OLG Hamm, Urteil vom 21.03.2001 - 13 U 216/00
Fundstelle
openJur 2011, 15026
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 O 243/00
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. September 2000 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert.

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 7.146,15 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 01.01.2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Anschlu߬berufung des Klägers werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz werden wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers werden zu 3/4 dem Kläger und zu 1/4 der Beklagten zu 2) auferlegt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklag¬ten zu 1).

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt der Kläger zu 1/2 und die Beklagte zu 2) ebenfalls zu 1/2.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden wie folgt verteilt:

Die Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Klä¬gers tragen der Kläger zu 5/8 und die Beklagte zu 2) zu 3/8.

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) werden dem Kläger auferlegt.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) tragen zu 1/4 der Kläger und zu 3/4 die Beklagte zu 2).

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Parteien übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Gründe

Die Berufung des Beklagten zu 1) ist begründet. Dagegen haben die Berufung der Beklagten zu 2) sowie die Anschlußberufung des Klägers keinen Erfolg.

I.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten zu 1) kein Anspruch gem. §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 5 StVO auf Zahlung von Schadensersatz wegen des Unfallereignisses vom 06.10.1999 auf der C-Straße in C zu.

Denn der Kläger hat nicht bewiesen, daß der Unfall durch ein schuldhaftes Handeln des Beklagten zu 1) herbeigeführt wurde.

1.

Der Führer einer Straßenbahn haftet nur dann, wenn der Anspruchsteller ein schuldhaftes Handeln bewiesen hat. Denn § 18 Abs. 1 StVG findet keine Anwendung, weil gem. § 1 Abs. 2 StVG eine Straßenbahn nicht ein Kraftfahrzeug im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes darstellt. Maßgeblich ist somit allein das Haftpflichtgesetz (HPflG), welches eine § 18 Abs. 1 StVG vergleichbare Haftung des Fahrzeugführers nicht vorsieht.

2.

Der Kläger vermochte nicht zu beweisen, daß die Straßenbahn zurückrollte und hierdurch die Beschädigung an seinem Kraftfahrzeug verursacht wurde.

a)

Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, daß sowohl die vom Kläger behauptete Unfallversion als auch die der Beklagten zutreffend sein kann. Er hat ausgeführt, daß nach den durchgeführten Untersuchungen ein Zurückrollen der Straßenbahn im Bereich der Unfallstelle möglich sei, welches zu den in Rede stehenden Beschädigungen am Taxi hätte führen können. Es sei aber auch genauso gut möglich, daß das Taxi gegen die stehende Straßenbahn gefahren sei.

b)

Die vernommenen Zeugen haben den vom Kläger behaupteten Unfallablauf nicht bestätigt.

Die beiden Fahrgäste, die Zeuginnen T2 und Q, waren nach ihren Aussagen abgelenkt und haben deshalb das Verkehrsgeschehen nicht beobachtet. Die Zeugin T hat bekundet, daß die vom Beklagten zu 1) geführte Straßenbahn nicht zurückgerollt sei.

II.

Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 % einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2) i.H.v. 7.146,15 DM gem. §§ 1 Abs. 1 HPflG, 249 BGB für begründet erachtet.

Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Beklagte zu 2) den Unabwendbarkeitsbeweis gem. § 1 Abs. 2 S. 2 HPflG nicht geführt; es liegt ein ungeklärter Verkehrsunfall vor, bei dem eine ausgeglichene Haftungsverteilung im Rahmen der Abwägung der von den unfallbeteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren gem. § 17 Abs. 1 StVG angemessen ist.

1.

Das Ergebnis der Beweisaufnahme begründet keine Überzeugung zugunsten der Beklagten zu 2).

a)

Wie bereits vorangehend dargelegt, sind nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen beide Unfallversionen technisch möglich.

b)

Die Zeugin T2 konnte keine sachdienlichen Angaben zum Unfallablauf machen.

Soweit die Zeugin Q zu Protokoll gegeben hat, sie meine, aus den Augenwinkeln gesehen zu haben, daß die Straßenbahn angefahren sei, kommt der Aussage kein entscheidender Beweiswert zu. Die Zeugin hat zu diesem Teil ihrer Aussage einschränkend angegeben, daß sie sich nicht sicher sei. Zudem ist denkbar, daß die Zeugin nur einen Teil des Geschehens, nämlich das Anfahren der Straßenbahn und nicht ein mögliches anschließendes Zurückrollen beobachtet hat.

Zwar hat die Zeugin T bekundet, die vom Beklagten zu 1) geführte Straßenbahn sei nicht zurückgerollt. In Übereinstimmung mit dem Landgericht vermag der Senat jedoch der Aussage nicht zu folgen. Die Zeugin ist mit der von ihr geführten Straßenbahn an der unfallbeteiligten Straßenbahn vorbeigefahren. Unstreitig handelt es sich bei den Unfallörtlichkeiten um eine belebte Stelle, die die ganze Aufmerksamkeit eines Fahrzeugführers beansprucht. Der Sachverständige hat ausgeführt, daß schon ein Zurückrollen über eine geringe Wegstrecke ausreiche, um die Beschädigungen am Taxi hervorzurufen. Nach alledem kann nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die Zeugin ein mögliches Zurückrollen der Straßenbahn nicht bemerkte.

c)

Ein Anscheinsbeweis dahin, daß der Unfall auf einem Verstoß des Klägers gegen § 4 Abs. 1 StVO (ungenügender Sicherheitsabstand) beruht, kann die Beklagte zu 2) nicht für sich in Anspruch nehmen. Denn ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO liegt nur vor, wenn es aufgrund eines ungenügenden Sicherheitsabstandes zu einem Unfall kommt. Es muss also ein Auffahren gegeben sein, um einen Anscheinsbeweis zu begründen (Jagusch/Hentschel, 34. Aufl., Rdn. 18 zu § 4 StVO). Die Anknüpfungstatsachen, welche den Anscheinsbeweis entstehen lassen, müssen von demjenigen bewiesen werden, der sich darauf beruft.

Wie vorangehend dargelegt, steht indessen zwischen den Parteien im Streit, ob der Kläger mit seinem Pkw auffuhr.

d)

Zu Lasten des Klägers liegt auch nicht ein Verstoß gegen § 12 Abs. 4 S. 5 StVO vor. Danach darf auf den Gleisen nicht gehalten werden. Ein verkehrsbedingtes Anhalten und Warten stellt jedoch nicht ein Halten im Sinne der Vorschrift dar (Jagusch/Hentschel, Rdn. 37 zu § 12 StVO).

Der Kläger mußte hinter der Straßenbahn verkehrsbedingt anhalten, weil diese ebenfalls stoppte. Das Aussteigen der Fahrgäste sollte nur bei Gelegenheit dieses Verkehrsvorganges geschehen.

2.

In Übereinstimmung mit dem Landgericht hält der Senat eine hälftige Haftungsverteilung für angemessen.

Nach § 17 Abs. 2 StVG findet § 17 Abs. 1 StVG auch auf Straßenbahnen Anwendung.

Abzuwägen sind daher die von den unfallbeteiligten Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren.

Wie vorangehend dargelegt, hat keine der Parteien ein betriebsgefahrerhöhendes mitursächliches Verschulden der einen oder anderen Seite bewiesen.

Der Beklagten zu 2) ist auch nicht deshalb eine erhöhte Betriebsgefahr zuzuschreiben, weil eine Straßenbahn am Unfall beteiligt ist. Denn Voraussetzung für die Berücksichtigung einer erhöhten Betriebsgefahr ist, daß sich diese erwiesenermaßen auf den Schaden ausgewirkt hat, ansonsten bleibt sie außer Ansatz (vgl. Jagusch/Hentschel, Rdn. 5 zu § 17 StVG m.w.N.).

Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, daß eine erhöhte Betriebsgefahr der Straßenbahn sich dann ausgewirkt habe, wenn sie zurückgerollt sei. Dies steht indessen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest. Sofern der Kläger auf die Straßenbahn aufgefahren sein sollte, wäre sein Pkw mit einem stehenden, unübersehbar großen Fahrzeug kollidiert. Bei diesem ebenso möglichen Unfallablauf hätte sich eine erhöhte Betriebsgefahr der Straßenbahn nicht ausgewirkt.

3.

Die Feststellungen des Landgerichts zur Schadenshöhe werden von den Parteien nicht angegriffen. Der ausgeurteilte Betrag entspricht der Hälfte des Gesamtschadens von 14.292,29 DM.

III.

Der Zinsanspruch von 4 % aus 7.146,15 DM seit dem 01.01.2000 ist ebenfalls nicht Gegenstand der Auseinandersetzung im Berufungsverfahren.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Zitate0
Referenzen0
Schlagworte