LG Cottbus, Beschluss vom 27.01.2016 - 36 BRH 37/15
Fundstelle
openJur 2016, 3682
  • Rkr:
Tenor

1. Das Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz vom 28.12.1977 (06 S 134/77) wird für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit es gegenüber dem Betroffenen ergangen und dieser zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist.

2. Der Betroffene hat vom 06.10.1977 bis zum 05.10.1978 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung erlitten.

3. Es besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Erstattung der Kosten und notwendigen Auslagen aus dem unter 1. genannten Strafverfahren im Verhältnis von zwei Mark der Deutschen Demokratischen Republik zu einer Deutschen Mark.

4. Der weitergehende Rehabilitierungsantrag wird zurückgewiesen.

5. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, die notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

Durch das im Tenor bezeichnete Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz wurde der Betroffene wegen mehrfacher vollendeter und versuchter unbefugter Benutzung von Kraftfahrzeugen, teils gemeinschaftlich begangen, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die er einschließlich der Untersuchungshaft in dem in Tenor bezeichneten Zeitraum verbüßte.

Das Urteil beruhte auf der Feststellung, dass der Betroffene in mehreren Fällen unbefugt fremde Kraftfahrzeuge benutzt bzw. dies versucht hatte, wobei er teilweise mit dem späteren Mitangeklagten gemeinschaftlich gehandelt hatte.

Aus den im Urteil niedergelegten Strafzumessungserwägungen des Kreisgerichts ergibt sich, dass zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt wurde, dass er bereits durch Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz vom 24.04.1975 (06 S 46/75), rechtskräftig seit dem 06.05.1975, zur Arbeitserziehung verurteilt worden war, und zwar wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten. Dieses Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz vom 24.04.1975 ist durch Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25.03.2014 (2 Ws (Reha) 18/13) für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben worden. Zugleich ist festgestellt worden, dass der Betroffene in der Zeit vom 24.03.1975 bis zum 23.03.1977 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung erlitten hat.

Der Betroffene beantragt nunmehr seine Rehabilitierung wegen des Urteils vom 28.12.1977 und einer Freiheitsentziehung vom 06.10.1977 bis 06.10.1978. Zur Begründung führt er sinngemäß aus, es sei rechtsstaatswidrig, dass das Urteil aus dem Jahr 1975 im Urteil vom 28.12.1977 strafschärfend berücksichtigt worden sei. Dies ergebe sich daraus, dass das Urteil von 1975 rechtsstaatswidrig war.

Die Staatsanwaltschaft Cottbus tritt dem Rehabilitierungsantrag entgegen. Sie verweist darauf, dass das Kreisgericht im Urteil vom 28.12.1977 nicht die Vorschrift des § 44 StGB der DDR, die eine Strafverschärfung bei Rückfallstraftaten vorsah, angewendet habe. Die erkannte Freiheitsstrafe von einem Jahr Dauer stehe nicht in einem groben Missverhältnis zu den zugrunde gelegten Taten des Betroffenen.

II.

Die Kammer versteht den Rehabilitierungsantrag des Betroffenen dahingehend, dass er sich nicht auf den Schuldspruch, sondern lediglich auf den Strafausspruch bezieht. Der Betroffene hat beantragt, (ausschließlich) den Strafausspruch aufzuheben. Mit diesem Verständnis ist der Antrag weitergehend begründet gem. § 1 Abs. 1 StrRehaG, denn das Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz vom 28.12.1977 ist hinsichtlich des Strafausspruches mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar.

Aus den Erwägungen zum Strafmaß im Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz vom 28.12.1977 ergibt sich, dass das Kreisgericht zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt hat, dass er bereits durch das Urteil des Kreisgerichts Forst/Lausitz vom 24.04.1975 bestraft worden war. Da aufgrund des Beschlusses des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 25.03.2014 feststeht, dass das Urteil von 1975 rechtsstaatswidrig war, ist auch das im Urteil vom 28.12.1977 ausgesprochene Strafmaß insoweit rechtsstaatswidrig, als es auf der Verurteilung vom 24.04.1975 beruht. Bei Anwendung rechtsstaatlicher Maßstäbe hätte das Kreisgericht diese Verurteilung nämlich nicht zu Lasten des Betroffenen berücksichtigen dürfen. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das Kreisgericht Forst/Lausitz in seinem Urteil von 1977 die Vorschrift des § 44 StGB der DDR angewendet hat. Entscheidend ist allein, dass die erkannte Strafe der Höhe nach auch darauf beruht, dass der Betroffene bereits zuvor verurteilt worden war. Dies ist zur Überzeugung der Kammer der Fall. Das Kreisgericht Forst/Lausitz hat im Urteil vom 28.12.1977 ausgeführt, die objektive Schwere und der Grad der Schuld erforderten die Anwendung einer Freiheitsstrafe. Die Schuld des Betroffenen erhöhe sich dadurch, dass er aus bereits vorangegangener Bestrafung keine Schlussfolgerungen gezogen habe.

Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) enthält keine ausdrücklichen Regelungen dazu, wie der zu rehabilitierende Anteil der Strafe der Höhe nach zu bestimmen ist, wenn das Strafmaß auch auf einer rechtsstaatswidrigen Vorverurteilung beruht. Die Regelung in § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG, nach der eine Rehabilitierung auch insoweit zu erfolgen hat, als die angeordneten Rechtsfolgen im groben Missverhältnis zu der zugrundeliegenden Tat stehen, kann hier nicht angewendet werden. Nach dieser Vorschrift ist nämlich allein auf einen Vergleich zwischen der Strafhöhe und der dieser zugrundeliegenden Tat abzustellen. Die Strafhöhe könnte dann indes im Vergleich zur Tat noch nicht als grob unverhältnismäßig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG anzusehen sein, obwohl sie auch auf einer rechtsstaatswidrigen Vorverurteilung beruht. Bei alleiniger Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG wäre in einer solchen Konstellation eine Rehabilitierung nicht möglich. Dies wäre aber unbillig und mit der Zielsetzung des StrRehaG nicht vereinbar, weil dann etwa eine mittelbar auf einer rechtsstaatswidrigen Verurteilung beruhende weitere Freiheitsentziehung (oder sonstige Strafe) nicht rehabilitiert werden könnte.

Deshalb ist in Fällen der vorliegenden Art § 1 Abs. 4 StrRehaG entsprechend anzuwenden. Unmittelbar erfasst diese Norm einerseits diejenigen Fälle, in denen eine Strafe auf der tateinheitlichen Verwirklichung mehrerer Straftatbestände beruht und einzelne, aber nicht alle Straftatbestände der Rehabilitierung zugänglich sind. Außerdem erfasst sie Fälle, in denen eine Einheitsstrafe auf mehreren tatmehrheitlich verwirklichten Straftaten beruht, wobei bezüglich einzelner, aber nicht aller Straftaten die Voraussetzungen einer Rehabilitierung gegeben sind.

In diesen Fällen ist nicht – wie es bei Anwendung von § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG der Fall wäre – nur insoweit zu rehabilitieren, als die erkannte Strafe über das bei Anlegung rechtstaatlicher Maßstäbe gerade noch Vertretbare hinausgeht, vielmehr muss im Rehabilitierungsverfahren unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen versucht werden, die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts nachzuvollziehen und herauszuarbeiten, zu welcher Strafe der Betroffene aus Sicht der Strafjustiz der DDR mutmaßlich verurteilt worden wäre, wenn eine Verurteilung nicht zugleich wegen der Straftaten bzw. Straftatbestände erfolgt wäre, bezüglich deren die Rehabilitierungsvoraussetzungen vorliegen. Anders als bei der Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG muss also im Rahmen des § 1 Abs. 4 StrRehaG ein hypothetisches Strafmaß ermittelt werden. Die Frage, welche Rechtsfolgen für die verbleibenden, nicht aufgehobenen Schuldsprüche aus rechtsstaatlicher Sicht noch hinnehmbar sind, kann im Rahmen dieser Prüfung lediglich als gedankliches Korrektiv dienen und die Obergrenze dessen bestimmen, was als Rechtsfolgen gegen den Betroffenen bestehen bleiben kann (Brandenburgisches OLG NJ 2007, 320).

Nur diese Verfahrensweise führt auch dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn – wie hier – feststeht, dass die Strafzumessung auch auf einer rechtsstaatwidrigen Vorstrafe beruhte. Nur so ist dem Anliegen des StrRehaG, die Rechtsfolgen rechtsstaatswidriger Verurteilungen zu beseitigen bzw. auszugleichen, angemessen Rechnung zu tragen.

Im vorliegenden Falle ist also zu fragen, zu welcher Strafe der Betroffene aus Sicht des Kreisgerichts Forst/Lausitz verurteilt worden wäre, wenn es nicht die rechtsstaatswidrige Vorstrafe aus dem Jahre 1975 gegeben hätte. Unter Berücksichtigung des gesamten Urteils vom 28.12.1977 nimmt die Kammer an, dass der Betroffene unter dieser Prämisse lediglich zur Bewährung verurteilt worden wäre. Dafür spricht insbesondere, dass auch der seinerzeitige Mitangeklagte lediglich zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist. Insoweit ist zwar zu berücksichtigen, dass sich die den Verurteilungen zugrundeliegenden Taten des Betroffenen einerseits und des Mitangeklagten andererseits nicht gänzlich decken. Einige der Straftaten haben beide gemeinsam begangen, beide haben auch jeweils für sich allein Taten begangen, für die sie mit dem Urteil vom 28.12.1977 bestraft wurden. Es besteht jedoch kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass das Kreisgericht seinerzeit den Taten des Betroffenen ein deutlich höheres Gewicht beigemessen hat als den Taten des Mitangeklagten. Bei den Taten, die der Mitangeklagte ohne den Betroffenen begangen hatte, waren ein Sachschaden in der Größenordnung von mehr als 1.600 Mark und ein Vermögensschaden in Höhe von 170 Mark entstanden. Bezüglich der durch den Betroffenen allein begangenen Straftaten hat das Kreisgericht keinen bezifferten Schaden festgestellt, den Betroffenen jedoch gegenüber einem der Geschädigten dem Grunde nach zum Schadensersatz verurteilt. Nach den Feststellungen im Urteil hatte der Geschädigte seinen Sachschaden nicht spezifiziert. In seinem Schadensersatzantrag vom 18.09.1977 hat dieser Geschädigte den Schaden mit 1.500 Mark angegeben, dabei ging er aber offenbar noch davon aus, dass das Motorrad gestohlen worden sei. Er hat nämlich in seiner Strafanzeige auch den Zeitwert mit 1.500 Mark angegeben. Somit ist festzustellen, dass jedenfalls hinsichtlich der Schadenshöhe die Taten, für die der Betroffene (allein) verurteilt worden ist, kein höheres Gewicht hatten, als die Taten, für die der Mitangeklagte (allein) verurteilt wurde. Es sind auch keine anderen Umstände ersichtlich, die dazu geführt haben könnten, dass das Kreisgericht die Taten des Betroffenen schwerer gewichtete, als die Taten des Mitangeklagten. Gleiches gilt in Bezug auf die Beiträge des Betroffenen und des Mitangeklagten an den gemeinsam begangenen Taten.

Insgesamt ist daher unter Berücksichtigung des Urteils vom 28.12.1977 und des übrigen Inhalts der beigezogenen Strafakten die Annahme gerechtfertigt, dass auch der Betroffene lediglich zur Bewährung verurteilt worden wäre, wenn es die rechtsstaatswidrige Vorstrafe aus dem Urteil vom 24.04.1975 nicht gegeben hätte. Deshalb war auszusprechen, dass die Verhängung einer (unbedingten) Freiheitsstrafe rechtsstaatswidrig war und demzufolge auch die aufgrund dieses Urteils erlittene Freiheitsentziehung. Allerdings ist der Betroffene gemäß eines Ausdrucks aus der Zentralen Gefangenenkartei des Ministeriums des Inneren der DDR am 05.10.1978, also nach vollständiger Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe, aus der Haft entlassen worden, sodass der Rehabilitierungsantrag in Bezug auf die angegebene Frei-heitsentziehung am 06.10.1978 zurückzuwiesen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 StrRehaG.

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