LG Tübingen, Urteil vom 27.10.2015 - 5 O 155/14
Fundstelle
openJur 2016, 2729
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.056,55 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 14.12.2012 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 70 %, die Beklagte 30 %.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 10.000 EUR

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom ... Dezember 2012 auf der Kreisstraße 6... D... - N... Die Klägerin war mit dem PKW Opel Corsa Ihres Mannes unterwegs (...). Verkehrsbedingt musste sie anhalten. Ihr Fahrzeug war zum Stillstand gekommen. Von hinten fuhr das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug, ein BMW 730, amtliches Kennzeichen ..., auf das stehende Fahrzeug mit der Klägerin auf. Der Opel Corsa, den die Klägerin benutzte, hatte eine spezialverstärkte Stoßstange, die ausfahrbar war, um als Fahrradträger genutzt werden zu können.

Die Klägerin erlitt Verletzungen. Sie wurde vom Roten Kreuz in die ... Klinik gefahren und wurde dort stationär drei Tage behandelt.

In der Folgezeit bescheinigte ihr ein behandelnder Arzt länger widrige Arbeitsunfähigkeit (100 % bis 13.2.2013, 50 % bis 12.3.2013, 25 % bis 21.5.2013, 20 % bis 17.11.2013).

Der Unfallhergang und die alleinige Haftung der Beklagten sind unstreitig.

Die Klägerin trägt vor, sie habe ihren Haushalt nicht in der gewohnten Weise führen können, habe erhebliche Schmerzen gehabt, habe ein erhebliche HWS-Trauma mit dauerhaften Beeinträchtigungen erlitten.

Die Klägerin stellt folgenden Antrag:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus dem Verkehrsunfall mit dem Versicherungsnehmer K... der Beklagten am ...12.2012 gg. 17 Uhr auf der Landesstraße K... entstanden ist und noch entsteht, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Hilfsweise stellt sie folgenden Antrag:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.750,00 EUR abzüglich bezahlter Vorschüsse zu bezahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14. Dezember 2012.

2. Insoweit wird der Antrag aus der Klagschrift gestellt mit der Maßgabe, dass dieser dann nur noch künftige materielle und immaterielle Schäden aus diesem Unfallereignis betreffen soll.

Die Beklagte beantragt

Klageabweisung.

Sie bestreitet die vorgetragene Intensität der Verletzung und das HWS-Trauma selbst, ebenso dauerhafte Beeinträchtigungen und die Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass ein Feststellungsinteresse nicht mehr gegeben ist, sondern der gesamte materielle und immaterielle Schaden beziffert werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch zu den geringfügigen sonstigen Schadenspositionen, wird auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten nebst Anlagen sowie die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Unfallakten bei der Stadt ... sowie Einholung zweier schriftlicher Gutachten, bei der Dekra ... in Bezug auf die Kollisionsgeschwindigkeit und die Beschleunigungskräfte und bei Professor Dr. ..., ehemals ... Klinik T... bezüglich eines HWS-Trauma und etwaiger Folgen. Auf die schriftlichen Gutachten wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist teilweise begründet.

Die alleinige Haftung der Beklagten ist unstreitig.

Zum Unfallhergang steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kollisionsgeschwindigkeit, mit der das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug auf das stehende Fahrzeug der Klägerin auffuhr, 15-20 km/h betrug. Dies führt zu einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsveränderung des klägerischen Fahrzeugs von 10-16 km/h, unter Berücksichtigung der Kollisionsdauer entsprechend 27 - 55 m/s2 in Längsrichtung, Querbeschleunigungskräfte konnte der Gutachter nicht feststellen. Damit erreicht die kollisionsbedingte Beschleunigung einen Bereich, in dem nach umfassenden und nachvollziehbaren Aussagen von Prof. Dr. ... ein Halswirbelsäulenschleudertrauma möglich ist.

Der medizinische Sachverständige stuft den Schweregrad mit I-II ein, wobei er sowohl die Kollisionsgeschwindigkeit und die Beschleunigung als auch die erhebliche Strukturveränderung im Bereich des schweren Heckträgers für Fahrräder einbezogen hat. Danach war der Eintritt des HWS-Syndroms für das Gericht ausreichend zu seiner Überzeugung bewiesen.

Überzogene Anforderungen an einen solchen Beweis können nicht gestellt werden, da der Geschädigte keinerlei Möglichkeit hat, gerade im Grenzbereich objektivierbare Umstände vorzutragen, was nicht zur Entlastung des Unfallverursachers führen kann. Umgekehrt ist es der Beklagten nicht gelungen, durch die Gutachten den Nachweis zu führen, dass die von der Klägerin geschilderten Folgen, jedenfalls für die ersten Monate, nicht so eingetreten wären.

Aus den Gutachten ergibt sich jedoch umgekehrt auch zweifelsfrei, dass keine dauerhaften Beeinträchtigungen unfallbedingt entstanden sind, sondern diese auf Vorerkrankungen zurückzuführen sind.

Eine Arbeitsunfähigkeit ist nach sechs Monaten auch in Teilbereichen nicht mehr gegeben, der medizinische Gutachter führt insoweit nachvollziehbar aus, dass für die ersten drei Monate eine Einschränkung von 20 %, für weitere drei Monate von 10 % gegeben ist.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände, dazuhin dem alleinigen Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten, der erhöhten Betriebsgefahr des schweren Fahrzeuges der Beklagtenseite, dem bisherigen zögerlichen Regulierungsverhalten, das sich lediglich in einer Akontozahlung von 1.233,45 EUR niedergeschlagen hat, sowie den Verletzungen, soweit nachgewiesen wurden, erscheint insgesamt ein Schmerzensgeld von 3000 EUR angemessen.

Die Sachschäden der Klägerin belaufen sich auf 293,45 EUR und 93,58 EUR, insgesamt geschätzt gemäß § 287 ZPO somit auf 330 EUR.

Der Haushaltsführungschaden der Klägerin beläuft sich auf 960 EUR, wobei auch hier § 287 ZPO Eingang gefunden hat. Insoweit ist anzumerken, dass die Klage nicht nur im Grenzbereich der Schlüssigkeit, sondern auf der Grenzlinie zur Unschlüssigkeit hinsichtlich der Darstellung des Haushaltsführungsschadens liegt. Bei der Berechnung ging das Gericht, dem die Arbeiten im Haushalt bekannt sind, sowohl in einem Zweipersonenhaushalt als auch einem größeren Haushalt, von folgenden Stundenmengen aus: 31 Stunden pro Woche, basierend auf Montag bis Freitag je 3 Stunden, einmal zwei weitere Stunden für Reinigung, Samstag 8 Stunden inklusive Garten, Sonntag 6 Stunden. Im Hinblick auf die familiäre Situation erfolgt sodann eine Korrektur im Hinblick auf die Haushaltsstruktur; danach war von einer Beteiligung des Ehemanns mit 40 % auszugehen, so dass 60 % bei der Klägerin verbleiben. Danach war wie folgt zu rechnen: Eine halbe Woche (stationär) mit 0,5 * 31 h * 60 % Anteil * 100 % Arbeitsunfähigkeit, bis drei Monate nach dem Unfall entsprechend 12,5 Wochen a 31 Stunden * 60 % * 20 % Arbeitsunfähigkeit, 13 Wochen a 31 Stunden * 60 % * 10 % Arbeitsunfähigkeit; die Addition der Beträge mit 12 EUR/Stunde ergibt einen Betrag von 959,76 EUR, gemäß § 287 ZPO geschätzt auf 960 EUR.

Der Stundensatz von zwölf Euro wurde unter Anwendung von § 287 den Entschädigungsnormen des § 21 JVEG entnommen. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus, dass, wenn ein Unfallopfer eine Aussage bei Gericht macht, der Entschädigungsbetrag für diese unfallbedingt angefallene Hausarbeitsstunde mit zwölf Euro (zum damaligen Zeitpunkt) zu entschädigen war. Dieser Wertung folgt das Gericht, ohne weitere Gutachten hierzu einzuholen. (Vergleiche Landgericht Tübingen, Urteil vom 10.12.2013 - 5 O 80/13, juris Rn. 41).

Danach war wie folgt abzurechnen: Schmerzensgeld 3000 EUR, Haushaltsführungsschaden 960 EUR, sonstige Schäden 330 EUR, Gesamtschaden 4.290 EUR für materielle und immaterielle Schäden. Abzüglich des bezahlten Betrages ergibt sich der titulierte Betrag.

In der Sache selbst war damit lediglich dem Hilfsantrag Zf. 1 teilweise stattzugeben. folgen. Der ursprüngliche Feststellungsantrag und den Hilfsantrag Zf. 2 scheitern am fehlenden Feststellungsinteresse. Alle Schäden sind bezifferbar, weitere Schäden und Folgen, auch immaterieller Art, sind nach dem Gutachten nicht vorhanden. Fortdauernde etwaige Beschwerden sind danach nicht vom Unfall verursacht.

Die Kostenentscheidung oder § 92 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.