OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.02.2001 - 20 A 3635/98
Fundstelle
openJur 2011, 15735
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin verlegt seit 1991 den Roman "American Psycho" des

amerikanischen Autors Bret Easton Ellis in deutscher

Óbersetzung. Das Buch schildert etwa ein Jahr aus dem Leben

des fiktiven 26-jährigen New Yorker Börsenmaklers und

Serienmörders Patrick Bateman, der tagsüber als angepasstes

Mitglied der wohlhabenden und extrem auf Äußerlichkeiten

bedachten Gesellschaft vorwiegend im Börsen- und Bankwesen

tätiger Personen lebt, nachts aber von einer Obsession des

maximal grausamen Folterns und Mordens zufällig ausgesuchter

Personen getrieben wird. Auf 537 Textseiten finden sich in 60

Kapiteln ausführliche Darstellungen des gesellschaftlichen

Lebens der handelnden Personen, aber auch eingehende

Schilderungen der sexuellen Aktivitäten der Hauptfigur sowie

seiner bestialischen Misshandlungen und Morde an Freunden und

Bekannten, Bettlern, Kindern und vor allem Frauen. Die Morde

werden teils erwähnt oder detailarm berichtet, häufiger aber

auch bis in die grausigste Einzelheit des Einsatzes von

Tränengas, Stromstößen, Elektrobohrern, Nagelpistolen und

anderen Werkzeugen beschrieben. Die Hardcover-Ausgabe des

Romans kostete 48,-- DM, die Taschenbuch-Ausgabe, die

Gegenstand des Verfahrens OVG NRW 20 A 3636/98 ist, kostete

24,80 DM.

Auf mehrere Anträge von Jugendämtern und des baden-

württembergischen Familienministeriums, den Roman in die Liste

der jugendgefährdenden Schriften aufzunehmen, gab die

Bundesprüfstelle Gutachten zum Kunstgehalt und zur

jugendgefährdenden Wirkung des Romans in Auftrag. In einem

literaturwissenschaftlichen Gutachten gelangte Professor

M. zu dem Ergebnis, das Buch stehe unter dem

Kunstvorbehalt des Grundgesetzes. Professor K. erstattete

ein erziehungswissenschaftlichjugendkundliches Gutachten, in

dem er empfahl, dem Antrag auf Indizierung nicht zu folgen.

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften setzte

einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. Januar 1995

an und benachrichtigte die Klägerin hiervon mit Schreiben vom

15. November 1994. Der Mitteilung fügte sie Kopien der

Indizierungsanträge, des Gutachtens von Professor M.

und die Besetzungsliste für Januar 1995 bei. Der zu dem Termin

geladene Beisitzer W. sagte mit Schreiben vom

23. November 1994 seine Teilnahme an der Sitzung ab und bat

darum, die Sitzung mit seinem Vertreter durchzuführen.

Daraufhin lud die Bundesprüfstelle Frau G. als

Vertreterin, die demgemäß an der Verhandlung über das

streitgegenständliche Buch, bei der die Klägerin nicht

vertreten war, mitwirkte.

Mit Entscheidung Nr. 4454 vom 5. Januar 1995 nahm die

Bundesprüfstelle die Hardcover-Ausgabe des Buches in die Liste

der jugendgefährdenden Schriften auf; die Entscheidung wurde

im Bundesanzeiger vom 31. Januar 1995 bekannt gemacht. Wegen

der Gründe wird auf die begründete Fassung dieser Entscheidung

Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 28. Februar 1995 Klage erhoben und

gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden

Wirkung gestellt (VG Köln 17 L 776/95). Dieser Antrag wurde im

Beschwerdeverfahren vor dem erkennenden Senat 20 B 2250/95 mit

Beschluss vom 12. Juni 1996 unter Änderung der

erstinstanzlichen Stattgabe abgelehnt.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht,

die Indizierung sei formell und materiell rechtswidrig. Die

Bundesprüfstelle habe das rechtliche Gehör verletzt, weil

ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung das Gutachten K.

nicht beigefügt gewesen sei. Das Zwölfergremium sei nicht

ordnungsgemäß besetzt gewesen, denn der eigentlich zur

Mitwirkung berufene Beisitzer habe seine Teilnahme an der

Sitzung ohne zureichenden Grund abgesagt. Die

Indizierungsentscheidung sei auch inhaltlich nicht haltbar. Es

sei nicht zulässig, den Kunstwert des Buches allein über

diejenigen Stellen zu definieren, in denen die perversen

Neigungen des Protagonisten geschildert würden, hingegen

diejenigenKapitel zu vernachlässigen, in denen dessen Verlust

von Individualität und Identität dargestellt werde. Die

eingeholten Gutachten seien fehlerhaft ausgewertet worden. Das

von der Bundesprüfstelle unternommene "Weiterdenken" einzelner

Gedankengänge sei in den Gutachten nicht angelegt. Auch fehle

eine Auseinandersetzung damit, dass beide Gutachter zu dem

Ergebnis gekommen seien, das Werk sei eher nicht zu

indizieren.

Die Klägerin hat beantragt,

die Indizierungsentscheidung der

Bundesprüfstelle für jugendgefährdende

Schriften Nr. 4454 vom 5. Januar 1995

aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Tatsachenfeststellung der

Bundesprüfstelle sei zutreffend. Deshalb sei es für die

Rechtmäßigkeit der Entscheidung ohne Bedeutung gewesen, dass

das Gutachten K. irrtümlich nicht mit der Ladung übersandt

worden sei. Im Óbrigen habe die Bundesprüfstelle die

Jugendgefährdung eines Werkes aus eigener Sachkunde

festzustellen, und es sei ihr unbenommen, dabei aufgrund

eigenen Sachverstandes von wissenschaftlichen Gutachten

abzuweichen. Außerdem habe das Gutachten K. ausschließlich

der Klägerin günstige Ausführungen enthalten und somit die

fehlende Einlassung der Klägerin gewissermaßen ersetzt; es sei

im Óbrigen nicht dargetan, was die Klägerin in Kenntnis des

Gutachtens anders oder zusätzlich vorgetragen hätte. Das

Zwölfergremium der Bundesprüfstelle sei ordnungsgemäß besetzt

gewesen. Es sei nicht zu beanstanden, dass dem Wunsch des

Beisitzers W. , seine Vertreterin zu laden, entsprochen

worden sei. Der Bundesprüfstelle fehlten Befugnisse oder gar

Zwangsmittel, einen Beisitzer zur Angabe von

Verhinderungsgründen oder zur Vorlage von Nachweisen

anzuhalten oder gegebenenfalls ein Erscheinen zu erzwingen. In

der Sache habe das Zwölfergremium vorrangig auf die in der

Entscheidung hervorgehobenen, als extrem jugendgefährdend

eingeschätzten Stellen abstellen dürfen, weil die gänzlich

uninteressanten Passagen des Buches dazu verleiteten, diese zu

überspringen, um die "interessanteren" Stellen aufzufinden.

Dies werde auch in den von der Klägerin selbst vorgelegten

Rezensionen deutlich.

Durch das angefochtene Urteil, auf das Bezug genommen wird,

hat das Verwaltungsgericht der Klage wegen formeller und

materieller Fehler der Indizierungsentscheidung stattgegeben.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Senat

zugelassene Berufung, mit der die Beklagte geltend macht: Das

Verwaltungsgericht habe die Indizierungsentscheidung zu

Unrecht aus formellen Gründen für rechtswidrig gehalten, wie

sich aus den zutreffenden Gründen des Senatsbeschlusses vom

12. Juni 1996 ergebe. Soweit das Verwaltungsgericht eine

Abwägung zwischen den jugendgefährdenden Stellen und dem

Gesamteindruck des Buches vermisst habe, sei zwar richtig,

dass jugendgefährdende Darstellungen in einem Buch im

Einzelfall durch den künstlerischen Wert des Gesamtwerkes

überlagert sein könnten. Solche Fälle seien aber selten; in

der Regel seien die zu beanstandenden Partien Mittelpunkt des

jeweiligen Buches, die verbindenden Texte würden beim Lesen

übersprungen. Die Bundesprüfstelle habe das Buch daraufhin

durchgesehen und festgestellt, dass das Buch in den Passagen

zwischen den jugendgefährdenden Ausführungen seitenweise

Langeweile verbreite und zur Stellenlektüre geradezu verführe.

Damit sei klargestellt, dass diese Stellen oder Abschnitte im

Mittelpunkt stünden und nicht überlagert würden. Bei den

"Stellen" handele es sich auch nicht um nur wenige Zeilen,

sondern um breite, mehrseitige Darstellungen. Angesichts der

bis ins abscheulichste Detail reichenden Schilderungen einer

Vielzahl häufig pornographisch eingekleideter Mordtaten seien

zusätzliche Ausführungen unter dem Gesichtspunkt der

Sachangemessenheit nicht notwendig gewesen. Gerade das

indizierte Buch sei typisch für Schriften, vor denen die

Jugend geschützt werden müsse. Der These des

Verwaltungsgerichts, es komme darauf an, ob die beanstandeten

Teile integrative, notwendige Bestandteile der Erzählung seien

oder aufgesetztes, für den Roman verzichtbares Beiwerk, sei

nicht zu folgen. Diese Unterscheidung ändere an der

Jugendgefährdung nichts; sie beziehe sich auf die Lektüre

durch Literaturkritiker und nicht auf die bei der Beurteilung

der Jugendgefährdung zugrunde zu legende Lektüre durch Kinder

und Jugendliche.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihr

erstinstanzliches Vorbringen: Es sei daran festzuhalten, dass

die angefochtene Entscheidung der Bundesprüfstelle aus den vom

Verwaltungsgericht genannten Gründen formell rechtswidrig sei.

Wenn sich eine Behörde entschließe, vor der mündlichen

Verhandlung Materialien zu übersenden, so müssten diese

jedenfalls vollständig sein, weil die Zusendung den Anschein

der Vollständigkeit erwecke. Die Entscheidung des Beisitzers

W. , nicht an der Sitzung teilzunehmen, sei erkennbar

willkürlich gewesen und habe nicht akzeptiert werden dürfen.

Schließlich sei nach wie vor fraglich, ob die ersatzweise

geladene Beisitzerin G. das indizierte Buch und die

beiden Gutachten vor der Entscheidung gekannt habe. In

materiellrechtlicher Hinsicht erscheine problematisch, ob die

Indizierung eines Romans aufgrund möglicherweise

jugendgefährdender Abschnitte erfolgen könne. Die

Indizierungsentscheidung lasse die dort selbst verlangte

Gesamtwürdigung vermissen, in der die fraglichen Stellen in

Beziehung zum gesamten übrigen Werk gesetzt, insbesondere ihr

Verhältnis und ihre Notwendigkeit in Bezug auf Konzeption,

Komposition und Aussage des Werkes erörtert würden. Die These,

dass das Buch in den Zwischenstücken seitenweise Langeweile

verbreite und so zur Stellenlektüre verführe, sei apodiktisch

und in keiner Weise nachvollziehbar. Ebenso gut lasse sich die

These vertreten, dass die - zugegebenermaßen bewusst -

Langeweile verbreitenden Passagen des Werkes dazu führten,

dass das Werk überhaupt aus der Hand gelegt werde. Ein

Springen von Stelle zu Stelle sei in dem Werk nicht angelegt,

nach seiner Anlage vielmehr nicht zu erwarten. Die von der

Bundesprüfstelle getroffene Abwägung sei mangelhaft. Die

Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der so genannten

Mutzenbacher-Entscheidung seien nicht beachtet worden. Die

Gutachten seien nicht oder fehlerhaft ausgewertet worden. So

setze sich die Entscheidung nicht damit auseinander, dass im

Gutachten M. dargelegt werde, welche literarisch-

künstlerische Komposition des Romans erkennbar sei und wie die

Sex- und Gewaltszenen in das Gesamtkonzept des Romans

eingebettet seien. Zwar sei die Bundesprüfstelle aufgrund

ihrer Zusammensetzung sachverständig; jedoch setze sich die

Bundesprüfstelle in Widerspruch zu den nicht minder

sachverständigen Aussagen der Gutachter M. und K. .

Einander widersprechende sachverständige Einschätzungen

erforderten aber eine intensive Auseinandersetzung, die jedoch

fehle. Soweit die Bundesprüfstelle die Feststellungen des

Gutachters M. "weiterdenke", unterstelle sie dem Roman

einen didaktischappellativen Charakter und komme somit zu

einem Ergebnis, das in Widerspruch zu den Erkenntnissen des

Gutachtens stehe. Grundlagen oder Anlass des Weiterdenkens

blieben dunkel. Ähnlich verfahre die Bundesprüfstelle mit dem

Gutachten K. . Die Aspekte, die der Gutachter anführe und

die gegen die Indizierung sprächen, würden von der Beklagten

nicht aufgegriffen. Die Aspekte des Gutachters würden vielmehr

in logisch nicht nachvollziehbarer Weise zur Begründung der

Indizierung herangezogen. So stelle die Bundesprüfstelle etwa

das Gedankenspiel an, dass hinsichtlich der Jugendgefährdung

dann Bedenken angemeldet werden müssten, wenn das Werk

preiswerter und von geringerem Umfang wäre. Dies treffe auf

die indizierte Ausgabe aber gerade nicht zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes

wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden

Verfahrens und des Verfahrens VG Köln 17 L 776/95 (OVG NRW

20 B 2250/95), der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des

von der Klägerin zu den Akten gereichten Buches Bezug

genommen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Die angefochtene Indizierungsentscheidung ist rechtswidrig und

verletzt die Klägerin in ihren Rechten; sie ist daher vom

Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden (§ 113 Abs. 1

Satz 1 VwGO).

Allerdings liegen die vom Verwaltungsgericht gesehenen Mängel

des Indizierungsverfahrens nicht vor. Zur Begründung nimmt der

Senat Bezug auf seinen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren

ergangenen Beschluss vom 12. Juni 1996. Anlass zu weiterer

Vertiefung der dort getroffenen Würdigung bietet weder das

angefochtene Urteil noch das Vorbringen der Klägerin im

Berufungsverfahren. Da die Klage aus anderen Gründen Erfolg

hat, bedarf auch keiner Erörterung, welche Anforderungen an

die Vorbereitung der an einer Indizierungsentscheidung

mitwirkenden Beisitzer der Bundesprüfstelle zu stellen sind

und ob diese Anforderungen hier hinsichtlich der Beisitzerin

G. erfüllt sind.

Die angefochtene Entscheidung der Bundesprüfstelle ist

materiell rechtswidrig. Die Bundesprüfstelle hat es bei ihrer

Entscheidung unterlassen, die durch die vorliegend indizierte

Schrift konkret beförderten Belange der Kunstfreiheit

hinreichend zu würdigen und mit dem ihnen zukommenden Rang in

die ihr aufgegebene Abwägung zwischen Kunstfreiheit und

Jugendschutz einzubringen, wie dies eine Listenaufnahme nach

§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Verbreitung

jugendgefährdender Schriften (GjS) voraussetzt.

Nach gefestigter Rechtsprechung darf eine Schrift, die - wie

der indizierte Roman - als Kunstwerk dem Schutz des Art. 5

Abs. 3 Satz 1 GG unterfällt, stets nur auf der Grundlage einer

einzelfallbezogenen Abwägung der Belange des Jugendschutzes

mit den Belangen der Kunstfreiheit indiziert werden, und zwar

gleichgültig, ob es sich um eine Schrift handelt, die

offensichtlich geeignet ist, Kinder oder Jugendliche sittlich

schwer zu gefährden, oder ob sie als "schlicht"

jugendgefährdend i.S. des § 1 Abs. 1 GjS einzustufen ist, was

die Bundesprüfstelle für den in Rede stehenden Roman

angenommen hat. Gerät die Kunstfreiheit mit einem anderen

Verfassungsrechtsgut in Widerstreit, so müssen beide im

Einzelfall mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen

Ausgleich gebracht werden. Darüber, was bei der Herstellung

einer solchen praktischen Konkordanz auf Seiten der

Kunstfreiheit und auf Seiten des Jugendschutzes jeweils in die

Waagschale fällt, muss sich die Bundesprüfstelle - und müssen

sich im Streitfall die Fachgerichte - im Rahmen des

verfahrensmäßig Möglichen Gewissheit verschaffen. Dabei

stellen die Bewertung der Bundesprüfstelle, ob und mit welchem

Gewicht die Kunstfreiheit betroffen ist, sowie ihre

Einschätzung und Gewichtung des schädigenden Einflusses der

konkreten Schrift auf Kinder und Jugendliche - der vollen

gerichtlichen Kontrolle unterliegende - sachverständige

Aussagen dar. Hingegen verbleibt der Bundesprüfstelle bei der

eigentlichen Abwägungsentscheidung, durch die die

widerstreitenden Belange in einen verhältnismäßigen Ausgleich

gebracht werden, ein gerichtlich nur eingeschränkt

überprüfbarer Entscheidungsvorrang. Das Gericht hat insoweit

lediglich zu kontrollieren, ob die rechtlichen Vorgaben,

welche die Bundesprüfstelle dabei zu beachten hat, eingehalten

sind; es darf seine Auffassung nicht an die Stelle der

Einschätzung des Gremiums der Bundesprüfstelle setzen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November

1992 - 7 C 20.92 -, Buchholz 436.52 § 1

GjS Nr. 18 (S. 42-44) in Umsetzung von

BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990

- 1 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130 (143

ff.); ferner BVerwG, Urteil vom

28. August 1996 - 6 C 15.94 -, Buchholz

436.52 § 1 GjS Nr. 20 (S. 2 f.).

Im vorliegenden Fall ist die in der Indizierungsentscheidung

ausdrücklich getroffene Feststellung, der Roman "American

Psycho" sei ein Kunstwerk, nicht zweifelhaft und auch zwischen

den Parteien nicht streitig. Der Roman weist nach allen in der

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten

Ansätzen,

vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Mai 1996

- 20 A 298/94 -, UA S. 13 m.w.N.,

Merkmale auf, die ihn eindeutig dem Schutzbereich des Art. 5

Abs. 3 Satz 1 GG zuordnen: Formal entspricht er den

Gattungsanforderungen eines Werktyps, in dessen Form

anerkanntermaßen in der Vergangenheit Kunstwerke geschaffen

worden sind. Er ist insoweit das Ergebnis freier

schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen bzw.

Recherchen und Phantasien des Autors in der literarischen Form

des Romans zum Ausdruck kommen. Das Werk weist aber auch - was

unten näher darzulegen ist - die der Kunst eigenen

Strukturmerkmale auf und lässt Interpretationen zu, die auf

eine genau kalkulierte künstlerische Absicht der Aussagen

schließen lassen. Davon ist die Bundesprüfstelle in ihrer

Indizierungsentscheidung unter Hinweis auf Erläuterungen der

Klägerin im Indizierungsverfahren, verschiedene

Literaturkritiken und das Gutachten M. jedenfalls im

Ergebnis zutreffend ausgegangen.

Fehlerhaft war es hingegen, dass die Bundesprüfstelle es bei

einer bloßen Zuordnung des Romans zum Schutzbereich der

Kunstfreiheit hat bewenden lassen und damit eine werkgerechte

Interpretation unterlassen hat. Denn für die Herstellung

praktischer Konkordanz im Verhältnis widerstreitender

verfassungsgeschützter Rechtsgüter, bei der Schutzauftrag und

Freiheitsrecht gegeneinander wirken und sich gegenseitig

beeinflussen, ist es unabdingbar, auf beiden Seiten die für

die Abwägung wesentlichen Gesichtspunkte konkret zu ermitteln,

namhaft zu machen und auf dieser Grundlage gewichtend

gegenüberzustellen. Dementsprechend hat die Bundesprüfstelle

nicht nur festzustellen, ob der Schutzbereich der

Kunstfreiheit betroffen ist, sondern sie hat weiter

aufzuklären, wie dieser Belang im Einzelnen zu gewichten ist.

Das Unterlassen einer hinreichend differenzierten Betrachtung

der durch eine indizierte Schrift beförderten Belange der

Kunstfreiheit hat zwangsläufig ein Abwägungsdefizit und damit

die Rechtswidrigkeit der Entscheidung zur Folge. Denn die in

ihrem Durchsetzungsanspruch betroffenen und bedrohten

Rechtsgüter werden zu Lasten der Kunstfreiheit nicht

optimiert, wenn - wie geschehen - allein der widerstreitende

Belang (der Jugendschutz) betrachtet und die Lösung des

Konflikts ausschließlich von der Schwere abhängig gemacht

wird, mit der dieser durch das Kunstwerk beeinträchtigt werden

kann.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November

1990, a.a.O. S. 146 f.; Kammerbeschluss

vom 3. November 2000 - 1 BvR 581/00 -,

NJW 2001, 596; BVerwG, Urteil vom

28. August 1996, a.a.O. (Ls. 2).

Selbst wenn es als zulässig angesehen werden könnte, eine

indizierte Schrift mit einem ihr lediglich unterstellten hohen

oder höchsten Rang in die Abwägung einzustellen, wie es die

Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat

getan hat, um zu verdeutlichen, dass wegen der Schwere der

Jugendgefährdung die Kunstfreiheit vorliegend auch dann

zurücktreten müsse, wenn der Roman als "ebenso gut wie ein

Werk von Goethe" zu beurteilen sei, vermöchte das die

vorliegend angegriffene Entscheidung nicht zu tragen, da sich

dem Bescheid als Basis der Abwägung weder ein Anhaltspunkt für

eine solche Einschätzung des Romans entnehmen lässt noch dort

eine extreme Jugendgefährdung angenommen worden ist.

Ungeachtet dessen dürfte eine nur fiktive Bewertung des

Kunstwerkes aber ohnehin den weiteren Abwägungsvorgang nicht

im erforderlichen Maße steuern und daher als Abwägungselement

ungeeignet sein.

Vgl. dazu im Einzelnen schon BVerwG,

Urteil vom 28. August 1996, a.a.O.

sowie Urteil vom 18. Februar 1998 - 6 C

9.97 -, Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 21

(S. 13).

Denn die Abwägung ist kein Vorgang, in dem die

widerstreitenden Verfassungsgüter nach Zuweisung eines quasi-

nummerischen Rangplatzes auf einer Kunst- und einer

Jugendgefährdungsskala unmittelbar verglichen oder

gegeneinander "verrechnet" werden könnten. Bei richtiger

Betrachtung setzt die Abwägung voraus, dass die Elemente, die

im konkreten Fall den künstlerischen Wert ausmachen,

aufgeschlüsselt und auf diejenigen Elemente bezogen werden,

die die Jugendgefährdung begründen.

Freilich trifft es zu, dass der Umfang der Ermittlungen und

das Maß der erforderlichen Differenzierungsgenauigkeit

entsprechend den Bedingungen des Einzelfalles unterschiedlich

ausfallen dürfen. Im Allgemeinen reicht es aus, wenn die

Gewichtung so weit eingegrenzt wird, dass das im Einzelfall

gebotene Mindestmaß an Differenzierung erreicht wird, das

ausreichend und erforderlich ist, um eine dem Ergebnis

angemessene Abwägung der beiderseits in die Waagschale zu

legenden Gesichtspunkte vorzunehmen. Der Senat hat diesen

Zusammenhang mit dem vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten

Begriff der Sachangemessenheit der Prüfung gekennzeichnet.

Danach ist es unnötig, die Gewichtung der beiderseitigen

Belange weiter zu betreiben, als es zur Feststellung eines

eindeutigen Óbergewichts einer Seite geboten ist. Die

Begrenzung der Konkretisierung tritt allerdings erst und nur

dann ein, wenn ein Belang in dem Sinne stark ausgeprägt ist,

dass eine Diskrepanz zu den auf der anderen Seite betroffenen

Belangen von vornherein offenkundig ist und weitere

Ermittlungen hieran voraussehbar nichts zu ändern vermöchten.

Ein solcher Fall liegt bei dem Roman "American Psycho" aber

gerade nicht vor. Im Gegenteil handelt es sich um einen Fall,

bei dem auf Seiten der Kunstfreiheit wie auf Seiten der

Jugendgefährdung viel in die Waagschale fällt. Nähern sich die

Waagschalen aber dem Gleichgewicht, so müssen, um die

beiderseitigen Wertungen abzusichern, auch Einzelheiten

erfasst werden, die möglicherweise den Ausschlag geben können.

Daran mangelt es, und dies betrifft keineswegs nur die

Begründung der Entscheidung, sondern die in die Abwägung auf

Seiten der Kunstfreiheit eingebrachte Substanz.

Was die Eignung des Romans zur Jugendgefährdung anlangt, so

teilt der Senat, der sich auch insofern selbstständig

Gewissheit zu verschaffen hat, im Ergebnis die Einschätzung

der Bundesprüfstelle, es sei ein hohes Gefährdungspotential

gegeben (Bescheid S. 9). Allerdings erscheint es dem Senat

durchaus zweifelhaft, ob bei Lektüre der von der

Bundesprüfstelle hervorgehobenen "Stellen" allein wegen der

nüchternen Schilderung von Einzelheiten die Mitleidsfähigkeit

des Lesers nicht nur herabgesetzt, sondern ganz ausgeschaltet

wird (S. 4) und ob der Leser wegen der Schilderung der Folter-

und Mordsequenzen nach Art einer emotionsfreien, nüchternen

Berichterstattung die Gefühlskälte der Hauptfigur teilt (S.

8). Vor allem aber ist die für den Bescheid zentrale These

einer "Stellenlektüre" und das den Intentionen der Gutachten

widersprechende "Weiterdenken" einiger ihrer Aussagen Bedenken

ausgesetzt.

Insbesondere die Erwägung der Bundesprüfstelle, der Roman

verführe zu einer Stellenlektüre und sei deshalb

jugendgefährdend, überzeugt nicht. Es versteht sich von

selbst, dass sich die Jugendgefährdung - hier wie in

zahlreichen Fällen - nur aus der Lektüre bestimmter "Stellen"

ergeben kann, die das Buch in die Schlagzeilen gebracht und

derentwegen es auch kontrovers diskutiert worden ist. Es

handelt sich im Wesentlichen um zwei rein pornographische

Szenen (S. 239-248; S. 298) und, von detailarmen Bruchstücken

abgesehen, fünfzehn reine bzw. pornographisch angelegte Mord-

Schilderungen. Insgesamt machen diese Passagen, die über die

Seiten 187 bis 485 verteilt sind, nur etwa 49 von 537

Textseiten, also etwa 10 % des Romans aus. Welche

Besonderheiten sich aus einer "stellenfixierten Lektüre" für

die Jugendgefährdung über den genannten, selbstverständlichen

Umstand hinaus ergeben sollen, ist nicht ersichtlich. Eine

Relativierung der jugendgefährdenden Wirkung bei fortlaufender

Lektüre des Romans ist nicht anzunehmen. Zwar setzt die

Erkenntnis, wie die fraglichen Stellen in die künstlerische

Anlage des Romans eingebunden sind, eine solche Lektüre

voraus; Kinder und Jugendliche dürften die künstlerischen

Aussagen des Romans aber auch dann in der Regel nicht erfassen

können. Deshalb hat keine ausschlaggebende Bedeutung, dass die

fraglichen Stellen nicht ohne weiteres, nämlich in der Regel

nur dann aufzufinden sind, wenn ein größerer Teil der

Zwischentexte mitgelesen wird. Denn es ist kaum zweifelhaft,

dass sich die Wirkungen der Passagen auf Kinder und

Jugendliche bei fortlaufender oder bei Stellenlektüre nicht

erheblich unterscheiden werden. Dass die zu schützende

Personengruppe das Buch möglicherweise allein wegen der

fraglichen Stellen zur Hand nehmen wird, deckt sich mit der

Frage, wie die Stellen an sich zu beurteilen sind. Ein

schädigender Einfluss - soweit er zu bejahen ist - ergibt sich

deshalb unabhängig von der Art der Lektüre.

Ungeachtet dieser Bedenken teilt der Senat im Ergebnis die

- von der Klägerin nicht ernstlich in Zweifel gezogene -

Einschätzung einer hohen Jugendgefährdung. Es entspricht der

gutachtlich abgesicherten Indizierungspraxis der

Bundesprüfstelle wie auch der Rechtsprechung des Senats, dass

Darstellungen, in denen pornographische Aspekte mit der Lust

am Töten verknüpft sind, wie sie im Roman extensiv vorgestellt

werden, eine besondere Eignung zukommt, Kinder und Jugendliche

in ihrer charakterlichsittlichen Entwicklung zu

beeinträchtigen. Dies gilt in hohem Maße für die im Roman

enthaltenen monströsen Folterungen und Mordtaten, die in

literarisch kaum zu überbietender Weise teilweise bis ins

letzte Detail geschildert und, sofern sie an Frauen begangen

werden, in den Handlungsrahmen sexueller Szenarien gestellt

sind (insbesondere S. 341-343; 397-403; 419-423; 450-455).

Dabei wirken - wie auch im Bescheid (S. 8) zutreffend

gesehen - die Beschreibungen von Folter und Ermordung

außerordentlich direkt und realitätsnah, wozu maßgeblich

beiträgt, dass das Vorgehen durchgängig berichtsmäßigneutral

und aus der Täterperspektive mitgeteilt wird. Eine die

charakterlichsittliche Entwicklung gefährdende Wirkung auf

Kinder und Jugendliche entfällt nicht deshalb, weil der Akteur

aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und

Persönlichkeitsdeformation vom jugendlichen Leser weit

entfernt ist und zur Identifikationsfigur nicht taugt. Denn

zumindest ist das Buch geeignet, das Bedürfnis schon des

jugendlichen Lesers nach "Sex and Crime" zu befriedigen und

ein voyeuristisches Interesse an besonders grausamer und

blutrünstiger Gewalt an Menschen anzuregen. In einer

Gesellschaft, in der latente wie ausgeübte Gewalt ein

zunehmendes Problem darstellt, ist deshalb der Beitrag, den

der Roman zur Gewöhnung an das Phänomen Gewalt und - wenn auch

entgegen der künstlerischen Intention - zur Abstumpfung

leisten kann, besonders kritisch zu sehen. Es ist nicht aus

der Luft geholt, wenn in Rezensionen hervorgehoben wird, dass

das Buch - obwohl es keinen didaktischappellativen Charakter

hat - zumindest einigen Zeitgenossen die letzten Hemmungen

nehmen werde (vgl. Gutachten M. S. 21 f.).

Für die gebotene Gesamtabwägung ist zum Kunstschutz zunächst

in Rechnung zu stellen, dass der Roman experimentellen

Charakter hat, wie im Gutachten M. (S. 5) ausdrücklich

hervorgehoben ist. Dies spricht dafür, seine Rezeption der

durch staatliche Maßnahmen unbeeinflussten gesellschaftlichen

Auseinandersetzung zu überlassen. Als äußeres Indiz für das

Gewicht, das der Kunstfreiheit in diesem Zusammenhang

zuzumessen ist, ist die erhebliche Beachtung zu werten, die

der Roman in der öffentlichen Diskussion erfahren und die

zahlreiche nationale und ausländische Zeitungen zu eingehenden

Rezensionen bewogen hat (vgl. die Auswertung im Gutachten

M. S. 19-27). Gerade den Reaktionen von Publikum,

Kritik und Wissenschaft hat auch das Bundesverfassungsgericht

(vgl. Beschluss vom 27. November 1990, a.a.O., S. 148) eine

"indizielle Bedeutung" zuerkannt. Selbst wenn die

künstlerische Bedeutung nicht einhellig und sogar vielfach

negativ beurteilt worden ist, sprechen die Reaktionen doch für

ein erhebliches Interpretationspotential.

Bei der inhaltlichen Beurteilung ist vor allem zu sehen, dass

die jugendgefährdenden Passagen nicht nur Beiwerk, also nicht

nur lose in das künstlerische Konzept eingebunden und unter

diesem Blickwinkel überhaupt verzichtbar sind, sondern dass

sie als dessen unabdingbare, "integrative" Bestandteile zu

verstehen sind. Diese Betrachtung entspricht entgegen der

Auffassung der Beklagten insbesondere der Rechtsprechung des

Bundesverfassungsgerichts,

vgl. Beschluss vom 27. November 1990,

a.a.O. S. 147 f.; Beschluss vom 24.

Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -, BVerfG

30, 173 (195).

Das vorliegende Material bietet dem Gericht in dieser Hinsicht

eine ausreichende Grundlage, um näherungsweise eine Einstufung

der betroffenen Belange der Kunst vornehmen und an eine

Gewichtung heranführen zu können. Neben dem überzeugenden

Kunstgutachten von M. stehen hierfür insbesondere die

Erläuterungen des Autors selbst und des klagenden Verlages

(z.B. auf dem Einband der Harcover-Ausgabe und im Klappentext)

sowie zahlreiche Rezensionen namhafter Medien zur Verfügung.

Daraus erschließt sich, dass die tragende Idee des Romans ohne

die Sex- und Mordszenen nicht zu verwirklichen gewesen wäre.

Im rückseitigen Umschlagtext erklärt der Autor seine

künstlerische Intention damit, die so genannte Yuppie-Kultur

der späten 80er-Jahre mit der extremen individuellen

Gewaltausübung der Hauptfigur konfrontieren und beide

Lebenszusammenhänge aufeinander beziehen zu wollen, nämlich

als zwei Seiten ein und derselben pervertierten Welt

aufzuzeigen. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, wenn

M. (S. 6) ausführt, der Autor scheine besessen von der

Idee, dass diese beiden Welten, die auf den ersten Blick nicht

viel miteinander zu tun haben, zusammengehören, ja dass die

eine die andere hervorbringt: Die Hauptfigur lebt unter einer

"Maske geistiger Gesundheit", die zunehmend bröckelt (S. 387);

die Entmenschlichung im Innern, die die extremen Taten

überhaupt ermöglicht, ist so gravierend, reicht so tief, "daß

die Fähigkeit zur Anteilnahme abgetötet, einem schleichenden,

zielstrebigen Verfall zum Opfer gefallen war"; das Leben

bleibt für die Hauptfigur "eine nackte Leinwand, ein Klischee,

eine Soap Opera" (S. 391; 452; 518 f.). Die Entmenschlichung

erscheint damit einerseits als Folge des gesellschaftlichen

Lebens, das als extrem oberflächlich, trivial, unproduktiv und

letztlich abgrundtief langweilig dargestellt wird,

andererseits als Ursache der persönlichen Exzesse; jene

wiederum beleuchten das alltägliche Leben und machen es als

auf seine Weise nicht minder monströs kenntlich.

Beide Welten stimmen daher bei genauerem Hinsehen in

wesentlichen Grundzügen überein: Die alltägliche, scheinbar

ganz "normale" Welt mit ihren Kriegen, Katastrophen,

Massakern, Gräueln und Untaten (vgl. z.B. S. 29 ff.; 528), die

täglich in den Nachrichten über uns hereinbrechen, hat im

Großen dasselbe Format wie die Untaten des Patrick Bateman

(M. S. 8); die Gräuel sind auswechselbar. Deshalb ist

es künstlerisch und stilistisch konsequent, auch über die

Morde reportagehaft bzw. im distanzierten Nachrichtenton zu

berichten. Beide Welten sind aber auch gleichermaßen sinnlos:

oberflächlich - zu wirklichen Gesprächen sind die Akteure

nicht in der Lage; Ansätze dazu scheitern immer wieder (vgl.

etwa S. 28 ff.) -, dabei doch trivialreglementiert

(Markenfetischismus unter Ablehnung alles Andersartigen) und

gefühlskalt (Schlimmes rührt niemanden, vgl. etwa das AIDS-

Gespräch S. 41; unreflektierte Drogen- und

Medikamentenabhängigkeit). Selbst in den alltäglichen

Gesprächen tritt ein immer schon existentes, aber durch die

Gewöhnung kaum wahrnehmbares Grausamkeitspotential hervor

(M. S. 15). Das Grauen der Morde lauert unter einer

hauchdünnen Oberfläche nicht minder grauenhafter Sinnlosigkeit

und Langeweile einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder

innerlich vernichtet. Die Hauptfigur, für die dies besonders

verdeutlicht wird (S. 391; 518 ff.), ist in dieser Welt keine

Ausnahmeerscheinung (vgl. S. 383). Wer diese Welt betritt,

muss alle Hoffnung fahren lassen (S. 13 Einleitungssatz);

einen Ausweg gibt es nicht (S. 549 Schlusssatz: "KEIN

AUSGANG").

Selbst die Beschreibung der Morde bis in ihre bestialischsten

Einzelheiten, die kaum auszuhalten und literarisch schwerlich

zu überbieten sind, macht in diesem Zusammenhang künstlerisch

Sinn. Sie provoziert den Leser aufs Äußerste und trifft ihn

dort, wo er durch Gewöhnung noch nicht abgestumpft, also zur

Wahrnehmung noch in der Lage ist. Das Grauen der Taten wirft

aber sein Licht zurück auf die beschriebene alltägliche Welt,

deren Grauenhaftigkeit aufgrund langer Gewöhnung - auch vom

Leser - kaum noch wahrgenommen werden kann. Mit Hilfe der

Gewaltdarstellungen versucht der Autor, seine Einsichten aus

der Theoriesituation zu erlösen und sie beklemmend glaubhaft

zu machen (M. S. 9).

Insgesamt rechtfertigt dies die Einschätzung, dass es in dem

Roman, der sorgfältig durchkonstruiert ist, gelungen ist, in

beunruhigender Weise die innere Nähe des zur Fassade

erstarrten modernen Lebens zum totalen und unüberbietbaren

Amoralismus aufzuzeigen (M. S. 18 f.). Diesem Rang des

Buches wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Sie

verfehlt mangels genauer Einstellung der Bedeutung des Werkes

für die Kunstfreiheit in die Abwägung den verfassungsrechtlich

geschuldeten Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit und dem

Jugendschutz, der der Bundesprüfstelle zum Zwecke der

Grundrechtsoptimierung aufgegeben ist. Dem Senat ist aufgrund

des Entscheidungsvorrangs der Bundesprüfstelle verwehrt, die

umfassende Abwägung nachzuholen.

Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26.

November 1992 - 7 C 20.92 -, a.a.O.

S. 44 f.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die

Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167

VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen

nach §§ 132 Abs. 2, 137 Abs. 1 VwGO nicht gegeben sind.