OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.12.2015 - 2 Ws 203/15
Fundstelle
openJur 2016, 2750
  • Rkr:

1. Werden einem Angeklagten aufgrund des Verfahrensumfangs zwei Pflichtverteidiger beigeordnet, sind beide - mit Ausnahme vereinzelter, näher zu begründender Verhinderungen - zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung verpflichtet.

2. Nimmt ein Pflichtverteidiger trotz mehrfachen Hinweisen des Gerichts auf eine drohende Entpflichtung an einem erheblichen Teil der Hauptverhandlung nicht teil, kann seine Bestellung zurückgenommen werden, da zu befürchten ist, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verhandlungsablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist.

Tenor

1) Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 6. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart vom 23. November 2015, durch die die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. E. als Pflichtverteidiger des Angeklagten H. P. mit sofortiger Wirkung zurückgenommen wurde, wird als unbegründet

v e r w o r f e n .

2) Die Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt Dr. E. gegen die genannte Entscheidung wird als unzulässig

v e r w o r f e n .

3) Die Beschwerdeführer tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

Gründe

I.

Der Angeklagte H. P. befindet sich in dieser Sache seit dem 15. August 2012 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Zeitgleich mit der Inhaftierung wurde ihm Rechtsanwalt Dr. E. als Pflichtverteidiger beigeordnet.

In der am 8. April 2013 zum Landgericht - Wirtschaftsstrafkammer - Stuttgart erhobenen Anklage legt die Staatsanwaltschaft H. P. und dem Mitangeklagten L. B. 1231 Vergehen des gemeinschaftlichen Betruges im besonders schweren Fall zum Nachteil von insgesamt 568 Geschädigten zur Last. Der verursachte Gesamtschaden soll circa 20 Millionen Euro betragen. Die 185-seitige Anklageschrift benennt insgesamt 645 Zeugen und Sachverständige. Aufgrund des Verfahrensumfangs mit 327 Stehordnern Ermittlungsakten und 118 Kartons Beweismitteln sowie elektronischen Dateien im Umfang von circa sechs Terabyte erfolgte am 11. Juni 2013 die Bestellung von Rechtsanwältin J. N. als weitere Pflichtverteidigerin des Angeklagten P. Auch dem Mitangeklagten wurde ein zweiter Pflichtverteidiger beigeordnet. Die zunächst am 26. Juli 2013 begonnene Hauptverhandlung musste aufgrund Schwangerschaft einer Richterin der Strafkammer am 4. Februar 2014 ausgesetzt werden. In der nunmehr seit dem 25. März 2014 andauernden neuen Hauptverhandlung haben bis zum 19. November 2015 insgesamt 113 Sitzungstage stattgefunden. Weitere Hauptverhandlungstermine sind bereits bis zum 30. Juni 2016 bestimmt.

Mit Verfügung vom 13. Februar 2015 bestellte der Vorsitzende der Strafkammer auf Antrag der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten H. P. Rechtsanwalt T. V. als zusätzlichen Pflichtverteidiger. Dem Mitangeklagten wurde ebenfalls ein dritter Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies wurde mit der unzureichenden Teilnahme der ursprünglichen Verteidiger an der Hauptverhandlung begründet.

Die Beschwerden der beiden Angeklagten gegen die Entscheidungen des Vorsitzenden wurden mit Senatsbeschluss vom 26. März 2015 als unbegründet verworfen. Am 27. April 2015 teilte Rechtsanwalt V. mit, seine Einarbeitung in den Verfahrensstoff sei abgeschlossen. Bereits am 23. April 2015 hatte dies auch der neue Pflichtverteidiger des Mitangeklagten erklärt. Daraufhin nahm der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger des Angeklagten H. P. sowie von Rechtsanwalt O. W. als Pflichtverteidiger des Mitangeklagten L. B. durch Verfügung vom 27. April 2015 mit sofortiger Wirkung zurück. Auf die Beschwerden der beiden Angeklagten wurde diese Entscheidung mit Senatsbeschluss vom 21. Mai 2015 aufgehoben, da keine ausreichende Abmahnung des Fehlverhaltens der Pflichtverteidiger erfolgt war. Durch Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer vom 23. November 2015 wurde die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. als Pflichtverteidiger erneut mit sofortiger Wirkung zurückgenommen. Hiergegen wenden sich sowohl der Angeklagte H. P. als auch Rechtsanwalt Dr. U. E. mit der Beschwerde.II.

Das zulässige Rechtsmittel des Angeklagten H. P. ist unbegründet, da die Rücknahme der Bestellung des Pflichtverteidigers rechtsfehlerfrei erfolgt ist.

1) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Rücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers - neben der in § 143 StPO genannten Fallgestaltung - aus wichtigem Grund auch dann zulässig ist, wenn eine grobe Pflichtverletzung des Verteidigers vorliegt, die befürchten lässt, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist. Dabei ist die Entpflichtung eines Verteidigers, der das Vertrauen des Angeklagten genießt, auf eng umgrenzte Ausnahmefälle beschränkt. Sie berührt durch die zugrundeliegende wertende Betrachtung der Tätigkeit eines selbstständigen Organs der Rechtspflege einen zentralen Bereich des Rechtsinstituts der Verteidigung und nimmt dem Angeklagten denjenigen Verteidiger, der sein nach § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO grundsätzlich beachtliches Vertrauen genießt. Dies führt in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der als Ausfluss des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips auch im Verfahrensrecht gilt, dazu, dass nicht jedes unzweckmäßige, prozessordnungswidrige oder den Verfahrensablauf störende Verhalten des Verteidigers, das den Fortgang des Strafverfahrens zeitweise hemmt, dessen Abberufung rechtfertigen kann. Vielmehr muss es sich um ein Fehlverhalten von besonderem Gewicht handeln. Zudem kommt eine Entpflichtung nur dann in Betracht, wenn kein anderes milderes Mittel geeignet und ausreichend ist, um für die Zukunft ein geordnetes Verfahren zu gewährleisten (vgl. u.a. BVerfG BayVBl 2009, 185; BGH NJW 1990, 1373; KG Berlin StV 2008, 68; OLG Hamburg NStZ 1998, 586; OLG Köln, Beschluss vom 15. Juli 2005 - 2 Ws 280-282/05 -, zitiert nach juris; Laufhütte/Willnow in Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., § 143 Rn. 4 mwN).

2) Eine gewichtige Pflichtverletzung des Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Dr. E. liegt vor.

a. Die Bestellung von zunächst zwei Pflichtverteidigern für jeden Angeklagten war aufgrund des Verfahrensumfangs erforderlich (vgl. Senatsbeschluss vom 26. März 2015 - 2 Ws 32 und 33/15 -). In diesem Fall sind beide Pflichtverteidiger zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung verpflichtet, sofern nicht im Einzelfall eine Ausnahme vorliegt, die grundsätzlich mit dem Vorsitzenden abzusprechen ist. Gemäß § 227 StPO können zwar mehrere Verteidiger in einer Hauptverhandlung mitwirken und ihre Verrichtungen untereinander teilen. Insoweit ist der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO nicht grundsätzlich bereits dann gegeben, wenn einer von mehreren (Pflicht-)Verteidigern eines Angeklagten nicht ständig in der Hauptverhandlung anwesend ist (BGH bei Dallinger MDR 1966, 200; BGH bei Holtz MDR 1981, 457). Ungeachtet dessen gehört aber die Teilnahme an der Hauptverhandlung zum Kernbereich der Verteidigertätigkeit, da Grundlage der Urteilsfindung der Inbegriff der Hauptverhandlung ist (Senatsbeschlüsse vom 21. Mai 2015 - 2 Ws 87/15 - und vom 26. März 2015 - 2 Ws 32 und 33/15 -; OLG Hamburg, NStZ-RR 1997, 203; OLG Frankfurt NJW 1972, 1964). Zudem kann ein vom Staat zu bezahlender Pflichtverteidiger nur als Verteidiger beigeordnet werden, wenn er gewährleisten kann, dem Verfahren mit seiner Arbeitskraft weitestgehend zur Verfügung zu stehen (OLG Hamm NStZ 2001, 235; OLG Jena OLGSt StPO § 142 Nr. 7). So ist auch anerkannt, dass in Umfangsverfahren wie dem vorliegenden die Bestellung eines Pflichtverteidigers, der nicht zusichern kann, - abgesehen von ganz vereinzelten Verhinderungen - an sämtlichen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen, auch dann nicht in Betracht kommt, wenn der Angeklagte noch über einen weiteren Verteidiger verfügt (vgl. u.a. OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 20. Januar 2004 - III-VI 13/03 - und vom 7. Februar 2006 - III-VI 10/05 -; BVerfG NStZ 2006, 460; OLG Hamm NStZ 2001, 235).

b. Der Verpflichtung zur Teilnahme an der Hauptverhandlung ist der Pflichtverteidiger im vorliegenden Fall nur ungenügend nachgekommen. Dies ergibt sich aus einer bei den Akten befindlichen Übersicht der Anwesenheitszeiten in der Hauptverhandlung. Danach betrug die Gesamtverhandlungsdauer in der Zeit vom 25. März 2014 bis zum 19. November 2015 (jeweils ab dem terminierten Verhandlungsbeginn und ohne Abzug von Sitzungspausen) insgesamt 546 Stunden und 55 Minuten. Berücksichtigt man, dass die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. E. als Pflichtverteidiger bereits durch Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer vom 27. April 2015 bis zur Aufhebung dieser Entscheidung durch Senatsbeschluss vom 21. Mai 2015 mit sofortiger Wirkung zurückgenommen worden war, beläuft sich die für ihn relevante Gesamtverhandlungsdauer auf 493 Stunden und 41 Minuten. Dem stehen Anwesenheitszeiten des Pflichtverteidigers Dr. E. von insgesamt lediglich 247 Stunden und 17 Minuten (50,09%) gegenüber. Auch die Hauptverhandlungstermine nach der letzten Senatsentscheidung vom 21. Mai 2015 nahm Rechtsanwalt Dr. E. nur unzureichend wahr. So war er bei einer Gesamtverhandlungsdauer von 176 Stunden und 27 Minuten in der Zeit vom 9. Juni bis zum 19. November 2015 nur 70 Stunden und 57 Minuten (40,21%) anwesend. In den genannten Zeiten sind zwar Verzögerungen der Hauptverhandlung durch eine etwaige verspätete Vorführung der Angeklagten oder ähnliches nicht berücksichtigt, dies ist aber auch nicht von Relevanz, da zur ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptverhandlung die Anwesenheit des Verteidigers zum terminierten Sitzungsbeginn erforderlich ist. Dieser hat seinen Kanzleisitz in einer Entfernung von ca. 200 km vom Gerichtsort und steht daher nicht etwa auf Abruf zur Verfügung.

Rechtsanwältin N., die dem Angeklagten H. P. ebenfalls bereits vor Beginn der (ersten) Hauptverhandlung beigeordnet worden war, weist demgegenüber ab dem 25. März 2014 Anwesenheitszeiten von insgesamt 425 Stunden und 56 Minuten (77,86%) auf. Der mit Verfügung vom 13. Februar 2015 beigeordnete (dritte) Pflichtverteidiger Rechtsanwalt V. nahm die Hauptverhandlungstermine seither vollumfänglich wahr.

c. Seit Beginn des Verfahrens ist eine nur fragmentarische Anwesenheit der beiden ursprünglichen Pflichtverteidiger, insbesondere jedoch von Rechtsanwalt Dr. E., in der Hauptverhandlung zu verzeichnen. Dabei weigert er sich ganz überwiegend, Gründe für sein verspätetes Erscheinen oder Nichterscheinen sowie für ein vorzeitiges Verlassen der Sitzung mitzuteilen. Dem Vorsitzenden wird dadurch die Möglichkeit genommen, im Rahmen seiner Fürsorgepflicht für die Angeklagten zu prüfen, ob lediglich eine vereinzelte Abwesenheit des Pflichtverteidigers aufgrund unvorhergesehener Umstände vorliegt oder aber beispielsweise eine unzulässige Vertretung zwischen den Pflichtverteidigern vorgenommen wird, um verfahrensfremden Tätigkeiten nachgehen zu können. Vorliegend wird die überwiegende Zahl der Hauptverhandlungstermine (ggfs. im Rahmen eines Wechsels während laufender Sitzung) nur durch einen von ihnen wahrgenommen, was eine unzulässige gegenseitige Vertretung in der Sitzung nahelegt (vgl. hierzu BGH NJW 1972, 1964; KG Berlin, Beschluss vom 4. Oktober 2000 - 3 AR 12/00 - 4 Ws 189/00 -, zitiert nach juris). So musste Rechtsanwalt Dr. E. - nachdem die Staatsanwaltschaft dem Landgericht Stuttgart entsprechende Erkenntnisse mitgeteilt hatte - schließlich auch einräumen, dass er als Verteidiger in einem weiteren umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren vor dem Landgericht Frankfurt tätig ist, welches am 24. September 2015 begonnen hat. Dort erfolgte bis zum 13. November 2015 eine Terminierung unter anderem auf die Wochentage Dienstag und Donnerstag, die auch im hiesigen Verfahren als regelmäßige Sitzungstage festgelegt sind. Selbst wenn man das Vorbringen von Rechtsanwalt Dr. E. in einer schriftlichen Erklärung vom 12. Oktober 2015 als zutreffend unterstellt, kam es in dieser Zeit zu mindestens vier Terminskollisionen, die er dem Landgericht Stuttgart ebenso verschwieg wie den Umstand, dass ab dem 2. Februar 2016 zumindest dienstags zeitgleich zum hiesigen Verfahren weitere Hauptverhandlungstermine in der genannten Strafsache vor dem Landgericht Frankfurt stattfinden sollen.

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 führte Rechtsanwalt Dr. E. aus, dass er auch anlässlich von Familienfeiern oder einem jährlich stattfindenden Stammtischausflug nicht gedenke, an der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart teilzunehmen. Zwar ist insoweit die „Empfehlung“, die Staatsanwaltschaft möge seine Ehefrau oder ein namentlich benanntes Mitglied seines Stammtisches nach den entsprechenden Daten befragen, ironisch überspitzt, ändert jedoch nichts an der Aussage, private Belange über die Verpflichtungen aus dem Pflichtverteidigermandat zu stellen. Dies zeigt sich auch in einer eigenmächtigen Urlaubsabwesenheit während vier Hauptverhandlungsterminen zwischen dem 11. und 21. August 2015, obwohl für die Zeit zwischen dem 21. August und dem 21. September 2015 eine Sitzungsunterbrechung zur Sommerpause angekündigt war und auch stattfand.

d. Ungeachtet dessen legte Rechtsanwalt Dr. E. am 18. Juni 2015 ein ärztliches Attest des Klinikums F. vom 16. Juni 2015 vor, aus dem sich ergibt, dass er aufgrund einer sogenannten Ménière-Erkrankung (Drehschwindel) nur vier Stunden pro Tag arbeitsfähig sei. Mit Schriftsätzen vom 19. und 29. Juni 2015 führte er hierzu aus, dass die Krankheit mit Gleichgewichtsstörungen, Konzentrationsschwäche sowie schneller Ermüdung einhergeht und nach Aussage des behandelnden Arztes noch ca. vier bis fünf Monate andauern wird. Die Verteidigung werde er „im Rahmen des medizinisch gerade noch Erträglichen“ fortführen und seine Anwesenheit mit Rechtsanwältin N. abstimmen. In dem bereits erwähnten Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 teilte Rechtsanwalt Dr. E. mit, die gesundheitlichen Einschränkungen bestünden weiterhin fort. Tatsächlich nahm der Pflichtverteidiger seit dem 16. Juni 2015 lediglich an 4 von 35 Hauptverhandlungsterminen länger als vier Stunden teil, sofern er überhaupt anwesend war. Der Senat hat deshalb berücksichtigt, dass die eingeschränkte Anwesenheit in der Hauptverhandlung zumindest teilweise auch auf einer krankheitsbedingten Verhinderung beruhen mag, die der Pflichtverteidiger nicht zu vertreten hat. Führt letztere jedoch wie im vorliegenden Fall zu einer längerfristigen gravierenden Einschränkung der Verteidigertätigkeit, so kann sie ebenfalls eine Abberufung gebieten. Dies insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt des für den Angeklagten nicht disponiblen Beschleunigungsgebots in Haftsachen, das einer - auch den Mitangeklagten treffenden - Verkürzung der Verhandlungsdauerdauer pro Sitzungstag entgegensteht. Die Entpflichtung eines Verteidigers stellt nämlich keine Sanktion für ein pflichtwidriges Verhalten in der Vergangenheit dar, sondern dient ausschließlich dazu, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand sowie einen geordneten Prozessablauf für die Zukunft zu sichern. Auf ein Verschulden des Pflichtverteidigers kommt es mithin - zumindest im vorliegenden Fall - nicht an.

3) Es ist zu befürchten, dass der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen geeigneten Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, durch die ungenügende Teilnahme an der Hauptverhandlung ernsthaft gefährdet ist. Grundsätzlich ist dem Gericht auch unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht für den Angeklagten eine inhaltliche Überprüfung und Bewertung der Verteidigertätigkeit verwehrt (vgl. u.a. BGH, NStZ-RR 2009, 35; StraFo 2006, 454; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 143, Rn. 4 mwN). Ist jedoch anhand konkreter äußerer Umstände ersichtlich, dass der Verteidiger seine Aufgabe nicht sachgerecht und mit dem gebotenen Einsatz erfüllt und hierdurch eine konkrete Gefährdung der Rechte des Angeklagten und dessen effektiver Verteidigung entsteht, hat das Gericht im Rahmen seiner Fürsorgepflicht einzugreifen.

Solche Umstände liegen hier vor. Der Inbegriff der Hauptverhandlung stellt angesichts des Unmittelbarkeitsgrundsatzes die Grundlage der Urteilsfindung dar und ist daher auch für die Tätigkeit des Verteidigers von überragender Bedeutung. Zwar kann eine Unterrichtung durch einen weiteren Verteidiger, der in der Sitzung anwesend war, im Ausnahmefall ausreichend sein, jedoch nicht im Regelfall, zumal in Anbetracht des Verfahrensumfangs und des komplexen Sachverhalts eine Unterrichtung über den Inhalt einer mehrstündigen Hauptverhandlung allenfalls kursorisch und nicht etwa „eins zu eins“ erfolgen kann. Sie birgt zudem die Gefahr von Übertragungsfehlern und Auslassungen. Darüber hinaus ist es dem abwesenden Verteidiger beispielsweise nicht möglich, Zeugenaussagen anhand des persönlichen Eindrucks zu bewerten und spontan Fragen zu stellen oder Augenscheinsobjekte selbst wahrzunehmen und zu prüfen. Nimmt ein Verteidiger wie im vorliegenden Fall an beinahe der Hälfte der Hauptverhandlung nicht teil, liegt es auf der Hand, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung hierdurch in konkreter und schwerwiegender Weise gefährdet ist, zumal eine vorausgegangene Einarbeitung hierdurch wieder entwertet wird. Insoweit ist die Aufgabe der Verteidigung als Beistand des Angeklagten auch nicht vergleichbar mit der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft, welche die Hauptverhandlung durch unterschiedliche Sitzungsvertreter, die keinen Mandanten beraten müssen, wahrnehmen lassen kann.

Außerdem ist wie bereits ausgeführt in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers, der nicht zusichern kann, abgesehen von einzelnen, unvorhergesehenen oder im Einzelfall mit dem Vorsitzenden abgestimmten Ausnahmen, an allen Sitzungstagen teilzunehmen, vor Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt oder zurückgenommen werden kann. Nichts anderes muss daher gelten, wenn sich erst während laufender Hauptverhandlung herausstellt, dass der Pflichtverteidiger bereits vor Verhandlungsbeginn oder aufgrund später eingetretener Umstände hierzu nicht willens oder in der Lage war.

4) Mildere Maßnahmen als die Entpflichtung von Rechtsanwalt Dr. U. E. kommen nicht in Betracht. Ihm war bereits aus den Senatsbeschlüssen vom 26. März und 21. Mai 2015 bekannt, dass die unzureichende Teilnahme an der Hauptverhandlung eine schwerwiegende Pflichtwidrigkeit darstellt. Dies führte ebenso wenig zu einer Verbesserung der Anwesenheitszeiten wie Hinweise des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer an den Verteidiger vom 15. Juni, 25. August, 19. Oktober, 16. November und 19. November 2015, wonach wegen des ohne Begründung erfolgten vollumfänglichen oder teilweisen Ausbleibens in jeweils näher bezeichneten Hauptverhandlungsterminen eine Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung drohe. Diese Hinweise erhielt in Abschrift auch jeweils der Angeklagte H. P., der dadurch Gelegenheit hatte, in Kenntnis der drohenden Folgen auf eine Beendigung des Fehlverhaltens seines Vertrauensverteidigers hinzuwirken. Dennoch ist den schriftsätzlichen Ausführungen des Pflichtverteidigers weiterhin zu entnehmen, dass er ungeachtet krankheitsbedingter Einschränkungen, auch künftig an der seit Anbeginn des Verfahrens geübten Praxis, Hauptverhandlungstermine nach eigenem Gutdünken nur zeitweise oder gar nicht wahrzunehmen, festzuhalten beabsichtigt.

Insoweit kann es auch nicht dem Angeklagten überlassen bleiben, ob er eine Anwesenheit lediglich eines Verteidigers an einzelnen oder mehreren Sitzungstagen (beispielsweise aus Kostengründen) wünscht oder ob er sich subjektiv ausreichend verteidigt fühlt. Dies würde dem Sinn und Zweck der im vorliegenden Fall durch den Verfahrensumfang gebotenen notwendigen Verteidigung durch zwei Verteidiger widersprechen. Abgesehen davon ist nach Rücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. U. E. aufgrund der erfolgten Beiordnung des zwischenzeitlich voll eingearbeiteten, regelmäßig anwesenden Rechtsanwalts V. eine ordnungsgemäße Verteidigung gewährleistet.III.

Soweit Rechtsanwalt Dr. E. im eigenen Namen Beschwerde gegen die Verfügung des Vorsitzenden der Wirtschaftsstrafkammer vom 23. November 2015 erhebt, ist diese unzulässig, da der Pflichtverteidiger kein eigenes Beschwerderecht hat (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO Rn. 7).IV.

Die Kosten - und Auslagenentscheidung beruht bei beiden Beschwerdeführern auf § 473 StPO.