VG Stuttgart, Urteil vom 14.12.2015 - 7 K 3140/15
Fundstelle
openJur 2016, 2674
  • Rkr:

1. Das Nichtbestehen eines Wahlrechts für (unter 16-jährige) Minderjährige bei Kommunalwahlen (hier: Bürgermeisterwahl in Baden-Württemberg) stellt keine unzulässige Altersdiskriminierung dar und verstößt nicht gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl.

2. Zur Einräumung eines "Familienwahlrechts" mit zusätzlichen Stimmen der Sorgeberechtigten für ihre nicht wahlberechtigten Kinder im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichheit der Wahl.

Tenor

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Tatbestand

Der Kläger zu 1 und seine am ... 1999 geborene Tochter, die Klägerin zu 2, wenden sich gegen die Gültigkeit der Bürgermeisterwahl in Korntal-Münchingen.

Die Bürgermeisterwahl in Korntal-Münchingen fand am 26.4.2015 statt. Zum Bürgermeister wurde nach der amtlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses vom 13.5.2015 mit 3870 von 4316 gültigen Stimmen der Beigeladene zu 1 gewählt.

Mit Schreiben vom 26.4.2015, 2.5.2015 und 16.5.2015 legte der Kläger zu 1 – auch als (mit)sorgeberechtigter Vertreter der Klägerin zu 2 – Einspruch gegen die Bürgermeisterwahl wegen Altersdiskriminierung der 0-15-jährigen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger der Stadt Korntal-Münchingen und daraus resultierende Verfassungswidrigkeit der Wahl ein. Zur Begründung trug der Kläger zu 1 zusammengefasst vor, die 0-16/18-jährigen seien mit ihrer Stimme bei den Wahlen politisch nicht repräsentiert. Sie müssten die Auswirkungen der Politik ohne Einflussmöglichkeit einfach ertragen und hinnehmen. Damit seien ca. 20 % aller Bürger Europas und der Bundesrepublik Deutschland von der Stimmabgabe ausgeschlossen. Auch die sorgeberechtigten/sorgepflichtigen Eltern und rechtliche Vertreter hätten keine Stimme für die Minderjährigen. Es handele sich um eine verfassungswidrige Diskriminierung. Die Herstellung der Verfassungsmäßigkeit für Jugendliche sei leicht möglich durch die Ermöglichung der Stimmabgabe für minderjährige Kinder durch die gesetzlichen/rechtlichen Vertreter, in der Regel die Eltern. Diese könnten pro Kind einen zusätzlichen Stimmzettel erhalten, eventuell mit einer halben Stimme. Wenn es keine halben Stimmen geben solle, so könne jeder Wahlberechtigte zwei Stimmen erhalten, wobei jeweils eine Stimme für die 0-16/18-jährigen pro Sorgerechts-Elternteil abgegeben werden könne. Als Familienvater und Sorgeberechtigter/Sorgeverpflichteter seiner minderjährigen Tochter sei er von der Rechtsverletzung direkt betroffen. Da er die direkte Verletzung eigener Rechte und die direkte Verletzung der Grundrechte seiner Tochter geltend mache, sei es nicht notwendig, dass weitere Wahlberechtigte dem Einspruch beiträten. In der Einschränkung, dass nur „Wahlberechtigte“ und „Bewerber“ Einspruch gegen die Wahl einlegen dürften, liege eine weitere grundrechtswidrige Einschränkung des Kreises der Einspruchsberechtigten einer Wahl. Um eine Diskriminierung auszuschließen, müssten uneingeschränkt alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger das Recht haben, gegen Wahlen Einspruch einzulegen.

Schließlich mache er von ihm beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Beschwerden zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens:

– Allgemeine Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht zum Wahl recht (AR 6784/2013),– Wahlprüfungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht nach Einspruch gegen die Wahl des 18. Bundestages (WP 6/13).

Mit Bescheid vom 22.5.2015, zugestellt am 27.5.2015, wies der Beklagte den Einspruch gegen die Bürgermeisterwahl zurück und führte zur Begründung Folgendes aus: Der Einspruch sei bereits unzulässig. Gemäß § 31 KomWG müsse der Einspruch eines Wahlberechtigten, der nicht die Verletzung seiner Rechte geltend mache, von 1 von Hundert der Wahlberechtigten, bei mehr als 10.000 Wahlberechtigten von mindestens 100 Wahlberechtigten, unterstützt werden. Der Kläger zu 1 habe als Wahlberechtigter einen Wahleinspruch eingelegt. Eine Verletzung seiner Rechte, die ihn als wahlberechtigten Bürger beträfen, werde jedoch nicht vorgetragen. Der Kläger zu 1 sei in seinem Wahlrechte nicht eingeschränkt gewesen. Er habe als Sorgeberechtigter seiner Tochter deren Wahlrechtsverletzung vorgetragen, da sie aufgrund ihres Alters nach dem geltenden Recht noch nicht wahlberechtigt sei. Da der Kläger zu 1 nicht die Verletzung eigener Rechte geltend mache, hätten seinem Einspruch mindestens 100 Wahlberechtigte beitreten müssen. Innerhalb der Einspruchsfrist seien dem Wahleinspruch aber keine Unterstützungsunterschriften beigefügt worden.

Der Einspruch sei auch unbegründet. Die Einführung eines Wahlrechts für die Bundestagswahl für minderjährige Kinder, welches durch die Eltern als gesetzliche Vertreter ausgeübt oder ihnen als zusätzliches, originäres Familien -bzw. Elternwahlrecht ausgeübt werde, sei vom Bundestag am 2.6.2005 abgelehnt worden (BT-Drs. 15/1544). Planungen der Landesregierung für ein solches Wahlrecht bestünden ebenfalls nicht. Wegen der in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG für die Volksvertretungen in den Gemeinden und Kreisen festgelegten Wahlrechtsgrundsätze, die den Wahlrechtsgrundsätzen für die Bundestagswahl nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG entsprächen und die auch in Art. 72 Abs. 1 S. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg enthalten seien, wäre auch die Einführung eines Familienwahlrechts bei Kommunalwahlen mit erheblichen verfassungsrechtlichen Risiken behaftet. Die Beschränkung des Einspruchsrechts gegen die Wahl auf Wahlberechtigte und Bewerber gemäß § 31 KomWG begegne unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Wahlprüfungsverfahrens keinen Bedenken. Ziel dieses Verfahrens sei der Schutz des objektiven Wahlrechts; es sei dazu bestimmt, das richtige Wahlergebnis der jeweiligen Wahl zu gewährleisten. Gegenstand der Wahlprüfung sei dagegen nicht die Verletzung subjektiver Rechte. Der objektiv-rechtliche Zweck der Wahlprüfung lasse es daher zu, die Einspruchsberechtigung auf die in § 31 KomWG Genannten zu beschränken.

Dagegen haben die Kläger am 26.6.2015 Klage eingereicht. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger zu 1 – zugleich in Vertretung der Klägerin zu 2 – seine bisherigen Argumente und trägt ergänzend vor: Das amtliche Wahlergebnis sei an mindestens zwei verschiedenen Tagen veröffentlicht worden, zudem mit verschiedenen Auszählungsergebnissen. Somit sei nicht klar, wann die eigentliche Einspruchsfrist beginne und ende. Die Einspruchsbegründung unterschlage, dass der Kläger zu 1 auch für sich selbst als Wahlberechtigter und als sorgeberechtigter/sorgeverpflichteter Vater durch das verfassungswidrige Ergebnis der Wahl direkt benachteiligter Bürger Einspruch erhoben habe. Die Unterstützung von anderen 100 Wahlberechtigten sei daher nicht notwendig, so dass die Einsprüche zulässig seien. Die Begründung, die geforderte Verfassungsänderung sei mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko behaftet, sei nicht zielführend, sondern verlange regelrecht nach einer verfassungsrechtlich höchstrichterlichen Entscheidung. Die Einsprüche gegen Wahlen müssten für alle Einsprechenden kostenneutral und barrierefrei sein. Dies gelte erst recht, wenn verfassungswidrige Vorgänge zu prüfen seien.

Mit Schriftsatz vom 7.8.2015 haben die Kläger eine Liste mit 41 Unterstützungsunterschriften im Hinblick auf „Einsprüche und Beschwerden gegen alle Wahlen und Gesetze und auch Verfassungsbeschwerden“… „die die 0-16/18-jährigen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger oder andere aufgrund ihres Alters von Wahlen ausgeschlossenen Menschen durch die Verweigerung einer gleichwertigen zählbaren Stimme bei Wahlen von den Wahlen ausschließen.“

Die Kläger haben schriftsätzlich beantragt,

die „Zurückweisung des Einspruchs gegen die Wahl“ bis zur höchstrichterlichen Entscheidung des Sachverhalts durch das Bundesverfassungsgericht aufzuheben und das Ergebnis der Bürgermeisterwahl unter Vorbehalt der Verfassungsmäßigkeit als vorläufig zu erklären,

die im Einspruchsbescheid des Beklagten vom 22.5.2015 festgesetzte Gebühr von 50 € aufzuheben und

den Beklagten zu verpflichten, die Aufwendungen der Kläger zu erstatten.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt. In seiner Klagebegründung wiederholt der Beklagte die Begründung seiner Einspruchsentscheidung vom 22.5.2015 und trägt ergänzend vor, die Entscheidung über eine ggf. anhängige Verfassungsbeschwerde sei allein Angelegenheit des Bundesverfassungsgerichts. Ein Wahleinspruch gegen die Wahl des 18. Deutschen Bundestages mit gleicher Begründung wie der Einspruch gegen die streitgegenständliche Bürgermeisterwahl sei nach Kenntnis des Beklagten zurückgewiesen worden. Ein Elternwahlrecht sehe das Gesetz nicht vor, so dass der Wahleinspruch unbegründet sei. Die von den Klägern vorgelegte Unterschriftenliste sei nicht relevant, da sie nach Ablauf der Einspruchsfrist zur Wahl des Bürgermeisters vorgelegt worden sei. Die Frage, ob es sich bei den Unterzeichnern um Wahlberechtigte handele, sei daher nicht weiter zu klären. Die Kostenentscheidung sei aufgrund von § 73 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 LVwVfG erfolgt. Die Gebühr i.H.v. 50 € werde aufgrund von § 1 Abs. 1 des Landesgebührengesetzes i.V.m. der Rechtsverordnung des Landratsamts Ludwigsburg über die Erhebung von Gebühren für die Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Kommunalaufsicht vom 1.1.2015 i.V.m. dem Gebührenverzeichnis Nr. 11.31.05.1 erhoben und basiere auf der aktuellen Gebührenkalkulation. Die Gebühr sei mit 50 € gering angesetzt, um den Wahleinspruch nicht zu erschweren, und liege in ihrer Höhe unter der kalkuliertem Mindestgebühr des Landkreises für die Arbeit der Rechtsaufsichtsbehörde i.H.v. 132 €. Ein Tatbestand zur Gebührenbefreiung sei nicht gegeben.

Der Beigeladene zu 1 hat ebenfalls keinen Antrag gestellt und zur Sache vorgetragen, die Bürgermeisterwahl am 26.4.2015 sei strikt nach den Vorgaben der Gemeindeordnung, des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung für Baden-Württemberg erfolgt. Auf diese Vorgaben, insbesondere auf die Festsetzung der Altersgrenze beim aktiven Wahlrecht, habe die Gemeinde keinerlei Einfluss. Das Ergebnis der Bürgermeisterwahl sei durch den Gemeindewahlausschuss unter Vorsitz des technischen Beigeordneten festgestellt und deren Gültigkeit durch die Kommunalaufsicht mit Schreiben vom 27.5.2015 bestätigt worden. Der gegen die Wahl erhobene Einspruch sei durch das Landratsamt zurückgewiesen worden. Der Begründung des Bescheides vom 22.5.2015 sei nichts hinzuzufügen.

Die Beigeladene zu 2 hat gleichfalls keinen Antrag gestellt und in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Bürgermeisterwahl unter Anwendung und Einhaltung der geltenden gesetzlichen Vorgaben der Gemeindeordnung, des Kommunalwahlgesetzes und der Kommunalwahlordnung für Baden-Württemberg durchgeführt worden sei. Im Bereich der Kommunalwahlen sei ein Wahlrecht für Personen, die jünger als 16 Jahre alt seien, gesetzlich nicht geregelt und habe daher bei der Bürgermeisterwahl keine Anwendung finden können.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 30.6.2015 wurden die Kläger gebeten, Name und Anschrift des mitsorgeberechtigten Elternteils der Klägerin zu 2 sowie eine Erklärung über dessen Einverständnis mit der Klageerhebung vorzulegen. Die Kläger teilten dazu mit Schriftsatz vom 7.8.2015 mit, da die Klage für das minderjährige Kind nur rechtliche Vorteile und keine finanziellen Nachteile bringe, gingen sie davon aus, dass eine Zustimmung zur Klage durch den anderen sorgeberechtigten Elternteil entbehrlich sei.

Mit Beschluss vom 1.10.2015 hat die Kammer den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Mit Schriftsatz vom 9.11.2015 haben die Kläger dagegen „Widerspruch“ eingelegt und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der gerichtlichen Entscheidung für Deutschland die „Rückübertragung auf das 3er- Richter-Gremium“ beantragt. Ferner haben die Kläger beantragt, die Beiladung des Beigeladenen zu 1 aufzuheben. Dieser sei aufgrund der Klage noch nicht offiziell in das Amt des Bürgermeisters eingeführt und als Privatperson vom Gericht geladen worden. Die Stellungnahme des Beigeladenen zu 1 sei wegen des subjektiven Charakters vor Gericht nicht zu verwerten. Der Beigeladene zu 1 habe ein vorrangiges persönliches Interesse, die Klage scheitern zu lassen, da beim Erfolg der Klage Neuwahlen anstünden. Schließlich haben die Kläger zur Überprüfung der Rechtslage durch die nächste Instanz um „Zulassung zur Revision“ gebeten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte einschließlich der Gerichtsakte des Verfahrens 7 K 3576/14 (Anfechtung der Wahl der Regionalversammlung und des Kreistags) sowie der beigezogenen Akte des Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Entscheidung ergeht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Zur Entscheidung berufen ist die Einzelrichterin, nachdem die Kammer ihr mit Beschluss vom 1.10.2015 den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat. Dieser Beschluss ist gemäß § 6 Abs. 4 VwGO unanfechtbar. Gründe für eine Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer gemäß § 6 Abs. 3 VwGO liegen nicht vor.

Die Beiladung des Beigeladenen zu 1 ist gemäß § 65 Abs. 4 S. 3 VwGO ebenfalls unanfechtbar. Davon abgesehen liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beiladung vor. Gemäß § 65 Abs. 1 VwGO kann das Gericht von Amts wegen andere Personen, deren rechtliche Interessen - wie im vorliegenden Fall - durch die Entscheidung berührt werden, beiladen. Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie gemäß § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen. Im vorliegenden Fall dürfte es sich sogar um eine notwendige Beiladung handeln, da die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Bürgermeisterwahl gegenüber den Klägern und dem Beigeladenen zu 1 als Wahlsieger nur einheitlich ergehen kann.

1. Die Klage des Klägers zu 1 ist zulässig, die Klage der Klägerin zu 2 ist dagegen bereits unzulässig.

Bei sachdienlicher Auslegung des Klageantrages begehren die Kläger, den Einspruchsbescheid des Beklagten vom 22.5.2015 aufzuheben und die Bürgermeisterwahl vom 26.4.2015 für ungültig zu erklären, hilfsweise das Verfahren bis zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit der Wahl durch das Bundesverfassungsgericht auszusetzen. Nach der Begründung des Wahleinspruchs und der Klage ist im Hinblick auf die Klägerin zu 2 das Bestehen eines eigenen (kommunalrechtlichen) Wahlrechts für unter 16-jährige, welches durch die Sorgeberechtigten als gesetzliche Vertreter ausgeübt werden soll, im Streit. Im Hinblick auf den Kläger zu 1 ist Streitpunkt das Bestehen eines „Familienwahlrechts“, bei dem die Sorgeberechtigten zu ihren eigenen Stimmen noch eine der Zahl der nichtwahlberechtigten Kindern entsprechende Zahl von Stimmen zusätzlich erhalten (vgl. zu den Begriffen und zur Diskussion etwa Hattenhauer, JZ 1996,9 ff.; von Münch, NJW 1995, 3165 ff.). Ohne das Bestehen eines Wahlrechts für 0 bis 16-jährige oder das Bestehen eines „Familienwahlrechts“ halten die Kläger die Bürgermeisterwahl vom 26.4.2015 wegen Altersdiskriminierung für verfassungswidrig

a) Soweit Gegenstand der Klage ein „Familienwahlrecht“ des Klägers zu 1 ist, geht die Einzelrichterin zu Gunsten des Klägers von der Zulässigkeit der Klage aus. Die Klage ist fristgerecht eingelegt. Der Kläger zu 1 ist in Korntal-Münchingen wahlberechtigt. Er ist Adressat eines belastenden Verwaltungsakts und macht eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten geltend. Gemäß § 31 Abs. 3 KomWG kann der Wahlberechtigte, der Einspruch erhoben hat, gegen die Entscheidung über den Einspruch unmittelbar (d.h. ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens) Anfechtungsklage erheben.

b) Die Klage der Klägerin zu 2 ist mangels Prozessfähigkeit und wirksamer Vertretung durch ihre beiden sorgeberechtigten Elternteile dagegen unzulässig. Die am … 1999 geborene Klägerin zu 2 ist weder prozessfähig noch kann sie durch den Kläger allein wirksam vertreten werden.

Wie der Kläger zu 1 mit Schriftsatz vom 28.8.2014 im Verfahren 7 K 3576/14 mitgeteilt hat, ist er alleinerziehend, und die Klägerin zu 2 wohnt bei ihm. Das Sorgerecht steht allerdings ihm und der Mutter der Klägerin zu 2 gemeinsam zu. Die Mutter der Klägerin zu 2 hat sich an dem Klageverfahren nicht beteiligt. Die Kläger haben auch auf die gerichtliche Verfügung vom 30.6.2015 eine Erklärung der mitsorgeberechtigten Mutter über deren Einverständnis mit der Klageerhebung nicht vorgelegt.

Im Verwaltungsprozess sind gemäß § 62 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 VwGO prozessfähig - die nach bürgerlichem Recht voll Geschäftsfähigen, d.h. Volljährige, sowie - die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen (nach Vollendung des 7. Lebensjahres), soweit sie durch gesetzliche Vorschriften für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt sind (z.B. Minderjährige über 14 Jahre bzgl. der Teilnahme am Religionsunterricht). Darüber hinaus wird teilweise in der Rechtsprechung bei entsprechender Einsichtsfähigkeit die Prozessfähigkeit in Fällen bejaht, in denen im Verfassungsrecht die Grundrechtsmündigkeit und als Folge davon die Legitimation zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde anerkannt wird (vgl. OVG Berlin, Urteil vom 26.8.1975 - V B 22.73 - zum Petitionsrecht; VG Köln, Beschluss vom 11.9.1984 - 14 K 5982/83 - zum Kriegsdienstverweigerungsrecht; jeweils juris). Ein vergleichbarer Fall liegt hier nicht vor.

Für prozessunfähige Minderjährige handeln gemäß § 1629 Abs. 1 S. 2 BGB beide Eltern gemeinsam, es sei denn, ein Elternteil übt die elterliche Sorge allein aus oder ihm ist - bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern - die Entscheidung gemäß § 1628 BGB vom Familiengericht übertragen worden.

Nach diesen Maßgaben liegt im Hinblick auf die Klage der Klägerin zu 2 weder deren Prozessfähigkeit noch ein Alleinvertretungsrecht des Klägers zu 1 vor. Die Einzelrichterin sieht keine Veranlassung, das Klageverfahren auszusetzen und dem Kläger zu 1 Gelegenheit zu geben, beim Familiengericht gemäß § 1628 BGB eine gerichtliche Entscheidung über ein Alleinvertretungsrecht für das Klageverfahren herbeizuführen, denn die Klage ist jedenfalls auch unbegründet (vgl. unter 2.).

2. Die Klage sowohl des Klägers zu 1 als auch der Klägerin zu 2 sind unbegründet.

Für die Geltendmachung eines „Familienwahlrechts“ fehlt dem Kläger zu 1 bereits die Aktivlegitimation, denn er macht ein Recht geltend, welches – wenn es bestünde – den Sorgeberechtigten gemeinsam zustehen würde.

Darauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an. Der Beklagte hat die Einsprüche der Kläger gegen die Bürgermeisterwahl vom 26.4.2015 zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid vom 22.5.2015 ist nicht zu beanstanden.

Gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 - 3 KomWG kann gegen die Wahl binnen einer Woche nach der öffentlichen Bekanntmachung des Wahlergebnisses von jedem Wahlberechtigten und von jedem Bewerber Einspruch bei der Rechtsaufsichtsbehörde erhoben werden. Nach Ablauf der Einspruchsfrist können weitere Einspruchsgründe nicht mehr geltend gemacht werden. Der Einspruch eines Wahlberechtigten und eines Bewerbers, der nicht die Verletzung seiner Rechte geltend macht, ist nur zulässig, wenn ihm 1 vom 100 der Wahlberechtigten, mindestens jedoch 5 Wahlberechtigte, bei mehr als 10.000 Wahlberechtigten mindestens 100 Wahlberechtigte beitreten. Gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 KomWG ist die Wahl für ungültig zu erklären, wenn ihr Ergebnis dadurch beeinflusst werden konnte, dass wesentliche Vorschriften über die Wahlvorbereitung, die Wahlhandlung oder über die Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses unbeachtet geblieben sind.

a) Der Einspruch der Klägerin zu 2 wurde schon deshalb vom Beklagten zu Recht abgewiesen, weil diese bei der Bürgermeisterwahl vom 26.4.2015 nicht wahlberechtigt und damit nicht einspruchsberechtigt i.S.d. § 31 KomWG war.

Gemäß § 14 GemO Baden-Württemberg (GemO BW) sind „die Bürger“ im Rahmen der Gesetze zu den Gemeindewahlen wahlberechtigt. Auch der Bürgermeister wird gemäß § 45 Abs. 1 GemO BW von „den Bürgern“ gewählt. Nach § 12 GemO BW ist Bürger der Gemeinde, wer Deutscher im Sinne von Art. 116 des Grundgesetzes ist oder die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt (Unionsbürger), das 16. Lebensjahr vollendet hat und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnt.

Die am … 1999 geborene Klägerin zu 2 war am Wahltag noch nicht 16 Jahre alt und dementsprechend nicht wahlberechtigt. Sie war daher zu Recht auch nicht in das Wahlverzeichnis des Beigeladenen zu 2 eingetragen, was förmliche Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts ist (vgl. § 5 Abs. 1 KomWG).

Die Festsetzung des Mindestalters für die Ausübung des Wahlrechts auf 16 Jahre ist auch unter Berücksichtigung allgemeiner Wahlgrundsätze, insbesondere verfassungsrechtlicher Grundsätze, nicht zu beanstanden.

Nach § 45 Abs. 1 S. 1 GemO BW wird der Bürgermeister von den Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Die Wahl des Bürgermeisters ist vom Gesetzgeber als Volkswahl ausgestaltet, obwohl nach Art. 72 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV Bad.-Württ.) nur für die Volksvertretungen auf kommunaler Ebene (wie Gemeinderat und Kreistag) die Volkswahl zwingend vorgeschrieben ist.

Es kann offenbleiben, ob die in § 45 Abs. 1 GemO BW für die Wahl des Bürgermeisters aufgeführten allgemeinen Wahlgrundsätze Verfassungsrang haben. Art. 72 Abs. 1 LV Bad.-Württ. schreibt nur vor, dass die kommunalen Volksvertretungen aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen sein müssen. Art. 38 GG, wonach die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden, ist auf Wahlen in den Ländern nicht, auch nicht analog, anwendbar (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschlüsse vom 16.3.2005 - 2 BvR 315/05 - und vom 9.3.2009 - 2 BvR 120/09 -; jeweils juris; zum Einfluss des Verfassungsrechts auf das einfachgesetzliche Kommunalverfassungsrecht, etwa durch die Verpflichtung auf die repräsentative Demokratie durch Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, vgl. etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 16.3.2005, a.a.O.).

Ein Verstoß gegen allgemeine Wahlgrundsätze, insbesondere ein Verstoß gegen den hier in Betracht kommenden Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl, liegt jedenfalls nicht vor.

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl untersagt den unberechtigten Ausschluss von Staatsbürgern von der Teilnahme an der Wahl. Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen. Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl ist - ebenso wie der Grundsatz der Gleichheit der Wahl - ein Anwendungsfall des Art. 3 GG. Er unterscheidet sich von dem allgemeinen Gleichheitssatz durch seinen formalen Charakter und fordert, dass jeder sein staatsbürgerliches Recht zum Wählen in formal möglichst gleicher Weise ausüben kann. Diese Formalisierung im Bereich des Wahlrechts ist allerdings nicht mit einem Verbot jeglicher Differenzierung verbunden. Begrenzungen der Allgemeinheit der Wahl sind verfassungsrechtlich zulässig, bedürfen aber eines besonderen rechtfertigenden Grundes. So ist es etwa von jeher als mit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verträglich angesehen worden, dass die Ausübung des Wahlrechts an die Erreichung eines Mindestalters geknüpft wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.10.1973 - 2 BvC 3/73 -, m.w.N.; juris). Wer von einer Wahlberechtigung Gebrauch macht, übernimmt damit politische Verantwortung, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern für die Allgemeinheit. Voraussetzung für die Gewährung der Wahlberechtigung ist deshalb ein gewisser Grad an politischer Einsichtsfähigkeit. Der Ausübung des Wahlrechts durch den gesetzlichen Vertreter steht entgegen, dass das Wahlrecht ein höchst persönliches Recht ist. Die inhaltliche Wahlentscheidung lässt eine Vertretung grundsätzlich nicht zu (vgl. dazu etwa von Münch, NJW 1995, 3165 ff.).

b) Der Einspruch des Klägers zu 1 wurde vom Beklagten ebenfalls zu Recht zurückgewiesen.

Der Kläger zu 1 war bei der Bürgermeisterwahl vom 26.4.2015 als Bürger der Stadtkorntal-München zwar wahlberechtigt und damit gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 KomWG grundsätzlich einspruchsbefugt. Im Hinblick auf die Ausübung seines eigenen aktiven Wahlrechts sind Verstöße im Sinne des § 32 Abs. 1 KomWG aber nicht ersichtlich. Soweit der Kläger zu 1 rügt, das amtliche Wahlergebnis sei an zwei verschiedenen Tagen mit unterschiedlichen Auszählungsergebnissen veröffentlicht worden, hat er dies nicht bereits im Einspruchsverfahren, sondern erst im Klageverfahren und damit verspätet geltend gemacht (vgl. § 31 Abs. 1 S. 2 KomWG). Zudem sind diesem Einspruch keine weiteren Wahlberechtigten gemäß § 31 Abs. 1 S. 3 KomWG beigetreten. Die im Klageverfahren vorgelegte Unterschriftenliste führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Dies schon deshalb nicht, weil das Quorum als Zulässigkeitsvoraussetzung für den Einspruch im Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist erfüllt sein muss (vgl. Quecke/Gackenholz/Bock, Das Kommunalwahlrecht in Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 31 Rn. 41); darüber hinaus betrifft die Unterschriftenliste ein anderes Begehren. Das Quorum stellt auch keine unzulässige Einschränkung des Kreises der Einspruchsberechtigten einer Wahl dar. Das Quorum soll die Zahl der Wahleinsprüche einschränken und damit die Erlangung endgültiger Klarheit über das Schicksal der Wahl beschleunigen. Es soll verhindert werden, dass ein einzelner Wahlberechtigter durch die Geltendmachung von Wahlfehlern, die ihn in seiner eigenen Rechtsstellung nicht betreffen, den Vollzug einer demokratischen Mehrheitsentscheidung zeitlich hinauszögern kann (vgl. Quecke/Gackenholz/Bock, a.a.O., § 31 Rn. 40). Es ist darüber hinaus nicht ersichtlich, dass durch Fehler bei der Bekanntmachung das Ergebnis der Wahl i.S.d. § 32 Abs. 1 KomWG beeinflusst werden konnte. Schließlich gilt für die rechnerische Feststellung des Wahlergebnisses durch den Wahlausschuss § 32 Abs. 3 KomWG, d.h. es kann nur die Verpflichtung, das Wahlergebnis neu festzustellen, begehrt werden.

Im Hinblick auf die vom Kläger zu 1 begehrte Ausübung eines „Familienwahlrechts“ liegen Rechtsverstöße, insbesondere Verstöße gegen höherrangiges Recht, ebenfalls nicht vor. Der Kläger zu 1 trägt vor, er sei insoweit in eigenen Rechten als Familienvater betroffen. Das Gericht lässt offen, ob dem Einspruch innerhalb der Einspruchsfrist weitere Wahlberechtigte gemäß § 31 Abs. 1 S. 3 KomWG beizutreten hatten. Der Einspruch ist jedenfalls nicht begründet.

Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg sieht für Kommunalwahlen - in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Regelungen für Wahlen auf Landes- oder Bundesebene – ein „Familienwahlrecht“, bei dem die Sorgeberechtigten zu ihren eigenen Stimmen für jedes nicht wahlberechtigte Kind eine zusätzliche Stimme erhalten, nicht vor. Es handelt sich um eine Form des sog. Pluralwahlrechts, bei dem bestimmte Personengruppen eine oder mehrere Zusatzstimmen erhalten. Ein solches „Familienwahlrecht “ ist mit dem Grundsatz der Gleichheit der Wahl unvereinbar. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in einer seiner ersten Entscheidungen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl dahingehend ausgelegt, „dass es angesichts der in der demokratischen Grundordnung verankerten unbedingten Gleichheit aller Staatsbürger bei der Teilnahme an der Staatswillensbildung keine Wertungen geben kann, die es zulassen würden, beim Zählwert der Stimmen zu differenzieren“ (BVerfG, Urteil vom 05.04.1952 - 2 BvH 1/52 -, Rdnr. 124 ., juris; s. auch von Münch, NJW 1995, 3165 ff.).

Nach alledem besteht keine Veranlassung, die Einspruchsentscheidung „bis zur höchstrichterlichen Entscheidung des Sachverhalts durch das Bundesverfassungsgericht“ aufzuheben oder „das Ergebnis der Bürgermeisterwahl unter Vorbehalt der Verfassungsmäßigkeit als vorläufig zu erklären“. Eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Wahl kommt ebenfalls nicht in Betracht, da vom Bundesverfassungsgericht eine anderslautende Entscheidung nicht zu erwarten ist. Die Kläger haben im Verfahren auch nicht mitgeteilt, wie die von ihnen eingelegte „allgemeine Verfassungsbeschwerde zum Wahlrecht“, die offensichtlich ein Aktenzeichen aus dem sog. Allgemeinen Register trägt, vom Bundesverfassungsgericht beschieden wurde.

Die Festsetzung einer Verwaltungsgebühr für die Einspruchsentscheidung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Bezüglich der Rechtsgrundlage für die Gebühr wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen. Die Höhe der - mit 50,-- EUR gering angesetzten - Gebühr ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladenen haben keinen eigenen Sachantrag gestellt und sind daher kein Kostenrisiko eingegangen (vgl. § 154 Abs. 3 VwG0), so dass es nicht der Billigkeit entspricht, die Kläger mit ihren außergerichtlichen Kosten zu belasten.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.