BGH, Beschluss vom 11.12.2015 - V ZB 103/14
Fundstelle
openJur 2016, 414
  • Rkr:
Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 31. März 2014 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 668,13 €.

Gründe

I.

Der Beklagte ist Mitglied der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft, die von ihm vornehmlich Zahlung ausstehenden Wohngeldes beansprucht. Das Amtsgericht hat die Klage überwiegend abgewiesen. Gegen das ihr am 4. Dezember 2013 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Januar 2014 (Freitag) bei dem Landgericht Magdeburg Berufung eingelegt. Am 8. Januar 2014 lag die Berufungsschrift der Geschäftsstelle der 2. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vor. Deren Vorsitzende erteilte der Klägerin daraufhin unter dem 20. Januar 2014 den Hinweis, zuständig sei das Landgericht Dessau-Roßlau. Auf diesen Hinweis hin, der der Klägerin am 30. Januar 2014 zugegangen ist, hat sie mit einem am 4. Februar 2014 eingegangenen Schriftsatz nochmals Berufung - nunmehr bei dem Landgericht Dessau-Roßlau - eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Das Landgericht Dessau-Roßlau (im Folgenden: Berufungsgericht) hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht rechtzeitig beim zuständigen Berufungsgericht eingegangen sei und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorlägen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe durch eine einfache Internetrecherche problemlos feststellen können, welche Zuständigkeitskonzentration für Wohnungseigentumsverfahren in Sachsen-Anhalt bestehe. Die Fristversäumung sei auch nicht in maßgeblicher Weise auf einen Verstoß des Landgerichts Magdeburg gegen seine prozessuale Fürsorgepflicht zurückzuführen. Die Pflicht, vorab auf die eigene Unzuständigkeit hinzuweisen, treffe ein Gericht nur dann, wenn die Unzuständigkeit "ohne Weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen sei. Solange die Akte im ordnungsgemäßen Geschäftsgang dem Richter nicht vorgelegen habe, komme es für die leichte Erkennbarkeit auf das Wissen des zuständigen Geschäftsstellenbeamten an. Hier sei aus der Berufungsschrift selbst nicht ohne weiteres zu entnehmen gewesen, dass es sich um eine Wohnungseigentumssache gehandelt habe. In derartigen Fällen sei die Geschäftsstelle lediglich gehalten, die Akten der Vorsitzenden vorzulegen. Da die Berufungsschrift aber erst am 8. Januar 2014 und damit nach Ablauf der Berufungsfrist der zuständigen Geschäftsstelle vorgelegen habe, hätte auch eine noch an diesem Tag erfolgte Vorlage an die Vorsitzende und ein daraufhin erteilter rechtlicher Hinweis die Fristversäumung nicht mehr verhindert.

III.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Partei des Rechtsstreits auf der Klägerseite einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist die Wohnungseigentümergemeinschaft als teilrechtsfähiger Verband. Nur der Verband ist Inhaber von Wohngeldforderungen gegen einzelne Wohnungseigentümer (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05, BGHZ 163, 154, 177; siehe auch OLG München, NJW-RR 2005, 1326, 1327). Demgemäß ist die Klage zutreffend von dem Verband erhoben worden. Soweit demgegenüber in dem Rubrum des Beschlusses des Berufungsgerichts die einzelnen Wohnungseigentümer mit Ausnahme des Beklagten als Kläger aufgeführt werden, handelt es sich um eine offenbare Unrichtigkeit gemäß § 319 Abs. 1 ZPO, die das Berufungsgericht von Amts wegen zu berichtigen haben wird.

2. Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Zulässig ist sie aber gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Dies ist nicht der Fall. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere hat das Berufungsgericht keine überzogenen Anforderungen an die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags gestellt, die der Klägerin den Zugang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschwert hätten (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, ZMR 2010, 774 Rn. 4 mwN). Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die form- und fristgerecht beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung (§ 233 ZPO) der Berufungsfrist versagt hat, entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist.

a) Die gilt zunächst für die Annahme eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

aa) An den mit der Berufungseinlegung betrauten Rechtsanwalt sind mit Blick auf die Ermittlung des zuständigen Rechtsmittelgerichts hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Dies gilt auch für die Frage, welches Berufungsgericht in Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 WEG gemäß § 72 Abs. 2 GVG zuständig ist (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, ZMR 2010, 774 Rn. 5). Wäre der Klägervertreter dieser Sorgfaltspflicht nachgekommen, hätte er gewusst, dass die Berufung nicht bei dem Landgericht Magdeburg, sondern gemäß § 1 der Verordnung zur Bestimmung des gemeinsamen Berufungs- und Beschwerdegerichts in Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 bis 4 und 6 des Wohnungseigentumsgesetzes (GVBl. LSA 2007, 212) i.V.m. § 72 Abs. 2 GVG bei dem Landgericht Dessau-Roßlau einzulegen war.

bb) Dass gemäß § 233 Satz 2 ZPO ein Fehlen des Verschuldens vermutet wird, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine abweichende Beurteilung. Gemäß Art. 21 Satz 1 des Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2424) gilt diese Bestimmung erst ab dem 1. Januar 2014. Das mit der Berufung angegriffene Urteil des Amtsgerichts ist jedoch bereits am 23. Oktober 2013 und damit vor Inkrafttreten des § 233 Satz 2 ZPO verkündet worden. Es bedurfte keiner Rechtsmittelbelehrung.

b) Eine Überspannung der Wiedereinsetzungsanforderungen liegt auch nicht darin, dass das Berufungsgericht einen Verstoß des Landgerichts Magdeburg gegen die prozessuale Fürsorgepflicht verneint.

aa) Anders als in Fällen, in denen fristgebundene Rechtsmittelschriftsätze irrtümlich bei dem im vorangegangen Rechtszug mit der Sache bereits befassten Gericht eingereicht werden, besteht keine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmitteleinlegung unzuständigen Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern (Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, ZMR 2010, 774 Rn. 7 mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne Weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen ist und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem offenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht. In diesen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsganges an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geschieht dies nicht, geht die nachfolgende Fristversäumnis nicht zu Lasten des Rechtsuchenden; das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wirkt sich dann nicht mehr aus (vgl. BVerfG, NJW 2006, 1579; Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, ZMR 2010, 774 Rn. 8). Solange die Akte im ordnungsgemäßen Geschäftsgang dem Richter nicht vorgelegen hat, kommt es für die leichte Erkennbarkeit der Unzuständigkeit auf den Wissenstand des zuständigen Geschäftsstellenbeamten an (BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - IV ZB 17/10, NJW 2012, 78 Rn. 15).

bb) Auf eine Verletzung der gerichtlichen Fürsorgepflicht kann sich die Klägerin indes nicht stützen. Die Berufungsschrift ist im üblichen Geschäftsgang am 8. Januar 2014 und damit erst nach der am 7. Januar 2014 (6. Januar 2014:

Feiertag in Sachsen-Anhalt) abgelaufenen Berufungsfrist bei der Geschäftsstelle des Landgerichts Magdeburg eingegangen. Selbst wenn aus der Berufungsschrift ohne weiteres hätte entnommen werden können, dass es sich um eine Berufung in einer Wohnungseigentumssache handelte, hätte eine sofortige Vorlage an die Vorsitzende oder ein Hinweis an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Fristversäumnis nichts mehr ändern können.

cc) Soweit die Rechtsbeschwerde die weitergehende Auffassung vertritt, die Klägerin habe damit rechnen können, dass ihre Berufungsschrift vom 3. Januar 2014 bereits an demselben Tag von der Eingangsstelle an die zuständige Geschäftsstelle weitergeleitet werden würde, überspannt sie die aus dem Gebot eines fairen Verfahrens in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip folgende Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte.

(1) Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge von Verfassungs wegen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. Einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf das unzuständige Gericht verlagert werden (vgl. BVerfGE 93, 99, 114; BVerfG, NJW 2006, 1579; Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, ZMR 2010, 774 Rn. 7 mwN).

(2) Vor diesem Hintergrund kann ein Rechtsmittelführer nicht darauf vertrauen, dass seine Rechtsmittelschrift bereits am Tag der Einreichung der Geschäftsstelle vorgelegt wird. Abzustellen ist vielmehr auf den üblichen Geschäftsgang, in dessen Rahmen ein Hinweis auf die Unzuständigkeit des angerufenen Berufungsgerichts geboten sein kann, um Rechtsverluste des Rechtsmittelführers zu vermeiden. Zu einer vorrangigen und beschleunigten Befassung mit der Sache, um den Berufungsführer noch rechtzeitig auf eigene Versäumnisse bei der Prüfung des zuständigen Berufungsgerichts hinweisen zu können, besteht indessen keine Veranlassung (vgl. Senat, Beschluss vom 24. Juni 2010 - V ZB 170/09, ZMR 2010, 774 Rn. 10, BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - IV ZB 17/10, NJW 2012, 78 Rn. 11).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Stresemann RinBGH Prof. Dr. Schmidt-Räntsch Brückner ist infolge Urlaubs an der Unterschrift gehindert.

Karlsruhe, den 15.Dezember 20 Die Vorsitzende Stresemann Göbel Haberkamp Vorinstanzen:

AG Magdeburg, Entscheidung vom 23.10.2013 - 180 C 631/13 -

LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 31.03.2014 - 5 S 17/14 -