ArbG Dortmund, Urteil vom 17.07.2007 - 2 Ca 1111/07
Fundstelle
openJur 2016, 4604
  • Rkr:
Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 05.04.2007 bleibt aufrecht erhalten.

2. Darüber hinaus wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 109,60 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2007 zu zahlen.

3. Die Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 209,04 €.

5. Die Berufung wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Berechnung des dem Kläger zustehenden Urlaubsentgelts.

Der 1978 geborene Kläger ist seit Februar 2006 in dem Zeitarbeitsunternehmen der Beklagten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung sowie auch kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme die zwischen dem Arbeitgeberverband IGZ und den DGB-Gewerkschaften geschlossenen Tarifverträge für die Zeitarbeitsbranche, bestehenden aus Mantel-, Entgelt-, Entgeltrahmen- und Beschäftigungssicherungstarifvertrag, in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beläuft sich nach dem Arbeitsvertrag auf 35 Stunden, vergütet mit einem Stundenlohn in Höhe von 9,04 € brutto nach der Entgeltgruppe E 4 des Entgelttarifvertrages. Tatsächlich belief sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers, der dauerhaft bei nur bei einem einzigen Entleiherbetrieb eingesetzt wurde, auf 40 Stunden.

Im Dezember 2006 hatte der Kläger insgesamt 11 Tage Erholungsurlaub, im April 2007 weitere 10 Tage. Die Beklagte berechnete die Urlaubstage jeweils auf der Basis einer täglichen Arbeitszeit von 7 Stunden. Ferner ließ sie bei der Berechnung des Urlaubsentgelts die sog. Einsatzzulage gemäß § 5 des Entgelttarifvertrages in Höhe von 0,20 € pro Stunde außer Ansatz.

Mit seiner am 05.03.2007 bei Gericht eingegangenen und unter dem 09.07.2007 erweiterten Klage macht der Kläger die Vergütung seiner Urlaubstage auf der Grundlage einer Tagesarbeitszeit von 8 Stunden sowie unter Berücksichtigung der tariflichen Einsatzzulage geltend.

Im Gütetermin am 05.04.2007 ist auf Antrag des Klägers gegenüber der Beklagten ein Versäumnisurteil verkündet worden, mit dem diese verurteilt worden ist, an den Kläger im Hinblick auf die Urlaubsentgeltberechnung für den Monat Dezember 2006 99,44 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Gegen dieses ihr am 27.04.2007 zugestellte Versäumnisurteil hat die Beklagte mit Schreiben vom 02.05.2007 Einspruch eingelegt und diesen nach Fristsetzung durch das Arbeitsgericht mit Schriftsatz vom 25.05.2007 begründet.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. das Versäumnisurteil vom 05.04.2007 aufrecht zu erhalten,

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 109,60 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.05.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnisurteil vom 05.04.2007 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Insofern ist sie der Ansicht, die von ihr vorgenommene Berechnung des Urlaubsentgelts entspreche dem einschlägigen Manteltarifvertrag. Diesbezüglich hätten auch - insoweit unstreitig - die Tarifparteien in einer Protokollnotiz vom 21.09.2005 (Bl. 33 d. A.) sich darauf geeinigt, dass für die Berechnung des Urlaubsentgeltes im Sinne des Manteltarifvertrages eine Arbeitszeit von 7 Stunden pro Tag zu Grunde zu legen sei. Ferner habe dabei die Einsatzzulage unberücksichtigt bleiben müssen, da diese nicht zu dem hier maßgeblichen Tarifentgelt gehöre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

Auf Grund des Einspruchs der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 05.04.2007 ist der Prozess in die Lage vor deren Säumnis zurückversetzt worden (§ 342 ZPO). Der Einspruch ist zulässig; er ist statthaft sowie form- und fristgemäß eingelegt worden (§§ 46 Abs. 2 S. 1, 59 ArbGG, 338 ff. ZPO).

II.

Der Einspruch ist jedoch unbegründet.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 209,04 € brutto gemäß §§ 611 Abs. 1 BGB, 1, 11 Abs. 1 BUrlG i. V. m. den tarifvertraglichen Regelungen für die Zeitarbeitsbranche. Die Beklagte hätte bei der Berechnung des Urlaubsentgelts eine tägliche Arbeitszeit des Klägers von 8 Stunden zu Grunde legen müssen (1.). Zudem hat die Beklagte bei der Ermittlung des Urlaubsentgelts die tarifliche Einsatzzulage mit zu berücksichtigen (2.).

1.

Die Berechnung des Urlaubsentgelts des Klägers für dessen Urlaubstage im Dezember 2006 (11 Tage) sowie im April 2007 (10 Tage) haben auf Basis einer Tagesarbeitszeit von 8 Stunden zu erfolgen. Dies ergibt eine Auslegung des hier einschlägigen § 6.3. des Manteltarifvertrages Zeitarbeit zwischen dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) und der DGB-Tarifgemeinschaft vom 29.05.2003. Die dortige Regelung lautet:

"6.3. Urlaubsentgelt

Das Urlaubsentgelt errechnet sich aus dem in den Entgelttabellen festgelegten Tarifentgelt auf der Basis der regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit. Darüber hinausgehende Zulagen und Zuschläge bleiben unberücksichtigt."

Die Auslegung dieser Klausel ergibt, dass mit der Formulierung "auf der Basis der regelmäßigen Arbeitszeit" nur die tatsächlich geleistete bzw. zu leistende Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers gemeint sein kann.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil diese Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies ein zweifelsfreies Auslegungsergebnis nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages und ggf. auch die praktische Tarifausübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorrang, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. nur BAG, Urteil v. 16.06.2004, AP Nr. 24 zu § 4 TVG Effektivklausel; Urteil v. 29.08.2001, AP Nr. 174 zu § 1 TVG Auslegung).

Ausgangspunkt jeder Auslegung ist danach der Wortlaut der tariflichen Regelung. Hierfür ist zunächst der von den Tarifvertragsparteien verwendete Sprachgebrauch maßgeblich. Sofern die Tarifvertragsparteien dabei bestimmte tarifliche Begriffe selbst definieren, etwa durch Erklärungen, Protokollnotizen oder Bemerkungen, und diese jeweils die formellen Geltungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 2 TVG, schriftliche Niederlegung und Unterzeichnung durch die Tarifvertragsparteien, erfüllen, müssen sie als verbindliche Interpretation des entsprechenden Begriffs der Tarifnorm zu Grunde gelegt werden, auch wenn die entsprechende Erklärung nicht in den Tarifvertrag - etwa als Fußnote oder als Protokollerklärung - eingearbeitet worden ist (BAG, Urteil v. 17.09.2003, AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe).

b) Insofern lässt der Wortlaut in § 6.3. MTV-Zeitarbeit zunächst zwei Auslegungsergebnisse zu.

Einerseits kann mit der Formulierung "regelmäßige monatliche Arbeitszeit" die arbeitsvertraglich bzw. tarifvertraglich geregelte Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers gemeint sein. Andererseits kann dem Wortlaut nach genauso die tatsächliche regelmäßige, möglicherweise vom Arbeitsvertrag bzw. Tarifvertrag abweichende Arbeitszeit des jeweiligen Arbeitnehmers gemeint sein. Nach der von der Beklagten vorgelegten Protokollnotiz der Tarifpartner vom 21.09.2005 müsste zwar nunmehr die Auslegung auf die tarifliche Arbeitszeit (hier: 7 Stunden pro Tag) begrenzt werden. Eine derartige Auslegung widerspricht jedoch der geltenden Rechtslage und ist daher zu vernachlässigen. Den Tarifvertragsparteien kann nicht unterstellt werden, dass sie eine rechtswidrige Auslegung des Tarifvertrages gewollt hätten. Geboten ist vielmehr eine vom Wortlaut der Regelung gedeckte Auslegung, die auch mit der geltenden Rechtslage in Einklang zu bringen ist.

Eine Auslegung des § 6.3. MTV-Zeitarbeit dahingehend, dass in jedem Fall eine Arbeitszeit von 7 Stunden pro Tag bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes zu Grunde zu legen ist, weicht zu Ungunsten des jeweils betroffenen Arbeitnehmers von § 1 BUrlG ab. Soweit die Auslegung dieser tariflichen Bestimmung auch die Vergütung des gesetzlichen Urlaubs betrifft, widerspricht dies § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG. Nach dieser Gesetzesvorschrift können zwar Tarifverträge von den Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes auch zu Ungunsten der Arbeitnehmer abweichen. Im Geltungsbereich der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG sind jedoch Abweichungen zu Ungunsten der Arbeitnehmer unzulässig. An die Stelle der unwirksamen tariflichen Teilregelung tritt dann die gesetzliche Regelung. Das gilt auch für nicht tarifgebundene Parteien, wenn - wie hier - die Anwendung der einschlägigen tariflichen Urlaubsregelung vereinbart ist (vgl. § 13 Abs. 1 S. 2 BUrlG).

Die hier von der Beklagten und auch den Tarifparteien vorgenommene Auslegung führt zu einer von § 1 BUrlG abweichenden Regelung zu Ungunsten des Klägers dieses Rechtsstreits. § 1 BUrlG enthält nicht nur den Grundsatz des "bezahlten" Erholungsurlaubs, sondern diese Norm erhält auch dem Arbeitnehmer den Vergütungsanspruch trotz Nichtleistung der Arbeit während des Urlaubs. Daraus folgt eine Entgeltpflicht für alle urlaubsbedingt ausfallenden Arbeitsstunden einschließlich der sogenannten Überstunden (vgl. BAG, Urteil v. 22.02.2000 - 9 AZR 107/99, m. w. N.; vgl. auch BAG, Urteil v. 05.09.2002 - 9 AZR 244/01).

Das tägliche Urlaubsentgelt berechnet sich nach dem Geldwert und der Anzahl der am konkreten Urlaubstag ausgefallenen Stunden (Geld- und Zeitfaktor). Die in § 1 BUrlG begründete Verpflichtung des Arbeitgebers, grundsätzlich alle in Folge der Arbeitsbefreiung ausfallenden Arbeitsstunden zu vergüten (Zeitfaktor), hat weder in § 11 Abs. 1 BUrlG noch an anderer Stelle eine einschränkende Regelung erfahren. Die Änderung des Zeitfaktors durch die Neufassung des § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG im Jahre 1996 hat den "gesetzlichen" Zeitfaktor unberührt gelassen (BAG, Urteil v. 22.02.2000 - 9 AZR 107/99, m. w. N.).

Das in § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG i. V. m. § 1 BUrlG enthaltene Abweichungsverbot sichert daher dem Kläger seinen Anspruch auf Vergütung der während des gesetzlichen Mindesturlaubs ausfallenden Arbeitsstunden. Im zu Grunde liegenden Sachverhalt sind dies pro Tag 8 Arbeitsstunden, die der Kläger unstreitig sowohl vor als auch insbesondere während der hier streitbefangenen Urlaubszeiträume tatsächlich für die Beklagte gearbeitet hat. Die unzulässige Benachteiligung des Klägers durch die Verminderung der Anzahl der während des gesetzlichen Mindesturlaubs zu vergütenden Arbeitsstunden auf 7 Stunden wird nicht dadurch aufgehoben, dass der MTV-Zeitarbeit ihm auch Ansprüche einräumt, die im Bundesurlaubsgesetz nicht vorgesehen sind. Eine tarifliche Kürzung der Bemessungsgrundlagen für die Urlaubsvergütung kann nicht durch eine gegenüber dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch höhere Anzahl von Urlaubstagen ausgeglichen werden (BAG, Urteil v. 22.02.2000 - 9 AZR 107/99 - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des früheren Fachsenats für das Urlaubsrecht vom 12.01.1989 - 8 AZR 404/87).

Auf die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, wie das Urlaubsentgelt zu berechnen wäre, wenn der Kläger im Urlaubszeitraum tatsächlich bei einem anderen Entleiherbetrieb weniger gearbeitet hätte, kam es hier daher nicht maßgeblich an. Im zu Grunde liegenden Sachverhalt hätte der Kläger eben gerade während der beiden hier relevanten Urlaubszeiträume unbestritten jeweils eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden gehabt, so dass auch seine Urlaubstage entsprechend zu vergüten sind. Dieses Ergebnis deckt sich sowohl mit der geltenden Rechtslage nach dem Bundesurlaubsgesetz sowie auch mit einer Auslegung des § 6.3. MTV-Zeitarbeit, die allerdings die Protokollnotiz der Tarifpartner vom 21.09.2005 außer Acht zu lassen hat.

Die Beklagte hat daher sowohl die 11 Urlaubstage des Klägers im Dezember 2006 sowie die weiteren 10 Urlaubstage im April 2007 mit jeweils einer weiteren Arbeitsstunde pro Urlaubstag zu vergüten. Dies führt zu einem Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 99, 44 EUR brutto sowie 90,40 EUR brutto.

2.

Die Beklagte ist ferner verpflichtet, jede Urlaubsstunde neben dem tariflichen Grundlohn des Klägers in Höhe von 9,04 € brutto auch mit der sogenannten Einsatzzulage gemäß § 5 des Entgelttarifvertrages Zeitarbeit in Höhe von 0,20 € brutto pro Stunde zu vergüten. Diese Zulage gehört nach Ansicht der erkennenden Kammer zum Tarifentgelt im Sinne des § 6.3. MTV-Zeitarbeit. Insofern handelt es sich nicht um eine nicht berücksichtigungsfähige, "darüber hinausgehende Zulage" im Sinne des Tarifvertrages. Denn der Anspruch auf Zahlung dieser Einsatzzulage ist unmittelbar im Entgelttarifvertrag begründet und ist damit Teil des Tarifentgelts (vgl. die Entgelttabelle des § 2 Entgelttarifvertrag).

Mithin hat die Beklagte für die 80 Urlaubsstunden im April 2007 16,-- € sowie für weitere 16 Feiertagsstunden 3,20 € brutto an den Kläger nachzuzahlen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 91 Abs. 1 S. 1, 95 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei sämtliche Kosten des Rechtsstreits zu tragen, einschließlich der Kosten ihrer Säumnis.

Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß den §§ 46 Abs. 2 S. 1, 61 Abs. 1 ArbGG, 3 ZPO in Höhe der Summe der geltend gemachten Klageforderungen ohne Berücksichtigung der Zinsen im Urteil festgesetzt worden.

Für die Beklagte war die Berufung zuzulassen, da der Rechtsstreit die Auslegung eines Tarifvertrages betrifft, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk des Arbeitsgerichts Dortmund hinaus erstreckt (§ 64 Abs. 3 Ziff. 2 b ArbGG).

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