OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.12.2001 - 20 B 1199/01.AK
Fundstelle
openJur 2011, 15744
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert beträgt 30.000,- DM.

Gründe

Der Antrag mit dem Begehren,

die aufschiebende Wirkung der Klage 20 D 90/01.AK gegen den Planfeststellungsbeschluss und den Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Januar 1996 anzuordnen,

hat keinen Erfolg.

Gegenstand des Antragsbegehrens sind ausweislich der Antrags- und Klageschrift vom 7. September 2001 sowohl der Planfeststellungsbeschluss als auch der Genehmigungsbescheid. Der Planfeststellungsbeschluss und die Genehmigung sind von der Antragsgegnerin in dem Schriftstück vom 11. Januar 1996 äußerlich zusammengefasst worden. Diese Zusammenfassung hebt jedoch die inhaltliche Eigenständigkeit der jeweiligen Regelung nicht auf, was in der klaren Gliederung der Urkunde vom 11. Januar 1996 in "A. Planfeststellungsbeschluss" und "B. Genehmigungsbescheid" sowie in den jeweils zugehörigen Entscheidungen und Begründungen auch unmissverständlich zum Ausdruck gelangt. Die Antragsteller haben das, wenngleich sie sich in ihren rechtlichen Ausführungen zu einer Verletzung ihrer Rechte nur mit den Anforderungen an einen Planfeststellungsbeschluss auseinandersetzen, ihrem Antrag zufolge nicht verkannt.

Im Hinblick auf die Genehmigung nach § 9 PBefG geht das einstweilige Rechtsschutzbegehren fehl, weil die Genehmigung weder kraft Gesetzes sofort vollziehbar noch ihre sofortige Vollziehung angeordnet worden ist (§ 80 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO). Zudem fehlt den Antragstellern die erforderliche Antragsbefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung). Die Antragsteller können nicht geltend machen, gerade durch die Genehmigung in ihren Rechten verletzt zu sein. Die Genehmigung ist eine eigenständige, schwerpunktmäßig auf die Wahrung öffentlicher Verkehrsbelange zielende Regelung, die den Gegenstand des Unternehmens festlegt, zu dessen Realisierung dann ein Planfeststellungsverfahren durchzuführen ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. September 1997 - 20 B 713/95.AK -, UPR 1998, 196.

Diesem Zusammenhang trägt das - vorliegend erfüllte - Erfordernis des § 28 Abs. 4 Satz 1 PBefG Rechnung, wonach eine Genehmigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 PBefG nur vorbehaltlich einer nach § 28 Abs. 1 - 3 PBefG erforderlichen Planfeststellung, einer Plangenehmigung oder einer Zustimmung nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 PBefG ergehen darf. Auf den rechtlich geschützten Lebensbereich eines von dem Vorhaben betroffenen Anliegers wirkt sich erst und allein der Planfeststellungsbeschluss (§ 75 Abs. 1 VwVfG) oder eine sonstige Entscheidung nach § 28 Abs. 1 - 3 PBefG aus. Das erschließt sich aus den in § 13 Abs. 1 - 2 a PBefG geregelten Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung, die eine Berücksichtigung individueller privater Belange betroffener Anlieger nicht erkennen lassen, einerseits sowie den Kriterien für die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses nach § 28 Abs. 1 Satz 2 PBefG, denen der von den Antragstellern gerügte Mangel unzureichender Abwägung ihrer Interessen zuzuordnen ist, andererseits.

Im Hinblick auf den Planfeststellungsbeschluss kann auf sich beruhen, ob dieser den Antragstellern gegenüber mit dem Ende der Auslegungsfrist am 8. März 1996 als zugestellt gilt (§ 74 Abs. 4 Sätze 2 und 3 VwVfG) und sie deshalb den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes fristgerecht innerhalb eines Monats nach dieser Zustellung hätten anbringen und begründen müssen (§ 29 Abs. 6 Satz 3 PBefG).

Jedenfalls fällt die nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller aus. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das dem durch § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 29 Abs. 6 Satz 2 PBefG geregelten Entfallen der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage zugrundeliegt, überwiegt gegenüber dem Interesse der Antragsteller zu verhindern, dass der Planfeststellungsbeschluss vor einer abschließenden Entscheidung über ihre Klage ausgenutzt wird. Die Klage wird nach derzeitigem Sach- und Streitstand voraussichtlich nicht zur Aufhebung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses führen. Das gegen die Rechtmäßigkeit des Planfeststellungsbeschlusses gerichtete Vorbringen der Antragsteller, aus dem sie eine Verletzung ihrer Rechte ableiten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist auch dann, wenn die Klage nicht wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig sein sollte, der inhaltlichen Prüfung durch den Senat entzogen. Die Antragsteller sind mit den geltend gemachten Einwendungen ausgeschlossen; sie können deswegen mit den von ihnen gesehenen Abwägungsmängeln nicht durchdringen.

Beim planfeststellungsbedürftigen Bau von Betriebsanlagen für Straßenbahnen (§§ 4 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 PBefG) schließt § 29 Abs. 4 Satz 1 PBefG in der seit dem Planungsvereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1993, BGBl. I S. 2123, geltenden Fassung Einwendungen gegen den Plan aus, die nach Ablauf der im Planfeststellungsverfahren zu beachtenden Einwendungsfrist erhoben werden. Der Einwendungsausschluss gilt nicht nur für das Planfeststellungsverfahren, sondern erstreckt sich auch auf das nachfolgende gerichtliche Verfahren. Es handelt sich um eine materielle Präklusion. Ein von einem planfestzustellenden Vorhaben Betroffener, der sich die Möglichkeit offen halten will, seine der Planung zuwider laufenden Belange gegebenenfalls im Wege der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses zu wahren, ist deshalb gehalten, sich im Rahmen des Anhörungsverfahrens fristgerecht mit Einwendungen, d. h. mit hinreichend konkretisiertem, sachlichem Gegenvorbringen, zu beteiligen. Anderenfalls ist es ihm verwehrt, den Planfeststellungsbeschluss im Klagewege unter Berufung auf ein aus seinen Belangen abgeleitetes Abwehrrecht anzugreifen.

So ist es hier. Die Antragsteller, die in D. wohnen bzw. dort ihren Geschäftssitz haben, haben im Planfeststellungsverfahren keine Einwendungen erhoben. Der Plan für das Vorhaben lag aber nach vorheriger Bekanntmachung im Amtsblatt der Stadt D. und in den örtlichen Tageszeitungen in der Zeit vom 10. Mai 1995 bis zum 12. Juni 1995 ordnungsgemäß bei der Stadt D. zur Einsicht aus (§ 29 Abs. 1 a Satz 2 PBefG, § 73 Abs. 3 und 5 VwVfG NRW). Die Bekanntmachung enthielt neben sonstigen Angaben (§ 73 Abs. 5 VwVfG NRW) den erforderlichen Hinweis auf die Frist für die Erhebung von Einwendungen und auf den Einwendungsausschluss nach Fristablauf (§ 29 Abs. 4 Satz 2 PBefG). Sie genügte mit der Bezeichnung des Vorhabens auch der von ihr zu erfüllenden Anstoßfunktion. Die Öffentlichkeit wurde in hinreichend konkretisierten Umrissen über Art und räumliche Lage der geplanten Maßnahmen informiert. Die Überschrift der Bekanntmachung charakterisiert das Vorhaben als zweigleisigen Ausbau der Straßenbahn in der S. straße im Abschnitt zwischen den Haltestellen K. straße und O. Schleife und enthält den zusätzlichen Hinweis, dass vom Oberstadtdirektor D. vorgesehene Straßenbaumaßnahmen nicht Gegenstand des Planfeststellungsverfahrens sind. Aus dieser Beschreibung war für jeden Leser ohne weiteres zu erkennen, dass die genannte Straßenbahnstrecke zweigleisig ausgebaut, mithin einer baulichen Veränderung in Gestalt des Zubaus eines zweiten Gleises, unterzogen werden sollte. Die gegebenen Informationen reichten aus, um mögliche Betroffene auf das Vorhaben aufmerksam zu machen und sie zu veranlassen, die ausgelegten Unterlagen einzusehen und sich hierdurch über ihre tatsächliche Betroffenheit zu vergewissern. Für potentielle Betroffene, insbesondere die Eigentümer und Nutzer von Grundstücken an der S. straße, konnte und musste klar sein, dass aus Anlass des Ausbaus vorhandene Einrichtungen wie etwa Haltestellen in einen anderen Zustand versetzt werden und - zumal auf zusätzliche Straßenbaumaßnahmen hingewiesen wurde - Auswirkungen auf das Verkehrsgeschehen auf den betroffenen Straßen zur Folge haben könnten. Dementsprechend bedurfte es in der Bekanntmachung keiner Beschreibung etwa der konkreten Lage und Ausgestaltung von Haltestellen. Die Antragsteller stellen den genügenden Informationsgehalt der Bekanntmachung auch nicht in Abrede.

Die Auffassung der Antragsteller, mit der öffentlichen Bekanntmachung der Auslegung könne es trotzdem nicht sein Bewenden haben, weil die Antragsgegnerin zur Abwägung verpflichtet und insoweit gehalten gewesen sei, den Sachverhalt unter ihrer - der Antragsteller - gesonderten Hinzuziehung aufzuklären, ergibt keinen dem Einwendungsausschluss entgegenstehenden Verfahrensmangel. Die materiellen Anforderungen an einen Planfeststellungsbeschluss, vor allem an die rechtsfehlerfreie Bewältigung der mit dem Vorhaben hinsichtlich privater Belange verbundenen Konflikte, führen nicht dazu, dass eine Planfeststellungsbehörde über § 73 Abs. 5 VwVfG/VwVfG NRW hinausgehend ortsansässige Betroffene zusätzlich zur öffentlichen Bekanntmachung noch individuell von dem Vorhaben in Kenntnis setzen müsste. Allein und gerade die ortsübliche Bekanntmachung ist dazu bestimmt, die Ortsansässigen, deren Belange abwägungserheblich sind oder doch sein können, auf das Vorhaben aufmerksam zu machen. § 73 Abs. 5 VwVfG/VwVfG NRW beruht auf der Wertung des Gesetzgebers, dass das Informationsbedürfnis ortsansässiger Betroffener durch ortsübliche Verlautbarungen, vor allem mittels öffentlicher Medien - Bekanntmachungsblätter, Tagespresse - in zureichendem Maße befriedigt wird. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass planfeststellungspflichtige Vorhaben im Allgemeinen oder doch zumindest vielfach die Interessen eines nicht annähernd exakt abschätzbaren, großen Kreises potentieller Betroffener berühren. Öffentliche Bekanntmachungen sind auch in anderen Regelungsbereichen - u. a. in § 3 Abs. 2 BauGB - das seit langem anerkannte und unverzichtbare Mittel für staatliche Stellen, die Allgemeinheit über anstehende Planungen oder Maßnahmen zu unterrichten. Das verlangt potentiell Betroffenen notwendigerweise ein gewisses Maß an Eigenverantwortlichkeit und Interesse bereits bei der Beachtung öffentlicher Bekanntmachungen ab; die Bereitschaft und Fähigkeit der Bürger, amtliche Bekanntmachungen in den einschlägigen Bekanntmachungsorganen zu verfolgen, wird als unumgänglich und zumutbar vorausgesetzt. Ein von den Antragstellern erstrebter Dialog mit der Planfeststellungsbehörde nach vorangegangener konkreter Kontaktaufnahme seitens der Behörde wäre mit dem auf Vereinfachung ausgerichteten Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligung in der in § 73 Abs. 5 VwVfG/VwVfG NRW bestimmten Form nicht vereinbar.

Dementsprechend ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Einwendungsfrist für ortsansässige Betroffene durch die ordnungsgemäß bewirkte öffentliche Bekanntmachung und die dann folgende Auslegung der Planunterlagen ausgelöst wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 1999 - 1 BvR 1746/97 -, NVwZ 2000, 546; BVerwG, Urteil vom 23. April 1997 - 11 A 7.97 -, NVwZ 1998, 848; Urteil vom 24. Mai 1996 - 4 A 38.95 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119; Urteil vom 16. August 1995 - 11 A 2.95 -, Buchholz 407.3 § 3 VerkPBG Nr. 1; OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 1999 - 20 B 1848/98.AK -.

Das Vorbringen der Antragsteller beruht auf einer Verkennung ihrer Mitwirkungslast. Das Schweigen eines potentiell Betroffenen - auch soweit seine Belange ersichtlich durch ein planfestzustellendes Vorhaben berührt werden - löst nicht eine Pflicht der Behörde zu Ermittlungen aus, sondern ist im Gegenteil grundsätzlich geeignet, die Ermittlungs- und Berücksichtigungspflicht der Behörde zu begrenzen;

vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 - 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96 (103); Beschluss vom 7. Dezember 1988 - 7 B 98.88 -, NVwZ-RR 1989, 241;

das Schweigen ist ferner der in der Person des potentiell Betroffenen liegende Anknüpfungspunkt für den in der materiellen Präklusion zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken der Verwirkung.

Anhaltspunkte dafür, dass den Antragstellern Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einwendungsfrist zu gewähren wäre (§ 32 VwVfG), liegen nicht vor. Ein der Einhaltung der Einwendungsfrist entgegenstehendes, unverschuldetes Hindernis ist nicht dargetan worden und nicht ersichtlich.

Die nach der öffentlichen Auslegung der Planunterlagen im Wege der Einbringung des Deckblatts zum Lageplan 4129/2/003 vorgenommene Planänderung wirkt sich auf den Einwendungsausschluss der Antragsteller nicht aus (§ 73 Abs. 8 Satz 1 VwVfG NRW). Das Deckblatt bezieht sich auf den Ausbauabschnitt an der Haltestelle K. straße, deren Ausgestaltung in einigen wenigen Punkten modifiziert wird, und hat keinen Einfluss auf den Ausbau im Bereich der Haltestelle K. straße (Lageplan 4129/2/006), gegen den sich die Antragsteller wegen der verschlechterten Zu- und Abfahrtsmöglichkeiten zu und von ihrem Grundstück wenden.

Umstände, die es rechtfertigen könnten, dem Aussetzungsbegehren trotz der absehbaren Erfolglosigkeit der Klage der Antragsteller stattzugeben, gibt es nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.

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