ArbG Köln, Urteil vom 11.06.2013 - 16 Ca 350/13
Fundstelle
openJur 2016, 4298
  • Rkr:

Kein Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 774,83 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2012 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Streitwert: 774,83 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Mehrflugstundenvergütung auf Grund von Simulatorstunden als Trainee für den Monat September 2010.

Der Kläger ist bei der Beklagten als First Officer beschäftigt. Als solcher wird er im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften als sog. Trainee im Flugsimulator geschult und überprüft. Sein Entgelt setzt sich unter anderem aus einem Gehalt in Höhe von 5.465,11 € brutto und einer Flugzulage in Höhe von 745,23 € zusammen. Auf das Arbeitsverhältnis findet unter anderem der Manteltarifvertrag Nr. 3a für das Cockpitpersonal bei ...in der Fassung vom 29.06.2011, gültig ab dem 01.07.2011 Anwendung (im Folgenden: MTV). Dieser enthält unter Anderem folgende Regelungen:

III. Ansprüche des Mitarbeiters

§ 19 Vergütung

1. Die Mitarbeiter erhalten eine monatliche Vergütung, die im Vergütungstarifvertrag für das Cockpitpersonal festgelegt ist. Die Vergütung besteht aus folgenden Bestandteilen:

a) Grundgehalt (gemäß des jeweils gültigen GWI VTV)

b) Flugzulage (gemäß des jeweils gültigen GWI VTV)

c) Mehrflugstundenvergütung (gemäß des jeweils gültigen GWI MTV)

...

5. Die in jedem Monat erfolgten Dead?Head?Einsätze werden gesondert erfasst und ausgewiesen. Alle über 2,5 Stunden monatlich hinausgehenden Dead?Head-Stunden werden mit dem Dead?Head?Stundensatz 12,00 € für Copiloten und 18,87 € für Kapitäne zusätzlich vergütet. Bruchteile werden nach Minuten oder in dezimaler Form anteilig vergütet.

6. Simulatorstunden werden monatlich gesondert erfasst und ausgewiesen. Sie werden mit dem doppelten Dead?Head??Stundensatz gemäß § 19 Abs. 5) zusätzlich vergütet.

§ 20 Mehrflugstundenvergütung

1. Berechnung der Mehrflugstundenvergütung

a) Die Mitarbeiter erhalten pro bezahlungswirksamer Mehrflugstunde eine Mehrflugstundenvergütung gemäß folgender Formel:

Individuelle Grundvergütung + Flugzulage

79

Die Mehrflugstundenvergütung beträgt ab dem 01.07.2007 pro bezahlungswirksamer Mehrflugstunde:

für die 80. bis zur 85. Flugstunde 125 %

ab der 86. Flugstunde 140 %

dieses Mehrflugstundensatzes.

b) Berechnung Flugstunden

Bei der Berechnung der Flugstunden im Sinne der Ziffer III. werden die anfallenden Blockzeiten gemäß Protokollnotiz V zugrunde gelegt.

2. Entstehen des Anspruchs

Mehrflugstundenvergütung wird nach mehr als 79 Flugstunden pro Kalendermonat gezahlt.

3. Anrechnung von Flugzeiten

Für vom Arbeitgeber angeordnete Schulungen werden pro Tag 4,00 Flugstunden angerechnet. Dabei wird ein Arbeitstag mit 7,5 Stunden veranschlagt. Für Arbeitszeiten von weniger als 3,75 Stunden werden 2,00 Stunden angerechnet.

Des Weiteren enthält der Manteltarifvertrag einen Abschnitt II. "Einsatz und Freizeit". Dieser regelt unter § 10 MTV die Arbeitszeit, zu der die Flugdienstzeit gemäß § 11 des MTV gehört. Zur Flugdienstzeit zählt gemäß § 11 Abs. 1 a MTV die Flugzeit nach § 12 MTV. § 12 MTV enthält unter Ziffer 2 folgende Regelung:

2. Als Flugzeit gilt außerdem die auf Anordnung im Flugübungsgerät verbrachte Zeit.

Der Kläger arbeitete im Oktober 2012 78 Flugstunden und 41 Flugminuten, die die Beklagte ihm vergütete. Zudem absolvierte er in diesem Monat auf Anweisung der Beklagten acht Stunden als Trainee im Flugsimulator. Diese vergütete die Beklagte mit dem doppelten Dead?Head-Stundensatz.

Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm für die auf dem Simulator verbrachten Flugstunden ein Anspruch auf Mehrflugstundenvergütung i.H. der Klageforderung zustehe. Zu den Einzelheiten der Berechnung wird auf Seite 2 f. der Klageschrift verwiesen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 774,83 € bruttto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01.12.2012 zu zahlen;

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass sich die Vergütung für Simulatorstunden abschließend aus § 19 Abs. 6 MTV ergebe. Der Einsatz als Trainee im Simulator sei grundsätzlich durch die Grundvergütung abgegolten. Eine Anrechnung der Simulatorstunden auf die Mehrflugstunden finde nicht statt. Zur Kompensation sei die entsprechende zusätzliche Vergütung nach § 19 Abs. 6 MTV vereinbart worden. Andernfalls würden Simulatorstunden höher vergütet als Flugstunden.

Wegen der Einzelheiten des wechselseitigen Parteivorbringens wird im Übrigen auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden sind, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Mehrflugstundenvergütung für acht Simulatorstunden im Monat Oktober 2012 aus § 19 Abs. 1 c MTV in Verbindung mit § 20 MTV. Den Piloten steht auch für auf Anweisung des Arbeitgebers als Trainee im Flugsimulator absolvierte Stunden die tarifliche Mehrflugstundenvergütung zu. Dies ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst von dem Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB) Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien die Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 21.03.2001 - 10 AZR 41/00 - Rn. 56 zit. n. juris ).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gilt im vorliegenden Fall im Anschluss an das zur früheren Fassung des Tarifvertrags ergangene Urteil der 11. Kammer des Arbeitsgerichts Köln vom 26.06.2012 im Rechtsstreit 11 Ca 7490/11 Folgendes: Dem Kläger steht nach § 19 MTV eine monatliche Vergütung zu, die sich neben dem Grundgehalt aus der Mehrflugstundenvergütung ergibt. Für die Mehrflugstundenvergütung nach § 20 MTV ist dabei maßgeblich, dass der Kläger mehr als 79 Flugstunden pro Monat geleistet hat. Eine Definition für den Begriff der Flugstunden enthält § 20 MTV nicht. Insoweit ergibt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, dass auf die Definition in § 12 MTV zurückzugreifen ist. Dieser regelt die Flugzeit. Hierunter fallen nach § 12 Abs. 2 MTV ausdrücklich auch die Zeiten, die auf Anordnung im Flugübungsgerät verbracht werden. Da die tarifliche Regelung in § 20 MTV keinerlei konkrete Regelungen zu dem Umfang der Flugstunden enthält, ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien, die eine ausführliche Differenzierung der Zeiten (Arbeitszeit, Flugdienstzeit, Flugzeit (Blockzeit) etc.) getroffen haben, auch eine entsprechende Regelung für die Mehrflugstunden getroffen hätten. Soweit eine ausdrückliche Regelung hier nicht enthalten ist, ist davon auszugehen, dass die vorherige Definition der Flugzeit auch für Flugstunden im Sinne der Mehrflugstundenvergütung heranzuziehen ist. Dies ergibt sich auch aus der Tatsache, dass für die Dead?Head?Stunden, die gemäß § 19 Abs. 5 MTV zusätzlich vergütet werden, die Definition in § 14 MTV heranzuziehen ist, die die Beförderungszeit (Dead?Head?Zeit) definiert und damit in dem gleichen Zusammenhang wie die Flugzeit in § 12 MTV unter dem Abschnitt "Einsatz und Freizeit" definiert wird. Es ist nicht ersichtlich, dass die unter III "Ansprüche des Mitarbeiters" enthaltenen Regelungen des MTV hinsichtlich der Begrifflichkeiten losgelöst sind von den in II. "Einsatz und Freizeit" geregelten Definitionen.

Dieser Annahme steht nicht die Tatsache entgegen, dass eine Regelung von Simulatorstundenzeiten in § 19 Abs. 6 MTV enthalten ist. Zwar ist dort ausgeführt, dass Simulatorstunden mit dem doppelten Dead?Head?Stundensatz gemäß § 19 Abs. 5 MTV zusätzlich vergütet werden. Aus der Wortwahl, dass diese Vergütung zusätzlich erfolgt, ergibt sich aber zugleich, dass dies keine abschließende Regelung über die Vergütung der Simulatorstunden sein kann. Insbesondere ergibt sich nicht daraus, dass lediglich zusätzlich zum Grundgehalt der doppelte Dead-Head-Stundensatz gezahlt wird. Insoweit regelt § 19 Abs. 1 MTV, dass sich die monatliche Vergütung aus dem Grundgehalt der Flugzulage und der Mehrflugstundenvergütung zusammensetzt. Die Regelung in Abs. 6 kann insoweit nur so verstanden werden, dass sie zusätzlich zu den in § 19 Abs. 1 MTV enthaltenen drei Vergütungsbestandteilen gezahlt wird und nicht lediglich zusätzlich zur in § 19 a MTV geregelten Grundvergütung.

Soweit das LAG Köln im Urteil vom 01.03.2013 im Berufungsverfahren 10 Sa 848/12 zur genannten Entscheidung der 11. Kammer die Ansicht vertreten hat, die Mehrflugstundenvergütung sei nicht für als Trainee im Flugsimulator geleistete Stunden zu zahlen, ändert dies nichts an der Auslegung der tariflichen Neuregelung. Das LAG Köln hat in seiner Entscheidung (unter III. der Gründe) ausdrücklich betont, dass sie nur die Auslegung der früheren Fassung des Tarifvertrags betreffe. Es hat (unter II 2 a) der Gründe) maßgeblich auf den Wortlaut der damaligen Fassung des § 20 Abs. 1 MTV abgestellt, wonach Mehrflugstundenvergütung "pro geflogener Mehrflugstunden" gezahlt werden sollte. Das Wort "geflogener" haben die Tarifvertragsparteien aber in der neuen Fassung durch das Wort "bezahlungswirksamer" ersetzt. Dass auch die Schulungsstunden im Simulator zu bezahlen sind, bestreitet auch die Beklagte nicht. Deshalb spricht der Wortlaut der Neufassung der Tarifnorm gerade für und nicht gegen die vertretene Auslegung.

Auch das zweite Argument des LAG Köln (unter II 2 b) der Gründe) gegen den Anspruch auf Mehrflugstundenvergütung für als Trainee geleistete Simulatorstunden führt in Anbetracht des geänderten Wortlauts nicht zu einem anderen Ergebnis. Unabhängig davon, ob Simulatorstunden überhaupt höher vergütet werden als im Flugzeug geflogene Flugstunden, obwohl sie gemäß § 20 Abs. 3 MTV zeitlich nicht in vollem Umfang sondern nur ungefähr im halben Umfang bei der Mehrflugstundenvergütung berücksichtigt werden, kann für eine höhere Vergütung der Simulatorstunden durchaus ein legitimer Regelungszweck gesehen werden. Es hält sich im Rahmen des den Tarifvertragsparteien in Vergütungsfragen zustehenden weiten Ermessensspielraums, dem besonderen Prüfungsstress des Trainees bei den Schulungsstunden im Simulator, die über die Erlaubnis zur weiteren Ausübung des Berufs entscheiden können, durch einen höheren Stundensatz als den für normale Flugstunden vorgesehenen Rechnung zu tragen. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass die Verantwortung eines Piloten für die von ihm geflogenen Passagiere höher einzuschätzen ist als die Verantwortung im Rahmen einer Simulatorstunde. Die höhere Verantwortung ist aber zu unterscheiden von der höheren psychischen Belastung, die mit einer für die weitere Berufsausübungsmöglichkeit mitentscheidenden Prüfung im Rahmen einer Schulungsstunde im Simulator verbunden ist. Es ist nicht zweckwidrig, wenn die Tarifvertragsparteien der höheren psychischen Belastung bei der Vergütung den Vorrang vor der höheren Verantwortung einer Tätigkeit geben.

Über die Höhe der Klageforderung streiten die Parteien nicht. Sie ergibt sich aus der zutreffenden Berechnung auf Seite 2 f. der Klageschrift. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288 BGB i.V.m. der Fälligkeitsregelung in § 19 Abs. 4 S. 2 MTV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 92 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre gesetzliche Grundlage in den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei Berufung eingelegt werden.

Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Landesarbeitsgericht Köln

Blumenthalstraße 33

50670 Köln

Fax: 0221-7740 356

eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1. Rechtsanwälte,

2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3. juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.