VG Hannover, Beschluss vom 11.01.2016 - 7 A 5037/15
Fundstelle
openJur 2016, 2464
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Klägerinnen auf Verbindung ihres Klageverfahrens mit dem Klageverfahren ihres Ehemannes bzw. Vaters 6 A …./15 wird abgelehnt.

Das Klageverfahren der Klägerinnen wird bis zum 22. Mai 2016 ausgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin zu 1), ausweislich ihrer Heiratsurkunde eine philippinische - und ausdrücklich nicht (zugleich auch) iranische - Staatsangehörige, beantragte zusammen mit ihrem Ehemann, einem iranischen Staatsangehörigen, am 22. August 2014 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Hierzu fand am gleichen Tag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - in E. ein Gespräch mit der Klägerin zu 1) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens statt. Dabei war der Sprachmittler F. zugegen. Das Gespräch wurde ohne Verständigungsschwierigkeiten in der Sprache „Tagalog“ durchgeführt. Am 12. Oktober 2014 wurde in A-Stadt deren gemeinsame Tochter, die Klägerin zu 2), geboren, deren Staatsangehörigkeit ihre Eltern als ungeklärt bezeichnen. Die Ausländerbehörde zeigte dem Bundesamt am 22. Dezember 2014 die Geburt der Klägerin zu 2) an. Den Familienmitgliedern sind Aufenthaltsgestattungen erteilt. Das Bundesamt vergab für das Verfahren des Ehemannes der Klägerin zu 1) das Aktenzeichen ….-439 und das Verfahren der Klägerinnen das Aktenzeichen ….-462 . Weder der Ehemann, noch die Klägerin zu 1) wurden bislang zur Anhörung nach § 25 des Asylgesetzes - AsylG - geladen. Vielmehr teilte das Bundesamt dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1) unter dem 26. Oktober 2015 mit, dass ihm kein Dolmetscher für die Sprache „Tagalog“ zur Verfügung stehe. Außerdem bat das Bundesamt den Prozessbevollmächtigten um Mitteilung, wie weiter verfahren werden solle.

Mit einem am 12. Oktober 2015 beim Verwaltungsgericht Hannover eingegangenen Schriftsatz haben die Klägerinnen und ihr Ehemann bzw. Vater Untätigkeitsklagen erhoben. Das Verfahren des Ehemannes wird von der für iranische Staatsangehörige zuständigen 6. Kammer bearbeitet - 6 A …/15 -.

Die Klägerinnen beantragen,

1. ihr Klageverfahren mit dem Verfahren des Ehemannes bzw. Vaters 6 A …/15 zu verbinden und

2. die Beklagte zu verpflichten, über ihre Asylanträge zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

das Verfahren auszusetzen und eine angemessene Frist für die Entscheidung festzusetzen.

Sie hält die Untätigkeitsklage bereits für unzulässig, weil die Klägerinnen zuvor keinen Antrag nach § 24 Abs. 4 AsylG gestellt hätten. Jedenfalls sei die Untätigkeitsklage unbegründet. weil ihrem Bundesamt ein zureichender Grund für die noch nicht erfolgte Verbescheidung der Asylanträge in Gestalt ihrer vorübergehend besonders hohen Geschäftsbelastung zur Seite stehe. Sie verweist auf die Belastung des Bundesamtes durch die Asylbewerberzahlen 2015 und ihre bereits getroffenen Maßnahmen zum Abbau des Bearbeitungsstaus. Im Übrigen verweist sie abermals darauf, dass ihrem Bundesamt kein Dolmetscher für „Tagalog“ zur Verfügung stehe.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten Gerichtsakten, der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerakten des Landkreises G. Bezug genommen.

II.

101. Der Antrag auf Verbindung des Klageverfahren der Klägerinnen mit demjenigen des Ehemannes bzw. Vaters der Klägerinnen ist gemäß § 93 VwGO abzulehnen. Der Ehemann bzw. Vater ist unstreitig iranischer Staatsangehöriger, die Klägerin zu 1) ist ausweislich der von ihr vorgelegten philippinischen Heiratsurkunde sowie ihres eigenen Vortrages hingegen ausschließlich philippinische Staatsangehörige. Sie hat durch ihre auf den Philippinen erfolgte Heirat mit einem iranischen Staatsangehörigen nicht zugleich auch die iranische Staatsangehörigkeit erworben. Die notwendige Registrierung der Ehe im Iran ist nach ihrem eigenen Vortrag nicht erfolgt, zumal sie den dafür erforderlichen Übertritt vom katholischen Glauben zum Islam nicht vollziehen will (vgl. zu Letzterem das Merkblatt der Deutschen Botschaft in Teheran „Eheschließungen mit iranischen Staatsangehörigen“, Stand 1.7.2014). Die Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 2) ist im Gegensatz zum Vortrag ihrer Eltern nicht ungeklärt. Sie besitzt vielmehr offenkundig gemäß Art. IV Sec. 1 Nr. 2 der Verfassung der Philippinen von 1986, in Kraft seit 11.2.1987 (abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Philippinen, S. 4) jedenfalls die philippinische Staatsangehörigkeit. Philippinische Staatsangehörige sind diejenigen, deren Väter oder Mütter Staatsangehörige der Philippinen sind.

Politische Verfolgung ist grundsätzlich unmittelbare staatliche Verfolgung (BVerfG, Beschluss vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, S. 315 = NVwZ 1990, S. 151). Dabei ist bei Staatsangehörigen auf die Maßnahmen des Heimatstaats, nicht aber eines dritten Staats abzustellen, es sei denn der Heimatstaat droht, seinen Machtbereich auf einen Drittstaat auszudehnen (BVerfG, Beschluss vom 15.5.1991 - 2 BvR 1716/90 - NVwZ 1991, S. 979: syrischer Staatsangehöriger flieht in den Libanon und wird dort vom syrischen Militär verfolgt). Letzteres ist im Verhältnis der Philippinen zum Iran nicht der Fall. Vorliegend sind die Klägerinnen philippinische Staatsangehörige, nicht jedoch der Ehemann bzw. Vater, der die iranische Staatsangehörigkeit besitzt. Die geltend gemachte politische Verfolgung kann deshalb im Falle der Klägerinnen nur von den Philippinen ausgehen und nicht - wie sie gegebenenfalls meinen - vom Iran. Zuständig für die Klage der Klägerinnen ist deshalb nach dem Geschäftsverteilungsplan des Verwaltungsgerichts Hannover die beschließende Kammer. Da für das Klageverfahren des Ehemannes bzw. Vaters, der ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit besitzt, nach dem Geschäftsverteilungsplan eine andere Kammer zuständig ist, kommt eine Verbindung der Klageverfahren nicht in Betracht.

Sofern die Klägerinnen lediglich Familienasyl nach § 26 AsylG abgeleitet von ihrem iranischen Ehemann bzw. Vater begehren, wären ihre Verfahren auszusetzen und die Asylentscheidung des Ehemannes bzw. Vaters abzuwarten.

132. Die Untätigkeitsklage der Klägerinnen ist gemäß § 75 Satz 1 und 2 VwGO zulässig.

14a. Über ihre Asylanträge vom 22. August 2014 (Klägerin zu 1]) bzw. 22. Dezember 2014 (Klägerin zu 2]; Anzeige durch die Ausländerbehörde nach § 14a Abs. 2 AsylG) ist seit mehr als drei Monaten nicht entschieden (§ 75 Satz 2 VwGO). § 24 Abs. 4 AsylG, der das Bundesamt verpflichtet, dem Ausländer auf Antrag mitzuteilen, bis wann voraussichtlich über seinen Asylantrag entschieden wird, wenn die Entscheidung nicht innerhalb von sechs Monaten ergeht, begründet keine ergänzende Prozessvoraussetzung für eine asylrechtliche Untätigkeitsklage. Die Vorschrift regelt lediglich eine Mitteilungspflicht auf Antrag (ebenso VG Osnabrück, Urteil vom 14.10.2015 - 5 A 390/15 - juris Rdnrn. 16 bis 19; VG Ansbach, Beschluss vom 19.10.2015 - AN 4 K 15.31145 - juris Rdnr. 12). Auch verwandelt § 24 Abs. 4 AsylG die Drei-Monats-Frist des § 75 Satz 2 VwGO nicht in eine Sechs-Monats-Frist für asylrechtliche Untätigkeitsklagen. Letzteres kann jedoch dahingestellt bleiben, weil über die Asylanträge der Klägerinnen seit 16 bzw. 12 Monaten nicht entschieden ist. Schließlich ist die Haltung der Beklagten vorliegend auch unlauter, die Klägerinnen auf einen entsprechenden Antrag als Prozessvoraussetzung zu verweisen, nachdem das Bundesamt selbst mit Schreiben vom 19. Oktober 2015 den Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen gefragt hat, wie in Ermangelung eines Dolmetschers weiter verfahren werden soll.

15b. Die Untätigkeitsklage ist als Bescheidungsklage und nicht als Verpflichtungsklage erhoben. Auch dies ist zulässig. Denn dem Gericht ist es verwehrt, im Falle des Fehlens eines zureichenden Grundes für die Untätigkeit der Behörde in der Sache durchzuentscheiden, weil den Klägerinnen damit das Verwaltungsverfahren genommen würde. Zudem ist es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts, die Verwaltungstätigkeit zu ersetzen und selbst die Anhörung der Klägerin zu 1) nach § 25 AsylG durchzuführen. Das Verwaltungsgericht Osnabrück (aaO, Rdnrn. 45ff.) hat in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 14.10.2015 ausgeführt:

„Die Kammer sieht sich nicht verpflichtet, diese Anhörung durchzuführen und damit die Spruchreife herbeizuführen. Zwar ist das Gericht vor dem Hintergrund der Amtsaufklärungspflicht gem. § 86 VwGO grundsätzlich verpflichtet, alle für die Entscheidung maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Erlass des Verwaltungsaktes in eigener Verantwortung festzustellen und die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen. Es kann sich aber ausnahmsweise aus dem materiellen Recht ergeben, dass das Gericht – trotz der Rechtswidrigkeit der Unterlassung eines beantragen Verwaltungsaktes – die Verwaltung nicht zu dessen Vornahme verurteilen kann. Dies gilt primär in Fällen, in denen der Behörde ein Ermessen oder ein Beurteilungsspielraum eingeräumt worden ist, aber auch bei rechtlich gebundenen Verwaltungsakten – wie hier der Entscheidung über den Asylantrag –, wenn das materielle Recht die vorherige Durchführung eines ordnungsgemäßen behördlichen Verfahrens zwingend voraussetzt. Dies ist anzunehmen, wenn das materielle Recht der vorherigen Durchführung eines Verwaltungsverfahrens ausnahmsweise eine so wesentliche Bedeutung für den Erlass eines Verwaltungsaktes beimisst, dass es dessen Rechtmäßigkeit zwingend an dessen Absolvierung bindet. Das gerichtliche Verfahren vermag in diesen Fällen das behördliche nicht zu ersetzten, was zur Folge hat, dass im Rahmen der Verpflichtungsklage keine Verurteilung zur Vornahme des Verwaltungsaktes erfolgen kann. Vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn es sich z. B. um Entscheidungen einer mit besonderen Spezialkenntnissen ausgestatteten Behörde handelt (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 193 f., 197 ff.).

Bei Beachtung dieser Vorgaben besteht aufgrund der asylverfahrensrechtlichen Besonderheiten bei einer Untätigkeit der Behörde schon dem Grunde nach kein Anspruch des Asylantragstellers auf eine Verpflichtung der Behörde, diesem die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Dieser Annahme steht es nicht entgegen, dass der Gesetzgeber keine asylverfahrensrechtliche Regelung erlassen hat, die ausdrücklich klarstellt, dass bei einer Untätigkeitsklage im Asylverfahren ein sog. Durchentscheiden, also eine Verpflichtung der Behörde, über den Asylantrag in einer bestimmten Weise zu entscheiden, ausscheidet (aus diesem Grund aber Annahme einer Pflicht zum Durchentscheiden vom VG Dresden, Urteil vom 13.02.2015 – A 2 K 3657/14 –, juris, Rn. 18). Eine solche Regelung ist nämlich gerade nicht erforderlich, da sich diese Frage bereits anhand der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelung in § 113 Abs. 5 VwGO klären lässt. Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist, wie soeben dargelegt, ob das gerichtliche Verfahren in der Lage ist, das behördliche Verfahren zu ersetzen, wobei die Gesamtheit des einschlägigen materiellen Rechts in die Bewertung mit einzubeziehen ist.

Unter Berücksichtigung dieser Bewertungsgrundlage ergibt sich aus den im Asylverfahren liegenden Besonderheiten kein Anspruch des Antragstellers auf eine Verpflichtung der Behörde, in einer bestimmten Weise über seinen Asylantrag zu entscheiden. Die besondere – auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde – gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz steht der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange – wie vorliegend – noch keine Verwaltungsentscheidung über den Asylantrag ergangen ist.

So würde dem Kläger im Falle des „Durchentscheidens“ in der vorliegenden Situation, in der über den Asylantrag noch nicht entschieden worden ist, die Tatsacheninstanz im Verwaltungsverfahren – insbesondere die inhaltliche Überprüfung seines Asylbegehrens durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – genommen. Dies trifft zwar auch bei Untätigkeitsklagen in anderen Rechtsgebieten zu, gewinnt im Asylverfahren aber besondere Bedeutung. Der Asylbewerber erhält im behördlichen Verfahren die Möglichkeit, sein Verfolgungsschicksal darzulegen. In vielen Fällen ist nicht (nur) die rechtliche Bewertung, sondern (vor allem auch) die Ermittlung der Tatsachengrundlage von maßgeblicher Bedeutung für die Entscheidung über den Asylantrag. Mangels anderweitiger Überprüfungsmöglichkeiten ist die Glaubhaftigkeit des Vortrages regelmäßig von entscheidender Relevanz, die grundsätzlich von dem Einzelentscheidern beim Bundesamt bewertet wird und einer Kontrolle im gerichtlichen Verfahren unterliegt, in der der Asylbewerber die Möglichkeit erhält, mögliche Unstimmigkeiten in seinem Vortrag bei der Behörde auszuräumen und seinen Vortrag durch eine glaubhafte Darstellung seines Verfolgungsschicksals plausibel zu machen. Ein sog. Durchentscheiden des Gerichtes hätte für den Antragsteller zwei bedeutende Nachteile. Zum einen würde ihm die Überprüfung der Glaubhaftigkeit mit einem für ihn möglicherweise positiven Ergebnis genommen. Zum anderen hätte er nicht die Möglichkeit seinen Vortrag nach einer Antragsablehnung wegen eines unglaubhaften Vortrages zu ergänzen und aufgezeigte Widersprüche aufzulösen.

Darüber hinaus würden dem Asylbewerber im Falle des „Durchentscheidens“ die ihm nach der Asylverfahrensrichtlinie des Rates (für förmliche Asylanträge bis einschließlich zum 19.07.2015 Richtlinie 2005/85/EG, für nach diesem Datum gestellte Anträge Richtlinie 2013/32/EU) eingeräumten Rechte zum Teil genommen.

Aus dem Gesamtkontext der dort festgelegten europarechtlichen Vorgaben für das Asylverfahren ergibt sich, dass der Asylbewerber (zumindest im Asylerstverfahren) zunächst einen Anspruch auf eine behördliche Entscheidung nach einer persönlichen Anhörung hat und anschließend einen Anspruch auf dessen gerichtliche Überprüfung. So wird dem Asylbewerber gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2013/32/EU Gelegenheit zu einer persönlichen Anhörung zu seinem Asylantrag durch einen nach nationalem Recht zuständigen Bediensteten gegeben, bevor die Asylbehörde eine Entscheidung trifft. Das macht deutlich, dass ein Anspruch auf eine Entscheidung über den Asylantrag durch die Behörde und auf eine behördliche Anhörung vor einer Entscheidung über den Asylantrag in der Sache besteht. Beides würde dem Kläger genommen, wenn eine gerichtliche Verpflichtung zur „Durchentscheidung“ bestünde.

Die Richtlinien 2005/85/EG und 2013/32/EU trennen auch scharf zwischen dem erstinstanzlichen (behördlichen) Verfahren in Kapitel III und den (gerichtlichen) Rechtsbehelfen gegen behördliche Entscheidungen in Kapitel V. Die Kammer sieht keine durchgreifenden Argumente, dieses System – das im Übrigen auch dem nationalen Gewaltenteilungsgrundsatz gem. Art. 20 Abs. 2 GG entspricht – zu durchbrechen.

Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass eine Anhörung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung auch die in Art. 13 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. Art. 15 der Richtlinie 2013/32/EU vorgesehenen Anforderungen an die persönliche Anhörung nicht stets wahren kann. Gem. Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU findet die persönliche Anhörung in der Regelung ohne die Anwesenheit von Familienangehörigen statt und gem. Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EG bzw. Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren ist jedoch vom Grundsatz der Öffentlichkeit geprägt (§ 169 Satz 1 GVG) und lässt Ausnahmen von diesem Grundsatz nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 170 ff. GVG zu, die nicht bei sämtlichen Asylverfahren erfüllt sein dürften. Gem. Art. 15 Abs. 3 Satz 2 lit. b) der Richtlinie 2013/32/EU sehen die Mitgliedstaaten, soweit möglich, auf Ersuchen vor, dass die Anhörungen von Personen gleichen Geschlechts durchgeführt werden. Dies ist im gerichtlichen Verfahren aufgrund des verfassungsrechtlichen Instituts des gesetzlichen Richters gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls nicht gewährleistet.

Zudem spricht auch folgender Umstand gegen eine gerichtliche Pflicht zum „Durchentscheiden“: Die vorliegende Konstellation, in der das Bundesamt gänzlich untätig bleibt und über den Antrag nicht entscheidet, ist zum einen mit derjenigen vergleichbar, in der es das Verfahren zu Unrecht gem. §§ 32, 33 AsylVfG einstellt und zum anderen mit derjenigen, in der es den Asylantrag als unzulässig ablehnt, weil es die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens nicht für zuständig hält. Auch in den beiden vorgenannten Konstellationen hat nämlich keine Prüfung des Asylantrages in der Sache stattgefunden und es besteht gerade keine Pflicht des Gerichtes zum „Durchentscheiden“. Gegen die in den §§ 32, 33 AsylVfG geregelte Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt hat der Gesetzgeber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylVfG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (so BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 10 C 1/13 –, juris, Rn. 14). Für den Fall, dass das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig abgelehnt hat, weil es die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens nicht für zuständig hält, hat die Kammer (Urteil vom 23.01.2012 – 5 A 212/11 –, juris, Rn. 26) bereits festgestellt, dass das Gericht ebenfalls nicht verpflichtet ist, die Sache spruchreif zu machen (insoweit nun Revisionszulassung in anderer Sache durch das BVerwG wegen grundsätzlicher Bedeutung mit Beschluss vom 25.08.2015 – 1 B 34/15, 1 B 34/15 (1 C 12/15) –, juris). Es erschiene widersinnig, in Fällen, in denen das Bundesamt über verfahrensrechtliche Fragen entschieden hat, lediglich eine gerichtliche Verpflichtung zur Durchführung des Verfahrens und zur Verbescheidung auszusprechen, in Fällen aber, in welchen das Bundesamt gänzlich untätig bleibt, die Streitsache gerichtlich aufzuklären und an Stelle der Behörde in der Sache zu entscheiden.

Der Annahme einer fehlenden Verpflichtung zum „Durchentscheiden“ bei einer fehlenden behördlichen Entscheidung über den Asylantrag steht auch die Rechtsprechung des BVerwG (Urteil vom 10.02.1998 – 9 C 28/97 –, juris) zur Verpflichtung der Gerichte, bei sog. Folgeanträgen i. S. v. § 71 AsylVfG durch zu entscheiden, also zu prüfen, ob die neuen Beweismittel bzw. die neue Sach- oder Rechtslage dem Kläger einen Anspruch auf ein Asylanerkennung bzw. Zuerkennung internationalen Schutzes vermitteln, nicht entgegen, weil die beiden Konstellationen nicht miteinander vergleichbar sind. Während bei einem Folgeantrag (aufgrund des Asylerstantrages) bereits eine Prüfung des Asylbegehrens in der Sache erfolgt ist und es im behördlichen Verfahren nur um die Frage geht, ob die Rechtskraft aufgrund bestimmte Umstände zu durchbrechen ist, kann es im Falle der Behördenuntätigkeit nicht um die Frage der Rechtskraftdurchbrechung gehen, weil mangels behördlicher Entscheidung noch keine Rechtskraft eintreten konnte. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Pflicht zum „Durchentscheiden“ bei einem Folgeantrag gerade auch mit den Besonderheiten des die Rechtskraft durchbrechenden Verfahrens nach § 51 VwVfG, das über den Verweis in § 71 Abs. 1 Satz 1 VwVfG hinsichtlich der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG auch bei Folgeanträgen gilt. Diese Argumentation lässt sich auf die – hier zu entscheidende – Konstellation der fehlenden Entscheidung über den Erstantrag wegen der fehlenden Anwendbarkeit des § 51 VwVfG und der fehlenden Rechtskraftdurchbrechung nicht übertragen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die vorgenannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vor dem Erlass der die soeben aufgezeigten Verfahrensrechte der Beteiligten enthaltenen europäischen Verfahrensrichtlinien erging und daher in dieser noch keine Berücksichtigung finden konnte.“

(ebenso VG Düsseldorf, Urteil vom 30.10.2014 - 24 K 992/14.A - juris mwN; a.A. VG Regensburg, Urteil vom 27.8.2015 - RN 7 K 15.31278 - juris). Diesen Ausführungen des VG Osnabrück schließt sich das beschließende Gericht an.

3. Gegenwärtig liegt ein zureichender Grund für die Untätigkeit des Bundesamtes im Sinne von § 75 Satz 3 VwGO vor.

29a. Ein solcher zureichender Grund stellt jedoch nicht das vom Bundesamt angeführte Fehlen eines Dolmetschers für „Tagalog“ dar, der für die Anhörung der Klägerin zu 1) benötigt wird. Ausweislich des Akteninhalts stand dem Bundesamt am 22. August 2014 in Braunschweig jedenfalls bei dem Gespräch mit der Klägerin zu 1) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens in Person von Herrn F. ein Sprachmittler für „Tagalog“ zur Verfügung. Auch eine Internet-Recherche des Gerichts, die das Bundesamt ebenfalls durchführen kann, ergibt eine Vielzahl von Dolmetscher-Agenturen, die Personal für die entsprechende Sprache anbieten. Ebenso werben einzelne vereidigte Dolmetscherinnen für „Tagalog“, z.B. Frau H. in I. und J. in K..

30b. Zureichender Grund für die Untätigkeit der Behörde ist jedoch der Anstieg des Geschäftsanfalls beim zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Jahr 2015. Ausweislich des Berichts „Aktuelle Zahlen zu Asyl, Ausgabe Dezember 2015“ (www.bamf.de) wurden im Berichtsjahr 2015 441.899 Erstanträge vom Bundesamt entgegengenommen. Im Vorjahr waren es “nur“ 173.072 Erstanträge gewesen. Dies bedeutet einen Anstieg der Antragszahlen um 155,3% im Vergleich zum Vorjahr ohne Berücksichtigung der Asylfolgeanträge. In sämtlichen Medien wird übereinstimmend eine Flüchtlingszahl von ca. 1.000.000 Personen genannt, die insbesondere im zweiten Halbjahr 2015 nach Deutschland eingereist ist. Jüngst wurde in den Medien von 600.000 noch nicht beschiedenen Asylanträgen berichtet, die das Bundesamt noch 2016 bearbeiten muss. Es mag dahinstehen, ob das Bundesamt bereits in der Vergangenheit als dauerbelastet angesehen werden konnte, gegenwärtig ist es jedenfalls einer besonderen Belastung ausgesetzt. Zugleich hat die Beklagte in der Klageerwiderung ihre umfangreichen Maßnahmen dargelegt, mit denen sie dieser Belastung Herr werden will. Dies betrifft insbesondere die deutliche Personalmehrung in der Behörde mit den entsprechenden Stellenbewilligungen. Aus diesem Grund ist das beschließende Gericht der Auffassung, dass jedenfalls seit 2015 von einer vorübergehenden besonderen Belastung des Bundesamtes ausgegangen werden kann, die im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen zureichenden Grund im Sinne von § 75 Satz 3 VwGO für eine Untätigkeit des Bundesamtes darstellt (ebenso VG Ansbach, Beschluss vom 19.10.2015 - AN 4 K 15.31145 - juris Rdnr. 15; vgl. auch VG Augsburg, Beschluss vom 19.10.2013 - Au 6 K 13.0312 juris; a.A. VG Osnabrück, aaO, Rdnrn. 32ff.; VG München, Urteil vom 7.9.2015 - M 12 15.30300 - juris; VG Dresden, aaO; VG Düsseldorf, aaO: jeweils nicht als zureichenden Grund anzuerkennende Dauerbelastung der Behörde). Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass Art. 31 Abs. 3 Satz 1 lit. b) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. EU L 180/60 vom 29.6.2013), der gemäß Art. 51 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie bis zum 20. Juli 2018 in nationales Recht umzusetzen ist, die Beantragung internationalen Schutzes durch eine große Anzahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Verzögerungsgrund für das Verwaltungsverfahren anerkennt.

c. Vor dem Jahresbeginn 2015 war der Asylantrag der Klägerin zu 1) ca. vier Monate nicht bearbeitet. Der Asylantrag der in Deutschland geborenen Klägerin zu 2) war erst kurz vor Jahresende 2014 beim Bundesamt eingegangen. Auch die in das Jahr 2014 fallende Untätigkeit des Bundesamtes ab September 2014 führt im Falle der Klägerin zu 1) nicht zum Wegfall eines zureichenden Grundes im Sinne von § 75 Satz 3 VwGO. Denn die Klägerin zu 1) hat außer ihrer Heiratsurkunde keine weiteren Identifikationspapiere vorgelegt, obwohl sie sich zuvor in Dänemark und Schweden aufgehalten hatte und ihr nach eigenen Angaben ein italienisches Visum ausgestellt worden war. Auch das Standesamt der Stadt A-Stadt konnte der Klägerin zu 2) deshalb bislang keine Geburtsurkunde mit gesicherter Identität ausstellen. In diesen Fällen liegt nach Auffassung des Gerichts stets ein zureichender Grund für eine Untätigkeit des Bundesamtes vor, weil die Behörde bei ihrer Entscheidung von einer gesicherten Identität des Antragstellers ausgehen muss.

4. Rechtsfolge des Vorliegens eines zureichenden Grundes für die Untätigkeit des Gerichts ist nach § 75 Satz 3 VwGO die Aussetzung des Verfahrens durch das Gericht bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist.

Über die Aussetzung nach § 75 Satz 3 VwGO entscheidet nach § 87a Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Berichterstatter (OVG Münster, Beschluss vom 24.7.2014 - 1 E 820/14 - NVwZ-RR 2014, S. 823).

Dem entsprechenden Antrag der Beklagten ist stattzugeben.

35Bei der Länge der Frist ist zu berücksichtigen, dass die Asylanträge der Klägerinnen bereits vor 16 bzw. 12 Monaten gestellt worden sind. Gemäß Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU (aaO), der gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie bis zum 20. Juli 2015 in nationales Recht umzusetzen war, ist das Prüfungsverfahren so rasch wie möglich zum Abschluss zu bringen. Die genaueren Fristbestimmungen der Art. 31 Abs. 3 bis 5 sind gemäß Art. 51 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie erst bis zum 20. Juli 2018 umzusetzen. Deshalb gilt die in Art. 31 Abs. 5 der Richtlinie erwähnte maximale Bearbeitungsfrist von 21 Monaten nach der förmlichen Antragstellung noch nicht unmittelbar. Die beschließende Kammer hält gleichwohl diese Frist im Falle der Klägerinnen für angemessen, binnen derer von der Beklagten über die Asylanträge zu entscheiden ist, zumal die Klägerin zu 1) noch gemäß § 25 AsylG vom Bundesamt anzuhören ist. Diese 21-Monats-Frist endet im Falle der Klägerin zu 1) am 22. Mai 2016. Da die Klägerin zu 2) - ein Kleinkind - das asylrechtliche Schicksal der Mutter teilen wird, bedarf es in ihrem Fall keiner Verlängerung der Frist. Zudem gehört die Klägerin zu 2) einer besonders schützenswerten Gruppe an (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 7.2.2014 - 7 K 213/14.F.A. - Asylmagazin 2014, S. 306: Mit dem Kindeswohl ist es unvereinbar, wenn der Asylantrag eines Minderjährigen 20 Monate nach Antragstellung noch nicht beschieden ist).

Ergeht keine Entscheidung des Bundesamtes innerhalb der vom Gericht bestimmten Frist, hat die Beklagte mit Verurteilung zur Bescheidung und Vollstreckung zu rechnen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.