LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.12.2015 - 10 Sa 1299/15
Fundstelle
openJur 2016, 2144
  • Rkr:

Ist die Befristungsdauer des § 14 Abs. 2 TzBfG um nahezu 100 % und die Anzahl der danach zulässigen Verlängerungen der Befristungen um mehr als 250 % überschritten, kann ein institutioneller Rechtsmissbrauch angenommen werden.

Tenor

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. Juni 2015 - 31 Ca 3864/15 wird als unzulässig verworfen.

II.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

III.

Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 6.150,00 EUR festgesetzt.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der Befristung des zwischen ihnen begründeten Arbeitsverhältnisses sowie Weiterbeschäftigung.

Der Kläger ist 37 Jahre alt (…. 1978) und seit dem 19. April 2011 bei der Beklagten als Paketzusteller mit 38,5 Wochenstunden bei 2.050,-- EUR brutto monatlich beschäftigt.

Das Arbeitsverhältnis war zunächst vom 19. April 2011 bis 18. Juli 2011, sodann bis zum 30. Dezember 2011, danach bis zum 30. Juni 2012 und schließlich bis zum 18. April 2013 ohne Sachgrund befristet. Danach erfolgte eine weitere Verlängerung als „notwendige Personalverstärkung in Folge konjunktureller Mengenzuwächse“ bis zum 30. Juni 2013, danach bis zum 10. September 2013 wegen vorübergehender Abwesenheit von sechs namentlich genannten Mitarbeitern. Es schloss sich eine weitere Befristung „wegen Starkverkehr“ bis zum 28. Dezember 2013 und erneut als „notwendige Personalverstärkung in Folge konjunktureller Mengenzuwächse“ bis zum 28. Juni 2014 und aus dem gleichen Grund nochmals bis zum 31. August 2014 an. Für die weitere Befristung bis zum 31. Dezember 2014 wurde als Befristungsgrund erneut der „Starkverkehr“ genannt und sodann mit dem 11. Vertrag bis zum 31. März 2015 die Verlagerung von Bezirken und Ermöglichung des Einbaus der technischen Anlage in der Zustellbasis (ZB) Britz.

Der Kläger meint, dass die Befristung sachlich nicht begründet sei. Er habe über mehrere Jahre seiner Tätigkeit unabhängig von dem genannten Befristungsgrund durchgehend die Tour 264 in K. bearbeitet. Im August 2013 sei der Zustellbezirk 264 zur ZB N. verlagert worden. Am 19. Januar 2015 sei er dann wieder zur ZB K. verlagert worden. Eine Änderung der Arbeitsbelastung sei für den Kläger damit nicht verbunden gewesen. Die Umbauarbeiten in B. hätten mit dem Aufgabengebiet des Klägers nichts zu tun. Die Wegezeiten im Zustellbezirk hätten sich durch die Verlagerung nach K. verkürzt. Platzmangel gebe es in der ZB K. nicht, die Ladezeiten hätten sich nicht verlängert. Das Arbeitszeitkonto des Klägers sei gleichbleibend geblieben. Im Februar 2015 sei der Kläger informiert worden, dass die Tour 264 zum 1. März 2015 auf die DHL D. GmbH übertragen werde. Dieses Outsourcing sei der wahre Grund der Befristung.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass in der Zustellbasis B. in der G.str. 51 die Sendungen für die 61 umliegenden Zustellbezirke sortiert und in die Zustellfahrzeuge geladen würden. Von dort würden die Zusteller dann in ihre Zustellbezirke fahren. Im Februar 2014 habe die Beklagte die Entscheidung getroffen, die ZB B. in eine sogenannte mechanisierte ZB umzubauen. Die Installation sei für die Zeit vom 19. Januar 2015 bis 28. April 2015 geplant gewesen. Der dortige Betrieb habe während des Umbaus vollständig eingestellt werden müssen. Um die Zustellung der zur ZB B. gehörenden Bezirke aufrecht zu erhalten, hätten alle Zustellbezirke in andere Zustellbasen verlagert werden müssen. 20 Bezirke seien in die ZB T., 12 in die ZB K., 9 in die ZB Gr., 9 in die ZB N. und 11 in die ZB M. verlagert worden. Diese Planung sei am 11. Dezember 2014 erfolgt. Aufgrund der Verlagerung sei insgesamt ein größerer Zeitumfang bei der Zustellung erforderlich geworden. Zum einen seien die Zustellbasen eigentlich nur für die ihnen regelmäßig zugewiesenen Bezirke ausgelegt. Es hätten nach der vorübergehenden Verlagerung aber deutlich mehr Sendungen sortiert werden und mehr Fahrzeuge beladen werden müssen. Deshalb habe die Beklagte verlängerte Wartezeiten kalkuliert. Auch die veränderten Wegezeiten hätten geplant werden müssen. Erstinstanzlich hatte sich die Beklagte darauf beschränkt vorzutragen, dass sie aufgrund von Erfahrungen, die die Beklagte bereits bei dem Umbau anderer Zustellbasen gesammelt habe, der zusätzliche Zeitbedarf und damit einhergehend der vorübergehende Mehrbedarf an Arbeitskräften habe prognostiziert werden können.

Mit Urteil vom 24. Juni 2015 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung stattgegeben. Für die Kammer sei schon nicht erkennbar gewesen, inwieweit die Einstellung des Betriebes in der ZB B. und die damit einhergehenden Verlagerungen der Zustellbezirke auf andere Zustellbasen zu einem insgesamt größeren notwendigen Zeitumfang für die Zustellungen geführt habe. Weder die zusätzlichen Wegezeiten noch die Wartezeiten habe die Beklagte dargelegt. Im Übrigen sei nicht ansatzweise ersichtlich, dass der Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers nur vorübergehend sei. Allein der Hinweis darauf, dass aufgrund der Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Umbau anderer Zustellbasen der damit einhergehende vorübergehende Arbeitskräftebedarf habe prognostiziert werden können, ersetze den notwendigen Sachvortrag nicht.

Gegen dieses der Beklagten am 3. Juli 2015 zugestellte Urteil legte diese am 30. Juli 2015 Berufung ein und begründete diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 5. Oktober 2015. Die zusätzlichen Wegezeiten würden täglich 30 Stunden und 35 Minuten betreffen, in der 6-Tage-Woche also 183 Stunden und 50 Minuten. Dazu fügte die Beklagte zwei Entfernungstabellen mit den vorherigen Entfernungen und angenommenen Zeiten sowie den nach der Verlagerung neuen Entfernungen und angenommenen Zeiten bei. Grundsätzlich beginne und ende die Arbeit der Zusteller in der Zustellbasis. Die Tabellen würden die erste mögliche Zustelladresse einerseits und die alte bzw. neue (vorübergehende) Zustellbasis bzw. die letzte mögliche Zustelladresse berücksichtigen. Die verlängerten Fahrwege würden nach diesen Tabellen für die Hinfahrt einen Mehrbedarf von 4 Std. und 31 Minuten pro Tag und für den Rückweg 5 Std. und 44 Minuten umfassen. 10 Minuten täglich würden für zusätzliche Halte auf den verlängerten Strecken berücksichtigt und für verlängerte Beladevorgänge weitere 10 Minuten pro Zustellbezirk. Bei 61 Zustellbezirken ergebe sich ein Bedarf von 20,5 Stunden pro Tag (1.220 x 2 x 10 Minuten). Rechnerisch ergebe das einen vorübergehenden Mehrbedarf an fünf Arbeitnehmern.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 24. Juni 2015 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Berlin, Geschäftszeichen 31 Ca 3864/15 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger bestreitet die Verlängerung der Wege zwischen Zustellbasis und Zustellbezirken. Zumindest zum Teil seien sie durch die Dezentralisierung verkürzt, wie beim Kläger selbst etwa (Beispiel Bl. 79). Die Kilometerangaben in den Aufstellungen der Beklagten seien teils völlig unrichtig und nicht nachvollziehbar, wie das Beispiel 265 belege.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 5. Oktober 2015 sowie den vorgetragenen Inhalt der Berufungserwiderung des Klägers vom 6. November 2015 und das Sitzungsprotokoll vom 3. Oktober 2015 Bezug genommen.

Gründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaften Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist bereits unzulässig. Denn die Beklagte hat versäumt, sich in der Berufungsbegründung hinreichend mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung auseinanderzusetzen (1.). Die Berufung der Beklagten wäre im Falle ihrer Zulässigkeit auch nicht begründet (2.).

1.

Das Arbeitsgericht hatte das der Klage stattgebende Urteil vom 24. Juni 2015 auf zwei unabhängig voneinander aufgeführte Aspekte gestützt. Zum einen habe die Beklagte den behaupteten Mehrbedarf nicht nachvollziehbar dargelegt und zum anderen sei nicht erkennbar, dass der Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers nur vorübergehend sei.

1.1

Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat, wenn die Berufung darauf gestützt wird, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO), die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Eine Rechtsverletzung ist dann anzunehmen, wenn der Berufungsführer vorträgt, dass eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewandt worden ist. Dazu zählen auch als fehlerhaft angesehene Auslegungen (§§ 133, 157 BGB) oder Ermessensentscheidung (§ 287 ZPO).

1.1.1

Wenn die Berufung auf eine unzureichende Tatsachenfeststellung durch das Arbeitsgericht gestützt werden soll, hat der Berufungskläger nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ZPO konkrete Anhaltspunkte zu bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Da das Berufungsgericht an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen grundsätzlich gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), muss die Berufung, die den festgestellten Sachverhalt angreifen will, eine Begründung dahin enthalten, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - VI ZB 22/13).

1.1.2

Auch wenn besondere formale Anforderungen für die Zulässigkeit der Berufung nicht gestellt werden und es insbesondere ohne Bedeutung ist, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (vgl. BAG, Urteil vom 28. Mai 2013 - 3 AZR 235/11; Urteil vom 19. Februar 2013 - 9 AZR 543/11), muss die Berufungsbegründung aber jedenfalls die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung sowie gegebenenfalls die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anführt (vgl. BAG, Urteil vom 18. Mai 2011 - 4 AZR 552/09).

Die Rechtsmittelbegründung muss – im Fall ihrer Berechtigung – geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Stützt das Arbeitsgericht sein Urteil bei einem Streitgegenstand auf mehrere voneinander unabhängige, die Entscheidung jeweils selbständig tragende rechtliche Erwägungen, dann muss die Berufungsbegründung all diese Erwägungen angreifen. Setzt sie sich nur mit einer der beiden oder mehreren Erwägungen auseinander, ist die Berufung insgesamt unzulässig. Die Berufung muss darlegen, warum jede Erwägung des Arbeitsgerichts die Entscheidung nicht tragen könnte (vgl. BAG, Urteil vom 28. Mai 2010 - 2 AZR 223/08 m.w.N.).

Es reicht nicht aus, das Urteil lediglich pauschal in Frage zu stellen oder die Rechtsauffassung als irrig zu bezeichnen: Die Angriffe müssen gezielt und in einer konkreten Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen vorgetragen werden. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser - zugeschnitten auf den Streitfall und aus sich heraus verständlich - diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend beurteilt ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (BAG, Urteil vom 11. November 2014 - 3 AZR 404/13).

1.2

Nach den sehr formelhaften Ausführungen der Beklagten in der ersten Instanz ohne jeden Tatsachenvortrag hat sich die Beklagte bemüht, in der zweiten Instanz zumindest rechnerisch den vorübergehenden Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften darzulegen. Damit hat die Beklagte exakt die Kritik des Arbeitsgerichts aufgegriffen und die in erster Instanz fehlenden Tatsachen nachgeliefert. Auf deren Schlüssigkeit kam es im Rahmen der Zulässigkeit nicht an.

1.2.1

Die Wirksamkeit einer Befristung wegen eines vorübergehenden Mehrbedarfs im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG setzt aber auch voraus, dass der Arbeitnehmer gerade zur Deckung dieses Mehrbedarfs eingestellt wird. Es genügt zwar, wenn zwischen dem zeitweilig erhöhten Arbeitsanfall und der befristeten Einstellung ein - allerdings vom Arbeitgeber darzulegender - ursächlicher Zusammenhang besteht. Der Arbeitgeber darf nämlich einen zeitweiligen Mehrbedarf an Arbeitskräften nicht zum Anlass nehmen, beliebig viele Arbeitnehmer einzustellen. Vielmehr muss sich die Zahl der befristet eingestellten Arbeitnehmer im Rahmen des vorübergehenden Mehrbedarfs halten und darf diesen nicht überschreiten (vgl. etwa BAG, Urteil vom 20. Februar 2008 – 7 AZR 950/06).

1.2.2

Aus dem Beklagtenvortrag ist weder in erster noch in zweiter Instanz deutlich geworden, dass der Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers nur vorübergehend gewesen wäre. Dazu hätte es nach der Darlegung des rechnerischen Mehrbedarfs einer Darlegung des darauf gegründeten Personalkonzeptes bedurft. In diesem hätte die Beklagte die ihr in der Zeit vom 19. Januar 2015 bis 28. April 2015 zur Verfügung stehenden Arbeitsstunden des (Stamm-)Personals und eventuell ohnehin schon in diesem Zeitraum vorübergehend befristet tätiger Arbeitskräfte einerseits und den insgesamt bestehenden Bedarf an Arbeitsstunden darlegen müssen. Denn ohne eine solche Darlegung könnte die Beklagte eine unbegrenzte Zahl an befristet beschäftigten Arbeitnehmern einstellen, weil sie ja – bezogen auf jeden einzelnen Arbeitnehmer – den Mehrbedarf mit den dargelegten vorübergehenden Mehrstunden begründen könnte.

Soweit die Beklagte in der Berufungsverhandlung meinte, dass das eine Überforderung in einem Betrieb ihrer Größe sei, konnte die Kammer dieses nicht nachvollziehen. Denn es ist kaum vorstellbar, dass ein Unternehmen wie die Beklagte keine konkrete Personalplanung betreibt. Sofern das allerdings tatsächlich der Fall sein sollte, würde sich damit nur wieder bestätigen, dass die Beklagte weder weiß noch darlegen kann, ob der Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers nur vorübergehend ist.

2.

Selbst wenn die Berufung nur auf den nun in zweiter Instanz erstmals dargelegten Mehrbedarf gestützt werden müsste, wäre sie unbegründet.

2.1

Die Kammer hat zunächst erwogen, einen institutionellen Rechtsmissbrauch der Beklagten bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen anzunehmen. Denn die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des vom jeweiligen Arbeitgeber geltend gemachten Sachgrunds beschränken (BAG, Urteil vom 29. April 2015 – 7 AZR 310/13). Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen (EuGH, Urteil vom 26. Januar 2012 - C-586/10 - [Kücük]). Denn mit der Befristung von Arbeitsverhältnissen erfolgt regelmäßig eine Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis, die einer besonderen Begründung bedarf. Nach § 5 Nr. 1 der Richtlinie 1999/70/EG des Rates der Europäischen Union vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden.

2.1.1

Die Prüfung, ob der Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgegriffen hat, verlangt eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (mittlerweile ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa Urteil vom 29. April 2015 – 7 AZR 310/13 m.w.N.). Von besonderer Bedeutung sind die Gesamtdauer der befristeten Verträge sowie die Anzahl der Vertragsverlängerungen. Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer stets auf demselben Arbeitsplatz mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde oder ob es sich um wechselnde, ganz unterschiedliche Aufgaben handelt. Bei zunehmender Anzahl befristeter Verträge und Dauer der befristeten Beschäftigung eines Arbeitnehmers kann es eine missbräuchliche Ausnutzung der dem Arbeitgeber an sich rechtlich eröffneten Befristungsmöglichkeit darstellen, wenn er gegenüber einem bereits langjährig beschäftigten Arbeitnehmer trotz der tatsächlich vorhandenen Möglichkeit einer dauerhaften Einstellung immer wieder auf befristete Verträge zurückgreift (BAG, Urteil vom 19. Februar 2014 - 7 AZR 260/12). Zu berücksichtigen ist außerdem, ob die Laufzeit der Verträge zeitlich hinter dem prognostizierten Vertretungsbedarf zurückbleibt (BAG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09). Bei der Gesamtwürdigung können daneben weitere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Zu denken ist dabei insbesondere an die Zahl und Dauer von Unterbrechungen zwischen den befristeten Verträgen (BAG, Urteil vom 10. Juli 2013 - 7 AZR 761/11) sowie an branchenspezifische Besonderheiten, etwa bei Saisonbetrieben. Auch können bei der Gesamtbeurteilung grundrechtlich gewährleistete Freiheiten von Bedeutung sein (BAG, Urteile vom 24. September 2014 - 7 AZR 987/12 und vom 19. Februar 2014 - 7 AZR 260/12).

Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen kann an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft werden. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sachgrundbefristung und erleichtert damit den Abschluss von befristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdauer von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlängerungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auffassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Zumindest regelmäßig besteht hiernach bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrolle, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sachgrundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Werden diese Grenzen jedoch alternativ oder insbesondere kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten, in deren Rahmen es Sache des Arbeitnehmers ist, noch weitere für einen Missbrauch sprechende Umstände vorzutragen. Werden die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder insbesondere kumulativ in gravierendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuchliche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein.

2.1.2

Im hier vorliegenden Fall wurde kumulativ sowohl die nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässige Befristungshöchstdauer von zwei Jahren um nahezu 100% überschritten, die nach dieser Vorschrift zulässige Anzahl der Verlängerung befristeter Verträge um über 250%. Auch wurde der Kläger lange Zeit völlig unabhängig von den genannten Befristungsgründen immer auf demselben Arbeitsplatz eingesetzt. Und die letzte Befristungsdauer blieb mit dem 31. März 2015 hinter dem bis zum 18. April 2015 prognostizierten Mehrbedarf zurück.

Trotz der Vielzahl der hier vorliegenden Kriterien, die für einen institutionellen Rechtsmissbrauch sprechen und denen die Beklagte keinerlei Tatsachen entgegengesetzt hat, die dagegen sprechen würden, kann es letztlich dahinstehen, ob die Schwelle dazu überschritten ist.

2.2

Denn auch die Darlegung des Mehrbedarfs durch die Beklagte war im Detail nicht schlüssig, worauf der Kläger in der Berufungserwiderung hingewiesen hat. Die Tabellen der Beklagten enthalten bei stichprobenhaften Überprüfungen eine ganze Reihe von Angaben, die bei der Kontrolle mit mehreren Routenplanern offensichtlich falsch sind. So ist etwa die Hinweg-Tour 207 mit 17,9 km angegeben, obwohl es tatsächlich nur 7,4 km sind. Ähnlich verhält es sich bei den Hinweg-Touren 254 mit 4,8 km statt 16,9 km, 257 mit 2,9 km statt 15,6 km und 265 mit 6,6 statt 21,5 km. Trotz des diesbezüglichen Hinweises des Klägers in der Berufungserwiderung vermochte die Beklagte in der Berufungsverhandlung nichts dazu zu sagen, wie diese Abweichungen zu erklären wären bzw. wie die Beklagte die behaupteten Entfernungen ermittelt hat.

Da die Berufung der Beklagten somit weder zulässig noch begründet war, musste sie zurückgewiesen werden. Die Verurteilung zur Weiterbeschäftig des Klägers hatte die Beklagte nicht gesondert angegriffen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei im Berufungsverfahren die Kosten zu tragen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.

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