FG Münster, Urteil vom 09.12.2015 - 13 K 1232/12
Fundstelle
openJur 2016, 2994
  • Rkr:
Tenor

Der Haftungsbescheid vom 13.12.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22.8.2011 und der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2012 wird aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids für Körperschaftsteuer der Streitjahre 2001 bis 2005.

Die Klägerin war seit dem 22.11.2000 Geschäftsführerin der nach österreichischem Recht gegründeten und im österreichischen Handelsregister eingetragenen X. GmbH (nachfolgend: "GmbH"). Die Geschäftsadresse der GmbH lautete N. Str. 01 in ... Wien/Österreich. Gegenstand des Unternehmens der GmbH war der Handel mit ... . Alleinige Gesellschafterin der GmbH war die in der Schweiz ansässige Y. AG. Die GmbH war nach österreichischem Recht körperschaftsteuerpflichtig und erhielt für die Jahre 2001 bis 2004 vom Finanzamt Wien Körperschaftsteuerbescheide, mit denen die österreichische Körperschaftsteuer auf 25.490,72 EUR, 33.608,- EUR (2002), 46.384,37 EUR (2003) und 57.890,11 EUR (2004), zusammen 163.373,20 EUR festgesetzt wurde. Die GmbH war auf dem deutschen Markt tätig.

Die Finanzverwaltung führte Ermittlungen über die Geschäftstätigkeit der GmbH in Deutschland durch, und zwar im Rahmen einer Betriebsprüfung und einer Steuerfahndungsprüfung. Die Steuerfahndungsprüfung richtete sich gegen den in A. wohnhaften Herrn S. L., der in A. für die GmbH tätig gewesen und faktisch deren Leitung übernommen haben soll. Zudem führte die Finanzverwaltung eine Betriebsprüfung bei der in A. ansässigen Z. GmbH & Co. KG (nachfolgend: "KG") durch, deren alleinige Kommanditistin die Y. AG war. Komplementärin war die Z. - Gesellschaft für ... mbH, deren alleiniger Geschäftsführer Herr J. L., der Bruder des Herrn S. L., war. Herr S. L. soll wiederum als Berater der KG tätig gewesen sein.

In der Folge dieser Prüfungen vertrat der Beklagte die Auffassung, dass ab dem 1.10.2000 die tatsächliche Geschäftsleitung der GmbH nicht in Wien gewesen sei, sondern in A.. Die Entscheidungen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung seien ausschließlich von Herrn S. L. gezeichnet worden, die übrige Tätigkeit der GmbH sei durch Mitarbeiter der KG erledigt worden. Die laufende Post der GmbH sei, soweit sie an die Wiener Anschrift adressiert gewesen sei, an die Büroräume der KG in A. weitergeleitet worden. Auch die unter der Telefonnummer der GmbH auflaufenden Telefonate seien auf die Telefonnummer der KG umgeleitet worden. Die Klägerin habe demgegenüber keine Weisungen im Rahmen einer Geschäftsleitung erteilt. Hierdurch sei die GmbH in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig.

Der Beklagte erließ deshalb am 9.2.2007 Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 2001 bis 2005, in denen er die Körperschaftsteuer auf 23.482 EUR (2001), 29.210 EUR (2002), 42.929 EUR (2003), 37.128 EUR (2004) und 22.277 EUR (2005) festsetzte. Er gab die Bescheide bekannt unter Verwendung der Adresse der GmbH in Wien. Die Bescheide für 2004 und 2005 standen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 der Abgabenordnung - AO -. Die Besteuerungsgrundlagen ermittelte er für die Jahre 2001 bis 2003 anhand der österreichischen Handelsbilanzen der GmbH, während er für die Jahre 2004 und 2005 eine Vollschätzung anhand der Umsatzsteuervoranmeldungen vornahm, auf die er eine aus dem Jahr 2003 abgeleitete Umsatzrendite (11,84 %) anwandte und weiterhin noch Auslandsumsätze hinzuschätzte. Zudem berücksichtigte er verdeckte Gewinnausschüttungen, die aus einem Geschäftsbesorgungsvertrag der GmbH mit der Y. AG vom 15.12.2000 entstanden sein sollen, und zwar i.H.v. 33.149,12 EUR (2001), 41.887,94 EUR (2002) und 58.902,73 EUR (2003). Bei diesen Zahlen handelte es sich um die vollständige erfolgsabhängige Vergütung i.H.v. 30 % vom Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit, welche nach dem Vertrag von der GmbH an die Y. AG zu zahlen war. Die Annahme der verdeckten Gewinnausschüttungen begründete der Beklagte damit, die Vereinbarung sei unter fremden Dritten in dieser Form nicht abgeschlossen worden, sondern nur eine Entgeltvereinbarung auf Stundenbasis wäre fremdüblich gewesen. Außerdem sei das Geschäftsbesorgungsentgelt der Jahre 2001 bis 2003 erst im Jahr 2005 gezahlt worden. Daher sei die gesamte vertraglich geschuldete Vergütung als verdeckte Gewinnausschüttung anzusehen.

Noch bevor die Körperschaftsteuerforderungen gegen die GmbH am 10.4.2007 fällig wurden, setzte der Beklagte am 30.3.2007 die Vollziehung dieser Bescheide ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über die gegen diese Bescheide eingelegten Einsprüche aus.

Aufgrund der Einsprüche der GmbH erließ der Beklagte am 24.5.2007 eine Einspruchsentscheidung, mit der er die Einsprüche als unbegründet zurückwies. Wegen der Einzelheiten - insbesondere auch wegen der Annahmen und Berechnungen des Beklagten - wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen. Die GmbH führte wegen dieser Bescheide beim Finanzgericht Münster ein Klageverfahren unter dem Az. 9 K 2662/07 K, G, F. Der Beklagte setzte die Vollziehung der angefochtenen Bescheide für die Dauer des Klageverfahrens aus. Die GmbH bestritt im Klageverfahren nicht nur ihre unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht in Deutschland, sondern wandte sich zudem gegen die Zurechnung verdeckter Gewinnausschüttungen. Außerdem reichte sie im Klageverfahren ihre Jahresabschlüsse auf den 31.12.2004 und 31.12.2005 ein, mit denen sie einen Jahresüberschuss vor Körperschaftsteuer i.H.v. 168.743 EUR (2004) und 8.187,83 EUR (2005) erklärte. Der Beklagte teilte daraufhin mit Schreiben vom 3.2.2010 und 23.4.2010 mit, die vorgelegten Jahresabschlüsse könnten grundsätzlich der Besteuerung zugrunde gelegt werden. An den geschätzten Werten werde nicht mehr festgehalten. Jedoch müssten zusätzlich verdeckte Gewinnausschüttungen i.H.v. 72.118,84 EUR (2004) bzw. 1.785,94 EUR (2005) aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrags angesetzt und Gewerbesteuerrückstellungen berücksichtigt werden. Für das Streitjahr 2004 müsse es aus verfahrensrechtlichen Gründen bei dem bisher angesetzten zu versteuernden Einkommen bleiben, während für das Jahr 2005 das zu versteuernde Einkommen auf 4.911,84 EUR zu verringern sei.

Parallel zum Klageverfahren wurde ein Verständigungsverfahren nach dem deutsch-österreichischen Doppelbesteuerungsabkommen eingeleitet. Zu einem Ruhen des Klageverfahrens kam es deshalb aber nicht. Das Verständigungsverfahren konnte während des Klageverfahrens noch nicht abgeschlossen werden.

Noch im Verlauf des Klageverfahrens 9 K 2662/07 K, G, F wurde die GmbH am 9.2.2010 im österreichischen Handelsregister "infolge beendeter Liquidation" gelöscht. Dies ging auf einen am 3.2.2010 beim österreichischen Handelsregister eingereichten Löschungsantrag zurück. Der Prozessbevollmächtigte der GmbH nahm daraufhin mit Schreiben vom 23.4.2010 die Klage 9 K 2662/07 K, G, F mit dem Hinweis zurück, dass die GmbH inzwischen liquidiert worden sei und er in dieser Angelegenheit keinen Ansprechpartner mehr habe. Die Y. AG habe auf einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung beschlossen, den Prozessbevollmächtigten aufzufordern, die Klage zurückzunehmen. In demselben Schreiben beantragte der Prozessbevollmächtigte der GmbH, die Körperschaftsteuerbescheide 2004 und 2005 nach Maßgabe der eingereichten Jahresabschlüsse zu ändern. Geänderte Körperschaftsteuerbescheide 2004 und 2005 erließ der Beklagte jedoch nicht. Das Klageverfahren wurde mit Beschluss vom 26.4.2010 eingestellt. Wegen der Einzelheiten des Klageverfahrens wird auf die beigezogene Gerichtsakte 9 K 2662/07 K, G, F verwiesen.

In einem vor dem Finanzgericht Münster von der Y. AG (Az. 9 K 2660/07 K, G, F) sowie in einem von Herrn S. L. geführten Rechtsstreit (Az. 8 K 2622/07 E) führten die Berichterstatter der beiden Senate am 9.6.2010 einen gemeinsamen Erörterungstermin durch. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Dort heißt es u.a.:

"Außerhalb der heute verhandelten Verfahren sprach der Vertreter des Finanzamts an, dass im Verfahren der X. GmbH erhebliche Steuerrückstände in Deutschland bestehen und das Finanzamt hier eine Haftungsinanspruchnahme des Herrn S. L. für naheliegend halte. Die Beteiligten trafen insoweit die folgende Übereinkunft:

Herr S. L. und seine Bevollmächtigten werden ihre Möglichkeiten wahrnehmen, auf den früheren Gesellschafter der X. GmbH, der X. Holding AG, einzuwirken, dass ein neuer "Ansprechpartner" für die bereits liquidierte X. GmbH bestellt wird. Nach Lage der Dinge hätte dieser "Ansprechpartner" bei Zugrundelegung der deutschen Rechtslage die Stellung eines Nachtragsliquidators. Den Fall der Bestellung eines solchen Ansprechpartners, der dann nach dem übereinstimmenden Willen der heutige versammelten Beteiligten auch für die gesamte Dauer des noch laufenden Verständigungsverfahrens Ansprechpartner bleiben müsste, erklärten die Vertreter des Finanzamts, dass sie dann keine Notwendigkeit des Erlasses eines Haftungsbescheids sehen würden. Dies hat den Hintergrund, dass bei einem Ausgang des Verständigungsverfahrens in dem Sinne, dass das Besteuerungsrecht Österreich zusteht, ohnehin keine Steuerschulden in Deutschland bestehen würden, für die Herr L. haften könnte. Bei einem Ausgang des Verständigungsverfahrens in dem Sinne, dass das Besteuerungsrecht Deutschland zustünde, würde aber das dann in Österreich entstehende Steuerguthaben voraussichtlich ausreichen, um die Steuerrückstände in Deutschland tilgen zu können.

Um dem Finanzamt größere Rechtssicherheit im Hinblick auf die möglicherweise ablaufende Verjährungsfrist für den Erlass eines Haftungsbescheids zu geben, stellen die Beteiligten in Aussicht, dass der nunmehr kurzfristig zu bestellende Nachtragsliquidator innerhalb der noch laufenden Verjährungsfrist erklärt, dass er einem im Verständigungsverfahren künftig ergehenden Verständigungsvorschlag zustimmen werde. "

Mit Schreiben vom 6.5.2010 erklärte der Beklagte gegenüber der GmbH, dass die Aussetzung der Vollziehung beendet sei und die offenen Steuerbeträge nunmehr bis spätestens zum 10.6.2010 zu entrichten seien. Indes ergriff der Beklagte gegenüber der GmbH im weiteren Verlauf keine Vollstreckungsmaßnahmen.

Nachdem die GmbH die offenen Steuerbeträge nicht entrichtet hatte, wandte sich der Beklagte mit Schreiben vom 24.11.2010 an die Klägerin und bat u.a. um Mitteilung, ob andere Verbindlichkeiten der GmbH in dem gleichen Verhältnis wie die Steuerschulden getilgt worden seien. Zugleich stellte er den Erlass eines Haftungsbescheids in Aussicht. Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 6.12.2010 und wies u.a. darauf hin, sie habe nach der Löschung der GmbH im Handelsregister keinen Zugriff mehr auf deren Unterlagen. Daher könne sie die aufgeworfenen Fragen nicht beantworten.

Mit Haftungsbescheid vom 13.12.2010 nahm der Beklagte die Klägerin wegen rückständiger Körperschaftsteuer der GmbH für 2001 bis 2005 und steuerlicher Nebenleistungen gemäß § 191 Abs. 1 i.V.m. §§ 69, 34 AO in Höhe von insgesamt 190.943,52 EUR in Anspruch. Hiervon waren 181.145,52 EUR aufgrund der Steuerfestsetzungen bereits am 10.4.2007 fällig, während 9.798,- EUR auf die seit dem 10.6.2010 verwirkten Säumniszuschläge entfielen.

Der Beklagte begründete die Haftung damit, die Klägerin habe als alleinige Geschäftsführerin der GmbH die Steuerschulden bei Fälligkeit aus den Mitteln der GmbH entrichten müssen. Sie sei ihrer Pflicht, die geschuldeten Körperschaftsteuerbeträge 2001 bis 2005 bis spätestens zum Ablauf des Fälligkeitstages (10.4.2007) an das Finanzamt abzuführen, nicht nachgekommen. Die Haftungsschuld sei auch nicht deshalb zu vermindern, weil gegebenenfalls die Mittel zur Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten nicht ausreichten und daher die rückständigen Körperschaftsteuerbeträge nur anteilig in dem gleichen Verhältnis wie die übrigen Verbindlichkeiten zu tilgen waren. Denn aufgrund des Schreibens vom 24.11.2010, welches die Frage einer vorrangigen Befriedigung anderer Gläubiger enthalten habe, habe die Klägerin nicht geantwortet. Damit habe sie ihre Pflicht zur Auskunftserteilung nach §§ 91 Abs. 1 und 93 Abs. 1 AO verletzt. Daher sei davon auszugehen, die Klägerin habe andere Gläubiger der GmbH voll befriedigt und gegen den Grundsatz der anteiligen Tilgung verstoßen. Die Haftungsinanspruchnahme sei auch ermessensgerecht, weil die Inanspruchnahme der GmbH nicht zum Erfolg geführt habe. Durch Vollstreckungsmaßnahmen bei der GmbH hätten die rückständigen Beträge nicht eingezogen werden können. Die Klägerin sei als die für die Nichtzahlung verantwortliche Person daher in vollem Umfang zur Haftung heranzuziehen. Hierbei hafte die Klägerin zusammen mit dem faktischen Geschäftsführer, Herrn S. L., der mit Haftungsbescheid vom gleichen Tage ebenfalls in Anspruch genommen worden sei.

Mit Schreiben vom 21.12.2010 teilte das Bundeszentralamt für Steuern mit, im Verständigungsverfahren nach dem deutsch-österreichischen Doppelbesteuerungsabkommen sei in den Gesprächen mit Österreich vom 14. bis 16.12.2010 hinsichtlich der GmbH folgende Einigung erzielt worden:

"Beide Seiten kamen überein, dass der Ort der Geschäftsleitung der Gesellschaft in Deutschland gelegen ist. Da in Österreich weder Geschäftsräumlichkeiten noch eine wirtschaftliche Tätigkeit nachweisbar sind, sind der österreichischen ‚Niederlassung‘ keine Gewinne zuzurechnen. Die Verständigungslösung wird im Wege einer Forderungsabtretung an das zuständige deutsche Finanzamt umgesetzt. Die näheren Modalitäten der Abwicklung werden zwischen den zuständigen Behörden festgelegt."

Die Verständigungslösung stand u.a. unter dem Vorbehalt, dass sich der Steuerpflichtige mit der Umsetzung der Verständigungslösung einverstanden erkläre, schwebende Rechtsbehelfe ihre Erledigung fänden und auf Rechtsbehelfe gegen die die Verständigungsvereinbarung umsetzenden Bescheide verzichtet würden.

Die Klägerin legte mit Schreiben vom 28.12.2010 gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein. Diesen begründete sie damit, sie habe die fällige Körperschaftsteuer zeitnah und termingerecht in Österreich entrichtet, wo die GmbH ihren Sitz und ihre Geschäftsleitung gehabt habe. Sie habe auch stets dafür gesorgt, die entsprechenden Mittel zur Begleichung der österreichischen Steuer bei der GmbH vorzuhalten. Es habe demgegenüber keine Pflicht bestanden, zusätzliche Mittel für eine - nach deutschem Recht gar nicht entstandene - weitere Steuer für Deutschland vorzuhalten. Solche zusätzlichen Mittel seien bei der GmbH auch nicht vorhanden gewesen. Daher sei ihr, der Klägerin, keine Pflichtverletzung vorzuwerfen. Im Übrigen seien ihre Pflichten als Geschäftsführerin spätestens mit der Löschung der GmbH im Handelsregister am 9.2.2010 entfallen. Zudem verhalte sich der Beklagte treuwidrig, da er im Rahmen des Klageverfahrens der Y. AG vor dem FG Münster (Az. 9 K 2660/07 K, G, F) im Rahmen des Erörterungstermins vom 9.6.2010 vor dem Berichterstatter zugesagt habe, keine Notwendigkeit des Erlasses eines Haftungsbescheids zu sehen, wenn die Y. AG einen "Ansprechpartner" für die bereits liquidierte GmbH bestelle, der dann erklären sollte, dass er dem Ergebnis des zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens zustimme. Als ein solcher "Ansprechpartner" sei tatsächlich Herr S. L. bestellt worden. Dennoch habe der Beklagte nicht auf den Erlass von Haftungsbescheiden verzichtet.

Im Februar 2011 verrechnete der Beklagte ein Steuerguthaben der Klägerin beim Finanzamt B. i.H.v. 35.264,12 EUR mit der Haftungsschuld. Dies rechnete er auf die Körperschaftsteuer 2001 und 2002 an.

Im Laufe des Jahres 2011 erhielt der Beklagte infolge der Verständigungslösung nach dem deutsch-österreichischen Doppelbesteuerungsabkommen eine Zahlung, weil die österreichische Finanzverwaltung die von ihr für die GmbH vereinnahmte Steuer vollständig an den Beklagten abführte.

Mit Bescheid vom 22.8.2011 nahm der Beklagte gemäß § 132 i.V.m. § 130 Abs. 1 AO den angefochtenen Haftungsbescheid teilweise i.H.v. 155.418,15 EUR zurück. Dies begründete er damit, die zwischenzeitlich eingegangenen Zahlungen hätten zur Tilgung dieser Beträge geführt. Dadurch vermindere sich die Haftung auf 35.525,37 EUR. Die Haftung beziehe sich nunmehr auf die Körperschaftsteuer 2001 i.H.v. 23.482,10 EUR und die Körperschaftsteuer 2002 i.H.v. 12.043,27 EUR. Im Einzelnen gelangte er zu der folgenden Berechnung der Tilgungen ("SZ" für Säumniszuschläge):

Stand 13.12.10

Tilgung

Stand 22.8.11

2001

KSt

23.482,10

0,00

23.482,10

SZ KSt

1.407,00

1.407,00

0,00

Zinsen KSt

5.510,00

5.510,00

0,00

Soli KSt

1.291,51

1.291,51

0,00

SZ Soli KSt

75,00

75,00

0,00

2002

KSt

29.210,00

17.166,73

12.043,27

SZ KSt

1.752,00

1.752,00

0,00

Zinsen KSt

5.110,00

5.110,00

0,00

Soli KSt

1.606,55

1.606,55

0,00

SZ Soli KSt

96,00

96,00

0,00

2003

KSt

42.929,00

42.929,00

0,00

SZ KSt

2.574,00

2.574,00

0,00

Zinsen KSt

4.933,00

4.933,00

0,00

Soli KSt

2.361,09

2.361,09

0,00

SZ Soli KSt

141,00

141,00

0,00

2004

KSt

37.128,00

37.128,00

0,00

SZ KSt

2.226,00

2.226,00

0,00

Zinsen KSt

2.040,00

2.040,00

0,00

Soli KSt

2.042,04

2.042,04

0,00

SZ Soli KSt

120,00

120,00

0,00

2005

KSt

22.277,00

22.277,00

0,00

SZ KSt

1.335,00

1.335,00

0,00

Soli KSt

1.225,23

1.225,23

0,00

SZ Soli KSt

72,00

72,00

0,00

Summe

190.943,52

155.418,15

35.525,37

Mit Einspruchsentscheidung vom 12.3.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zusätzlich zu seiner Begründung des Haftungsbescheids führte er aus, die Klägerin habe ihre Pflichten als Geschäftsführerin auch deshalb verletzt, weil sie sich durch die Vorwegbefriedigung anderer Gläubiger oder in sonstiger Weise schuldhaft außer Stande gesetzt habe, künftig fällig werdende Steuerschulden, deren Entstehung ihr bekannt gewesen seien, zu tilgen. Sie hafte daher nicht nur wegen einer Verletzung der Steuerentrichtungspflichten, sondern auch wegen einer Verletzung der Pflicht zur Vorhaltung entsprechender Mittel. Diese Pflicht zur Vorsorge für die rechtzeitige Bezahlung der später fällig werdenden Steuern und steuerlichen Nebenleistungen habe sie unabhängig von den in Österreich termingerecht entrichteten Steuern gehabt; durch die Leistung an die österreichischen Steuerbehörden sei nämlich keine inländische Steuer getilgt worden, so dass sogar eine Doppelbesteuerung hinzunehmen gewesen wäre, wenn diese nicht durch das Verständigungsverfahren verhindert worden wäre. Eine Doppelbesteuerung hätte die Klägerin durch die besondere Gestaltung der Geschäftsführungsstrukturen zu verantworten gehabt. Von der Pflicht zur Mittelvorhaltung sei sie auch nicht dadurch entbunden worden, dass ihre Vertretungsmacht als Geschäftsführerin durch die Löschung der GmbH im Handelsregister am 9.2.2010 geendet habe, da entsprechende Mittel weiterhin hätten vorgehalten bzw. Vermögenswerte hätten gesichert werden müssen. Diese Pflichten habe sie grob fahrlässig verletzt.

Die Inanspruchnahme der Klägerin für die rückständigen Steuerbeträge einschließlich Nebenleistungen sei auch ermessensgerecht gewesen, da die Vollstreckungsmaßnahmen gegen die GmbH selbst erfolglos geblieben seien.

Die Klägerin hat daraufhin am 2.4.2012 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt, ihren Vortrag ausführlich wiederholt und vertieft.

Hierzu bezieht sie sich zusätzlich auf den Vortrag des Prozessbevollmächtigten der GmbH im Verfahren 9 K 2662/07 K, G, F und macht sich diesen zu Eigen, soweit er die Körperschaftsteuer betrifft. Trotz der Klagerücknahme müsse sie sich die bestandskräftige Steuerfestsetzung im Haftungsverfahren nämlich nicht vorhalten lassen, da ihr diese gemäß § 166 AO nicht zuzurechnen sei. Sie sei im Zeitpunkt der Klagerücknahme nicht mehr Geschäftsführerin der GmbH gewesen. Aus dem Vortrag des Klageverfahrens 9 K 2662/07 K, G, F folgert sie nicht nur, dass eine deutsche Steuerpflicht der GmbH nicht bestehe, sondern auch, dass ihr persönlich jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit angelastet werden könne, nachdem der Prozessbevollmächtigte die deutsche Steuerpflicht ausdrücklich verneint habe. Denn selbst wenn die deutsche Steuerpflicht später anzunehmen sein sollte, habe sie sich jedenfalls in einem Rechtsirrtum befunden, der in ihrer Person eine grobe Fahrlässigkeit ausschließe.

Zum Beweis des Vortrags, dass die GmbH auch nicht in der Lage gewesen sei, neben der österreichischen Steuer Mittel für eine deutsche Steuer bereitzuhalten, hat die Klägerin Kontoauszüge der GmbH ab dem 18.8.2009 vorgelegt, aus denen sich frei verfügbare Mittel in Höhe von lediglich 10.857,22 EUR am 18.8.2009 und - nach Verbrauch - von nur noch 908,32 EUR im Frühjahr 2010 laut einer handschriftlichen Notiz ergäben. Diesen verfügbaren Mitteln hätten aber u.a. auch Verbindlichkeiten der Stadt A. aus Gewerbesteuer i.H.v. 197.006,49 EUR sowie weitere Verpflichtungen gegenüber der Y. AG und der C. AG gegenübergestanden. Die GmbH habe im Übrigen ab 2009 mangels Kunden auch keine Gewinne mehr erwirtschaftet.

Weiterhin meint sie, nach dem Eingang der österreichischen Gutschrift hätten vorrangig die ältesten in Deutschland bestehenden Steuerschulden getilgt werden müssen, im Übrigen hätte auf Säumniszuschläge und Zinsen verzichtet werden sollen.

Die Klägerin beantragt,

den Haftungsbescheid vom 13.12.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22.8.2011 und der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seine Einspruchsentscheidung. Vertiefend trägt er vor, er habe sich nicht treuwidrig verhalten, indem er im Nachgang der "Übereinkunft" vom 9.6.2010 (Protokoll des Erörterungstermins zum Az. 9 K 2660/07 K, G, F) nicht auf Haftungsbescheide verzichtet habe. Denn Herr S. L. sei nicht als "Ansprechpartner" oder Nachtragsliquidator bestellt worden. Herr L. habe zwar hierzu schriftlich seine Bereitschaft angezeigt, jedoch sei er nicht förmlich bestellt worden. Im Übrigen habe er die Haftungsbescheide wegen des Problems der drohenden Verjährung erlassen müssen, was auch im Termin vom 9.6.2010 angesprochen worden sei. Die dort wegen der drohenden Verjährung in Aussicht gestellte Erklärung des "Ansprechpartners" sei nämlich nicht eingegangen.

Mit Schriftsatz vom 29.9.2015 hat der Beklagte sodann vorgetragen, als Pflichtverletzung sei der Klägerin nunmehr (zusätzlich) vorzuhalten, dass sie eine rechtswidrige Löschung der GmbH im österreichischen Handelsregister verursacht habe. Zu den Aufgaben der Liquidatorin einer GmbH - mithin zu den Aufgaben der Klägerin - habe es u.a. gehört, die Gläubiger zu befriedigen bzw. deren Befriedigung sicherzustellen. Nach Beendigung der Liquidation habe der Liquidator nach österreichischem Recht mittels beglaubigten Antrags die Löschung der GmbH im Firmenbuch zur Eintragung anzumelden. Dem Antrag auf Löschung sei u.a. eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamts beizulegen, denn gemäß § 160 Abs. 3 der österreichischen Bundesabgabenordnung dürften Löschungen von Kapitalgesellschaften im österreichischen Firmenbuch erst vorgenommen werden, wenn eine Bescheinigung des für die Erhebung der Körperschaftsteuer zuständigen Finanzamts darüber vorliege, dass der Löschung steuerliche Bedenken nicht entgegenstünden. Eine solche Bescheinigung habe er - der Beklagte - nicht erteilt. Die Klägerin habe von ihm auch keine Zustimmung eingeholt. Der Klägerin sei jedoch bekannt gewesen, dass die deutsche Finanzverwaltung von einer deutschen Steuerpflicht der GmbH ausgegangen und deshalb ein Klageverfahren anhängig gewesen sei. Zudem sei ihr das zwischenstaatliche Verständigungsverfahren bekannt gewesen. Die Klägerin habe also die Löschung der GmbH beantragt, obwohl sie davon hätte ausgehen müssen, dass er - der Beklagte - der Löschung nicht zustimmen würde. Dieses pflichtwidrige Verhalten der Klägerin sei auch kausal für den Steuerschaden, der dadurch entstanden sei, dass die GmbH nach ihrer Löschung im Handelsregister ihre steuerlichen Pflichten nicht mehr erfüllt habe. Folglich sei auch die Pflichtverletzung, dass die Klägerin die erforderlichen Mittel zur Begleichung der Steuern nicht vorgehalten habe, kausal für den Steuerschaden.

Als Steuerschaden seien hierbei die gegenüber der GmbH bestandskräftigen Körperschaftsteuerbescheide anzusehen. Diese müsse die Klägerin gemäß § 166 AO gegen sich gelten lassen. Dies ergebe sich auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 22.4.2015 XI R 43/11, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2015, 755 und dem BFH-Beschluss vom 28.3.2001 VII B 213/00, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2001, 1217. Denn die Klägerin habe selbst als Geschäftsführerin im Klageverfahren 9 K 2662/07 K, G, F die GmbH vertreten. Zwar sei sie im Zeitpunkt der Klagerücknahme nicht mehr Geschäftsführerin gewesen. Sie sei aber vor der Löschung der GmbH im Handelsregister in der Lage gewesen, so der Beklagte im Schriftsatz vom 29.9.2015, als letzte Handlung für die GmbH die Liquidation einzuleiten und auch den Prozessvertreter in diesem zeitlichen Zusammenhang mit Weisungen zu versehen, wie der noch weiter laufende Finanzgerichtsprozess zu Ende zu führen sei. Nach ihr sei kein weiterer Geschäftsführer bestellt worden. Daher seien die Körperschaftsteuerbescheide "mit Hilfe und durch Initiative der Klägerin unanfechtbar geworden". Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Jahresabschlüsse für 2004 und 2005 bereits viel früher erstellt worden seien, als sie dem Beklagten vorgelegt worden seien, weil sie nämlich dem österreichischen Finanzamt schon im Jahr 2007 vorgelegen hätten. Es wäre der Klägerin als Geschäftsführerin der GmbH möglich gewesen, im Klageverfahren Änderungen der Höhe der streitigen Körperschaftsteuer zu bewirken. Daher müsse sie sich die Festsetzung nach § 166 AO zurechnen lassen.

Unabhängig von der Wirkung des § 166 AO könne ihm - dem Beklagten - nicht vorgehalten werden, er habe die für die Jahre 2004 und 2005 eingereichten Jahresabschlüsse nicht in Körperschaftsteuerbescheide umgesetzt. Denn Gegenstand des Haftungsverfahrens sei - nach der Änderung - nur noch die Körperschaftsteuer der Jahre 2001 und 2002. Die ehemals übrigen Streitjahre hätten hierauf keinen Einfluss mehr. Er - der Beklagte - habe für 2001 und 2002 jedoch den Steuerbilanzgewinn ebenso wie die verdeckten Gewinnausschüttungen zutreffend den Körperschaftsteuerbescheiden zugrunde gelegt. Selbst wenn die Jahresabschlüsse für 2004 und 2005 zu berücksichtigen gewesen seien, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Aufgrund der verdeckten Gewinnausschüttungen i.H.v. 72.118,84 EUR (2004) bzw. 1.785,94 EUR (2005) sei ein zu versteuerndes Einkommen (nach Gewerbesteuerrückstellung) von 198.896 EUR (2004) und 4.911,84 EUR (2005) anzusetzen, so dass die festzusetzende Körperschaftsteuer 49.794 EUR (2004) und 1.227 EUR (2005) betrage. Gegenüber den bisherigen Festsetzungen i.H.v. 37.128 EUR (2004) und 22.277 EUR (2005) ergebe sich dann zwar eine Steuererhöhung von 12.596 EUR (2004) und eine Steuerminderung von 21.050 EUR (2005), im Saldo also eine Minderung von 8.454 EUR (zzgl. Zinsen). Jedoch könne diese Minderung nicht zu einer Herabsetzung des Haftungsbetrages führen. Denn für die Körperschaftsteuer der GmbH der Jahre 2001 bis 2005 seien Aussetzungszinsen i.H.v. 29.430 EUR angefallen. Diese seien bislang aufgrund der österreichischen Gutschrift lediglich i.H.v. 12.782,43 EUR beglichen worden. Von den nach wie vor unbeglichen Aussetzungszinsen i.H.v. 16.647,75 EUR hätten, so der Beklagte im Schriftsatz vom 29.9.2015, "die Aussetzungszinsen zusätzlich in Höhe von 8.454 EUR realisiert werden können".

In der mündlichen Verhandlung vom 9.12.2015 hat der Beklagte bestätigt, dass Vollstreckungsversuche gegen die GmbH nicht vorgenommen worden seien. Wegen der Aussetzung der Vollziehung habe zunächst nicht vollstreckt werden dürfen; nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung habe nicht mehr vollstreckt werden können im Hinblick auf die Nichtexistenz der GmbH.

Der Senat hat am 9.12.2015 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung verwiesen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

I.

Der Haftungsbescheid vom 13.12.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 22.8.2011 und der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -. Die Voraussetzungen einer Haftungsinanspruchnahme gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 69, 34 AO waren nicht erfüllt.

Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Gem. § 69 Satz 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftung umfasst gem. § 69 Satz 2 AO auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.

1) Die Klägerin war gesetzliche Vertreterin der GmbH i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 AO.

Nach dieser Vorschrift haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Dies trifft auf die Klägerin zu, da sie seit dem 22.11.2000 als Geschäftsführerin der GmbH bestellt war.

2) Sie hat jedoch nicht gem. § 69 Satz 1 AO in vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Weise die ihr auferlegten Pflichten verletzt.

Grob fahrlässig im Sinne des § 69 AO handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt (BFH-Urteile vom 28.6.2005 I R 2/04, GmbH-Rundschau - GmbHR - 2006, 48;vom 12.5.1992 VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785).

Der gesetzliche Vertreter verletzt nicht nur dann seine Pflicht, wenn er entgegen § 34 Absatz 1 Satz 2 AO nicht dafür sorgt, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die er verwaltet. Vielmehr trifft den gesetzlichen Vertreter auch dann eine schuldhafte Pflichtverletzung, wenn er ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (ständige Rechtsprechung, BFH-Beschluss vom 25.4.2013 VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063; BFH-Urteil vom 11.3.2004 VII R 19/02, BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.). Dementsprechend kommt als Haftungsschuldner i.S.d. § 69 AO auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegende Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat (BFH-Beschluss vom 25.4.2013 VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Klägerin im Ergebnis jedoch kein Pflichtverstoß vorzuwerfen.

a) Zwar ergab sich für die Klägerin ursprünglich aus den an die GmbH gerichteten Körperschaftsteuerfestsetzungen vom 9.2.2007 die Pflicht, für deren spätere Tilgung entsprechende Mittel vorzuhalten, allerdings nur in Höhe von 17.772,32 EUR.

Aufgrund der Körperschaftsteuerfestsetzungen musste die Klägerin nämlich mit einer Zahlungspflicht der GmbH in Höhe der festgesetzten Körperschaftsteuer rechnen. Sie musste die Steuern nicht sofort bei deren regulärer Fälligkeit am 10.4.2007 entrichten, sondern wegen der bereits am 30.3.2007 für das Einspruchsverfahren ausgesprochenen Aussetzung der Vollziehung, die im Klageverfahren fortgesetzt wurde, erst nach Bestandskraft der Steuerfestsetzungen. Da diese Bestandskraft absehbar in der Zukunft eintreten konnte, traf die Klägerin eine Verpflichtung, bei der GmbH entsprechende Mittel für eine zukünftige Tilgung vorzuhalten.

Diese Pflicht bezieht sich zunächst auf die tatsächlichen Festsetzungen vom 9.2.2007. Hierbei handelt es sich um eine Festsetzung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe von 181.145,52 EUR entsprechend den Steuerbescheiden.

Hingegen musste die Klägerin keine Mittel für eventuelle Säumniszuschläge vorhalten, da solche aufgrund der gewährten Aussetzung der Vollziehung für sie nicht erkennbar waren. Es war nicht absehbar, zu welchem Zeitpunkt die Steuern fällig werden könnten und die GmbH dann möglicherweise säumig bleiben könnte. Die verwirkten Säumniszuschläge in Höhe von 9.798,- EUR, für welche die Klägerin nach dem angefochtenen Haftungsbescheid haften soll, musste sie daher nicht vorhalten.

Im Rahmen ihrer Vorhaltepflicht konnte die Klägerin aber von den festgesetzten Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe von 181.145,52 EUR weiterhin die in Österreich entrichtete Körperschaftsteuer abrechnen.

Wegen der Schutzwirkung des deutsch-österreichischen Doppelbesteuerungsabkommens - DBA - musste die Klägerin nämlich nicht damit rechnen, dass die GmbH einer Doppelbesteuerung unterliegen würde. Das DBA Österreich enthält nämlich in Art. 4 eine eigenständige Definition der Ansässigkeit, welche bewirkt, dass eine Person für DBA-Zwecke stets nur in einem Staat als ansässig gilt. Unter weiterer Berücksichtigung der Regelungen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in Art. 23 DBA Österreich bedeutet dies, dass die Einkünfte einer Person im Ergebnis nur einmal der Steuer unterworfen werden. Anders als der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung ausführt, hätte die GmbH daher keine Doppelbesteuerung hinnehmen müssen. Im Falle einer Ansässigkeit in Deutschland konnte die Klägerin davon ausgehen, dass sie in Österreich nicht steuerpflichtig sein und die in Österreich gezahlte Körperschaftsteuer entweder erstattet oder verrechnet werden würde. Ob dies im regulären Veranlagungsverfahren geschieht oder - wie im Streitfall - aufgrund der Durchführung eines zwischenstaatlichen Verständigungsverfahrens, ist unerheblich. In beiden Fällen musste die Klägerin nicht von einer Doppelbesteuerung der Einkünfte der GmbH ausgehen, sondern von einer Verrechnung der österreichischen Steuer, falls sich eine Ansässigkeit der GmbH in Deutschland herausstellen sollte.

Daher konnte die Klägerin jedenfalls mit einer Übertragung des österreichischen Steuerguthabens nach Deutschland rechnen. In Österreich waren 163.373,20 EUR Körperschaftsteuer festgesetzt und gezahlt. Die Klägerin konnte mindestens mit einer Gutschrift in dieser Höhe rechnen. Damit beschränkte sich die Pflicht der Klägerin zur Mittelvorhaltung auf 17.772,32 EUR (181.145,52 EUR abzüglich 163.373,20 EUR).

b) Die Pflicht zur Vorhaltung von Mitteln in Höhe von 17.772,32 EUR ist jedoch dadurch entfallen, dass die GmbH im Laufe des Klageverfahrens 9 K 2662/07 K, G, F die Jahresabschlüsse auf den 31.12.2004 und 31.12.2005 einreichte und sich der Beklagte mit Schreiben vom 3.2.2010 und 23.4.2010 bereit erklärte, die vorgelegten Jahresabschlüsse der Besteuerung zugrunde zu legen.

Hieraus ergab sich eine Steuerherabsetzung von 21.050 EUR für das Jahr 2005, während die Veranlagung für das Jahr 2004 aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr geändert werden durfte. Unter Berücksichtigung der Steuerminderung von 21.050 EUR, die aus Sicht der Klägerin aufgrund der Zusage des Beklagten absehbar und mit Sicherheit zu erwarten war, ist die Pflicht zur Vorhaltung von Mittel i.H.v. 17.772, 32 EUR im Saldo vollständig entfallen.

Denn die Klägerin konnte wirksam Einwendungen gegen die Steuerschuld der GmbH geltend machen, und zwar bezüglich der Körperschaftsteuer 2005.

aa) Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Klägerin infolge der Klagerücknahme der GmbH im Verfahren 9 K 2662/07 K, G, F nicht gem. § 166 AO daran gehindert, Einwendungen gegen die Steuerschuld der GmbH geltend zu machen.

Ist die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber unanfechtbar festgesetzt, so hat dies gemäß § 166 AO neben einem Gesamtrechtsnachfolger auch gegen sich gelten zu lassen, wer in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten.

(1) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Zwar war die Steuer gegenüber der GmbH aufgrund der Klagerücknahme vom 23.4.2010 zum Az. 9 K 2662/07 K, G, F unanfechtbar festgesetzt, weil die Rücknahme der Klage gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 FGO bei fristgebundenen Klagen - wie im Streitfall - den Verlust der Klage zur Folge hat. Jedoch wäre die Klägerin am 23.4.2010 nicht in der Lage gewesen, die Bescheide als Vertreterin der GmbH weiterhin anzufechten bzw. die Klage aufrecht zu erhalten. Denn zu diesem Zeitpunkt war die GmbH bereits aus dem österreichischen Handelsregister gelöscht.

Steuerrechtlich wird eine gelöschte GmbH zwar als fortbestehend angesehen, solange sie noch steuerrechtliche Pflichten zu erfüllen hat oder gegen sie ergangene Steuerbescheide oder Haftungsbescheide angreift (BFH-Urteile vom 27.4.2000 I R 65/98, BFHE 191, 494, BStBl II 2000, 500; vom 26.3.1980 I R 111/79, BFHE 130, 447, BStBl II 1980, 587; vom 2.7.1969 I R 190/67, BFHE 96, 335, BStBl II 1969, 656; BFH-Beschluss vom 15.2.2006 I B 38/05, BFH/NV 2006, 1049). Jedoch hat die Löschung einer GmbH nach der Rechtsprechung des BFH zur Folge, dass ihr bisheriger gesetzlicher Vertreter (Geschäftsführer) seine Vertretungsbefugnis verliert (BFH-Urteile vom 27.4.2000 I R 65/98, BFHE 191, 494, BStBl II 2000, 500; vom 26.3.1980 I R 111/79, BFHE 130, 447, BStBl II 1980, 587). Damit konnte die Klägerin die Klagerücknahme nicht verhindern und war keine Vertreterin im Sinne des § 166 AO.

Daran vermag auch der Vortrag des Beklagten, die Bescheide seien "mit Hilfe und durch Initiative der Klägerin unanfechtbar geworden", nichts zu ändern. Denn die Wirkung des Klageverlustes tritt gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 FGO ausschließlich durch die Rücknahme ein, so dass ausschließlich auf diesen Zeitpunkt und nicht auf eine frühere "Hilfe" oder "Initiative" abzustellen ist.

(2) Unabhängig hiervon kann die Klägerin aber auch deshalb ohne die Einschränkung des § 166 AO Einwendungen gegen die Steuerschuld der GmbH geltend machen, weil die Körperschaftsteuerfestsetzungen vom 9.2.2007 für 2004 und 2005 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO standen.

Denn die Drittwirkung der Steuerfestsetzung nach Unanfechtbarkeit (formeller Bestandskraft) gemäß § 166 AO lässt bei einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung den Anspruch des Steuerpflichtigen und seines Vertreters auf Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 Satz 2 AO unberührt; beide Vorschriften haben einen voneinander unabhängigen Regelungs- und Anwendungsbereich (BFH-Urteil vom 22.4.2015 XI R 43/11, BFHE 249, 315, BStBl II 2015, 755; BFH-Beschluss vom 4.6.1996 VII S 9/96, BFH/NV 1996, 915). Selbst wenn eine unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene (§ 164 AO) Steuerfestsetzung - anders als im Streitfall - die Rechtsfolge des § 166 AO auslöst, weil die Steuer dem Steuerpflichtigen gegenüber "unanfechtbar" festgesetzt worden ist, kann eine solche Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt wirksam ist (§ 164 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO). Ein in Haftung genommener Vertreter des Steuerpflichtigen kann also auf eine Aufhebung/Änderung einer solchen Steuerfestsetzung hinwirken und trotz Unanfechtbarkeit der (noch wirksamen) Vorbehaltsfestsetzung uneingeschränkt Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser Steuerfestsetzung und gegen die Höhe der gegen ihn festgesetzten Haftungsschuld geltend machen (BFH-Urteil vom 22.4.2015 XI R 43/11, BFHE 249, 315, BStBl II 2015, 755; BFH-Beschluss vom 28.3.2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217, unter II.2.b und 3. der Gründe).

bb) Die Klägerin kann gegen die Körperschaftsteuerfestsetzung 2005 einwenden, dass der Jahresabschluss der GmbH der Steuerfestsetzung zugrunde zu legen war.

Denn die GmbH hatte im Klageverfahren 9 K 2662/07 K, G, F ihren Jahresabschluss für 2005 eingereicht, mit dem sie einen Jahresüberschuss vor Körperschaftsteuer i.H.v. 8.187,83 EUR (2005) erklärt hatte. Der Beklagte hatte daraufhin mit Schreiben vom 3.2.2010 und 23.4.2010 mitgeteilt, die vorgelegten Jahresabschlüsse könnten grundsätzlich der Besteuerung zugrunde gelegt werden und an den zuvor geschätzten Werten werde nicht mehr festgehalten. Jedoch müsse zusätzlich eine verdeckte Gewinnausschüttung i.H.v. 1.785,94 EUR (2005) angesetzt und Gewerbesteuerrückstellungen berücksichtigt werden. Für das Jahr 2005 sei das zu versteuernde Einkommen dadurch auf 4.911,84 EUR zu verringern.

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen des Beklagten an. Da der Beklagte bereits in seinen beiden Schreiben vom 3.2.2010 und 23.4.2010 der Änderung zugestimmt hatte, sieht er die Notwendigkeit dieser Steueränderung auch als zwischen den Beteiligten unstreitig an. Hieraus ergibt sich eine festzusetzende Körperschaftsteuer von 1.227 EUR für 2005, was gegenüber der bisherigen Festsetzung von 22.277 EUR eine Steuerminderung von 21.050 EUR bewirkt.

Diese Steuerminderung ist - entgegen der Auffassung des Beklagten aus seinem Schriftsatz vom 29.9.2015 - auch nicht mit einer Steuererhöhung für den Veranlagungszeitraum 2004, die aus der Zurechnung verdeckter Gewinnausschüttungen resultiert, zu saldieren. Denn für das Jahr 2004 war der Beklagte, wie er zutreffend in seinem Schreiben vom 23.4.2010 erkannt hatte, aus verfahrensrechtlichen Gründen an einer Änderung gehindert, da im Klageverfahren eine Verböserung nicht in Betracht kommt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Dies gilt auch für die sich anschließende Haftung nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO.

Erst recht darf der Beklagte eine Steuerminderung - anders als in seinem Schriftsatz vom 29.9.2015 geäußert - nicht mit Aussetzungszinsen verrechnen, damit "die Aussetzungszinsen zusätzlich in Höhe von 8.454 EUR realisiert werden können". Denn Aussetzungszinsen sind nicht Gegenstand des angefochtenen Haftungsbescheids.

Weiterhin kann der Beklagte - entgegen seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 29.9.2015 - auch nicht einwenden, Gegenstand des Haftungsverfahrens sei nach der Änderung nur noch die Körperschaftsteuer der Jahre 2001 und 2002, die übrigen Streitjahre hätten hingegen keinen Einfluss. Denn eine Minderung der Körperschaftsteuer im Streitjahr 2005 führt dazu, dass die Pflicht zur Vorhaltung von Mitteln vermindert wird und hierdurch die zu erwartende Anrechnung der in Österreich gezahlten Mittel zu einer vollständigen Tilgung aller Steuerschulden führt. Dies schließt im Ergebnis eine Pflichtverletzung der Klägerin vollständig aus.

c) Auf die zwischen den Beteiligten aufgeworfenen Streitfragen, ob die GmbH tatsächlich der unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht im Inland unterlag und ob der Beklagte zu Recht von verdeckten Gewinnausschüttungen gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ausgegangen ist, kommt es in der Folge nicht mehr an.

Es kann auch dahinstehen, ob die Klägerin - wie sie vorträgt - die fällige Körperschaftsteuer zeitnah und termingerecht in Österreich entrichtete und ob sie stets die entsprechenden Mittel zur Begleichung der österreichischen Steuer bei der GmbH vorhielt. Zudem kann dahinstehen, ob der Klägerin persönlich eine grobe Fahrlässigkeit angelastet werden kann, nachdem der Prozessbevollmächtigte der GmbH die deutsche Steuerpflicht ausdrücklich verneint hatte.

3) Der angefochtene Bescheid ist zudem auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte sein Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt hat.

Die Entscheidung, einen Haftungsschuldner gem. § 191 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. AO durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen, stellt eine Ermessensentscheidung dar. Diese ist im finanzgerichtlichen Verfahren gem. § 102 Satz 1 FGO nur eingeschränkt überprüfbar. Die Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (Ermessensfehlgebrauch). Eine Ermessensentscheidung ist hiernach bereits dann gerichtlich nicht zu beanstanden, wenn die Behörde ihre Entscheidung aufgrund eines unter Beachtung ihrer Ermittlungspflichten festgestellten Sachverhalts getroffen und dabei sämtliche Gesichtspunkte tatsächlicher und rechtlicher Art berücksichtigt hat, die nach dem Sinn und Zweck der das Ermessen einräumenden Norm maßgeblich sind; hierzu gehört auch die Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Eine entsprechende Begründung muss spätestens in der Einspruchsentscheidung erfolgen (BFH-Beschluss vom 27.3.2002 XI B 49/00, BFH/NV 2002, 1013; BFH-Urteil vom 2.2.1989 V R 173/83, BFH/NV 1990, 11). Sie kann hingegen im Klageverfahren gem. § 102 Satz 2 FGO nicht mehr nachgeholt, sondern höchstens ergänzt werden.

a) Im Streitfall hat der Beklagte seine Entscheidung nicht aufgrund eines unter Beachtung seiner Ermittlungspflichten festgestellten Sachverhalts getroffen.

Denn er hat im angefochtenen Haftungsbescheid vom 13.12.2010 ausgeführt, die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin sei ermessensgerecht, weil durch Vollstreckungsmaßnahmen bei der GmbH die rückständigen Beträge nicht hätten eingezogen werden können. In der Einspruchsentscheidung vom 12.3.2012 hat er zudem ausgeführt, die Vollstreckungsmaßnahmen gegen die GmbH selbst seien erfolglos geblieben.

Hierdurch hat der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt bei seiner Ermessensentscheidung zugrunde gelegt. Das Zugrundelegen eines unrichtigen Sachverhalts führt aber zu einem Ermessensfehler entsprechend der zitierten Rechtsprechung.

Der Senat vermag nämlich nicht festzustellen, dass der Beklagte tatsächlich Vollstreckungsversuche bei der im Ausland ansässigen GmbH unternommen hat. Mangels im Inland belegenen Vermögens wäre hierzu eine Vollstreckung im Ausland nach den jeweils anzuwendenden Amtshilferichtlinien (z.B. nach der EG-Beitreibungsrichtlinie 76/308/EWG vom 15.3.1976 und den Durchführungsbestimmungen der Richtlinie 2002/94/EG vom 9.12.2002) erforderlich gewesen, was sich im Streitfall nicht feststellen lässt. Auch der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 9.12.2015 bestätigt, dass Vollstreckungsversuche gegen die GmbH nicht vorgenommen worden sind.

b) Demgegenüber kann offen bleiben, ob dem Beklagten darüber hinaus - wie die Klägerin meint - eine "Treuwidrigkeit" vorzuhalten ist, weil er den Haftungsbescheid erlassen hat, obwohl er im Rahmen des Klageverfahrens der Y. AG (Az. 9 K 2660/07 K, G, F) und des Herrn S. L. (Az. 8 K 2622/07 E) vor dem FG Münster im Erörterungstermin vom 9.6.2010 in Aussicht gestellt hatte, unter bestimmten Voraussetzungen keine Notwendigkeit für den Erlass eines Haftungsbescheids zu sehen.

4) Es kann auch offenbleiben, ob es an der von § 69 Satz 1 AO vorausgesetzten Kausalität fehlt, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen keine Vertretungsbefugnis für die GmbH mehr hatte.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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