OLG Hamm, Urteil vom 16.02.2016 - 26 U 18/15
Fundstelle
openJur 2016, 770
  • Rkr:

Bei der Dialyse von Patienten mit Einschränkungen können besondere Maßnahmen - wie beispielsweise die Fixierung des mit der Dialysenadel versehenen Arms - geboten sein, um eine lebensgefährdende Dislokation der Dialysenadel während der Behandlung zu verhindern. In diesem Fall ist der Patient auch darüber aufzuklären, dass es im seltenen Fall einer Dislokation der Dialysenadel zu einem tödlichen Blutverlust kommen kann und dieses Risiko durch eine Fixierung des Arms nahezu ausgeschlossen wird, damit der Patient im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts über eine Einwilligung in die Fixierung entscheiden kann.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 09. Dezember 2014 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Arnsberg abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Erbengemeinschaft nach dem am xx.xx.2011 verstorbenen Herrn H, bestehend aus

a) der Klägerin,

b) Herrn H3, ...# B2,

c) Frau H2, A C1-x, ...# B2,

d) Frau B, I-Straße, ...# B2,

ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 16.03.2013 zu zahlen;

Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, an die Erbengemeinschaft 2.748,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 16.03.2013 zu zahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines behaupteten Behandlungsfehlers zu Lasten ihres am 7.6.2011 verstorbenen Ehemannes, Herrn H, auf Zahlung von Schmerzensgeld (mindestens 5.000 €) und Schadensersatz (Beerdigungskosten 6.910 €) an die aus ihr und ihren drei Kindern bestehende Erbengemeinschaft in Anspruch.

Die Beklagten betreiben eine nephrologische Gemeinschaftspraxis in B2. Der Verstorbene war dort über einen langen Zeitraum regelmäßig wegen einer dialysepflichtigen Niereninsuffizienz bei diabetischer Nephropathie in Behandlung. Zuletzt wurde dreimal wöchentlich eine Hämodialyse im Doppel-Needle-Verfahren über einen Basilika-Shunt im Oberarm durchgeführt. Aufgrund der

Diabeteserkrankung bestand bei dem Verstorbenen eine Retinopathie, welche zur Erblindung geführt hatte. Dies war den Beklagten bekannt.

Am 6.6.2014 erfolgte ab 11:45 Uhr eine weitere Hämodialyse. Eine Mitarbeiterin der Beklagten fixierte hierzu die 2 Nadeln jeweils mittels eines Leukopor-Streifens unterhalb und oberhalb des Schlauches über beiden Flügeln. Anschließend vergewisserte sie sich über die korrekte Lage der arteriellen und venösen Nadel vor dem Anschluss an das Dialysegerät (Mod. Fresenius 4008).

Während der Behandlung kam es zu einer Luxierung der venösen Nadel. Der Verstorbene wurde um 14:55 Uhr nicht ansprechbar von einer Schwester aufgefunden. Es war zu einer Blutung des Verstorbenen gekommen. Anschließend wurde er mit Herzdruckmassage reanimiert und um 15:05 Uhr in das L-Hospital in I2 verbracht, wo er am Folgetag um 10:30 Uhr verstarb.

Die Klägerin hat den Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. Der Verstorbene sei nicht hinreichend überwacht worden. Aufgrund der Erblindung des Verstorbenen sei eine besonders engmaschige Kontrolle erforderlich gewesen. Die Dislokation der Nadel sei zu spät bemerkt worden und infolge dessen sei es zu einem Blutverlust von 2-3 l gekommen. Die Notfallbehandlung sei ebenfalls zu spät erfolgt. Aufgrund des Blutverlusts sei es sodann am 7.6.2011 bei dem Verstorbenen zu einem kardinalen Schock gekommen und er sei an einem Myokardinfarkt verstorben.

Die Beklagten haben behauptet, es seien in regelmäßigen Abständen Kontrollen erfolgt. Dabei sei auch der Blutdruck gemessen worden. Die letzte Kontrolle habe um 14:40 Uhr stattgefunden. Die Dialyse sei umgehend unterbrochen worden und es seien sofort Reanimationsmaßnahmen vorgenommen worden.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines internistisch/nephrologischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Ein Behandlungsfehler liege nicht vor; vielmehr sei die bei dem Verstorbenen aufgetretene seltene Komplikation als schicksalhaft anzusehen. Die Fixierung der Nadel sei in adäquater Art und Weise erfolgt. Aus der Dokumentation ergäben sich vier Kontrollen, woraus folge, dass stündlich der Kreislauf des Verstorbenen kontrolliert und dokumentiert worden sei, was dem üblichen Standard entspreche. Dies gelte auch trotz der multiplen diabetischen Folgeerkrankungen des Verstorbenen. Nach Angabe des Sachverständigen gebe es im Hinblick auf die Kontrolldichte keine Leitlinien oder sonstige schriftlichen Vorgaben. Eine stündliche Kontrolle entspreche dem Maßstab, der üblicherweise tatsächlich angewandt werde, soweit der Kreislauf - wie hier - stabil sei. Dies gelte auch für Fälle, in denen die Patienten etwa wegen Erblindung, Demenz oder Lähmung nicht in der Lage seien, auf eine dislozierte Nadel aufmerksam zu machen. Um den hohen Blutverlust als Folge einer seltenen Dislokation der Nadel zu vermeiden, bedürfe es aber einer minütlichen oder gar ständigen Kontrolle, was vor dem Hintergrund der statistischen Zahlen als unangemessen anzusehen sei. Auf den Vorfall sei adäquat reagiert worden. Die Dialyse sei sofort unterbrochen worden und binnen einer Minute die Reanimation eingeleitet worden. Es sei auch keine voll beherrschbare Nebenpflicht verletzt worden. Zwar habe der Sachverständige hierzu ausgeführt, dass die Dialysemaschinen zur Vermeidung eines hohen Blutverlusts bei Dislokation der Nadel die Druckverhältnisse im Schlauchsystem automatisch überwachten. So würde bei Veränderung der Druckverhältnisse üblicherweise ein Druckalarm ausgelöst, was hier aber aus den Akten nicht hervorgehe. Jedoch sei das Risiko, dass ein solcher Druckalarm nicht ausgelöst werde und es zu der hier vorliegenden Komplikation komme, nicht voll beherrschbar. Eine dislozierte Dialysenadel werde nicht zwangsläufig von den Maschinen erkannt, da z.B. durch ein hohes Druckgefälle in der Nadel oder andere Umstände die Druckverhältnisse bei regelrechter Nadel imitiert werden könnten. Es komme auch in Betracht, dass etwa die Nadel nur zum Teil verschoben sein könne und der Druckunterschied daher zu gering gewesen sei, um den Druckalarm auszulösen. Daraus folge, dass auch bei technisch einwandfrei funktionierenden Maschinen der Druckalarm nicht immer ausgelöst werde.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihr erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiterverfolgt. Es bleibe dabei, dass die Beklagten die Dislozierung der Nadel verspätet erkannt und die Notfallbehandlung verspätet eingeleitet hätten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei aufgrund der Erblindung des Verstorbenen eine deutlich engmaschigere Überwachung als im Stundenrhythmus geboten gewesen. Aufgrund des Blutverlusts des Verstorbenen sei überdies davon auszugehen, dass es in den 90 Minuten vor dem Auffinden des Verstorbenen um 14:55 Uhr keine Kontrolle gegeben habe. Soweit bei sehenden Patienten eine

stündliche Kontrolle üblich sei, bliebe unberücksichtigt, dass ein blinder Patient eine Luxation der Nadel nicht selbst wahrnehmen und keinen Alarm auslösen könne. Zudem habe das Landgericht verkannt, dass die Beklagten dafür einzustehen hätten, dass bei der Luxation der Nadel der Druckalarm unstreitig nicht ausgelöst worden sei. Der Arzt hafte für die Mangelfreiheit und Funktionstüchtigkeit der von ihm eingesetzten Geräte. Bei der Aussage des Sachverständigen, aufgrund eines geringen Druckunterschiedes habe das Gerät die Dislokation der Nadel möglicherweise nicht erkannt, handele es sich um eine reine Spekulation.

Die Klägerin beantragt,

das Urteils des Landgerichts Arnsberg abzuändern und

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft nach dem am 07.06.2011 verstorbenen Herrn H,, bestehend aus

a) der Klägerin

b) Herrn H3, A C1 x,...# B2

c) Frau H2, A C1 x, ...# B2

d) Frau B, I-Straße, ...# B2

ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens 5.000,00 €, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 28.02.2013 zu zahlen;

2. Die Beklagten zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft 6.910,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 28.02.2013 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil. Der Verlauf und die Kontrollfrequenz seien eingehend dokumentiert, die Kontrollen seien unter den

Urzeiten 13:05 Uhr, 14:00 Uhr und 14:40 Uhr notiert. Der Sachverständige habe zudem bereits dargelegt, dass es zu einem Blutverlust von 1 l binnen 3 Minuten kommen könne. Auch die Erblindung führe nicht zu der Notwendigkeit einer höheren Überwachungsfrequenz. Eine letale Dislokation sei ein extrem seltenes Ereignis mit einer Frequenz von 1:600.000. Die Übung in der Praxis hinsichtlich der Überwachungsfrequenz sei hier eingehalten worden. Unzutreffend seien schließlich auch die Erwägungen zu einer vermeintlichen Fehlfunktion des Dialysegerätes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere auch des Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung sowie die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Beklagten persönlich angehört. Ferner hat der Sachverständige Prof. Dr. C sein Gutachten mündlich erläutert und ergänzt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 24.11.2015 und den Berichterstattervermerk vom selben Tag verwiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und teilweise begründet.

Das Landgericht hat die gegen die Beklagten gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Dem folgt der Senat nicht.

Der Klägerin steht für die Erbengemeinschaft gegen die Beklagten zu 1) und 2) ein Anspruch auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden nach den §§ 611, 280, 253 Abs. 2 BGB bzw. §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2, 1922 Abs. 1 BGB zu.

1.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht entgegen der Auffassung des Landgerichts zur Überzeugung des Senats fest, dass den Beklagten Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Dialyse-Behandlung des Verstorbenen vom 06.06.2011 zur Last zu legen sind.

Es ist zwischen den Parteien unstreitig und auch in den vorliegenden Behandlungsunterlagen der Beklagten dokumentiert, dass es am Tag vor dem Tod des Ehemannes der Klägerin bei der Dialysebehandlung infolge der Dislokation der venösen Nadel zu einem massiven Blutaustritt gekommen ist.

Die Beklagten haben zur Überzeugung des Senats die in der besonderen Situation des Verstorbenen gebotenen Maßnahmen nicht getroffen, die angezeigt und erforderlich waren, um eine Dislokation der Dialysenadel von vornherein zu verhindern.

Angesichts der Blindheit des Verstorbenen wäre es zur Vermeidung einer Dislokation der Nadel erforderlich gewesen, dessen linken Arm zu fixieren. Zumindest hätte eine Aufklärung des Patienten dahin erfolgen müssen, dass es im seltenen Fall einer Dislokation der Nadel zu einem tödlichen Blutverlust kommen kann sowie dass durch eine Fixierung des Arms dieses Risiko nahezu ausgeschlossen wird.

a) Bei der Dislokation der Dialysenadel handelt es sich um eine seltene Komplikation, die aber in kürzester Zeit zum Tod des Patienten führen kann.

Maßgeblich für den Eintritt einer Dislokation sind dabei Bewegungen des Patienten, die dazu führen können, dass auch eine ordnungsgemäß befestigte Nadel abrutscht. Insoweit hat der Sachverständige im Senatstermin nochmals unter Verweis auf fehlende valide Zahlen erläutert, dass nach der Literatur auf 350.000 bis 600.000 Dialysen ein solcher Fall mit tödlichem Ausgang kommt.

Im Falle einer Dislokation der Nadel kann es geschehen, dass der Patient gegebenenfalls in wenigen Minuten ausblutet. Bei dem im Streitfall eingestellten Blutfluss von 330 ml/min kann es nach Angabe des Sachverständigen zu einem Blutverlust von 1 Liter in 3 Minuten kommen. Danach kann selbst der klägerseits behauptete Blutverlust von 2 bis 3 Litern (vgl. Fotos der Kleidung, Bl. 110 d.A.) ohne Weiteres innerhalb der Zeit nach der letzten dokumentierten Kontrolle von 14:40 Uhr bis zur Auffindsituation um 14:55 Uhr aufgetreten sein.

b) Gleichwohl ist einer Dialysepraxis eine dauerhafte Überwachung selbst eingeschränkter Patienten nicht zuzumuten.

Das Landgericht ist dabei zunächst in nicht zu beanstandender Weise von stündlichen Kontrollen seitens der Beklagten ausgegangen. Soweit die Beklagten unter Berufung auf die Dokumentation eine stündliche Überwachungsfrequenz behaupten und auf die unter den Uhrzeiten 13:05 Uhr, 14:00 Uhr und 14:40 Uhr notierten Kontrollen verweisen, ist es der Klägerin nicht gelungen, den Beweiswert der Dokumentation zu erschüttern. Im Dialyseprotokoll vom 6.6.2011 (Bl. 7 d.A.) sind nicht nur die Kontrollzeiten handschriftlich vermerkt und abgezeichnet, sondern auch die jeweils gemessenen Blutdruck- und ven. Druckwerte. Danach hat die letzte Kontrolle um 14:40 Uhr stattgefunden; sodann ist um 14:55 Uhr der festgestellte Notfall dokumentiert.

Der Sachverständige vermochte auch im Rahmen seiner Erläuterungen im Senatstermin keine Erforderlichkeit für eine erhöhte Überwachungsfrequenz zu erkennen. Die Durchführung stündlicher Kontrollen von Dialysepatienten entspricht nach Angabe des Sachverständigen der üblichen Überwachungsfrequenz, die auch für einen blinden Patienten als adäquat angesehen werden muss.

Hierzu hat der Sachverständige ausgeführt, dass es keine verbindlichen Standards für eine Kontrolle von Dialysepatienten gibt und auch keine Leitlinien und Vorschriften hierzu existieren. Ein stündlicher Kontrollrhythmus ist in den meisten Einrichtungen üblich, wobei auch bei Patienten mit Einschränkungen eine stündliche Kontrolle generell genügt. Dies gilt insbesondere auch für Patienten, die aufgrund ihrer Einschränkungen nicht selbst zu einer Alarmierung in der Lage sind. Hier hat

der Sachverständige insbesondere Blindheit, Lähmungen oder Demenz genannt. Nur bei bekannt kreislaufinstabilen Patienten findet eine häufigere Kontrolle statt.

Der Sachverständige hat dabei seine Auffassung, dass stündliche Kontrollen auch bei blinden Patienten ausreichen, mit der Seltenheit von Dislokationen der Dialysenadeln begründet. Eine stündliche Kontrolle entspricht dem üblichen Algorithmus in einer deutschen Dialysepraxis und reicht grundsätzlich selbst für blinde Patienten aus. Vor allem hat der Sachverständige ausgeführt, dass es bei einem Umsatz von 330 ml/min in 3 Minuten zu einem Blutverlust von 1 Liter kommen kann, der bereits für eine Kreislaufinstabilität ausreicht. Dies würde bedeuten, dass man eingeschränkte Patienten dauerhaft mehrfach pro Woche minütlich oder gleich per Sitzwache über einen Zeitraum von mehreren Stunden überwachen müsste. Es ist in Deutschland nach Angabe des Sachverständigen keine Dialysepraxis mit einer derartigen dauerhaften Überwachungskontrolle per Sitzwache oder Videoüberwachung bekannt. Eine solche dauerhafte Kontrolle kann in einer Dialysepraxis aufgrund des unvertretbaren finanziellen und personellen Aufwands nach Auffassung des Senats auch nicht verlangt werden.

c) Die Dislokation der Nadel hätte aber durch eine einfache Fixierung des linken Armes des Ehemanns der Klägerin mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können.

Soweit es - abgesehen von vorsätzlichem Vorgehen des Patienten in suizidaler Absicht - durch Bewegungen des Patienten zu Dislokationen der Nadel kommt, indem sich die zu deren Befestigung verwendeten Pflaster ablösen, kann diese mechanische Komponente in Form von Bewegungen des Arms nach Angaben des Sachverständigen durch eine Fixierung des Arms, durch den der Blutaustausch läuft, reduziert werden.

Eine derartige Fixierung reduziert das ohnehin sehr seltene Risiko einer Dislokation der Dialysenadel auf ein sodann statistisch nicht mehr erfassbares Minimum und stellt eine für die Dialysepraxis kostengünstige Sicherheitsmaßnahme dar, die mit geringem Aufwand anzuwenden ist. Auch für den Patienten bedeutet eine Fixierung des Arms - anders etwa als eine komplette Fixierung des Körpers - nur eine vertretbar geringe Beeinträchtigung, da während der mehrstündigen Behandlung ein Arm frei bleibt und auch der übrige Körper frei beweglich ist. Dies ermöglicht Patienten ohne Weiteres, in Ruhe bequem zu liegen und ggf. während der mehrstündigen Behandlung zu schlafen. Vor allem ist zu beachten, dass eine Fixierung des Arms allein bei Patienten erforderlich ist, die aufgrund körperlicher Einschränkungen zu Unruhe oder unkontrollierten Bewegungen neigen oder eine Dislokation ggf. nicht mitgekommen. Entsprechend muss danach nach Auffassung des Senats eine Fixierung bei gelähmten, blinden oder dementen Patienten immer in Betracht gezogen werden.

Anders als diese kann sich ein nicht beeinträchtigter und sehender Patient im Falle einer Dislokation melden und den vorhandenen Alarm auslösen, weil er den Blutverlust mitbekommt. Entsprechend hat der Sachverständige bei diesen Patienten eine Fixierung des Arms angesichts der Seltenheit des Risikos einer Dislokation nicht als erforderlich angesehen und ausgeführt, dass man diese Patienten angesichts der Tatsache, dass die Dialyse dreimal pro Woche über einen Zeitraum von 3 bis 5 Stunden erforderlich ist, durch eine dauerhafte Fixierung des Arms nicht zusätzlich beeinträchtigen will.

Es hätte danach bei dem blinden Ehegatten der Klägerin eine Fixierung des linken Arms in jedem Falle in Betracht gezogen werden müssen. Dabei ist es entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht praxisfern, eine solche Fixierung zu fordern. So hat selbst der Beklagte zu 2) im Rahmen seiner Anhörung durch den Senat ausdrücklich angegeben, dass in der Praxis demente Patienten, bei denen es zu unkontrollierten Bewegungen kommen kann, aus Sicherheitsgründen üblicherweise nicht mit zwei, sondern nur mit einer Nadel behandelt werden, bei der es in keinem Fall zu einem Austritt einer großen Menge Blutes kommen kann. Teilweise wird bei solchen Patienten nach Angabe des Beklagten zu 2) auch mit ihrem Einverständnis der Arm fixiert. Dies zeigt, dass den Beklagten durchaus bewusst gewesen ist, dass bei Patienten mit bestimmten Einschränkungen besondere Sicherungsmaßnahmen zum Ausschluss von Dislokationen erforderlich sind. Soweit in der Praxis aus Sicherheitsgründen auch Fixierungen des Arms erfolgen, hätte es einer solchen Fixierung gerade auch bei einem blinden Patienten wie dem Ehemann der Klägerin bedurft. Dies gilt umso mehr, als bei diesem nach Angabe des Beklagten zu 2) wegen seiner gesundheitlichen Verhältnisse eine 1-Nadel-Dialyse nicht möglich gewesen ist.

d) Soweit im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts keine Pflicht zur Fixierung gegen den Willen des Patienten erfolgen kann, hätte es im Streitfall aber zumindest einer entsprechenden therapeutischen Sicherungsaufklärung bedurft.

Zur Informationspflicht des behandelnden Arztes gehört die zur Sicherstellung des Behandlungserfolgs notwendige Erteilung von Schutz- und Warnhinweisen zur Mitwirkung an der Heilung und Vermeidung möglicher Selbstgefährdung, um den Patienten über mögliche Folgen einer Behandlung zu unterrichten und ihn zu den gebotenen Selbstschutzmaßnahmen zu veranlassen. Dabei kann sich die therapeutische Aufklärung mit der Selbstbestimmungsaufklärung insbesondere dann überschneiden, wenn sie den Hinweis auf eine für den Patienten belastende Behandlung beinhaltet. Es ist Sache des Patienten zu entscheiden, auf welche Chancen und Risiken er sich einlassen will (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rdn. B 95, 97 m. w. N.).

Auch wenn das Risiko einer Dislokation der Dialysenadel sehr selten ist, so kann es bei Eintritt in kürzester Zeit zum Tod des Patienten führen, wenn der Arzt nicht umgehend - innerhalb von ein bis zwei Minuten - reagiert. Entsprechend reicht es nicht aus, den Patienten im Rahmen der üblichen Risikoaufklärung allgemein allein über das Risiko von Blutungen nach einer Dislokation aufzuklären. Erforderlich ist zur Überzeugung des Senats vielmehr ein konkreter Hinweis, dass eine Dislokation durch eine einfache Fixierung eines Arms mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann.

Dies ermöglicht es dem Patienten, im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts abzuwägen, ob er angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit einer Dislokation die mit einer Fixierung einhergehende Beeinträchtigung auf sich nehmen will. Es bleibt dann der freien Entscheidung des Patienten überlassen, ob er durch eine freiwillige Fixierung des Arms das Risiko, an einem massiven Blutverlust infolge einer nicht rechtzeitig bemerkten Dislokation der Nadel zu versterben, praktisch ausschließen möchte.

Eine derartige Sicherungsaufklärung sieht der Senat in jedem Falle bei eingeschränkten, insbesondere blinden Patienten als zwingend erforderlich an, die eine Dislokation voraussichtlich nicht bemerken und entsprechend selbst keinen Alarm auslösen können. Ob diese Aufklärung angesichts des Umstands, dass viele Patienten während der mehrstündigen Behandlung schlafen, nicht sogar bei allen Patienten erforderlich ist, bedarf hier demgegenüber keiner Entscheidung.

e) Die Hinweispflicht entfällt auch nicht aus dem Grund, weil das Dialysegerät über einen eingebauten Alarm bei Druckabfall verfügt. Es ist aus technischer Sicht gerade nicht gewährleistet, dass der Alarm in jedem Fall von Druckabfall ausgelöst wird.

Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass die Dialysemaschinen als Sicherungsmaßnahme zur Vermeidung eines hohen Blutverlusts bei Dislokation der Dialysenadel die Druckverhältnisse im Schlauchsystem automatisch überwachen. Üblicherweise wird danach bei Veränderung der Druckverhältnisse ein Druckalarm ausgelöst, wodurch vital bedrohliche Blutungen verhindert werden können. Trotz der Alarmvorrichtung wird aber eine dislozierte Dialysenadel nach Angabe des Sachverständigen nicht zwangsläufig von den Maschinen erkannt. Grund hierfür ist, dass z.B. durch ein hohes Druckgefälle in der Nadel oder andere Umstände die Druckverhältnisse bei regelrechter Nadel imitiert werden können. Es kommt auch in Betracht, dass etwa die Nadel nur zum Teil disloziert und der Druckunterschied daher zu gering ist, um den Druckalarm des Gerätes auszulösen. Daraus folgt nach Angabe des Sachverständigen, dass auch bei technisch einwandfrei funktionierender Maschine der Druckalarm nicht immer ausgelöst wird. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner Erläuterungen im Senatstermin hierzu ergänzend ausgeführt, dass gerade bei der im Streitfall verwendeten nativen Fistel die Überwachung durch die Druckabfallmessungen relativ schlecht ist und nach aktueller Literatur letztlich nur etwa 50 % der Dislokationen erfasst werden und einen Alarm des Gerätes auslösen. Entsprechend lässt sich das Risiko einer Dislozierung der Nadel und eines dadurch auftretenden Blutverlusts durch die Alarmfunktion des Dialysegerätes nicht sicher beherrschen.

2.

Auf den Vorfall vom 6.6.2011 ist nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts seitens der Beklagten adäquat reagiert worden. Die Dialyse wurde sofort unterbrochen und binnen 1 Minute mit der ärztlich geleiteten Reanimation begonnen.

3.

Es ist mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass die Dislokation der Nadel durch mangels Fixierung des Arms erfolgte Bewegungen des Ehegatten der Klägerin ausgelöst worden ist.

Die Fixierung der Nadel ist nach Angabe des Sachverständigen in adäquater Art und Weise mittels Pflastern erfolgt. Soweit danach eine mangelhafte Befestigung ausgeschlossen werden kann, kommt als Ursache für ein Abrutschen oder Lösen der Pflaster nur eine Bewegung des Patienten in Betracht. Soweit die genaue Herbeiführung der Dislokation nicht aufklärbar ist und nicht festgestellt werden kann, ob eine kontrollierte oder unkontrollierte Bewegung vorgelegen hat, ist dies unbeachtlich. Sämtliche Gründe für eine solche Dislokation hängen mit Bewegungen des Patienten zusammen. Dies erfasst auch die vom Beklagten zu 2) in Betracht gezogene Möglichkeit, dass der Patient auch an der Armlehne des Stuhls hängen bleiben kann. Entsprechend nimmt der Senat mangels ernsthaft in Betracht zu ziehender Alternativen mit der erforderlichen Sicherheit an, dass eine Bewegung des Ehemannes der Klägerin die Dislokation herbeigeführt hat.

Die Dislokation hätte zur Überzeugung des Senats auch durch eine Fixierung des Arms verhindert werden können. Auch wenn insoweit keine absolute Sicherheit zu erzielen ist, steht fest, dass hierdurch die mechanische Komponente in Form von Bewegungen des Arms in einer Weise reduziert wird, dass das Risiko einer Dislokation insoweit praktisch ausgeschlossen werden kann. So hat der selbst ein Dialysezentrum betreibende Sachverständige dargelegt, dass die in seiner Praxis aufgetretenen Dislokationen durch einen unruhigen Patienten oder in suizidaler Absicht ausgelöst wurden. Gerade die kontrollierten oder unkontrollierten Bewegungen des Armes, in dem die Nadel sich befindet, werden aber durch eine Fixierung ausgeschlossen. Soweit der Sachverständige angegeben hat, eine Fixierung des Arms hätte die Dislokation "voraussichtlich verhindert", verbleibt ausgehend von einer ordnungsgemäßen Befestigung der Nadel neben einer Bewegung des Arms keine ernsthaft in Betracht zu ziehende Alternative. Eine solche hat auch der Sachverständige nicht aufgezeigt.

4.

Der bei dem Ehemann der Klägerin infolge der Dislokation der Nadel eingetretene massive Blutverlust ist jedenfalls mitursächlich für dessen Tod gewesen.

Der Patient wurde am 06.06.2011 gegen 14:55 Uhr nach hohem Blutverlust nicht ansprechbar und reanimationspflichtig aufgefunden. Nach kardiopulmonaler Reanimation erfolgte unter Beatmung die Verlegung auf die Intensivstation des L Hospitals I2 , wo es nach initialer Stabilisierung am Morgen des Folgetages zu einem kardiogenen Schock im Rahmen eines ST-Hebungsinfarktes gekommen ist, in dessen Folge der Patient um 10:30 Uhr am 07.06.2011 verstorben ist.

Soweit die Beklagen bestritten haben, dass das Ereignis vom 06.06.2011 zu dem Versterben des Ehemannes der Klägerin geführt hat, hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass der Patient bereits einschlägige Risiken mitgebracht hat. Tritt zu diesen nach enormem Blutverlust eine Reanimation hinzu, bestehen kaum noch funktionale Reserven des Herzens. Im Hinblick auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der erforderlichen Reanimation und dem kardiogenen Schock, ist danach mit der erforderlichen Sicherheit zumindest von einer Mitursächlichkeit des Blutverlusts und seiner Folgen für den Todeseintritt auszugehen. Diese Beurteilung beruht auch darauf, dass der Sachverständige den Ursachenzusammenhang als "extrem naheliegend" bezeichnet hat.

5.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten danach ein Anspruch auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden zu Händen der Erbengemeinschaft nach den § 249, 253 Abs. 2 BGB zu.

a) Die Klägerin kann gemäß §§ 253 Abs. 2, 1922 Abs. 1 BGB ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen, dessen Höhe der Senat mit 5.000 EUR bemisst.

Dabei hat der Senat zur Bemessung des Schmerzensgeldes bewertet, dass davon auszugehen ist, dass der Ehemann der Klägerin während der Zeit des Austritts der massiven Blutmenge seine Zustandsverschlechterung und die damit einhergehende Symptomatik jedenfalls mittelbar leidend mitbekommen hat. Weiterhin war er nach zwischenzeitlicher Reanimation und Stabilisierung auch hinreichend reaktionsfähig, um am Folgetag den Herzinfarkt sowie kardiogenen Schock wahrzunehmen und darunter zu leiden. Im Rahmen einer Gesamtabwägung der zurechenbaren Folgen ist danach trotz der Kürze der Leidenszeit ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 5.000,00 € angemessen, aber auch ausreichend.

b) Die Klägerin hat weiter Anspruch auf Ersatz der angefallenen Beerdigungskosten in Höhe von 2.748,00 €.

Sie kann insoweit die durch Vorlage von Rechnungen und Zahlungsquittungen belegten Kosten für die Überführung des Leichnams in die Türkei in Höhe von 1.900,00 € (vgl. Rechnung + Quittung, Bl. 264/265 d.A.) und Erstellung eines Grabsteins in Höhe von 848,00 € verlangen. Soweit die Klägerin hierüber eine Rechnung vom 25.12.2012 über 2.006,00 TRY vorgelegt hat (vgl. Bl. 266 d.A.), entsprach dieser Betrag zu diesem Zeitpunkt 848,00 €.

Demgegenüber besteht kein Anspruch auf die daneben geltend gemachten Kosten für die Flüge der Angehörigen (2.510,00 €) und die Beerdigungsfeier (1.500,00 €). Die Klägerin hat auch nach entsprechendem Hinweis des Senats insoweit keinerlei Belege vorgelegt, wobei diese gerade im Hinblick auf die behaupteten Flugkosten bestehen müssten. Mangels hinreichend substantiierter Angaben zu Airline, Flugzeiten, Ort und Dauer der Beerdigungsfeier sowie Name des Hotels und genauer Verweildauer bedurfte es auch nicht der Vernehmung der benannten Zeugen. Insoweit wäre mangels hinreichenden Vorbringens der Klägerin ihre Befragung einem reinen Ausforschungsbeweis gleichgekommen. Auch hierauf hat der Senat hingewiesen.

c) Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB. Verzug ist mit Ablauf der im anwaltlichen Aufforderungsschreiben vom 20.02.2013 (Anl. K 6, Bl. 10 d.A.) gesetzten Zahlungsfrist eingetreten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.

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