OLG Hamm, Urteil vom 29.04.2013 - 13 U 156/11
Fundstelle
openJur 2016, 4229
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3.8.2011 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Münster teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger folgende Beträge zu zahlen:

? ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszins aus 30.000 € seit dem 16.6.2007 und aus weiteren 20.000 € seit dem 21.3.2008

? weitere 23.737,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszins seit dem 21.3.2008

abzüglich frei verrechenbar gezahlter

? 3.000 € am 27.10.2006,

? 2.000 € am 30.11.2006,

? 3.000 € am 16.2.2007

? 10.000 € am 17.3.2008 sowie

? 35.000 € am 18.1.2012

Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, als Gesamtschuldner dem Kläger sämtlichen weiteren derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen und sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 8.10.2006 gegen 14.10 Uhr in ... P, C Straße (K 8) noch entstehen wird, den materielle Schaden allerdings nur insoweit, als er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

Die Beklagten werden ferner verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger außergerichtliche Kosten in Höhe von 2.570,40 € nebst Zinsen in Höhe von

5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszins seit dem 6.6.2008 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 23 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 77 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am Sonntag, den 8.10.2006, nachmittags gegen 14.10 Uhr auf der Landstraße zwischen P und T ereignet hat und an dem der Kläger als Fahrer seines Krads Kawasaki ZRX 1200 S und der Beklagte zu 1) als Fahrer seines bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Traktors Typ Fiat F100 beteiligt waren. Der Kläger befuhr zu dieser Zeit die C Straße in nördlicher Richtung, also in Richtung C1, und war im Begriff, den Beklagten zu überholen, der mit seinem Traktor und angebauter Drillmaschine auf der C Straße in dieselbe Richtung unterwegs war, als dieser nach links in einen Feldweg einbog. Der Kläger konnte eine Kollision mit dem die Fahrbahn sperrenden Traktor nicht mehr verhindern und verletzte sich schwer.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil - auf welches wegen des zugrundeliegenden Sachverhalts, des Sach- und Streitstands, der Anträge und der Entscheidungsgründe Bezug genommen wird - eine volle Haftung der Beklagten angenommen. Angesichts des weit überwiegenden Verschuldens des Beklagten zu 1) trete die Betriebsgefahr des Motorrads des Klägers völlig zurück. Dem Beklagten zu 1) sei vorzuwerfen, dass er in Kenntnis seiner unzureichenden Beleuchtungseinrichtung - die am Anbaugerät vorhandene Anlage von Fahrtrichtungsanzeigern war nicht mit dem Anschluss am Traktor verbunden und definitiv ohne Funktion - nach links abgebogen sei, ohne sich davon zu überzeugen, dass er dies gefahrlos tun könne. In dieser Situation sei der Unfall für den Kläger, gemessen am Idealfahrer, unabwendbar gewesen. Selbst wenn er die Fahrtrichtungsanzeiger - konkrete Feststellungen hat das Landgericht zu dieser erstinstanzlich streitigen Frage nicht getroffen - am Traktor gesetzt habe, bleibe noch ein so weit überwiegendes Verschulden auf seiner Seite, dass es bei 100 %iger Haftung bleibe. Der Zeuge D, seinerseits Motorradfahrer und ein Stück hinter dem Kläger fahrend, habe das Blinken auch nicht gesehen.

Im Ergebnis hat das Landgericht den vom Kläger genannten Mindestbetrag des Schmerzensgelds um 5.000 € auf 55.000 € erhöht und dazu ausgeführt, das sei dem stark verzögerten Regulierungsverhalten der Beklagten zu 2) geschuldet. Der geltend gemachte Sachschaden stehe dem Kläger zu, nicht aber die Nutzungsausfallentschädigung, so dass ein Betrag von insgesamt 4.801,86 € nebst Zinsen verbleibe. Denn er wollte und konnte überhaupt kein Motorrad mehr nutzen. Den geltend gemachten Verdienstausfall hat es um 5 % pauschal wegen ersparter Aufwendungen auf 15.170,38 € nebst Zinsen gekürzt und den Haushaltsführungsschaden auf pauschal 6.000 € nebst Zinsen geschätzt. Mehr sei die frühere Beteiligung des Klägers an den Verrichtungen in Haus und Garten nicht wert. Außerdem sei dieser nicht hinreichend konkret dargelegt. Das Feststellungsinteresse für künftige, noch nicht bezifferbare Folgeschäden hat es hinsichtlich einer 100%igen Haftungsquote bejaht.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit welcher sie in erster Linie eine Neubewertung der Verursachungs- und Haftungsanteile erstreben. Verfahrensfehlerhaft sei bereits, dass das Landgericht die unfallbeteiligten Parteien nicht persönlich angehört habe. Diese hätte ergeben, dass der Kläger den Fahrrichtungsanzeiger wahrgenommen habe. Sie gehen jetzt zwar von einem überwiegenden, aber nicht alleinigen Verursachungs- und Verschuldensanteil des Beklagten zu 1) aus und erachten eine sie treffende 75%ige Haftungsquote für zutreffend. In der Berufungsbegründung haben sie ihre Behauptung wiederholt, der Beklagte zu 1) habe rechtzeitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Dieser sei durch die angebaute Maschine nicht verdeckt und für den Kläger sichtbar gewesen. In dieser Situation gleichwohl zu überholen, begründe ein mindestens 25%iges Mitverschulden. Auch die Betriebsgefahr habe das Landgericht falsch gesehen. Denn die des langsam fahrenden Treckers sei niedriger als die des schnelleren, dabei kleineren und schlechter sichtbaren Motorrads. Ein überholendes Motorrad habe eine noch höhere Betriebsgefahr. Dass der Beklagte zu 1) habe abbiegen wollen, sei jedem offenkundig gewesen, der die Fahrweise aufmerksam beobachtet hätte.

Im Anschluss daran verfolgen sie das Ziel, in Abänderung des angefochtenen Urteils den Ausspruch zum Schadensersatz und zum Schmerzensgeld der zu findenden Haftungsquote anzupassen und dies auch beim Schmerzensgeld zu berücksichtigen, welches sie grundsätzlich und bei einer unterstellten 100%igen Haftung nun mit 50.000 € als der Sache angemessen erachten. Umstände, die eine Erhöhung um 5.000 € unter dem Aspekt einer zögerlichen Regulierung begründen könnten, bestreiten sie. Tatsächlich hätten sie nicht nur in drei Raten insgesamt 8.000 € in den Monaten nach dem Unfall gezahlt, sondern darüber hinaus weitere 10.000 € am 17.3.2008 sowie weitere 35.000 € nach dem Erlass des erstinstanzlichen Urteils im Januar 2012. Ein verzögertes Regulierungsverhalten könne nur bei eindeutiger Haftungslage angenommen werden. Hier sei indessen eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich gewesen. Deshalb liege keine eindeutige Haftungslage vor. Vor dem Hintergrund, dass ferner namentlich für die Bemessung des Schmerzensgeld maßgebliche Umstände erst durch Auskünfte von Fachärzten verschiedener Fachrichtungen hätten in Erfahrung gebracht werden müssen, sie ihr Regulierungsverhalten im Ergebnis nicht zu erinnern. Soweit der Haushaltsführungsschaden im Raume stehe, erachten sie den Vortrag des Klägers nicht für schlüssig und die Schätzung des Landgerichts ohne ausreichende Tatsachengrundlage erfolgt. Lege man - bei sechs Wochen Jahresurlaub - 46 Arbeitswochen pro Jahr zugrunde und nehme man mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme drei Stunden Haushaltstätigkeit pro Woche an, die mit nicht mehr als 8 € zu berechnen sei, ergebe das pro Jahr einen Schaden von 1.104 €, in den 18 Monaten bis zur Wiederaufnahme seiner Berufstätigkeit also 1.656 €, aufgerundet 2.000 €. Die geltend gemachten vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten bestreiten sie dem Grunde und der Höhe nach. Solche könne der Kläger schon deshalb nicht beanspruchen, weil die Grundlage der Berechnung der Gebühren, die begründete Anspruchshöhe, bis heute nicht feststehe.

Die Beklagten beantragen dementsprechend,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteil

1. das zugebilligte Schmerzensgeld auf einen angemessenen Betrag herabzusetzen,

2. den ausgeurteilten weiteren Schadensersatzbetrag von 25.972,22 € auf 16.479,16 € herabzusetzen,

3. den Feststellungsausspruch auf eine Haftungsquote der Beklagten von 75 % zu reduzieren und

4. hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet weiterhin, dass der Beklagte zu 1) vor dem Abbiegevorgang überhaupt den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe. Seine eigene Betriebsgefahr falle nicht ins Gewicht. Er habe mit seinem Motorrad auch ein überbreites Gespann gefahrlos überholen können und dürfen. Ein langsam fahrendes Agrarfahrzeug sei eher die Regel und begründe nicht die Annahme eines bevorstehenden Abbiegevorgangs. Er trägt zu seinen aktuellen, unfallbedingten Beschwerden vor, Entwicklungen hätten sich praktisch nicht mehr ergeben.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf Protokoll und Berichterstattervermerk über den Senatstermin vom 29.4.2013 verwiesen.

Der Senat hat im Senatstermin den Kläger und den Beklagten zu 1) in Anwesenheit des Sachverständigen, der sich für die Erstattung eines im Senatstermin mündlich zu erstattenden Gutachtens zu der Frage der Erkennbarkeit eines Fahrtrichtungsanzeigers für den nachfolgenden Verkehr vorbereitet hatte, persönlich angehört. Ferner hat der Senat die Vernehmung des Zeugen D wiederholt. Von der Vernehmung des Sachverständigen und der Erstattung des Gutachtens hat der Senat nach dem Ergebnis der Parteianhörung und der Zeugenvernehmung abgesehen, weil danach nicht mehr streitig war, dass der Beklagte zu 1) den Fahrtrichtungsanzeigen nicht gesetzt hatte, die Frage der Erkennbarkeit eines etwa gesetzten Blinkers also aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos geworden war. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird ebenfalls auf den Berichterstattervermerk über den Senatstermin vom 29.4.2013 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat einen geringen Erfolg, und zwar soweit einzelne Positionen des bereits eingetretenen und erstinstanzlich zugesprochenen Schadensersatzes und Schmerzensgelds betroffen sind. Erfolglos geblieben sind die Einwendungen zur Haftungsverteilung und zum Mitverschulden des Klägers und somit die Einwendungen, die die Feststellung hinsichtlich des Zukunftsschadens betreffen. Im Einzelnen:

1.

Die Beklagten haften dem Kläger als Gesamtschuldner gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG, 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1, 9 StVO dem Grunde nach voll auf den Ihm entstandenen und noch entstehenden Schaden. Angesichts des weit überwiegenden Verschuldens des Beklagten zu 1) an der Verursachung des streitigen Verkehrsunfalls tritt die Betriebsgefahr des vom Kläger geführten Motorrads völlig zurück; ein Mitverschulden des Klägers lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ausschließen.

Der Senat hat die an dem Verkehrsunfall unmittelbar beteiligten Parteien, den Kläger und den Beklagten zu 1), zum Unfallhergang persönlich angehört. Der Beklagte zu 1) hat angegeben, er sei unmittelbar vor dem Unfall auf der recht schmalen Landstraße mit seinem insgesamt ca. 3 m breiten Gerät nicht äußerst rechts, sondern mehr zur Fahrbahnmitte hin orientiert gefahren zu sein, um Fahrer nachfolgender PKW nicht zum Überholen zu motivieren. Denn dazu sei seiner Ansicht nach die Straße ohnehin nicht breit genug gewesen. Er habe den nachfolgenden Verkehr - durch gelegentliches Umschauen über die rechte Schulter, letztmalig direkt vor dem Unfall - beobachtet, um bei sich etwa nähernden PKW gegebenenfalls rechts ran zu fahren und sie passieren zu lassen. Bei seinem letzten Umschauen habe er keine PKW gesehen und deshalb nach links in den Feldweg abgebogen. Dass er vor diesem Abbiegevorgang zunächst den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt habe, hat er nicht angegeben. Dass er die Möglichkeit, dass ihm andere Verkehrsteilnehmer als PKW folgen könnten, in seine Erwägungen einbezogen habe, hat er ebenfalls nicht angegeben. Der Senat zieht daraus den Schluss, dass der Beklagte zu 1) sich allein auf der Straße wähnte und eine Notwendigkeit, das Abbiegen in den Feldweg durch Setzen des linken Fahrtrichtungsanzeigers anzukündigen, nicht sah und dies deshalb auch nicht getan hat. Deshalb konnte dahinstehen, ob für den nachfolgenden Verkehr die Sicht auf die Blinker des Traktors zusätzlich durch auf der Drillmaschine liegende Saatgutsäcke verdeckt war. Damit hat der Beklagte zu 1) gleichwohl in mindestens zweifacher Hinsicht gegen die Bestimmung des § 9 StVO verstoßen. Denn § 9 Abs. 1 S. 1 StVO bestimmt, dass derjenige, der abbiegen will, dies rechtzeitig und deutlich durch die Verwendung von Fahrtrichtungsanzeigen tun muss. § 9 Abs. 1 S. 4 StVO normiert die doppelte Rückschaupflicht, gegen die der Beklagte zu 1) ebenfalls verstoßen hat. Den danach muss derjenige, der Abbiegen will, vor dem Einordnen und noch einmal vor dem Abbiegen selbst auf den nachfolgenden Verkehr achten. Ausnahmen vom zweiten Umschauen gelten nur dann, wenn eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dass letzteres nicht der Fall war, belegt die Tatsache, dass es hier zu einem Unfall gekommen ist. Dass der Beklagte zu 1) seiner Rückschaupflicht nicht nachgekommen sein kann, belegt die Tatsache, dass er den Kläger, der sich ihm von hinten näherte, der also unmittelbar hinter ihm war, nicht gesehen hat.

Der Senat hat keine Veranlassung anzunehmen, dass der Beklagte zu 1) bei seiner Anhörung versehentlich nicht angegeben hat, den Blinker gesetzt zu haben. Zwar entspricht das dem bisherigen Vortrag, allerdings lediglich dem schriftsätzlichen Vortrag. Persönlich angehört worden ist der Beklagte zu 1) zwar im Rahmen der Güteverhandlung, die der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vorangegangen war, allerdings ohne, dass seine Angaben festgehalten worden wären. Insbesondere stimmt die Schilderung des Beklagten zu 1) aber mit den Angaben des Klägers und der erst- und zweitinstanzlich durchgängigen Angaben des Zeugen D überein, die ausschlossen, vor dem Unfallgeschehen ein Blinken gesehen zu haben. Der Zeuge D verfügte auch bei seiner Vernehmung vor dem Senat über eine konkrete, mit hohem Detailwissen ausgestattete, lebhafte Erinnerung an das Unfallgeschehen und an die nachfolgenden Ereignisse. Er bestätigte zunächst die Darstellung des Klägers, wonach der Beklagte zu 1) unvermittelt nach links abgebogen sei. Er sei mit seinem Motorrad etwa 100 m hinter dem Kläger gefahren und habe erwogen, seinerseits den langsam fahrenden Ackerschlepper zu überholen, als der Kläger bei seinem Versuch zu überholen verunfallte. Er beschrieb, wie er sich nach dem Unfall verhalten hat, wie er den Kläger vorfand und ihm erste Hilfe leistete, insbesondere aber auch, dass nach dem Unfall ein weiterer Traktor hinzugekommen sei, dessen Fahrer Säcke weggeräumt habe. Diesen Umstand, der bislang nicht in das Verfahren eingeführt worden war und der sich so auch aus der vorliegenden Ermittlungsakte ergibt, bestätigte der Beklagte zu 1). Das spricht für eine gute und vollständige Erinnerung des Zeugen. Der Unfall ereignete sich in seinem direkten Blickfeld. Er war praktisch in der gleichen Situation wie der Kläger, erwog seinerseits zu überholen und hatte deshalb auch Anlass, die Verkehrssituation vor sich sorgfältig und genau zu beobachten. Letztlich ist er eher zufällig nicht auch in den Unfall verwickelt worden. Der Senat ist deshalb überzeugt davon, dass die Erinnerung an das Geschehen in dem Zeugen noch heute eine äußerst lebhafte ist und nicht im Laufe der Zeit durch Erinnerungsverlust getrübt und durch Folgerungen ersetzt worden ist. Bei alledem sind Umstände, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprechen, weder vorgetragen noch ersichtlich.

Danach hat der Beklagte zu 1) erheblich gegen seine Pflichten als Führer eines Kraftfahrzeugs verstoßen. Ein Verstoß gegen die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers ist dem Kläger demgegenüber nicht nachzuweisen. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen § 5 StVO vor, der Verhaltensvorschriften für das Überholen normiert. Hier konnte der Kläger die Gefährdung von Gegenverkehr ausschließen - es gab keinen. Den nachfolgenden Verkehr - hier den rd. 100 m hinter ihm fahrenden Zeugen D - hat er ebenfalls nicht gefährdet. Er fuhr mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der Ackerschlepper des Beklagten zu 1). Es lag - objektiv - keine unklare Verkehrslage vor. Denn dass der Beklagte zu 1) abbiegen wollte, eröffnete sich den übrigen Verkehrsteilnehmern nicht, insbesondere auch nicht aufgrund der langsamen Fahrweise, wie allerdings die Beklagten meinen. Warum ein Traktor, der sich auf öffentlichen Straßen bewegt, langsam fährt, kann mehrere Ursachen haben, von denen die nächstliegende die bauartbedingte ist, nämlich dass ein Ackerschlepper schlicht nicht für solche Geschwindigkeiten ausgelegt ist wie ein PKW oder ein Motorrad. Augenscheinlich war hier auch ein Gerät angebaut, dass Einfluss auf die mögliche Geschwindigkeit haben konnte. Schließlich transportierte der Beklagte Ladung, nämlich eine stattliche Anzahl von Saatgutsäcken, was eine langsame Fahrweise zweckdienlich erscheinen lässt. Die Möglichkeit, unangekündigt abbiegen zu wollen, ist hier deshalb so fernliegend gewesen, dass sie eine unklare Verkehrslage nicht begründen kann. Es blieb schließlich auch - unterstellt, der Beklagte zu 1) wäre weiter geradeaus gefahren - für ein einspuriges Fahrzeug ausreichend Platz zum Überholen; lediglich zweispurigen Fahrzeugen hat der Beklagte zu 1) ein solches Fahrmanöver durch seine entgegen § 2 Abs. 2 StVO zur Mitte orientierte Fahrweise erschweren oder unmöglich machen wollen und können. Die Möglichkeit einspuriger Fahrzeuge hat er nicht in seine Erwägungen einbezogen.

Nach alledem deuten alle Anzeichen darauf hin, dass aus Sicht des Klägers der Verkehrsunfall für ihn ein unabwendbares Ereignis war, welchen auch ein Idealfahrer nicht hätte vermeiden können und bei dem ihm auch die Betriebsgefahr des von ihm geführten Kraftfahrzeugs nicht anzurechnen wäre. Diese wäre bei einem schnellen und schweren Motorrad grundsätzlich hoch anzusetzen, weil es in der Regel nicht nur mobiler als ein PKW ist, sondern wegen seiner geringeren Größe auch schlechter zu erkennen und deshalb für Dritte gefährlicher ist. Im Verhältnis zu einem Ackerschlepper mit Anbaugerät gilt das indessen nicht uneingeschränkt. Denn dieser ist in erster Linie nicht für den Betrieb auf öffentliche Straßen ausgelegt und deshalb nicht so konstruiert, im Falle eines Unfalls Beteiligte so weit wie möglich zu schonen. Demzufolge weist er praktisch keine passiven Sicherheitsmerkmale auf, ist massiv, scharfkantig und unnachgiebig und gefährdet deshalb durch seine bloße Konstruktion andere Unfallbeteiligte erheblich. Diese Gefahr wird durch die konstruktionsbedingte Langsamkeit solcher Fahrzeuge nicht kompensiert, im Gegenteil. Die niedrige Geschwindigkeit gerade in Kombination mit Anbaugeräten verlängert deren Verweildauer im öffentlichen Straßenverkehr und provoziert Überholmanöver, die schon grundsätzlich gefahrgeneigter sind als das Fahren auf der Richtungsfahrspur. Deshalb läge es hier nahe, die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 1) gefahrenen Traktors etwa drei Mal so hoch anzunehmen als die des vom Kläger gefahrenen Motorrads, was zu einer Verteilung von 25 % zu 75 % führen würde.

Letztlich kommt es hier darauf nicht entscheidend an. Denn selbst, wenn sich der Kläger prinzipiell eine Betriebsgefahr zurechnen lassen müsste, wöge das Verschulden des Beklagten zu 1) am Zustandekommen des Unfalls so schwer, dass die Betriebsgefahr des vom Kläger gefahrenen Motorrads dahinter völlig zurücktreten würde. Wer an einem Sonntag im Herbst bei trockener Witterung auf einer Landstraße die Möglichkeit, dass Verkehrsteilnehmer auf Motorrädern diese Gelegenheit für eine Ausfahrt nutzen, nicht in Erwägung zieht, wer glaubt, nicht überholt werden zu können, weil er durch seine mittenorientierte Fahrweise entgegen dem Rechtsfahrgebot etwaige nachfolgende PKW ohnehin blockiert und wer deshalb im engeren Sinne des Wortes "rücksichtslos" und ohne Ankündigung nach links abbiegend einen Motorradfahrer, den er durch diese unerwartete Fahrweise überrascht hat, zu Fall bringt, der hat die Folgen des Unfalls allein zu tragen.

2.

Das Landgericht hat dem Beklagten - wobei es wie auch der Senat von einem Alleinverschulden des Beklagten zu 1 ausgegangen ist und im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgelds angemessen berücksichtigt hat - für den von der Klage erfassten Zeitraum ein Schmerzensgeld von 55.000 € zugebilligt, wobei es den bezeichneten Mindestbetrag um 5.000 € wegen eines von ihm so gewerteten verzögerten Regulierungsverhalten der beklagten zu 2) erhöht hat. Die Beklagten, die wegen der immateriellen Schäden des Klägers im streitbefangenen Zeitraum und vorbehaltlich der Berücksichtigung der Verursachungs- und Verschuldensanteile jetzt ebenfalls ein Schmerzensgeld von 50.000 € als angemessen bezeichnen, stellen die Umstände in Abrede, die die Wertung eines verzögerten Regulierungsverhaltens begründen sollen.

Sie erheben diesen Einwand zu Recht. Bereits objektiv lässt sich kein verzögertes Regulierungsverhalten feststellen. Die Beklagte zu 2) hat analog der sich abzeichnenden Unfallfolgen und der sich nach und nach verfestigenden Beurteilungsgrundlagen Teilzahlungen an den Kläger erbracht, die nicht unangemessen niedrig waren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bis zum Verhandlungstermin vor dem Senat, und ohne, dass der Beklagten zu 2) dies vorzuwerfen wäre, streitig gewesen ist, ob der Beklagte zu 1) seine Absicht, abbiegen zu wollen, rechtzeitig und erkennbar angekündigt hatte, also ein bis zu hälftiges Mitverschulden des Klägers sogar so aufklärungsbedürftig gewesen ist, dass der Senat zur Frage einer Erkennbarkeit einen Sachverständigen beauftragt hat. Soweit der Kläger darüberhinaus das verzögerte Regulierungsverhalten gerade im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgelds berücksichtigt wissen will, hätte es auch der nachvollziehbaren Darlegung bedurft, dass dieses Regulierungsverhalten ihm einen mehr als nur in der Verärgerung bestehenden immateriellen, nur durch ein Schmerzendgeld ausgleichbaren zusätzlichen Schaden zugefügt hätte. Dafür liegen jenseits wenig substantiierter Behauptungen greifbare Anhaltspunkte nicht vor.

Soweit dieser Gesichtspunkt sich also als nicht ausreichend substantiiert erweist, um im Rahmen der Bemessung des Schmerzendgelds Berücksichtigung finden zu können, tritt der Senat - der im Übrigen unter allen Beteiligten unstrittigen - Beurteilung bei, dass ein Schmerzendgeld von 50.000 € für die immateriellen Unfallfolgen im streitbefangenen Zeitraum angemessen ist und allen Zwecken, die für die Festsetzung von Schmerzendgeld Bedeutung erlangen, gerecht wird. Da es bei einer alleinigen Haftung der Beklagten verbleibt, führt das im Ergebnis zu einer Herabsetzung des erstinstanzlich zuerkannten Schmerzendgelds von 55.000 € um den Spitzenbetrag von 5.000 €.

3.

Soweit der materielle Schaden im streitbefangenen Zeitraum betroffen ist, greifen die Beklagten - abgesehen von der Haftungsquote - konkret nur den zuerkannten Haushaltsführungsschaden an, den der Kläger erstinstanzlich, ausgehend von schon wenig glaubhaften über 16 Wochenstunden, die der voll erwerbstätige Kläger neben seiner Berufstätigkeit im Haushalt tätig gewesen sei, mit 11.807,56 € für den Zeitraum bis einschließlich März 2008 geltend gemacht hatte und den das Landgericht mit der Begründung, dieser sei nicht substantiiert dargelegt, auf 6.000 € pauschal geschätzt hatte. Die Beklagten sind der Ansicht, auch das Landgericht habe nicht über eine belastbare Schätzungsgrundlage verfügt und errechnen ihrerseits auf Basis von drei Wochenstunden im Wert von je 8 €, die der Kläger einer Haushaltshilfe für die sonst von ihm verrichteten Arbeiten hätte zahlen müssen, lediglich fiktive 1.656 €, die sie auf 2.000 € aufzurunden bereit sind. Der Kläger hat darauf, ohne konkrete, von ihm früher ausgeübte und nach Maßgabe der gelebten ehelichen Verhältnisse in seinen Aufgabenbereich fallende Tätigkeiten nach saisonalem Anfall und der konkreten Zeitaufwände zu substantiieren, nur erwidert, er könne schlecht Tüten tragen und deshalb schlecht einkaufen, er könne nicht mehr den Rasenmäher schieben, keine Überkopfarbeiten mehr ausüben und keine Wäsche und Gardinen mehr aufhängen. Damit stellt er die Ausführungen der Beklagten, dies erfordere regelmäßig nicht mehr als drei Stunden pro Woche, nicht konkret in Frage.

Ausgehend vom Ergebnis der Beweisaufnahme und im Lichte der Aufgabenverteilung in der Ehe, die den Haushalt überwiegend der Ehefrau, den Garten überwiegend dem Aufgabenbereich des Klägers zugeordnet hat und unter weiterer Berücksichtigung der Größe des Gartens und der Tatsache, dass dieser im Winter deutlich weniger Arbeit macht, legt der Senat seiner Entscheidung folgende Schätzung zugrunde: Der Senat unterstellt im Sommer - also April bis Oktober - durchschnittlich erforderliche 10 Stunden/Woche Gartenarbeit und während der restlichen streitigen 11 Wintermonate je 3 Wochenstunden Garten-/Hausarbeit. Diese rechnen sich auf insgesamt 443 Stunden hoch, für welche der Senat wiederum jeweils 8,50 € ansetzt als dem Betrag, der nach den Erfahrungen des Senats im fraglichen Zeitraum brutto für Hilfskräfte n Haus und Garten zu zahlen war. Das ergibt in der Summe 3.765,50 €, die der Senat hier - abändernd - festgesetzt hat

4.

Zusammenfassend standen dem Kläger deshalb zu:

Sachsachaden 4.801,86 €

Verdienstausfall 15.170,38 €

Haushaltsführungsschaden 3.765,50 €

23.737,74 €

Schmerzensgeld 50.000,00 €

Zinsen stehen dem Kläger darauf zu nach Maßgabe von §§ 284, 288, 849 BGB.

Darauf sind die im Senatstermin unstreitig gewordenen Teilzahlungen in Höhe von insgesamt 53.000 € in Anrechnung zu bringen.

5.

Als Konsequenz aus dieser Betrachtung ergeben sich auch die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten. Denn diese wären nicht nach einer berechtigten Forderung vom - damals noch - 83.332,43 € zu berechnen gewesen, sondern nach einem Betrag von 70.577,86 €. Im Ergebnis hat sich eine Zuvielforderung von gut 8.000 € beim Haushaltsführungsschaden ergeben, eine solche von rd. 3.800 € beim Verdienstausfall und eine solche vom knapp 1.000 € beim Sachschaden.

Damit wären die vorgerichtlichen Anwaltskosten zutreffend wie folgt zu berechnen gewesen:

Gegenstandswert 70.577,86 €

Geschäftsgebühr gem. §§ 13, 14, Nr. 2300 VV RVG (1,8-fach) 2.160,00 €

Pauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 €

2.180,00 €

zzgl. 19 % MwSt.ergibt das 2.570,40 €

6.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 97, 543, Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Eine Revisionszulassung war nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die maßgeblichen Fragen sind solche des Einzelfalls.

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