LG Lüneburg, Urteil vom 30.06.2014 - 24 KLs 2303 Js 21498/13 (7/14)
Fundstelle
openJur 2016, 3511
  • Rkr:
Tenor

Der Angeklagte ist schuldig des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 3 Fällen.

Er wird zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen, der  jeweilige Tagessatz zu 25,00 Euro verurteilt.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen sowie die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Angewendete Vorschriften:

§§ 174 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB.

Gründe

I.

1. Der 40-jährige Angeklagte ist ledig und hat ein Kind im Alter von eineinhalb Jahren. Mit der Mutter des Kindes, die in K. lebt, hat er keine partnerschaftliche Beziehung mehr. Er arbeitet als angestellter Coach in einem Umfang von 20 Stunden in der Woche und erhält hierfür 1.100,00 Euro netto im Monat. Mehr Zeit möchte er nicht mit Arbeit verbringen. Monatlichen Unterhalt zahlt er nach eigenem Ermessen.

Die Auskunft aus dem Bundeszentralregister des Angeklagten weist keine Eintragungen auf.

2. Bis vor ca. 2 Jahren war der Angeklagte im Gerichtsbezirk U. als Betreuer tätig. Auch das dortige Jugendamt setzte ihn immer wieder im Rahmen von Familienbegleitungen ein.

Der Angeklagte wurde der Geschädigten S. H., geb. am 1994, wegen ihrer mit der Trennung ihrer Eltern verbundenen Probleme im Jahr 2008 vom Jugendamt als Erziehungsbeistand bestellt. Er traf sich regelmäßig mit ihr bei einem der beiden Elternteile und führte mit ihr jeweils Gespräche über einen möglichen Umgang mit der für sie schwierigen Situation. Hierbei verliebte er sich in die Geschädigte, die er sehr attraktiv fand. Ob wohl ihm bewusst war, dass dies strafrechtliche Konsequenzen haben würde und mit seiner Tätigkeit unvereinbar ist, wollte er sexuelle Kontakte zu der damals 14jährigen.

Anfang des Jahres 2009 - während eines Gesprächs über die Probleme der Geschädigten mit ihren Eltern - setzte er sich zunächst neben sie auf ihr Bett. Als sie sich dort ausstreckte, legte er sich zu ihr. Er streichelte immer wieder ihren Rücken über der Kleidung, schmiegte sich mit seinem Körper von hinten an ihren und küsste mehrfach zärtlich ihren Hals, ihre Stirn und ihr Ohr, woraufhin die Geschädigte vor Aufregung zitterte, weil auch sie sich zwischenzeitlich in den Angeklagten verliebt hatte, was sie ihm jedoch nicht gesagt hatte. Die Geschädigte hatte bis dahin noch keine sexuellen oder sonst zärtliche Erfahrungen mit anderen Personen gemacht. Da der Angeklagte die Mutter der Geschädigten im Nebenzimmer vermutete und Entdeckung fürchtete, hörte er nach ca. 10 Minuten auf und verließ das Zimmer.

Obwohl er sein Verhalten als falsch erkannt hatte und strafrechtliche Konsequenzen fürchtete, legte sich der Angeklagte bis Ende Februar an unterschiedlichen Tagen noch zwei weitere Male über einen Zeitraum von jeweils wieder ca. 10 Minuten zu der Geschädigten in ihr Bett, streichelte sie und küsste sie wieder an Hals, Stirn und Ohr, was bei ihr wiederum intensive Gefühle hervorrief und sie, wie bereits beim ersten Mal, als schön und sexuell aufregend empfand. Daneben schrieb er ihr Textnachrichten mit eindeutig sexuellem Inhalt (sie habe eine gute Figur und einen süßen Po, sie sei „goldig süß, sexy, kuschelig“ und weise Erotik auf und bei ihm sei es so, dass „ab der Magenregion bin hin zu den Oberschenkeln alles am Kribbeln“ sei).

Nachdem die Erziehungsbeistandschaft im Sommer 2009 geendet hatte, hatten der Angeklagte und die Geschädigte zunächst lediglich mehr sporadischen Kontakt. Dieser steigerte sich dann wieder im Jahr 2011 und der Angeklagte und die inzwischen 17jährige Geschädigte gingen eine - auch sexuelle - Beziehung ein, die aber nur kurz andauerte. Der Angeklagte hat, auch aufgrund der Ermittlungen und des Strafverfahrens, zwischenzeitlich seinen Wohnort gewechselt und sich beruflich neu orientiert. Zudem hat er alle seine Ämter, bei denen er mit Kindern und Jugendlichen zu tun hatte, niedergelegt und arbeitet als Coach ausschließlich mit über 35-jährigen Personen, denen er versucht, zurück ins Arbeitsleben zu verhelfen.

II.

Die Feststellungen beruhen auf den geständigen Angaben des Angeklagten und den Bekundungen der als Zeugin vernommenen Geschädigten sowie auf der gem. § 249 StPO verlesenen Auskunft des Bundesamtes für Justiz. Die Geschädigte hat die den getroffenen Feststellungen entsprechenden Angaben des Angeklagten zu seinem jeweiligen Verhalten in ihrem Bett glaubhaft bestätigt. Darüber hinaus hat sie ihre damaligen Gefühle und Empfindungen anschaulich und nachvollziehbar geschildert. Sie führte insbesondere aus, dass sie solche Zärtlichkeiten wie durch den Angeklagten zwar noch nicht kannte, diese sich aber gut angefühlt hätten, sie sei ja auch verliebt gewesen. Die Küsse, bei denen „sie ja eng aneinander gekuschelt gewesen wären“ habe sie als „intensiv und aufregend empfunden“. Diese hätten für sie auch schon damals „etwas Sexuelles“ gehabt.

III.

Aufgrund des unter Ziff. I festgestellten Verhaltens des Angeklagten hat er sich des Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen schuldig gemacht, weil er an der zur Tatzeit 14 Jahre alten Geschädigten, die ihm, als Erziehungsbeistand, im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Erziehung anvertraut war, an drei unterschiedlichen Tagen sexuelle Handlungen vorgenommen hat.

Das Streicheln und die Küsse des Angeklagten sind sexuellen Handlungen im Sinne der §§ 174 Abs. 1 Nr. 1, 184g Nr. 1 StGB. Die zärtlichen Küsse auf Hals, Stirn und Ohr sowie das Streicheln, eng aneinander geschmiegt in einem Bett, lassen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild deutlich ihre Sexualbezogenheit erkennen.

Dieses sexuelle Verhalten des Angeklagten war - auch unter Berücksichtigung der hohen Mindeststrafe des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB - von einiger Erheblichkeit im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB. Im Hinblick auf die durch § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützten Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der ungestörten sexuellen Entwicklung von Jugendlichen überschreitet das jeweilige Verhalten des Angeklagten die Erheblichkeitsschwelle der vorgenannten Vorschriften, so dass hierdurch eine sozial nicht mehr hinnehmbare Rechtsgutsbeeinträchtigung zu besorgen war. Es stellt nicht lediglich eine Takt- bzw. Geschmacklosigkeit dar, die lediglich sittlich zu missbilligen wären. Die mehrfachen Küsse auf Hals, Ohr und Stirn sowie das Streicheln erfolgten im Bett liegend, wobei der Angeklagte seinen Körper von hinten an die Geschädigte schmiegte und dies über einen längeren Zeitraum von ca. 10 Minuten. Zwar war das jeweilige Verhalten des Angeklagten an der unteren Grenze einer sexuellen Handlung, so dass das Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung weniger stark gefährdet war. Eine hohe Gefährdung bestand jedoch jedenfalls für die sexuelle Selbstbestimmung der Geschädigten, gerade auch aufgrund des konkreten Verhältnisses zu dem Angeklagten, den sie als „ihren Retter“ ansah. Dieses brachte den Angeklagten in die emotionale Nähe der Geschädigten und ermöglichte ihm ein Ausnutzen aus sexuellen Motiven. Zwar war die Geschädigte zur Tatzeit bereits fast 15 Jahre alt, jedoch bis dahin sexuell völlig unerfahren, so dass das Verhalten bei ihr auch heftige Empfindungen ausgelöst und sie entsprechend beeindruckt hat.

Der Angeklagte handelte hierbei, um schöne und sexuelle Gefühle bei sich hervorzurufen und war sich dabei der Sexualbezogenheit seiner Handlungen bewusst. Ihm kam es gerade auf diese Empfindungen an. Das Alter der Geschädigten war dem Angeklagten bekannt.

Die Handlungen des Angeklagten an drei verschiedenen Tagen, die jeweils für sich den Tatbestand des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen, stehen zueinander in Tatmehrheit, § 53 StGB.

IV.

Für den sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener beträgt der Strafrahmen gem. § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren.

Bei jeder einzelnen Tat war zu Gunsten des Angeklagten insbesondere zu berücksichtigen, dass er vollumfänglich geständig gewesen ist und sein Bundeszentralregister keine Eintragungen aufweist. Die sexuellen Handlungen überschritten zwar die Schwelle der Erheblichkeit, ihre Intensität war aber dennoch gering. Für die Geschädigte haben sich aus dem Verhalten des Angeklagten keine erkennbaren erheblichen negativen Folgen ergeben. Das Ermittlungs- und das Strafverfahren haben auf den Angeklagten erhebliche negative Auswirkungen gehabt, so dass er seinen Beruf und seinen Lebensmittelpunkt verändert hat.

Zu Lasten des Angeklagten ist zu berücksichtigen, dass die Dauer der jeweiligen Tat mit ca. 10 Minuten doch länger gewesen ist und er dabei die Geschädigte jeweils mehrfach gestreichelt und geküsst hat.

Unter Abwägung dieser Umstände hat die Kammer jeweils die Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe als tat- und schuldangemessen erachtet. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe erschien indes nicht unerlässlich. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe war weder zur Einwirkung auf den Täter noch zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Der Angeklagte ist sich seines Fehlverhaltens bewusst und seine Handlungen überschritten die Erheblichkeitsschwelle der §§ 174 Abs. 1 Nr, 1, 184g Nr. 1 StGB nur gering. Gem. § 47 Abs. 2 S. 1 StGB hat die Kammer daher nach alledem jeweils eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt.

Unter nochmaliger Berücksichtigung und Abwägung der bereits genannten Strafzumessungserwägungen ist, wiederum unter Anwendung des § 47 Abs. 2 S. 1 StGB, eine Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen tat- und schuldangemessen.

Die Tagessatzhöhe wurde unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten bestimmt, § 40 Abs. 2 StGB. Dabei wurden insbesondere auch die Unterhaltsverpflichtung des Angeklagten und Werbungskosten im Rahmen seiner unselbständigen Tätigkeit berücksichtigt.

Von Strafe war nicht gem. § 174 Abs. 4 StGB abzusehen, weil allein eine stillschweigende Billigung der 14-jährigen Geschädigten das Unrecht der Tat nicht erheblich absenkt.

Die Anordnung eines Berufsverbots hat die Kammer bereits deshalb nicht für erforderlich erachtet, weil der Angeklagte keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgeht, die die Gefahr mit sich bringt, dass er weitere erhebliche Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Jugendlicher oder Kinder begehen werden wird. Zudem ist er einsichtig.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1 S. 1, 472 Abs. 1 S. 1 StPO.

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