Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin verlegt seit 1991 den Roman "American Psycho" des
amerikanischen Autors Bret Easton Ellis in deutscher
Óbersetzung. Das Buch schildert etwa ein Jahr aus dem Leben
des fiktiven 26-jährigen New Yorker Börsenmaklers und
Serienmörders Patrick Bateman, der tagsüber als angepasstes
Mitglied der wohlhabenden und extrem auf Äußerlichkeiten
bedachten Gesellschaft vorwiegend im Börsen- und Bankwesen
tätiger Personen lebt, nachts aber von einer Obsession des
maximal grausamen Folterns und Mordens zufällig ausgesuchter
Personen getrieben wird. Auf 537 Textseiten finden sich in 60
Kapiteln ausführliche Darstellungen des gesellschaftlichen
Lebens der handelnden Personen, aber auch eingehende
Schilderungen der sexuellen Aktivitäten der Hauptfigur sowie
seiner bestialischen Misshandlungen und Morde an Freunden und
Bekannten, Bettlern, Kindern und vor allem Frauen. Die Morde
werden teils erwähnt oder detailarm berichtet, häufiger aber
auch bis in die grausigste Einzelheit des Einsatzes von
Tränengas, Stromstößen, Elektrobohrern, Nagelpistolen und
anderen Werkzeugen beschrieben. Die Hardcover-Ausgabe des
Romans kostete 48,-- DM, die Taschenbuch-Ausgabe, die
Gegenstand des Verfahrens OVG NRW 20 A 3636/98 ist, kostete
24,80 DM.
Auf mehrere Anträge von Jugendämtern und des baden-
württembergischen Familienministeriums, den Roman in die Liste
der jugendgefährdenden Schriften aufzunehmen, gab die
Bundesprüfstelle Gutachten zum Kunstgehalt und zur
jugendgefährdenden Wirkung des Romans in Auftrag. In einem
literaturwissenschaftlichen Gutachten gelangte Professor
M. zu dem Ergebnis, das Buch stehe unter dem
Kunstvorbehalt des Grundgesetzes. Professor K. erstattete
ein erziehungswissenschaftlichjugendkundliches Gutachten, in
dem er empfahl, dem Antrag auf Indizierung nicht zu folgen.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften setzte
einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. Januar 1995
an und benachrichtigte die Klägerin hiervon mit Schreiben vom
15. November 1994. Der Mitteilung fügte sie Kopien der
Indizierungsanträge, des Gutachtens von Professor M.
und die Besetzungsliste für Januar 1995 bei. Der zu dem Termin
geladene Beisitzer W. sagte mit Schreiben vom
23. November 1994 seine Teilnahme an der Sitzung ab und bat
darum, die Sitzung mit seinem Vertreter durchzuführen.
Daraufhin lud die Bundesprüfstelle Frau G. als
Vertreterin, die demgemäß an der Verhandlung über das
streitgegenständliche Buch, bei der die Klägerin nicht
vertreten war, mitwirkte.
Mit Entscheidung Nr. 4454 vom 5. Januar 1995 nahm die
Bundesprüfstelle die Hardcover-Ausgabe des Buches in die Liste
der jugendgefährdenden Schriften auf; die Entscheidung wurde
im Bundesanzeiger vom 31. Januar 1995 bekannt gemacht. Wegen
der Gründe wird auf die begründete Fassung dieser Entscheidung
Bezug genommen.
Die Klägerin hat am 28. Februar 1995 Klage erhoben und
gleichzeitig einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung gestellt (VG Köln 17 L 776/95). Dieser Antrag wurde im
Beschwerdeverfahren vor dem erkennenden Senat 20 B 2250/95 mit
Beschluss vom 12. Juni 1996 unter Änderung der
erstinstanzlichen Stattgabe abgelehnt.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht,
die Indizierung sei formell und materiell rechtswidrig. Die
Bundesprüfstelle habe das rechtliche Gehör verletzt, weil
ihrer Ladung zur mündlichen Verhandlung das Gutachten K.
nicht beigefügt gewesen sei. Das Zwölfergremium sei nicht
ordnungsgemäß besetzt gewesen, denn der eigentlich zur
Mitwirkung berufene Beisitzer habe seine Teilnahme an der
Sitzung ohne zureichenden Grund abgesagt. Die
Indizierungsentscheidung sei auch inhaltlich nicht haltbar. Es
sei nicht zulässig, den Kunstwert des Buches allein über
diejenigen Stellen zu definieren, in denen die perversen
Neigungen des Protagonisten geschildert würden, hingegen
diejenigenKapitel zu vernachlässigen, in denen dessen Verlust
von Individualität und Identität dargestellt werde. Die
eingeholten Gutachten seien fehlerhaft ausgewertet worden. Das
von der Bundesprüfstelle unternommene "Weiterdenken" einzelner
Gedankengänge sei in den Gutachten nicht angelegt. Auch fehle
eine Auseinandersetzung damit, dass beide Gutachter zu dem
Ergebnis gekommen seien, das Werk sei eher nicht zu
indizieren.
Die Klägerin hat beantragt,
die Indizierungsentscheidung der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften Nr. 4454 vom 5. Januar 1995
aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Tatsachenfeststellung der
Bundesprüfstelle sei zutreffend. Deshalb sei es für die
Rechtmäßigkeit der Entscheidung ohne Bedeutung gewesen, dass
das Gutachten K. irrtümlich nicht mit der Ladung übersandt
worden sei. Im Óbrigen habe die Bundesprüfstelle die
Jugendgefährdung eines Werkes aus eigener Sachkunde
festzustellen, und es sei ihr unbenommen, dabei aufgrund
eigenen Sachverstandes von wissenschaftlichen Gutachten
abzuweichen. Außerdem habe das Gutachten K. ausschließlich
der Klägerin günstige Ausführungen enthalten und somit die
fehlende Einlassung der Klägerin gewissermaßen ersetzt; es sei
im Óbrigen nicht dargetan, was die Klägerin in Kenntnis des
Gutachtens anders oder zusätzlich vorgetragen hätte. Das
Zwölfergremium der Bundesprüfstelle sei ordnungsgemäß besetzt
gewesen. Es sei nicht zu beanstanden, dass dem Wunsch des
Beisitzers W. , seine Vertreterin zu laden, entsprochen
worden sei. Der Bundesprüfstelle fehlten Befugnisse oder gar
Zwangsmittel, einen Beisitzer zur Angabe von
Verhinderungsgründen oder zur Vorlage von Nachweisen
anzuhalten oder gegebenenfalls ein Erscheinen zu erzwingen. In
der Sache habe das Zwölfergremium vorrangig auf die in der
Entscheidung hervorgehobenen, als extrem jugendgefährdend
eingeschätzten Stellen abstellen dürfen, weil die gänzlich
uninteressanten Passagen des Buches dazu verleiteten, diese zu
überspringen, um die "interessanteren" Stellen aufzufinden.
Dies werde auch in den von der Klägerin selbst vorgelegten
Rezensionen deutlich.
Durch das angefochtene Urteil, auf das Bezug genommen wird,
hat das Verwaltungsgericht der Klage wegen formeller und
materieller Fehler der Indizierungsentscheidung stattgegeben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Senat
zugelassene Berufung, mit der die Beklagte geltend macht: Das
Verwaltungsgericht habe die Indizierungsentscheidung zu
Unrecht aus formellen Gründen für rechtswidrig gehalten, wie
sich aus den zutreffenden Gründen des Senatsbeschlusses vom
12. Juni 1996 ergebe. Soweit das Verwaltungsgericht eine
Abwägung zwischen den jugendgefährdenden Stellen und dem
Gesamteindruck des Buches vermisst habe, sei zwar richtig,
dass jugendgefährdende Darstellungen in einem Buch im
Einzelfall durch den künstlerischen Wert des Gesamtwerkes
überlagert sein könnten. Solche Fälle seien aber selten; in
der Regel seien die zu beanstandenden Partien Mittelpunkt des
jeweiligen Buches, die verbindenden Texte würden beim Lesen
übersprungen. Die Bundesprüfstelle habe das Buch daraufhin
durchgesehen und festgestellt, dass das Buch in den Passagen
zwischen den jugendgefährdenden Ausführungen seitenweise
Langeweile verbreite und zur Stellenlektüre geradezu verführe.
Damit sei klargestellt, dass diese Stellen oder Abschnitte im
Mittelpunkt stünden und nicht überlagert würden. Bei den
"Stellen" handele es sich auch nicht um nur wenige Zeilen,
sondern um breite, mehrseitige Darstellungen. Angesichts der
bis ins abscheulichste Detail reichenden Schilderungen einer
Vielzahl häufig pornographisch eingekleideter Mordtaten seien
zusätzliche Ausführungen unter dem Gesichtspunkt der
Sachangemessenheit nicht notwendig gewesen. Gerade das
indizierte Buch sei typisch für Schriften, vor denen die
Jugend geschützt werden müsse. Der These des
Verwaltungsgerichts, es komme darauf an, ob die beanstandeten
Teile integrative, notwendige Bestandteile der Erzählung seien
oder aufgesetztes, für den Roman verzichtbares Beiwerk, sei
nicht zu folgen. Diese Unterscheidung ändere an der
Jugendgefährdung nichts; sie beziehe sich auf die Lektüre
durch Literaturkritiker und nicht auf die bei der Beurteilung
der Jugendgefährdung zugrunde zu legende Lektüre durch Kinder
und Jugendliche.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihr
erstinstanzliches Vorbringen: Es sei daran festzuhalten, dass
die angefochtene Entscheidung der Bundesprüfstelle aus den vom
Verwaltungsgericht genannten Gründen formell rechtswidrig sei.
Wenn sich eine Behörde entschließe, vor der mündlichen
Verhandlung Materialien zu übersenden, so müssten diese
jedenfalls vollständig sein, weil die Zusendung den Anschein
der Vollständigkeit erwecke. Die Entscheidung des Beisitzers
W. , nicht an der Sitzung teilzunehmen, sei erkennbar
willkürlich gewesen und habe nicht akzeptiert werden dürfen.
Schließlich sei nach wie vor fraglich, ob die ersatzweise
geladene Beisitzerin G. das indizierte Buch und die
beiden Gutachten vor der Entscheidung gekannt habe. In
materiellrechtlicher Hinsicht erscheine problematisch, ob die
Indizierung eines Romans aufgrund möglicherweise
jugendgefährdender Abschnitte erfolgen könne. Die
Indizierungsentscheidung lasse die dort selbst verlangte
Gesamtwürdigung vermissen, in der die fraglichen Stellen in
Beziehung zum gesamten übrigen Werk gesetzt, insbesondere ihr
Verhältnis und ihre Notwendigkeit in Bezug auf Konzeption,
Komposition und Aussage des Werkes erörtert würden. Die These,
dass das Buch in den Zwischenstücken seitenweise Langeweile
verbreite und so zur Stellenlektüre verführe, sei apodiktisch
und in keiner Weise nachvollziehbar. Ebenso gut lasse sich die
These vertreten, dass die - zugegebenermaßen bewusst -
Langeweile verbreitenden Passagen des Werkes dazu führten,
dass das Werk überhaupt aus der Hand gelegt werde. Ein
Springen von Stelle zu Stelle sei in dem Werk nicht angelegt,
nach seiner Anlage vielmehr nicht zu erwarten. Die von der
Bundesprüfstelle getroffene Abwägung sei mangelhaft. Die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der so genannten
Mutzenbacher-Entscheidung seien nicht beachtet worden. Die
Gutachten seien nicht oder fehlerhaft ausgewertet worden. So
setze sich die Entscheidung nicht damit auseinander, dass im
Gutachten M. dargelegt werde, welche literarisch-
künstlerische Komposition des Romans erkennbar sei und wie die
Sex- und Gewaltszenen in das Gesamtkonzept des Romans
eingebettet seien. Zwar sei die Bundesprüfstelle aufgrund
ihrer Zusammensetzung sachverständig; jedoch setze sich die
Bundesprüfstelle in Widerspruch zu den nicht minder
sachverständigen Aussagen der Gutachter M. und K. .
Einander widersprechende sachverständige Einschätzungen
erforderten aber eine intensive Auseinandersetzung, die jedoch
fehle. Soweit die Bundesprüfstelle die Feststellungen des
Gutachters M. "weiterdenke", unterstelle sie dem Roman
einen didaktischappellativen Charakter und komme somit zu
einem Ergebnis, das in Widerspruch zu den Erkenntnissen des
Gutachtens stehe. Grundlagen oder Anlass des Weiterdenkens
blieben dunkel. Ähnlich verfahre die Bundesprüfstelle mit dem
Gutachten K. . Die Aspekte, die der Gutachter anführe und
die gegen die Indizierung sprächen, würden von der Beklagten
nicht aufgegriffen. Die Aspekte des Gutachters würden vielmehr
in logisch nicht nachvollziehbarer Weise zur Begründung der
Indizierung herangezogen. So stelle die Bundesprüfstelle etwa
das Gedankenspiel an, dass hinsichtlich der Jugendgefährdung
dann Bedenken angemeldet werden müssten, wenn das Werk
preiswerter und von geringerem Umfang wäre. Dies treffe auf
die indizierte Ausgabe aber gerade nicht zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden
Verfahrens und des Verfahrens VG Köln 17 L 776/95 (OVG NRW
20 B 2250/95), der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und des
von der Klägerin zu den Akten gereichten Buches Bezug
genommen.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Die angefochtene Indizierungsentscheidung ist rechtswidrig und
verletzt die Klägerin in ihren Rechten; sie ist daher vom
Verwaltungsgericht zu Recht aufgehoben worden (§ 113 Abs. 1
Satz 1 VwGO).
Allerdings liegen die vom Verwaltungsgericht gesehenen Mängel
des Indizierungsverfahrens nicht vor. Zur Begründung nimmt der
Senat Bezug auf seinen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
ergangenen Beschluss vom 12. Juni 1996. Anlass zu weiterer
Vertiefung der dort getroffenen Würdigung bietet weder das
angefochtene Urteil noch das Vorbringen der Klägerin im
Berufungsverfahren. Da die Klage aus anderen Gründen Erfolg
hat, bedarf auch keiner Erörterung, welche Anforderungen an
die Vorbereitung der an einer Indizierungsentscheidung
mitwirkenden Beisitzer der Bundesprüfstelle zu stellen sind
und ob diese Anforderungen hier hinsichtlich der Beisitzerin
G. erfüllt sind.
Die angefochtene Entscheidung der Bundesprüfstelle ist
materiell rechtswidrig. Die Bundesprüfstelle hat es bei ihrer
Entscheidung unterlassen, die durch die vorliegend indizierte
Schrift konkret beförderten Belange der Kunstfreiheit
hinreichend zu würdigen und mit dem ihnen zukommenden Rang in
die ihr aufgegebene Abwägung zwischen Kunstfreiheit und
Jugendschutz einzubringen, wie dies eine Listenaufnahme nach
§ 1 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die Verbreitung
jugendgefährdender Schriften (GjS) voraussetzt.
Nach gefestigter Rechtsprechung darf eine Schrift, die - wie
der indizierte Roman - als Kunstwerk dem Schutz des Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG unterfällt, stets nur auf der Grundlage einer
einzelfallbezogenen Abwägung der Belange des Jugendschutzes
mit den Belangen der Kunstfreiheit indiziert werden, und zwar
gleichgültig, ob es sich um eine Schrift handelt, die
offensichtlich geeignet ist, Kinder oder Jugendliche sittlich
schwer zu gefährden, oder ob sie als "schlicht"
jugendgefährdend i.S. des § 1 Abs. 1 GjS einzustufen ist, was
die Bundesprüfstelle für den in Rede stehenden Roman
angenommen hat. Gerät die Kunstfreiheit mit einem anderen
Verfassungsrechtsgut in Widerstreit, so müssen beide im
Einzelfall mit dem Ziel der Optimierung zu einem angemessenen
Ausgleich gebracht werden. Darüber, was bei der Herstellung
einer solchen praktischen Konkordanz auf Seiten der
Kunstfreiheit und auf Seiten des Jugendschutzes jeweils in die
Waagschale fällt, muss sich die Bundesprüfstelle - und müssen
sich im Streitfall die Fachgerichte - im Rahmen des
verfahrensmäßig Möglichen Gewissheit verschaffen. Dabei
stellen die Bewertung der Bundesprüfstelle, ob und mit welchem
Gewicht die Kunstfreiheit betroffen ist, sowie ihre
Einschätzung und Gewichtung des schädigenden Einflusses der
konkreten Schrift auf Kinder und Jugendliche - der vollen
gerichtlichen Kontrolle unterliegende - sachverständige
Aussagen dar. Hingegen verbleibt der Bundesprüfstelle bei der
eigentlichen Abwägungsentscheidung, durch die die
widerstreitenden Belange in einen verhältnismäßigen Ausgleich
gebracht werden, ein gerichtlich nur eingeschränkt
überprüfbarer Entscheidungsvorrang. Das Gericht hat insoweit
lediglich zu kontrollieren, ob die rechtlichen Vorgaben,
welche die Bundesprüfstelle dabei zu beachten hat, eingehalten
sind; es darf seine Auffassung nicht an die Stelle der
Einschätzung des Gremiums der Bundesprüfstelle setzen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November
1992 - 7 C 20.92 -, Buchholz 436.52 § 1
GjS Nr. 18 (S. 42-44) in Umsetzung von
BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990
- 1 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130 (143
ff.); ferner BVerwG, Urteil vom
28. August 1996 - 6 C 15.94 -, Buchholz
436.52 § 1 GjS Nr. 20 (S. 2 f.).
Im vorliegenden Fall ist die in der Indizierungsentscheidung
ausdrücklich getroffene Feststellung, der Roman "American
Psycho" sei ein Kunstwerk, nicht zweifelhaft und auch zwischen
den Parteien nicht streitig. Der Roman weist nach allen in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten
Ansätzen,
vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Mai 1996
- 20 A 298/94 -, UA S. 13 m.w.N.,
Merkmale auf, die ihn eindeutig dem Schutzbereich des Art. 5
Abs. 3 Satz 1 GG zuordnen: Formal entspricht er den
Gattungsanforderungen eines Werktyps, in dessen Form
anerkanntermaßen in der Vergangenheit Kunstwerke geschaffen
worden sind. Er ist insoweit das Ergebnis freier
schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen bzw.
Recherchen und Phantasien des Autors in der literarischen Form
des Romans zum Ausdruck kommen. Das Werk weist aber auch - was
unten näher darzulegen ist - die der Kunst eigenen
Strukturmerkmale auf und lässt Interpretationen zu, die auf
eine genau kalkulierte künstlerische Absicht der Aussagen
schließen lassen. Davon ist die Bundesprüfstelle in ihrer
Indizierungsentscheidung unter Hinweis auf Erläuterungen der
Klägerin im Indizierungsverfahren, verschiedene
Literaturkritiken und das Gutachten M. jedenfalls im
Ergebnis zutreffend ausgegangen.
Fehlerhaft war es hingegen, dass die Bundesprüfstelle es bei
einer bloßen Zuordnung des Romans zum Schutzbereich der
Kunstfreiheit hat bewenden lassen und damit eine werkgerechte
Interpretation unterlassen hat. Denn für die Herstellung
praktischer Konkordanz im Verhältnis widerstreitender
verfassungsgeschützter Rechtsgüter, bei der Schutzauftrag und
Freiheitsrecht gegeneinander wirken und sich gegenseitig
beeinflussen, ist es unabdingbar, auf beiden Seiten die für
die Abwägung wesentlichen Gesichtspunkte konkret zu ermitteln,
namhaft zu machen und auf dieser Grundlage gewichtend
gegenüberzustellen. Dementsprechend hat die Bundesprüfstelle
nicht nur festzustellen, ob der Schutzbereich der
Kunstfreiheit betroffen ist, sondern sie hat weiter
aufzuklären, wie dieser Belang im Einzelnen zu gewichten ist.
Das Unterlassen einer hinreichend differenzierten Betrachtung
der durch eine indizierte Schrift beförderten Belange der
Kunstfreiheit hat zwangsläufig ein Abwägungsdefizit und damit
die Rechtswidrigkeit der Entscheidung zur Folge. Denn die in
ihrem Durchsetzungsanspruch betroffenen und bedrohten
Rechtsgüter werden zu Lasten der Kunstfreiheit nicht
optimiert, wenn - wie geschehen - allein der widerstreitende
Belang (der Jugendschutz) betrachtet und die Lösung des
Konflikts ausschließlich von der Schwere abhängig gemacht
wird, mit der dieser durch das Kunstwerk beeinträchtigt werden
kann.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November
1990, a.a.O. S. 146 f.; Kammerbeschluss
vom 3. November 2000 - 1 BvR 581/00 -,
NJW 2001, 596; BVerwG, Urteil vom
28. August 1996, a.a.O. (Ls. 2).
Selbst wenn es als zulässig angesehen werden könnte, eine
indizierte Schrift mit einem ihr lediglich unterstellten hohen
oder höchsten Rang in die Abwägung einzustellen, wie es die
Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat
getan hat, um zu verdeutlichen, dass wegen der Schwere der
Jugendgefährdung die Kunstfreiheit vorliegend auch dann
zurücktreten müsse, wenn der Roman als "ebenso gut wie ein
Werk von Goethe" zu beurteilen sei, vermöchte das die
vorliegend angegriffene Entscheidung nicht zu tragen, da sich
dem Bescheid als Basis der Abwägung weder ein Anhaltspunkt für
eine solche Einschätzung des Romans entnehmen lässt noch dort
eine extreme Jugendgefährdung angenommen worden ist.
Ungeachtet dessen dürfte eine nur fiktive Bewertung des
Kunstwerkes aber ohnehin den weiteren Abwägungsvorgang nicht
im erforderlichen Maße steuern und daher als Abwägungselement
ungeeignet sein.
Vgl. dazu im Einzelnen schon BVerwG,
Urteil vom 28. August 1996, a.a.O.
sowie Urteil vom 18. Februar 1998 - 6 C
9.97 -, Buchholz 436.52 § 1 GjS Nr. 21
(S. 13).
Denn die Abwägung ist kein Vorgang, in dem die
widerstreitenden Verfassungsgüter nach Zuweisung eines quasi-
nummerischen Rangplatzes auf einer Kunst- und einer
Jugendgefährdungsskala unmittelbar verglichen oder
gegeneinander "verrechnet" werden könnten. Bei richtiger
Betrachtung setzt die Abwägung voraus, dass die Elemente, die
im konkreten Fall den künstlerischen Wert ausmachen,
aufgeschlüsselt und auf diejenigen Elemente bezogen werden,
die die Jugendgefährdung begründen.
Freilich trifft es zu, dass der Umfang der Ermittlungen und
das Maß der erforderlichen Differenzierungsgenauigkeit
entsprechend den Bedingungen des Einzelfalles unterschiedlich
ausfallen dürfen. Im Allgemeinen reicht es aus, wenn die
Gewichtung so weit eingegrenzt wird, dass das im Einzelfall
gebotene Mindestmaß an Differenzierung erreicht wird, das
ausreichend und erforderlich ist, um eine dem Ergebnis
angemessene Abwägung der beiderseits in die Waagschale zu
legenden Gesichtspunkte vorzunehmen. Der Senat hat diesen
Zusammenhang mit dem vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten
Begriff der Sachangemessenheit der Prüfung gekennzeichnet.
Danach ist es unnötig, die Gewichtung der beiderseitigen
Belange weiter zu betreiben, als es zur Feststellung eines
eindeutigen Óbergewichts einer Seite geboten ist. Die
Begrenzung der Konkretisierung tritt allerdings erst und nur
dann ein, wenn ein Belang in dem Sinne stark ausgeprägt ist,
dass eine Diskrepanz zu den auf der anderen Seite betroffenen
Belangen von vornherein offenkundig ist und weitere
Ermittlungen hieran voraussehbar nichts zu ändern vermöchten.
Ein solcher Fall liegt bei dem Roman "American Psycho" aber
gerade nicht vor. Im Gegenteil handelt es sich um einen Fall,
bei dem auf Seiten der Kunstfreiheit wie auf Seiten der
Jugendgefährdung viel in die Waagschale fällt. Nähern sich die
Waagschalen aber dem Gleichgewicht, so müssen, um die
beiderseitigen Wertungen abzusichern, auch Einzelheiten
erfasst werden, die möglicherweise den Ausschlag geben können.
Daran mangelt es, und dies betrifft keineswegs nur die
Begründung der Entscheidung, sondern die in die Abwägung auf
Seiten der Kunstfreiheit eingebrachte Substanz.
Was die Eignung des Romans zur Jugendgefährdung anlangt, so
teilt der Senat, der sich auch insofern selbstständig
Gewissheit zu verschaffen hat, im Ergebnis die Einschätzung
der Bundesprüfstelle, es sei ein hohes Gefährdungspotential
gegeben (Bescheid S. 9). Allerdings erscheint es dem Senat
durchaus zweifelhaft, ob bei Lektüre der von der
Bundesprüfstelle hervorgehobenen "Stellen" allein wegen der
nüchternen Schilderung von Einzelheiten die Mitleidsfähigkeit
des Lesers nicht nur herabgesetzt, sondern ganz ausgeschaltet
wird (S. 4) und ob der Leser wegen der Schilderung der Folter-
und Mordsequenzen nach Art einer emotionsfreien, nüchternen
Berichterstattung die Gefühlskälte der Hauptfigur teilt (S.
8). Vor allem aber ist die für den Bescheid zentrale These
einer "Stellenlektüre" und das den Intentionen der Gutachten
widersprechende "Weiterdenken" einiger ihrer Aussagen Bedenken
ausgesetzt.
Insbesondere die Erwägung der Bundesprüfstelle, der Roman
verführe zu einer Stellenlektüre und sei deshalb
jugendgefährdend, überzeugt nicht. Es versteht sich von
selbst, dass sich die Jugendgefährdung - hier wie in
zahlreichen Fällen - nur aus der Lektüre bestimmter "Stellen"
ergeben kann, die das Buch in die Schlagzeilen gebracht und
derentwegen es auch kontrovers diskutiert worden ist. Es
handelt sich im Wesentlichen um zwei rein pornographische
Szenen (S. 239-248; S. 298) und, von detailarmen Bruchstücken
abgesehen, fünfzehn reine bzw. pornographisch angelegte Mord-
Schilderungen. Insgesamt machen diese Passagen, die über die
Seiten 187 bis 485 verteilt sind, nur etwa 49 von 537
Textseiten, also etwa 10 % des Romans aus. Welche
Besonderheiten sich aus einer "stellenfixierten Lektüre" für
die Jugendgefährdung über den genannten, selbstverständlichen
Umstand hinaus ergeben sollen, ist nicht ersichtlich. Eine
Relativierung der jugendgefährdenden Wirkung bei fortlaufender
Lektüre des Romans ist nicht anzunehmen. Zwar setzt die
Erkenntnis, wie die fraglichen Stellen in die künstlerische
Anlage des Romans eingebunden sind, eine solche Lektüre
voraus; Kinder und Jugendliche dürften die künstlerischen
Aussagen des Romans aber auch dann in der Regel nicht erfassen
können. Deshalb hat keine ausschlaggebende Bedeutung, dass die
fraglichen Stellen nicht ohne weiteres, nämlich in der Regel
nur dann aufzufinden sind, wenn ein größerer Teil der
Zwischentexte mitgelesen wird. Denn es ist kaum zweifelhaft,
dass sich die Wirkungen der Passagen auf Kinder und
Jugendliche bei fortlaufender oder bei Stellenlektüre nicht
erheblich unterscheiden werden. Dass die zu schützende
Personengruppe das Buch möglicherweise allein wegen der
fraglichen Stellen zur Hand nehmen wird, deckt sich mit der
Frage, wie die Stellen an sich zu beurteilen sind. Ein
schädigender Einfluss - soweit er zu bejahen ist - ergibt sich
deshalb unabhängig von der Art der Lektüre.
Ungeachtet dieser Bedenken teilt der Senat im Ergebnis die
- von der Klägerin nicht ernstlich in Zweifel gezogene -
Einschätzung einer hohen Jugendgefährdung. Es entspricht der
gutachtlich abgesicherten Indizierungspraxis der
Bundesprüfstelle wie auch der Rechtsprechung des Senats, dass
Darstellungen, in denen pornographische Aspekte mit der Lust
am Töten verknüpft sind, wie sie im Roman extensiv vorgestellt
werden, eine besondere Eignung zukommt, Kinder und Jugendliche
in ihrer charakterlichsittlichen Entwicklung zu
beeinträchtigen. Dies gilt in hohem Maße für die im Roman
enthaltenen monströsen Folterungen und Mordtaten, die in
literarisch kaum zu überbietender Weise teilweise bis ins
letzte Detail geschildert und, sofern sie an Frauen begangen
werden, in den Handlungsrahmen sexueller Szenarien gestellt
sind (insbesondere S. 341-343; 397-403; 419-423; 450-455).
Dabei wirken - wie auch im Bescheid (S. 8) zutreffend
gesehen - die Beschreibungen von Folter und Ermordung
außerordentlich direkt und realitätsnah, wozu maßgeblich
beiträgt, dass das Vorgehen durchgängig berichtsmäßigneutral
und aus der Täterperspektive mitgeteilt wird. Eine die
charakterlichsittliche Entwicklung gefährdende Wirkung auf
Kinder und Jugendliche entfällt nicht deshalb, weil der Akteur
aufgrund seiner gesellschaftlichen Stellung und
Persönlichkeitsdeformation vom jugendlichen Leser weit
entfernt ist und zur Identifikationsfigur nicht taugt. Denn
zumindest ist das Buch geeignet, das Bedürfnis schon des
jugendlichen Lesers nach "Sex and Crime" zu befriedigen und
ein voyeuristisches Interesse an besonders grausamer und
blutrünstiger Gewalt an Menschen anzuregen. In einer
Gesellschaft, in der latente wie ausgeübte Gewalt ein
zunehmendes Problem darstellt, ist deshalb der Beitrag, den
der Roman zur Gewöhnung an das Phänomen Gewalt und - wenn auch
entgegen der künstlerischen Intention - zur Abstumpfung
leisten kann, besonders kritisch zu sehen. Es ist nicht aus
der Luft geholt, wenn in Rezensionen hervorgehoben wird, dass
das Buch - obwohl es keinen didaktischappellativen Charakter
hat - zumindest einigen Zeitgenossen die letzten Hemmungen
nehmen werde (vgl. Gutachten M. S. 21 f.).
Für die gebotene Gesamtabwägung ist zum Kunstschutz zunächst
in Rechnung zu stellen, dass der Roman experimentellen
Charakter hat, wie im Gutachten M. (S. 5) ausdrücklich
hervorgehoben ist. Dies spricht dafür, seine Rezeption der
durch staatliche Maßnahmen unbeeinflussten gesellschaftlichen
Auseinandersetzung zu überlassen. Als äußeres Indiz für das
Gewicht, das der Kunstfreiheit in diesem Zusammenhang
zuzumessen ist, ist die erhebliche Beachtung zu werten, die
der Roman in der öffentlichen Diskussion erfahren und die
zahlreiche nationale und ausländische Zeitungen zu eingehenden
Rezensionen bewogen hat (vgl. die Auswertung im Gutachten
M. S. 19-27). Gerade den Reaktionen von Publikum,
Kritik und Wissenschaft hat auch das Bundesverfassungsgericht
(vgl. Beschluss vom 27. November 1990, a.a.O., S. 148) eine
"indizielle Bedeutung" zuerkannt. Selbst wenn die
künstlerische Bedeutung nicht einhellig und sogar vielfach
negativ beurteilt worden ist, sprechen die Reaktionen doch für
ein erhebliches Interpretationspotential.
Bei der inhaltlichen Beurteilung ist vor allem zu sehen, dass
die jugendgefährdenden Passagen nicht nur Beiwerk, also nicht
nur lose in das künstlerische Konzept eingebunden und unter
diesem Blickwinkel überhaupt verzichtbar sind, sondern dass
sie als dessen unabdingbare, "integrative" Bestandteile zu
verstehen sind. Diese Betrachtung entspricht entgegen der
Auffassung der Beklagten insbesondere der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts,
vgl. Beschluss vom 27. November 1990,
a.a.O. S. 147 f.; Beschluss vom 24.
Februar 1971 - 1 BvR 435/68 -, BVerfG
30, 173 (195).
Das vorliegende Material bietet dem Gericht in dieser Hinsicht
eine ausreichende Grundlage, um näherungsweise eine Einstufung
der betroffenen Belange der Kunst vornehmen und an eine
Gewichtung heranführen zu können. Neben dem überzeugenden
Kunstgutachten von M. stehen hierfür insbesondere die
Erläuterungen des Autors selbst und des klagenden Verlages
(z.B. auf dem Einband der Harcover-Ausgabe und im Klappentext)
sowie zahlreiche Rezensionen namhafter Medien zur Verfügung.
Daraus erschließt sich, dass die tragende Idee des Romans ohne
die Sex- und Mordszenen nicht zu verwirklichen gewesen wäre.
Im rückseitigen Umschlagtext erklärt der Autor seine
künstlerische Intention damit, die so genannte Yuppie-Kultur
der späten 80er-Jahre mit der extremen individuellen
Gewaltausübung der Hauptfigur konfrontieren und beide
Lebenszusammenhänge aufeinander beziehen zu wollen, nämlich
als zwei Seiten ein und derselben pervertierten Welt
aufzuzeigen. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, wenn
M. (S. 6) ausführt, der Autor scheine besessen von der
Idee, dass diese beiden Welten, die auf den ersten Blick nicht
viel miteinander zu tun haben, zusammengehören, ja dass die
eine die andere hervorbringt: Die Hauptfigur lebt unter einer
"Maske geistiger Gesundheit", die zunehmend bröckelt (S. 387);
die Entmenschlichung im Innern, die die extremen Taten
überhaupt ermöglicht, ist so gravierend, reicht so tief, "daß
die Fähigkeit zur Anteilnahme abgetötet, einem schleichenden,
zielstrebigen Verfall zum Opfer gefallen war"; das Leben
bleibt für die Hauptfigur "eine nackte Leinwand, ein Klischee,
eine Soap Opera" (S. 391; 452; 518 f.). Die Entmenschlichung
erscheint damit einerseits als Folge des gesellschaftlichen
Lebens, das als extrem oberflächlich, trivial, unproduktiv und
letztlich abgrundtief langweilig dargestellt wird,
andererseits als Ursache der persönlichen Exzesse; jene
wiederum beleuchten das alltägliche Leben und machen es als
auf seine Weise nicht minder monströs kenntlich.
Beide Welten stimmen daher bei genauerem Hinsehen in
wesentlichen Grundzügen überein: Die alltägliche, scheinbar
ganz "normale" Welt mit ihren Kriegen, Katastrophen,
Massakern, Gräueln und Untaten (vgl. z.B. S. 29 ff.; 528), die
täglich in den Nachrichten über uns hereinbrechen, hat im
Großen dasselbe Format wie die Untaten des Patrick Bateman
(M. S. 8); die Gräuel sind auswechselbar. Deshalb ist
es künstlerisch und stilistisch konsequent, auch über die
Morde reportagehaft bzw. im distanzierten Nachrichtenton zu
berichten. Beide Welten sind aber auch gleichermaßen sinnlos:
oberflächlich - zu wirklichen Gesprächen sind die Akteure
nicht in der Lage; Ansätze dazu scheitern immer wieder (vgl.
etwa S. 28 ff.) -, dabei doch trivialreglementiert
(Markenfetischismus unter Ablehnung alles Andersartigen) und
gefühlskalt (Schlimmes rührt niemanden, vgl. etwa das AIDS-
Gespräch S. 41; unreflektierte Drogen- und
Medikamentenabhängigkeit). Selbst in den alltäglichen
Gesprächen tritt ein immer schon existentes, aber durch die
Gewöhnung kaum wahrnehmbares Grausamkeitspotential hervor
(M. S. 15). Das Grauen der Morde lauert unter einer
hauchdünnen Oberfläche nicht minder grauenhafter Sinnlosigkeit
und Langeweile einer Gesellschaft, die ihre Mitglieder
innerlich vernichtet. Die Hauptfigur, für die dies besonders
verdeutlicht wird (S. 391; 518 ff.), ist in dieser Welt keine
Ausnahmeerscheinung (vgl. S. 383). Wer diese Welt betritt,
muss alle Hoffnung fahren lassen (S. 13 Einleitungssatz);
einen Ausweg gibt es nicht (S. 549 Schlusssatz: "KEIN
AUSGANG").
Selbst die Beschreibung der Morde bis in ihre bestialischsten
Einzelheiten, die kaum auszuhalten und literarisch schwerlich
zu überbieten sind, macht in diesem Zusammenhang künstlerisch
Sinn. Sie provoziert den Leser aufs Äußerste und trifft ihn
dort, wo er durch Gewöhnung noch nicht abgestumpft, also zur
Wahrnehmung noch in der Lage ist. Das Grauen der Taten wirft
aber sein Licht zurück auf die beschriebene alltägliche Welt,
deren Grauenhaftigkeit aufgrund langer Gewöhnung - auch vom
Leser - kaum noch wahrgenommen werden kann. Mit Hilfe der
Gewaltdarstellungen versucht der Autor, seine Einsichten aus
der Theoriesituation zu erlösen und sie beklemmend glaubhaft
zu machen (M. S. 9).
Insgesamt rechtfertigt dies die Einschätzung, dass es in dem
Roman, der sorgfältig durchkonstruiert ist, gelungen ist, in
beunruhigender Weise die innere Nähe des zur Fassade
erstarrten modernen Lebens zum totalen und unüberbietbaren
Amoralismus aufzuzeigen (M. S. 18 f.). Diesem Rang des
Buches wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Sie
verfehlt mangels genauer Einstellung der Bedeutung des Werkes
für die Kunstfreiheit in die Abwägung den verfassungsrechtlich
geschuldeten Ausgleich zwischen der Kunstfreiheit und dem
Jugendschutz, der der Bundesprüfstelle zum Zwecke der
Grundrechtsoptimierung aufgegeben ist. Dem Senat ist aufgrund
des Entscheidungsvorrangs der Bundesprüfstelle verwehrt, die
umfassende Abwägung nachzuholen.
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 26.
November 1992 - 7 C 20.92 -, a.a.O.
S. 44 f.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die
Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167
VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen