LG Köln, Urteil vom 24.09.2015 - 24 O 153/15
Fundstelle
openJur 2016, 3108
  • Rkr:
Tenor

1.

Die Klage wird abgewiesen.

2.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Für den Kläger besteht seit dem 01.05.2013 eine Privat-, Berufs- und Verkehrsrechtsschutzversicherung für Nichtselbständige bei der Beklagten auf der Grundlage der ARB 2010. Auf den Versicherungsschein (Anlage K 1, Bl. 9 ff GA) und die Versicherungsbedingungen (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 13.07.2015, AH) wird Bezug genommen.

Der Kläger schloss mit der T-Bank e.G. (im Folgenden: T-Bank) am 04.10.2010 einen Darlehensvertrag. Mit E-Mail vom 20.08.2014 widerrief der Kläger diesen Darlehensvertrag wegen der aus seiner Sicht unzureichenden Widerrufsbelehrung. Die T-Bank erklärte am 25.08.2014, sie weise den Darlehenswiderruf zurück, da die Widerrufsbelehrung nicht zu beanstanden und ein etwaiges Widerrufsrecht jedenfalls verwirkt sei.

Über die daraufhin mandatierte Anwaltskanzlei S beharrte der Kläger gegenüber der T-Bank auf seinem angeblichen Widerrufsrecht.

Die Anwaltskanzlei S bat die Beklagte mit Schreiben vom 21.11.2014 um eine entsprechende Deckungszusage. Die Beklagte lehnte diese jedoch im Schreiben vom 09.12.2014 mit der Begründung ab, es sei Vorvertraglichkeit gegeben.

Daraufhin mandatierte der Kläger für die deckungsrechtliche Angelegenheit seine jetzigen Prozessbevollmächtigten, die vorgerichtlich vergeblich ebenfalls um Deckungsschutz nachsuchten.

Der Kläger ist der Auffassung, der maßgebliche Versicherungsfall sei allein in der Weigerung der T-Bank zu sehen, den Widerruf des Darlehensvertrages zu akzeptieren. Von Vorvertraglichkeit könne daher keine Rede sein.

Selbst wenn man jedoch auf den Zeitpunkt der fehlerhaften Widerrufsbelehrung als Rechtsverstoß abstelle, so sei der Deckungsanspruch gegeben, weil dieser Rechtsverstoß länger als ein Jahr vor dem Abschluss des Rechtsschutzversicherungsvertrages liege und deshalb nach § 4 Abs. 1 c) ARB 2010 unbeachtlich sei.

Auch die Anwendung der sog. Vorerstreckungsklausel komme nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen nicht in Betracht.

Der Kläger beantragt,

1.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, Versicherungsschutz für die außergerichtliche und gerichtliche Interessenvertretung 1. Instanz ab dem 25.08.2014 gegen die T-Bank eG, mit folgenden dortigen Anträgen zu übernehmen:

a) Es wird festgestellt, dass der Beklagten aus dem Darlehensvertrag vom 04.10.2010 keine Zahlungsansprüche gegen den Kläger zustehen.

b) Die Beklagte wird verurteilt, die Löschung der nachfolgend bezeichneten Grundschulden gem. § 19 GBO gegenüber dem zuständigen Grundbuchamt zu bewilligen und zu beantragen, Grundschuld ohne Brief über 62.000,- € eingetragen im Grundbuch von Forth, Band 595, Blatt 20177.

2.

die Beklagte zu verurteilen, ihn von Kosten in Höhe von 571,44 € aus der Kostennote von Herrn Rechtsanwalt D, Berlin, vom 01.06.2015 durch Zahlung an Herrn Rechtsanwalt D zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wendet Vorvertraglichkeit ein. Sie ist der Ansicht, der maßgebliche (angebliche) Rechtsverstoß sei in der fehlerhaften Widerrufsbelehrung selbst zu sehen.

Auf die in § 4 Abs. 2 ARB 2010 normierte Jahresfrist bei Vorliegen mehrerer Rechtsschutzfälle könne sich der Kläger deshalb nicht mit Erfolg berufen, weil es sich bei der fehlerhaften Widerrufsbelehrung und der Weigerung, den Widerruf zu akzeptieren, letztlich um einen einheitlichen Rechtsschutzfall gehe.

Zudem beruft sich die Beklagte auf § 4 Abs. 3 lit. a) ARB 2010. Die fehlerhafte Widerrufsbelehrung sei als besonders gefahrträchtige Rechtshandlung anzusehen, der spätere Auseinandersetzung geradezu provoziere.

Sehe man die Dinge anders, so könnten Versicherungsnehmer Zweckabschlüsse vornehmen, um dann nach Ablauf der Wartefrist einen Widerruf gegenüber einer Bank zu erklären.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag in Verb. mit § 1 S. 1 VVG der begehrte Deckungsanspruch nicht zu.

Es ist Vorvertraglichkeit jedenfalls im Sinne der Vorerstreckungsklausel gegeben.

Nach § 4 Abs. 1 c) ARB 2010 besteht Anspruch auf Rechtsschutz nach Eintritt eines Rechtsschutzfalles von dem Zeitpunkt an, in dem der Versicherungsnehmer oder ein Anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll.

Jedenfalls für Aktivprozesse des Versicherungsnehmers ist, wie heute allgemein anerkannt, zur näheren Bestimmung des Rechtsschutzfalles darauf abzustellen, worin nach der Darlegung des Versicherungsnehmers der angebliche, zumindest mit einem Tatsachenkern darzustellende angebliche Rechtsverstoß der Gegenseite liegen soll, auf den der Versicherungsnehmer seinen Anspruch gegenüber dem Gegner stützt (vgl. Urteil des BGH vom 24.04.2013 - IV ZR 23/12 -, zu recherchieren über juris).

Vorliegend stützt der Kläger sich, was den angeblichen Rechtsverstoß der T-Bank angeht, auf deren Weigerung, die Rechtswirksamkeit des seitens des Klägers erklärten Widerrufs anzuerkennen. Zur Begründung des angeblichen Rechtsverstoßes hat der Kläger jedoch, wie der Deckungsanfrage vom 21.11.2014 zu entnehmen ist, auf den beigefügten Schriftwechsel mit der T-Bank Bezug genommen, der wiederum die fehlerhafte Widerrufsbelehrung als Grund für den Fortbestand des Widerrufsrechts betont. Das Eine kann von dem Anderen nicht getrennt werden, ohne eine künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs vorzunehmen. Es ist daher fraglich, ob in Fällen der vorliegenden Art zur Bestimmung des Rechtsschutzfalles allein auf die Weigerung der Bank abzustellen ist, den Widerruf als wirksam anzusehen. Denn auch wenn nach dem sog. Drei-Säulen-Modell zur näheren Bestimmung des Rechtsschutzfalles nicht auf die Schlüssigkeit des Vorbringens des Versicherungsnehmers abzustellen ist, die erst bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht in Rede steht, so erfordert die Darlegung des Rechtsschutzfalles doch zumindest die Angabe eines objektiven Tatsachenkerns, aus dem sich der Vertragsverstoß des Gegners ergeben soll. Würde der Versicherungsnehmer sich allerdings - anders als im vorliegend zu entscheidenden Fall - darauf beschränken anzugeben, dass der Vertragswiderruf nicht akzeptiert werde, ohne ansatzweise darzutun, weshalb das Verhalten des Gegners rechtswidrig sein soll, so erschiene als fraglich, ob damit dann der Rechtsschutzfall hinreichend konkretisiert ist. Aus Sicht der Kammer lässt sich die Entscheidung des BGH vom 24.04.2013 auch kaum damit vereinbaren, dass nach der auch von Wendt (RuS 2008, 221, 225) vertretenen Auffassung bei Streitigkeiten um Deckungsschutz für Kündigungsschutzklagen betr. verhaltensbedingte Kündigung nicht erst der Ausspruch der angeblich rechtswidrigen Kündigung sein soll, sondern die zeitlich vorgelagerten vom Arbeitgeber behaupteten Arbeitsvertragsverletzungen des Versicherungsnehmers. Dass es dem Versicherungsnehmer nicht darum geht, im Nachhinein eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu erhalten, ist zwar zutreffend, jedoch führt er die fehlerhafte Widerrufsbelehrung als nicht wegzudenkende Begründung für den Widerruf an, auf den er seine Rechtsverfolgung gegenüber dem Gegner stützt.

Es kann dahinstehen, ob der Beklagten darin zu folgen ist, dass der Lebenssachverhalt, der der vorgenannten BGH-Entscheidung zugrunde lag, sich in einem maßgeblichen Umstand von der vorliegenden Fallgestaltung unterscheidet: dort die unzureichende Vertragsinformation bei Abschluss des Vertrages, hier die unzureichende Widerrufsbelehrung. Einen maßgeblichen Unterschied der jeweiligen Sachverhaltskonstellationen sieht die Kammer eher nicht.

Es kann auch dahinstehen, ob der in der fehlerhaften Widerrufsbelehrung liegende Rechtsverstoß einen Rechtsschutzfall darstellt, der nach § 4 Abs. 2 S. 2 ARB 2010 außer Betracht zu bleiben hat, weil er länger als ein Jahr vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten ist oder ob es sich - wie die Beklagte meint - vorliegend um einen einheitlichen Rechtsschutzfall handelt.

Jedenfalls greift vorliegend die Vorerstreckungsklausel des § 4 Abs. 3 a) ARB 2010. Danach besteht kein Rechtsschutz, wenn eine Willenserklärung oder Rechtshandlung, die vor Beginn des Versicherungschutzes vorgenommen wurde, den Verstoß nach § 4 Abs. 1 c) ausgelöst hat. Maßgeblich ist, ob die Willenserklärung oder Rechtshandlung bereits die erste Stufe der Verwirklichung der Gefahr einer rechtlichen Auseinandersetzung erreicht hat und den aus Sicht des Versicherungsnehmers maßgeblichen Pflichtverstoß gleichsam ausgelöst hat (vgl. BGH, a.a.O). Hiervon ist vorliegend auszugehen. Wie die ständige Praxis aufgrund der bei den Gerichten anhängigen Massenverfahren zeigt, laden fehlerhafte Widerrufsbelehrungen in Darlehensverträgen, die Rechtshandlungen im Sinne der vorgenannten Klausel darstellen, geradezu zum Widerruf von entsprechenden Willenserklärungen nach Ablauf der für wirksame Widerrufsbelehrungen geltenden Widerrufsfrist ein und damit auch zu Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Widerrufs. Fehlerhafte Widerrufsbelehrungen in Darlehensverträgen sind demnach als besonders streitträchtig anzusehen und damit auch als nicht nur generell geeignet, einen späteren Rechtsverstoß auszulösen in Gestalt der Weigerung, die Wirksamkeit eines Widerrufs anzuerkennen; sie provozieren geradezu Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Widerrufs, und zwar unabhängig davon, ob der Gegner des Versicherungsnehmers sich darauf beruft, die Widerrufsbelehrung sei ordnungsgemäß oder ob er den Jahre nach Vertragsabschluss erklärten Widerruf als treuwidrig ansieht. Soweit der BGH im Urteil vom 24.04.2013 die Voraussetzungen für das Eingreifen der Vorerstreckungsklausel als nicht gegeben angesehen hat, beruht dies auf den tatsächlichen Umständen des dort entschiedenen Falles und nicht auf einer Auslegung der Vorerstreckungsklausel, die enger wäre als das Klauselverständnis der Kammer. Wenn der BGH in seinem Beschluss vom 05.04.2006 - IV ZR 176/05 -, zustimmend zitiert von Wendt in RuS 2008, 223, davon ausgeht, dass bei Stellung des - aus Sicht des Versicherungsnehmers rechtmäßigen - Antrags bei einem Unfallversicherer eben diese Antragstellung eine Willenserklärung oder Rechtshandlung im Sinne der Vorerstreckungsklausel darstellt, der Streit vor dem Sozialgericht demnach mit Stellung des Rentenantrags vorprogrammiert sei, so muss dies doch auch für Fälle der vorliegenden Art gelten, in denen eine rechtswidrige Widerrufsbelehrung den Ausgangspunkt für den weiteren Streit bildet; denn gerade ein rechtswidriges Verhalten ist geeignet, einen späteren Rechtsstreit aufkommen zu lassen.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass § 4 Abs. 2 ARB 2010 eine § 4 Abs. 3 lit. a) ARB 2010 verdrängende Regelung darstellt in dem Sinne, dass die Vorerstreckungsklausel nicht eingreifen könnte, wenn die entsprechende Willenserklärung oder Rechtshandlung ihrerseits bereits einen Rechtsschutzfall darstellt (für eine gleichrangige Anwendbarkeit auch OLG Celle, Urteil vom 10.07.2008 - 8 U 30/08 -, zu recherchieren über juris). Denn auch dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer erschließt sich aus § 4 Abs. 3 lit. a) ARB 2010 ohne Weiteres, dass der Versicherer keinen Deckungsschutz für Rechtsschutzfälle übernehmen will, deren Aufkommen vor Abschluss des Versicherungsvertrages und Ablauf der Wartefrist bereits mit Rücksicht auf eine bestimmte Willenserklärung oder Rechtshandlung vorprogrammiert ist. Demnach kann auch unter diesem Gesichtspunkt offen bleiben, ob - wie die Beklagte auf die im Urteil des OLG Köln vom 13.07.1992 - 5 U 188/91 -, VersR 1993, 47 f wohl zutreffend ausführt - vorliegend von einem einheitlichen Rechtsschutzfall im Sinne des § 4 Abs. 2 ARB 2010 auszugehen ist, für den die dort genannte Jahresfrist nicht gilt.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 5.645,78 €