FG Münster, Urteil vom 14.11.2001 - 13 K 6697/99 E
Fundstelle
openJur 2011, 14988
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.

Tatbestand

Streitig ist die Änderungsmöglichkeit der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 zur Berücksichtigung von Ausbildungsfreibeträgen.

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist von Beruf Diplom-Ingenieur, die Klägerin Krankenschwester. Sie sind Eltern zweier 1976 und 1977 geborener Kinder.

Mit den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1996 und 1997, die sie ohne die Hilfe eines Steuerberaters erstellten, reichten die Kläger jeweils eine "Anlage Kinder" ein, auf der sie Namen, Geburtsdatum, Wohnort der Kinder, erhaltenes Kindergeld und das zu den Kindern bestehende Verwandtschaftsverhältnis angaben. Weiterhin kreuzten sie an, dass sich die Kinder in der Berufsausbildung befanden. Für den Sohn wurde in der dafür vorgesehenen Spalte "Dauer des gesetzlichen Grundwehr- bzw. Zivildienstes" in 1996 der Zeitraum vom 01.11. bis zum 31.12. angegeben und für 1997 die Zeit vom 01.01. bis zum 23.08. Außerdem erklärten die Kläger Einnahmen der Kinder in Höhe eines Bruttoarbeitslohns von 5.090,00 DM und 5.235,05 DM in 1996 und von 2.902,00 DM und 4.485,00 DM in 1997. Die mit der Óberschrift "Ausbildungsfreibetrag" versehenen Zeilen, die Fragen zu den Aufwendungen für die Berufsausbildung, zu den auf diesen Zeitraum entfallenden Einnahmen des Kindes sowie zur Unterbringung des Kindes enthielten, füllten die Kläger nicht aus. Der Beklagte setzte daraufhin in den Einkommensteuerbescheiden 1996 vom 27.08.1997 und 1997 vom 08.06.1998 keine Ausbildungsfreibeträge an. Gegen die Einkommensteuerbescheide wurden keine Einsprüche eingelegt.

Am 06.04.1999 beantragten die Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide der Jahre 1996 und 1997 dahingehend, Ausbildungsfreibeträge für beide Kinder zu gewähren. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 30.04.1999 ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Mit ihrer Klage begehren die Kläger weiterhin die Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 unter Berücksichtigung der Ausbildungsfreibeträge für ihre beiden Kinder. Sie vertreten die Auffassung, die Bescheide seien gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) zu ändern. Dem Beklagten sei erst durch den Änderungsantrag bekannt geworden, dass Ausbildungskosten entstanden seien. Hierbei handele es sich um eine neue Tatsache, an deren erst nachträglichem Bekanntwerden sie, die Kläger, kein grobes Verschulden treffe. Sie seien bei Anfertigung ihrer Einkommensteuererklärungen steuerlich nicht beraten gewesen und davon ausgegangen, dass sie mit ihren Eintragungen auf der "Anlage Kinder" alle erforderlichen Anträge gestellt hätten. Sie seien sich nicht bewusst gewesen, dass sie ihre Angaben in den Zeilen 46 ff. hätten wiederholen müssen, um den Ausbildungsfreibetrag zu erlangen. Ein grobes Verschulden könne hierin nicht gesehen werden. Es handele sich allenfalls um einen auf einer leichten Fahrlässigkeit beruhenden Formularirrtum. Darüber hinaus habe der Beklagte seine Fürsorgepflicht verletzt. Nach den Angaben in der Steuererklärung habe sich die Frage aufdrängen müssen, wieso die Kläger keine Ausbildungsfreibeträge beantragt hätten. Gemäß § 89 AO habe der Beklagte die Pflicht gehabt, die Stellung eines entsprechenden Antrags anzuregen. Hilfsweise machen die Kläger geltend, die Einkommensteuerbescheide seien nach § 129 AO zu ändern.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 28.09.1999 aufzuheben und unter Änderung der Einkommensteuerbescheide 1996 und 1997 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, hilfsweise durch Berichtigung nach § 129 AO oder unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Einkommensteuer 1996 in Höhe von DM um 1.400 DM auf DM und die Einkommensteuer 1997 in Höhe von DM um 1.072 DM auf DM herabzusetzen,

die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO lägen nicht vor, da die Kläger ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden des Antrags auf Gewährung der Ausbildungsfreibeträge treffe. Die Kläger hätten die in den Steuererklärungsvordrucken gestellten Fragen zur Gewährung der Ausbildungsfreibeträge unbeantwortet gelassen, obwohl in den Anleitungen zur Einkommensteuererklärung ausgeführt sei, welche Eintragungen vorzunehmen seien.

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO)).

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 30.04.1999 und die Einspruchsentscheidung vom 28.09.1999 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 101 FGO).

Der Beklagte hat zu Recht die Änderungsmöglichkeit der Einkommensteuerbescheide der Jahre 1996 und 1997 verneint, denn nach Verstreichen der Einspruchsfrist gem. § 355 AO sind die Einkommensteuerbescheide bestandskräftig geworden.

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO lagen nicht vor.

Bestandskräftige Steuerbescheide, die nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind, können nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 129 AO und der §§ 172 - 177 AO korrigiert werden.

Keine dieser Vorschriften greift ein.

Gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen, sofern den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestandes erfüllt (Tipke/Kruse § 173 Rz. 2).

Zwar wurde dem Beklagten nachträglich die steuermindernde Tatsache bekannt, dass den Klägern Aufwendungen für die Berufsausbildung der Kinder entstanden und sie gem. § 33a Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) deren Berücksichtigung im Rahmen des Ausbildungsfreibetrages beantragen, jedoch trifft die Kläger ein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden.

Grobes Verschulden umfasst Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Grob fahrlässig handelt der Steuerpflichtige, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise verletzt (Tipke/Kruse § 173 Rz. 76 m.w.N.). Ein grobes Verschulden kann vorliegen, wenn ein Steuerpflichtiger seiner Erklärungspflicht unzureichend nachkommt, indem er z.B. unzutreffende oder unvollständige Erklärungen abgibt, denn der Steuerpflichtige hat gemäß § 150 Abs. 2 Satz 1 AO die Angaben in der Steuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Um die Steuererklärung vollständig und wahrheitsgemäß abgeben zu können, muss er grundsätzlich das Erklärungsformular ggf. unter Hinzuziehung der amtlichen Anleitungen gewissenhaft durchlesen (BFH Urteil vom 09. Oktober 1992 III R 72/91, BFH/NV 1994, 217; vom 04. Februar 1993 III R 78/91, BFH/NV 1993, 641). Hierbei kann es allerdings Auswirkungen auf das Verschulden haben, wenn der Erklärungsvordruck oder die dazu ergangenen Hinweise für einen steuerlichen Laien nicht ausreichend verständlich, klar und eindeutig abgefasst sind. In Bezug auf das Durchlesen von Merkblättern dürfen keine unzumutbaren Anforderungen an den Steuerpflichtigen gestellt werden (BFH Urteil vom 22. Mai 1992 VI R 17/91, BStBl. II 1993, 80). Er handelt aber regelmäßig grob schuldhaft, wenn er eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf einen ganz bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht beachtet (BFH Urteil vom 21. Juli 1989 III R 303/84, BStBl. II 1989, 960; vom 09. Oktober 1992 III R 72/91, BFH/NV 1994, 217; vom 04. Februar 1993 III R 78/91, BFH/NV 1993, 641 (zu fehlenden Angaben hinsichtlich des Ausbildungsfreibetrages)).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze haben die Kläger in hohem Maße fahrlässig gehandelt, als sie auf der "Anlage Kinder" zu dem Punkt Ausbildungsfreibetrag keine Eintragung vornahmen und die dort gestellten Fragen unbeantwortet ließen.

Die "Anlage Kinder" ist durch Óberschriften in unterlegtem Fettdruck klar gegliedert. Die Óberschriften machen jeweils deutlich, zu welchem Zweck - Kinderfreibetrag, Haushaltsfreibetrag, Ausbildungsfreibetrag oder Kinderbetreuungskosten - die betreffenden Angaben erforderlich sind. Zudem wird in den amtlichen Anleitungen zur Einkommensteuererklärung genau erläutert, dass und unter welchen Voraussetzungen auf Antrag Ausbildungskosten für Kinder im Rahmen des Ausbildungsfreibetrages berücksichtigt werden. Insbesondere wird darauf hingewiesen, dass der Ausbildungsfreibetrag nur auf Antrag gewährt wird. Die erforderlichen Eintragungen werden außerdem an einem Beispiel veranschaulicht. Hierdurch wird auch für den steuerlichen Laien erkennbar, dass entsprechende Eintragungen notwendig sind, sofern für angefallene Ausbildungskosten der Kinder ein Ausbildungsfreibetrag begehrt wird. Nach diesen Erläuterungen kann nicht der Eindruck entstehen, dass es sich bei den Eintragungen unter der Óberschrift "Ausbildungsfreibetrag" lediglich um eine Wiederholung der bereits unter den allgemeinen Angaben beantworteten Fragen handelt.

Die persönlichen Verhältnisse der Kläger lassen keinen Rückschluss darauf zu, dass sie nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten nicht in der Lage waren, die im Vordruck gestellten Fragen sowie die Anleitungen zur Einkommensteuererklärung zu erfassen. Vielmehr sprechen die Berufsausbildung der Kläger zum Diplomingenieur und zur Krankenschwester für einen Ausbildungsstand, der sie in die Lage versetzte, den Steuererklärungspflichten in diesem Punkt nachzukommen.

Dem Umstand, dass der für die Bearbeitung der Steuererklärung zuständige Sachbearbeiter die Frage nach der Gewährung eines Ausbildungsfreibetrags nicht von sich aus aufgegriffen hat, kommt im Streitfall keine Bedeutung zu, auch wenn hierin ein Verstoß gegen die Auskunfts- und Beratungspflichten (§ 89 AO) gesehen werden könnte. Denn bei der Würdigung groben Verschuldens des Steuerpflichtigen hat das Verhalten des Finanzamts nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, der sich der Senat anschließt, außer Betracht zu bleiben, wenn ein Steuerpflichtiger eine Änderung der Steuerfestsetzung zu seinen Gunsten begehrt (BFH Urteil vom 09. August 1991 III R 24/87, BStBl. II 1992, 65; vom 09. Oktober 1992 III R 72/91, BFH/NV 1994, 217; vom 04. Februar 1993 III R 78/91, BFH/NV 1993, 641).

Zusätzlich zu dieser in dem Unterlassen der Eintragung liegenden Sorgfaltspflichtverletzung fällt den Klägern auch nach der Bekanntgabe der Bescheide ein grobes Verschulden zur Last, als sie es unterlassen haben, die Nichtberücksichtigung des Ausbildungsfreibetrages im Wege des Einspruchs zu beanstanden.

Nach ständiger BFH-Rechtsprechung, der der Senat folgt (BFH Urteil vom 04. Februar 1993 III R 78/91, BFH/NV 1993, 641; vom 02. August 1994 VIII R 65/93, BStBl. II 1995, 264; vom 04. Februar 1998 XI R 47/97, BFH/NV 1998, 682; Beschluss vom 10. Dezember 1997 VIII B 16/97, BFH/NV 1998, 1063), ist im Rahmen der Verschuldensprüfung auch der Zeitraum bis zur Bestandskraft des Bescheides einzubeziehen. Die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, sich gegen den Steuerbescheid mit Rechtsbehelfen zur Wehr zu setzen, darf bei der Beurteilung des Verschuldens nicht außer Betracht bleiben.

Die Kläger trifft - bezogen auf den Zeitraum bis zur Bestandskraft der Steuerbescheide - insofern ein grobes Verschulden, als sie die Nichtgewährung der Ausbildungsfreibeträge nicht im Einspruchswege beanstandet haben. Bei Durchsicht der Steuerbescheide hätte es den Klägern auffallen müssen, dass keine Ausbildungsfreibeträge für die Kinder angesetzt wurden. Es hätte den Sorgfaltspflichten der Kläger entsprochen, den Steuerbescheid zumindest genau zu lesen und ins Auge springende Fehler sofort zu beanstanden. Dies nicht zu tun, ist grob fahrlässig.

Auch die Voraussetzungen der Berichtigungsvorschrift des § 129 AO sind nicht erfüllt. Gem. § 129 AO kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigen. Eine offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO ist die Folge unabsichtlicher, versehentlicher, unbewusster oder mechanischer Fehler, die nicht im Bereich des Óberlegens, Denkens, Schlussfolgerns oder Urteilens liegen (z.B. BFH Urteil vom 22. August 1989 VIII R 110/86, BFH/NV 1990, 205; Tipke/Kruse § 129 Rz. 2). Neben den in § 129 AO genannten Beispielen des Verschreibens oder Verrechnens führt daher auch das bloße Óbersehen von Tatsachen oder Erklärungen zu einer offenbaren Unrichtigkeit (BFH Urteil vom 27. März 1987 VI R 63/84, BFH/NV 1987, 480). Beruht die Annahme eines unrichtigen Sachverhalts aber auf mangelnder Aufklärung oder unrichtiger Würdigung der Tatsachen, so findet § 129 AO keine Anwendung, da dann kein rein mechanisches Versehen, sondern ein Denk- oder Óberlegungsfehler vorliegt (BFH Urteil vom 09. Dezember 1998 II R 9/96, BFH/NV 1999, 899).

Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der Nichtgewährung der Ausbildungsfreibeträge nicht um eine offenbare Unrichtigkeit; denn die Steuererklärung der Kläger enthielt keine Eintragung zu den Ausbildungsfreibeträgen, die hätte übersehen oder falsch übertragen werden können. Dass der die Veranlagung durchführende Sachbearbeiter des Beklagten der Frage, warum die Kläger keinen Ausbildungsfreibetrag beantragt haben, nicht nachgegangen ist, beinhaltet ebenfalls keinen unbewussten oder mechanischen Fehler, sondern ist allenfalls Folge mangelnder Sachverhaltsaufklärung, die gerade keinen Fehler i.S.d. § 129 AO begründet.

Die Voraussetzungen anderer Änderungsvorschriften der AO liegen ebenfalls nicht vor.

Sofern die Kläger mit ihrem nicht näher begründeten Wiedereinsetzungsbegehren die Wiedereinsetzung in die bereits abgelaufene Einspruchsfrist gem. § 355 Abs. 1 AO begehren, steht diesem Antrag ein Verschulden der Kläger an dem Fristversäumnis entgegen. Gem. § 110 Abs. 1 AO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Die Kläger trifft aus denselben Gründen an dem Versäumen der Einspruchsfrist ein Verschulden wie am nachträglichen Bekanntwerden der neuen Tatsache.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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