SG Gelsenkirchen, Urteil vom 09.09.2015 - S 54 P 79/15
Fundstelle
openJur 2016, 3385
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des Regelbedarfs für die Klägerin; es steht im Streit, ob die Klägerin 100 Prozent des Regelbedarfes oder entsprechend Regelbedarfsstufe 111 80 Prozent des Regelbedarfs von der Beklagten erhalten müsste. Die Klägerin steht im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß des 4. Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) bei der Beklagten. Die 1980 geborene Klägerin wohnt mit ihrer Mutter in einem Haushalt. Mit Bewilligungsbescheid vom 25.03.2011 bewilligte die Beklagte vom 01.01.2011 bis 31.03.2011 zunächst 100 % des Regelbedarfes. Ab dem 01.05.2011 werde der Bedarf der Klägerin nach der Regelbedarfsstufe III (291,- Euro) bemessen. Gegen den Bescheid der Beklagten vom 25.03.2011 legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.04.2011 Widerspruch ein. Sozialhilfe habe sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu richten. Dieses bedeute, dass der Sozialhilfeträger zu prüfen habe, ob die Regelbedarfsstufe III in einem konkreten Einzelfall anzuwenden sei. Derartige Ermessensausübungen könnten nicht festgestellt werden; bei der Klägerin müsse aufgrund der Behinderung ein vielfacher Bedarf berücksichtigt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2011 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 15.04.2011 als unbegründet zurück. Zunächst sei der Klägerin unter Anwendung des Urteils des Bundessozialgerichtes vom 19.05.2009 (Az.: B 8 SO 8/08) Grundsicherungsleistungen in Höhe von 395,- Euro gewährt worden. Die Gesetzeslage habe sich ab dem 01.01.2011 durch das Gesetz zur Ermittlung von Reqelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 geändert. Der monatliche Regelbedarf sei nunmehr in Regelbedarfsstufen unterteilt, die bei Kindern und Jugendlichen altersbedingte Unterschiede und bei erwachsenen Personen deren Anzahl im Haushalt sowie die Führung eines Haushalts zu berücksichtigen. Die Anlage zu § 28 SBB XII sehe eine Regelbedarfsstufe 111 mit einem monatlichen Regelsatz in Höhe von 291:- Euro vor; dies gelte für alle erwachsenen leistungsberechtigten Personen, die weder einen eigenen, Haushalt führten noch als

Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führten. Die gesetzliche Änderung gehe der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes vor, so dass der Klägerin monatlicher Regelsatz in Höhe von 291,-? Euro gewährt werden könne. Mit Klage vom 17.08.2011 verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Der konkrete Einzelfall der Klägerin sei zu berücksichtigen. Zudem sei der Gesetzgeber seiner Verpflichtung bezüglich der Regelbedarfsstufe 111 zur Darstellung einer transparenten Begründung nicht nachgekommen. Der Gesetzgeber habe es unterlassen , einen geeigneten Haushaltstyp für die Bemessung der Regelsatzstufen zu bestimmen. Zudem lege ein Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz vor. Erwerbsfähige Menschen erhalten 100 % des Regelbedarfs, Personen, die erwerbsunfähig seien, erhalten lediglich 80 % des Regelbedarfs. Die Klägerin verweist zudem auf das Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19.05.2009, in dem festgestellt wurde, dass erwerbsunfähige Menschen" mit Behinderung, die mit ihren Eltern zusammenleben, Anspruch auf den vollen Regelsatz eines Haushaltsvorstandes hätte. Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2011 zu verurteilen, der Klägerin Leistungen in Höhe der Regelsatzstufe I zu erbringen: Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen: Sie verweist auf ihr Vorbringen in dem Widerspruchsbescheid. Die Beklagte habe bei der Anwendung des § 27 a SGB XII keinen Ermessensspielraum. Der Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes vom 19.05.2009 gehe fehl, da diese Rechtsprechung vor der nunmehr umgesetzten Gesetzesänderung erfolgte. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und dem sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte, die das Gericht beigezogen hat, Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht In ihren Rechten verletzt: Die Bescheide sind rechtsfehlerfrei ergangen. Die Beklagte hat zu Recht ab dem 01.05.2011fOr die Klägerin die Regelbedarfsstufe III zugrundegelegt. Die Zugrundelegung der Regelbedarfsstufe I steht der Klägerin unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt zu. Die Kammer bezieht sich insoweit vollinhaltlich auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 22.07.2011 (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Ergänzend weist das Gericht nochmals darauf hin, dass die ehemalige Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (Urteil vom 19.05.2009) durch die Gesetzesänderung vom 24.03.2011 überholt ist. In dem Urteil des Bundessozialgerichtes vom 19.05.2009 wurde dargelegt, dass es für die Ungleichbehandlung von Empfängern von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und den Leistungsempfängern des SGB XII keine rechtliche Grundlage gebe. Entsprechend stellte das Bundessozialgericht beide Gruppen von Leistungsempfängern mit seinem Urteil gleich. Mit Einführung des Gesetzes zur Ermittlung des Regelbedarfes nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuches wurde jedoch nunmehr durch den Gesetzgeber eine abweichende Regelung getroffen. Diese Regelungen hat die Beklagte mit den angegriffenen Bescheiden korrekt umgesetzt. Dies gilt auch, soweit das Bundessozialgericht am 09.06.2011 in weiteren Entscheidungen erklärt hat, dass es an seiner Rechtsprechunq für zurückliegende Zeiträume festhalte. Soweit das Bundessozialgericht in den Entscheidungen offen gelassen hat, ob diese Rechtsprechung auch Bestand haben werde, nachdem das Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz in Kraft getreten ist, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Das Gericht sieht zudem keine Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes. Wie sich aus der Begründung des, Regelbedarfsgesetzes (Drucksache Bundestag 17/3404, Seite 42 ff.) ergibt, hat sich der Gesetzgeber sehr genau an die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes vom 09.02.2010 gehalten. Einzelne Punkte der Ermittlung des neuen Regelbedarfs werden politisch unterschiedlich bewertet, etwa die Abgrenzung der unteren Einkommensschicht nach § 4 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz, die festlegt, welche Referenzhaushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) für die Berechnung der Bedarfe herangezogen werden, Dies darf aber nicht mit der Frage verwechselt werden, ob die getroffene Regelung verfassungswidrig ist. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Wahl der Referenzgruppe auf sachgerechten Erwägungen beruhen muss, Eine sachfremde Festlegung der Referenzgruppe kann das Gericht vorliegend nicht erkennen (s. hierzu auch Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichtes vom 27.05.2011, Az.: L 7 AS 342/11 B PKH). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, Die Streitsache wirft eine bisher gerichtlich nicht geklärte Rechtsfrage auf. Die Klärung liegt auch im allgemeinen Interesse und ist für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung; sie ist klärungsbedürftig und auch klärungsfähig. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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