhängig gemacht. Der Versicherer wird ausdrücklich als "Partner" der Klägerin bezeichnet. Schließlich legt die ähnliche drucktechnische Gestaltung der Formulare des Darlehens- und des Restschuldversicherungsvertrages eine geschäftsmäßige Verbundenheit der Klägerin und des Versicherers nahe.

Diese Umstände rechtfertigen die Annahme, dass in allen drei Fällen Darlehensvertrag und Restschuldversicherungsvertrag über ein Zweck-Mittel-Verhältnis hinaus derart miteinander verbunden sind, dass sie nicht unabhängig voneinander geschlossen worden wären. Für die Beklagten bedingten sich Darlehensvertrag und Restschuldversicherungsvertrag wechselseitig.

bb. Hiernach sind die Darlehensverträge gemäß § 357 Abs. 1, §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln. Dabei sind, wie bereits (unter 1. a. vor aa.) dargelegt, in die Rückabwicklung alle Darlehensverträge einzubeziehen, mithin alle drei Verträge abzurechnen.

(1) Auch der Widerruf der auf den Abschluss der Verträge vom 29. Juni 2006 bzw. vom 26. Oktober 2007 gerichteten Willenserklärungen der Beklagten nach § 355 Abs. 1 BGB ist wirksam. Die Widerrufsfrist hat mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht zu laufen begonnen. Das Widerrufsrecht ist auch nicht erloschen. Der in § 355 Abs. 3 Satz 1 BGB aF (jetzt § 358 Abs. 4 Satz 1 BGB) verankerte Erlöschenstatbestand greift nicht, weil die Beklagten nicht ordnungsgemäß nach § 358 Abs. 5 BGB belehrt worden sind (vgl. § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB aF [jetzt § 358 Abs. 4 Satz 3 BGB]).

(2) Das Widerrufsrecht hinsichtlich der Darlehensverträge aus 2006 und 2007 ist auch nicht wegen vollständiger Abwicklung erloschen. Vielmehr wird bei Fehlen einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung die Widerrufsfrist von vornherein nicht in Lauf gesetzt. Es entspricht daher, soweit ersichtlich, einhelliger Auffassung, dass in diesem - hier gegebenen - Fall der Widerruf in den allgemeinen Grenzen der Verwirkung unbefristet erfolgen kann (vgl. Artz/Bülow, Verbraucherkreditrecht, 7. Auflage, § 495 Rn. 142; Erman/I. Saenger, BGB, 13. Auflage, § 355 Rn. 17; MünchKommBGB/Masuch, 6. Auflage, § 355 Rn. 77; PWW/Medicus/Stürner, BGB, 6. Auflage, § 355 Rn. 7: "ewiges Widerrufsrecht"; Soergel/Pfeiffer, BGB, 13. Auflage, § 355 Rn. 60; Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearbeitung 2004, § 355 Rn. 59 f.; Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, Neubearbeitung 2004, § 495 Rn. 44; ferner Domke, BB 2005, 1582 ff.; Timmerbeil, NJW 2003, 569, 570).

Die zunächst geäußerte gegenläufige Annahme der Klägerin, die Verträge aus 2006 und 2007 seien durch Erfüllung erloschen und damit insofern ein Widerrufsrecht ausgeschlossen, greift nicht durch.

Sie findet im Gesetz keine Grundlage. Dieses sieht - anders als die frühere Regelung in § 7 Abs. 2 VerbrKrG aF (vgl. dazu Staudinger/Kessal-Wulf aaO. § 495 Rn. 45) - für den Fall der beiderseitigen Erfüllung der aus dem Vertrag folgenden Pflichten ein Erlöschen des Widerrufsrecht nicht vor. Auch aus der "Hamilton"-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. April 2008 (Rs. C-412/06, WM 2008, 869) lässt sich nichts in diesem Sinne herleiten. Die Entscheidung hatte die Vereinbarkeit des § 2 Abs. 1 Satz 4 HausTWG aF, der ein Erlöschen des Widerrufsrechts einen Monat nach beiderseits vollständiger Erbringung der Leistungen vorsah, mit den Vorgaben der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen zum Gegenstand. Die durch den Gerichtshof bejahte Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit besagter Richtlinie besagt jedoch nichts für § 355 BGB, der eine entsprechende relative Befristung des Widerrufsrechts im Fall einer beiderseits vollständigen Leistungserbringung gerade nicht vorsieht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. Mai 2010 - 7 U 84/09, VuR 2010, 307). Dadurch sieht sich der Unternehmer - hier die Klägerin - nicht einem Zustand unzumutbarer Rechtsunsicherheit ausgesetzt. Er hat es in der Hand, den Verbraucher auch nachträglich (ordnungsgemäß) zu belehren und so den Beginn der Monatsfrist des § 355 Abs. 2 Satz 2 BGB auszulösen, um sich so im Ergebnis von der Last des § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB zu befreien. Anhaltspunkte für eine Verwirkung nach § 242 BGB, die wegen der für den Unternehmer ermöglichten Nachbelehrung nur bei Uraltverträgen in Betracht kommen dürfte (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 71. Auflage, § 242 Rn. 10; ferner Soergel/Pfeiffer aaO. § 355 Rn. 34), sind weder dargetan noch ersichtlich.

Der hier vertretene Standpunkt wird auch durch die zwischen den Parteien vereinbarten vertraglichen Regelungen gestützt. Denn der mit dem Abschluss der Darlehensverträge vom 26. Oktober 2007 und vom 11. Juli 2008 jeweils einhergehende Ablöseauftrag sieht unter der Rubrik "Fortsetzung der Altverträge" vor, dass, "sollte der Neukredit ... wirksam widerrufen werden, ... die Kündigung der Altverträge rückwirkend entfallen [soll] und diese in dem Stand fortgeführt werden, in welchem sie sich befänden, wenn ich die Kündigung nicht ausgesprochen hätte" (vgl. Bl. #, ... d.A.). Daraus folgt, dass der jeweils abgelöste Altvertrag bei Widerruf des Folgevertrages ungekündigt wiederauflebt und schon nach der vertraglichen Regelung nicht als gegenstandslos angesehen werden sollte; die gegenläufige Auffassung der Klägerin ließe diese Regelung leer laufen.

b. Im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses, das alle drei Darlehensverträge einbezieht, gilt Folgendes:

aa. Infolge des Widerrufs schulden die Beklagten der Klägerin gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1 BGB die Rückzahlung des Nettokreditbetrages abzüglich geleisteter Zahlungen; hierauf haben die Beklagten außerdem gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BGB Zinsen in Höhe des - hier von den Parteien durchgehend auf 8,40 % festgelegten - marktüblichen Zinssatzes zu zahlen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 26; ferner Palandt/Grüneberg aaO. § 346 Rn. 10, § 357 Rn. 5). Soweit die Beklagten sich in diesem Zusammenhang (und hinsichtlich der Kosten [Bearbeitungsgebühr]) auf § 358 Abs. 4 Satz 2 BGB berufen, vermögen sie damit nicht durchzudringen. Nach dieser Vorschrift sind im Falle des § 358 Abs. 1 BGB, also bei Widerruf des mit dem Darlehensvertrag verbundenen Geschäfts, Ansprüche auf Zahlung von Zinsen und Kosten aus der Rückabwicklung des Verbraucherdarlehensvertrages ausgeschlossen. Diese Vorschrift gilt jedoch nicht für den Teil des Darlehens, der - wie hier das Nettodarlehen - nicht zur Finanzierung des verbundenen Geschäfts verwendet, sondern dem Darlehensnehmer ausbezahlt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 - XI ZR 356/09, WM 2011, 451 Rn. 27 m.w.N.).

Daneben schulden die Beklagten der Klägerin die auf den Nettokredit bezogene anteilige Bearbeitungsgebühr (vgl. OLG Köln - 13 U 103/08, Hinweis vom 29. März 2010) sowie Rücklastschrift- und Mahnkosten, weil sich der Vertrag infolge wirksamen Widerrufs nur mit ex nunc-Wirkung in ein Rückgewährschuldverhältnis umwandelt und bis dahin verzugsbedingt angefallene Kosten zu erstatten sind.

Schließlich kann die Klägerin gemäß § 357 Abs. 1 Satz 1, § 346 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 BGB den sich nach der Differenz zwischen Restschuldversicherung und Rückkaufwert bemessenden Wertersatz für den ab Vertragsbeginn bis zum Widerruf empfangenen Versicherungsschutz nebst marktüblichen Zinsen hierauf geltend machen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Dezember 2009 - 6 U 110/09, juris-Rn. 83; OLG Schleswig, Beschluss vom 17. März 2010 - 5 U 2/10, WM 2010, 1074, 1077; ferner OLG Köln - 13 U 103/08, Hinweis vom 29. März 2010).

bb. Die Beklagten können aufgrund des wirksamen Widerrufs aller drei Darlehensverträge neben der Rückzahlung der geleisteten Zins- und Tilgungsraten auch den auf den Zeitraum nach dem Widerruf entfallenden Teil der Versicherungsprämien in Höhe des Rückkaufwertes sowie die hierauf entfallenden Zinsen verlangen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Dezember 2009 - 6 U 110/09, juris-Rn. 83; OLG Schleswig, Beschluss vom 17. März 2010 - 5 U 2/10, WM 2010, 1074, 1077).

cc. Diesen Grundsätzen trägt die von der Klägerin zuletzt für alle Darlehensverträge vorgelegte Berechnung (vgl. Bl. ...# ff./..., Bl. ...# ff./... und Bl. ...# ff./...# d.A.) weitgehend Rechnung.

(1) Es ist jedoch von der auf dieser Grundlage - folgerichtig - errechneten Restforderung von 9.360,73 EUR ein Betrag von 657,78 EUR in Abzug zu bringen. In dieser Höhe können, was die Berechnung der Klägerin unberücksichtigt lässt, die Beklagten von der Klägerin Zinsen auf den jeweils zutreffend ermittelten - und rechnerisch unbestritten gebliebenen - Rückkaufwert wie folgt beanspruchen:

Rückkaufwert

Zeitraum

Zinssatz

Betrag (EUR)

147,80 EUR

01.07.2006 - 29.10.2007

01.07.06-31.12.06 (184 Zinstage):

6,95 %

5,18

01.01.07-30.06.07 (181 Zinstage):

7,70 %

5,64

01.07.07-29.10.07 (121 Zinstage):

8,19 %

4,01

2.338,80 EUR

(= 147,80 + 2.191,00)

30.10.2007 - 05.08.2008

30.10.07-31.12.07 (68 Zinstage):

8,19 %

35,69

01.01.08-30.06.08 (182 Zinstage):

8,32 %

96,76

01.07.08-05.08.08 (36 Zinstage):

8,19 %

18,84

3.735,50 EUR

(= 2.338,80 + 1.396,70)

06.08.2008 - 28.07.2010

06.08.08-31.12.08 (147 Zinstage):

8,19 %

122,88

01.01.09-30.06.09 (181 Zinstage):

6,62 %

122,63

01.07.09-28.07.10 (393 Zinstage):

5,12 %

205,93

Gesamt

617,56

(2) Die gegen die Berechnung der Klageforderung gerichteten Einwendungen der Beklagten hat die Kammer geprüft, jedoch nicht für durchgreifend befunden. Sie vermag insbesondere den Rechtsstandpunkt der Beklagten, wonach die Klägerin im Rahmen des Rückabwicklungsverhältnisses auf von den Beklagten erhaltene Zins- und Tilgungsleistungen Nutzungen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu leisten habe, aus den fortgeltenden Gründen des mit Beschluss vom 25. Januar 2012 hierzu erteilten Hinweises nicht zu teilen.

c. Soweit die Beklagten mit der Duplik einen Freistellungsanspruch zur Aufrechnung stellen, vermögen sie damit nicht durchzudringen. Abgesehen davon, dass sie nach ihrem eigenen Vorbringen mit einem Betrag (zunächst: 530,47 EUR, zuletzt: 3.493,70 EUR) in Rückstand waren, handelt es sich bei dem Freistellungsanspruch nicht um einen gleichartigen und damit, zumal zu den Voraussetzungen des § 250 Satz 2 BGB nicht vorgetragen ist, nicht zur Aufrechnung geeigneten Anspruch (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Auflage, § 387 Rn. 10).

2. Der Anspruch auf die ab dem 14. September 2010 geltend gemachten Verzugszinsen folgt aus § 357 Abs. 1 Satz 2, § 286 Abs. 3 BGB; mit Blick auf den der Klägerin am 25. Juni 2010 per Fax zugegangenen Widerruf kann sie ab dem 26. Juli 2010 Verzugszinsen beanspruchen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

III. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, § 709 Sätze 1 und 2, § 711 Satz 2 ZPO.

Streitwert:

bis zum 11.12.2011: 8.550,99 EUR

vom 12.12.2011 bis 01.03.2012: 8.724,08 EUR

seit 02.03.2012: 9.360,73 EUR