VG Düsseldorf, Urteil vom 29.10.2001 - 12 K 9308/97
Fundstelle
openJur 2011, 14916
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Gemarkung G1 in N, das mit einer Front von etwa 42 m Länge an die U Straße angrenzt, ohne jedoch über einen tatsächlichen Zugang zu dieser Anbaustraße zu verfügen. An das öffentliche Straßennetz angeschlossen ist das Grundstück mittels einer - in fremdem Eigentum stehenden und rechtlich nicht gesicherten - Zufahrt über das Flurstück 748 (Garagenhof) zur F Straße sowie über - ebenfalls rechtlich nicht gesicherte - Zufahrten zur L- und N1 Straße über das Flurstück 956, das im Eigentum der Fa. U1 GmbH & Co KG (Fa. U1) steht und aus dem das Flurstück 161 vor 1953 herausparzelliert wurde.

Für die ehemaligen - ebenfalls der Fa. U1 gehörenden - und an der N1 Straße gelegenen Flurstücke 332 und 333 wurde im Jahre 1964 von der Eigentümerin ein (Teil)Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der Beleuchtung der N1 Straße in Höhe von 679,25 DM bezahlt. Für die Teileinrichtungen Beleuchtung und Entwässerung der L Straße wurden in den 60er- Jahren ebenfalls Erschließungsbeiträge erhoben.

Durch Bescheid vom 28. Dezember 1995 zog die Beklagte den Kläger zu einer Vorausleistung auf den zukünftigen Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der U Straße in Höhe von 19.700,- DM heran. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 14. Oktober 1997 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 14. November 1997 Klage erhoben. Er macht geltend, das veranlagte Grundstück zähle nicht zu den von der abgerechneten Anlage erschlossenen Grundstücken, da es über keinen Zugang zu dieser Straße verfüge, sondern allein über die F, L - und N1 Straße zu erreichen sei. Eine rechtliche Sicherung dieser Zufahrten sei nie erforderlich gewesen, da es sich bei der Fa. U1 um einen "Familienbetrieb" handele. Die Kanalisation seines Hauses, das 80 m von der abgerechneten Straße entfernt stehe und - wie auch die angrenzende Garage - zur N1 Straße ausgerichtet sei, führe über das Firmengrundstück der U1 zur N1 Straße, die Wasserversorgung erfolge von der L Straße aus. Einer Zufahrt zur U Straße stünde im Übrigen ein tatsächliches Hindernis in Form eines Waldes entgegen, dessen Bäume nach der Baumschutzsatzung der Beklagten nicht gefällt werden dürften. Die U Straße sei auch vorher benutzbar gewesen; die jetzt vorgenommene Neugestaltung sei ausschließlich auf Wunsch der Firma B erfolgt, die den größten Nutzen von der Straße habe, auf Grund ihrer geringen Front jedoch nur einen geringen Erschließungsbeitrag zu zahlen habe, während er und die Fa. U1 etwa 2/3 der Herstellungskosten zu tragen hätten.

Die zu Grunde liegende Satzung sei unwirksam, da sie pauschal für das gesamte Stadtgebiet gelte und mehr als zweifach erschlossene Grundstücke sowie den Frontmetermaßstab nicht hinreichend berücksichtige. Es hätte eine Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke gewährt werden müssen, da anzunehmen sei, dass für die F, L - und N1 Straße bereits in der Vergangenheit Anliegerbeiträge gezahlt worden seien.

Der Bescheid sei ermessensfehlerhaft, da die Beklagte sich nicht mit der Mehrfacherschließung seines Grundstücks auseinander gesetzt und keine Überlegungen angestellt habe, ob von der Beitragserhebung gemäß § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB ganz oder teilweise abzusehen sei.

Der Kläger beantragt,

den Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 28. Dezember 1995 und deren Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 1997 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die Voraussetzungen für die Erhebung einer Vorausleistung für erfüllt. Unabhängig von der grundsätzlichen Beitragspflicht auch für die Zweit- und Dritterschließung bestehe allein zur U Straße eine rechtlich gesicherte Zugangsmöglichkeit, solange die vorhandenen Zufahrten jeweils über fremde Flurstücke führten und rechtlich nicht gesichert seien. Trotz des vorhandenen Baumbestandes bestehe die Möglichkeit, einen Zugang zur U Straße anzulegen, was für die Erschließung eines Wohngrundstücks ausreichend sei. Eine Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke sei gemäß § 10 Abs. 2 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in der Stadt N vom 21. Januar 1988 - EBS 88 - nicht zu gewähren, da der geringste Abstand zwischen U- und N1 Straße mehr als 40 m betrage. Diese Regelung sei auch ermessensgerecht, weil nicht willkürlich.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 133 Abs. 3 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht nach dem BauGB entstehen kann, aber noch nicht oder noch nicht in vollem Umfange entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag u.a. dann verlangt werden, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage begonnen worden (sog. Herstellungsalternative) und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Dem Entstehen einer Erschließungsbeitragspflicht für die erstmalige Herstellung der U Straße steht zunächst nicht § 242 Abs. 1 BauGB entgegen, wonach für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, auch nach dem Baugesetzbuch kein Beitrag erhoben werden kann.

Vorhandene Straßen in diesem Sinne sind Straßen, die vor dem Inkrafttreten des ersten Ortsstatuts nach § 15 des Preußischen Fluchtliniengesetzes (PrFlG) mit dem Willen der Gemeinde wegen ihres insoweit für ausreichend erachteten Zustandes dem inneren Anbau und dem innerörtlichen Verkehr zu dienen bestimmt waren und tatsächlich gedient haben.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 25. November 1970 - III A 1335/68 -, ZMR 1973, 95; Urteil vom 29. Februar 1996 - 3 A 743/92 -.

Dabei ist für die Annahme eines innerörtlichen Anbaus und Verkehrs in diesem Sinne Voraussetzung, dass das betreffende Straßenstück im maßgeblichen Zeitpunkt eine Bebauung aufwies, die unter Berücksichtigung der örtlichen und zeitlichen Verhältnisse als "geschlossene Ortslage" qualifiziert werden kann, d.h. als ein Bebauungskomplex, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist.

Vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 6. November 1968 - IV C 2.66 -, BVerwGE 31, 20 (21), und - IV C 31.66 -, BVerwGE 31, 22 (27).

Diese Voraussetzungen haben an der U Straße im maßgeblichen Zeitpunkt des Inkrafttretens des ersten Ortsstatuts der ehemals selbstständigen Gemeinde O aus dem Jahre 1897 nicht vorgelegen. Kartenmaterial aus dieser Zeit stand der Kammer zwar nicht zur Verfügung. Aus einem in der Bauakte des klägerischen Grundstücks befindlichen Katasterplan aus dem Jahre 1953 ergibt sich jedoch, dass noch zu diesem Zeitpunkt die Grundstücke entlang der U Straße mit Ausnahme der Grundstücke L Straße 281 und 281a (Firmengrundstücks der Fa. U1 nebst des zugehörigen Wohngebäudes) und L Straße 255 unbebaut waren und mithin von einem innerörtlichen Anbau nicht die Rede sein konnte.

Anhaltspunkte für eine der Beitragsfähigkeit der jetzt abgerechneten Arbeiten entgegenstehende, frühere programmgemäße endgültige Herstellung der U Straße auf ihrer gesamten Länge bestehen ebenfalls nicht. Zwar war die Straße - wie bereits ausgeführt - jedenfalls seit 1953 in der Örtlichkeit vorhanden; ausweislich des dem abgerechneten Ausbau zu Grunde liegenden Bauprogramms (Beschluss des Bauausschusses aus dem Jahre 1995) war ein endgültiger Ausbau - mit Ausnahme des westlichen Gehwegs - bis dahin lediglich auf einem etwa 90 m langen Teilstück zwischen F Straße und Haus U Straße Nr. 34 erfolgt, während die übrige Strecke bis zur L Straße lediglich provisorisch ausgebaut war. Die Straßenentwässerung musste auf einer Länge von etwa 83 m bis zur L Straße vervollständigt werden.

Nach der von der Beklagten vorgelegten Abnahmebescheinigung vom 25. Juni 1996 wurde mit dem Ausbau der U Straße im Oktober 1995 und damit vor Erlass des Vorausleistungsbescheides vom 28. Dezember 1995 begonnen und die Arbeiten im Juni 1996 abgeschlossen, mit der Folge, dass eine endgültige Beitragspflicht im Zeitpunkt der Heranziehung noch nicht entstanden sein konnte. Das Tatbestandsmerkmal der Absehbarkeit der endgültigen Herstellung ist ebenfalls erfüllt, da bei Erlass des Widerspruchsbescheides der Abschluss der kostenverursachenden Erschließungsmaßnahmen

vgl. insoweit Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Auflage, NJW-Schriftenreihe Band 42, § 21, Rdnr. 19 mit weiteren Nachweisen,

nicht nur absehbar, sondern bereits eingetreten war.

Der von Seiten der Stadt mit der Fa. B geschlossene Vorfinanzierungsvertrag vom 17. Juli 1995/2. Oktober 1995 stand der Erhebung von Vorausleistungen nicht entgegen. Zwar hatte die Fa. B sich in diesem Vertrag verpflichtet, die Kosten des Ausbaus der U Straße bis spätestens zwei Wochen vor Auftragserteilung an die bauausführenden Firmen auf ein Konto der Stadt einzuzahlen, sodass der Beklagten zunächst kein vorzufinanzierender Aufwand entstanden ist. Dieses Vorfinanzierungsdarlehn sollte nach dem Vertragsinhalt jedoch nicht erst nach Fertigstellung im Rahmen der endgültigen Beitragserhebung getilgt werden; vielmehr hatte sich die Stadt in § 5 desselben Vertrages ihrerseits verpflichtet, von den Eigentümern der nicht der Fa. B gehörenden Grundstücke Vorausleistungen nach den Bestimmungen des BauGB zu erheben, sobald mit dem Ausbau der Straße begonnen würde, und die entsprechenden Beträge nach Eingang an die Fa. B zu erstatten. In Form dieses Erstattungsanspruchs entstand demnach mit Baubeginn ein Vorfinanzierungsbedarf, der die Erhebung der streitigen Vorausleistung rechtfertigte.

Die auch für die Erhebung einer Vorausleistung erforderliche ortsrechtliche Rechtsgrundlage liegt in Form der EBS 88 vor, die - soweit das Entstehen einer Vorausleistungspflicht dem Grunde nach in Frage steht - gültiges Ortsrecht darstellt.

Dass die Satzung und hier insbesondere die Verteilungsregelung auf alle Grundstücke des Stadtgebietes Anwendung findet, entspricht dem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten "Gebot der konkreten Vollständigkeit".

Vgl. Driehaus, a.a.O., § 18, Rdnr. 8.

Der von der Beklagten gewählte sog. modifizierte Grundflächenmaßstab, der für die Verteilung des umlegungsfähigen Aufwands allein auf das Verhältnis der erschlossenen Grundstücksflächen sowie auf Art und Maß der baulichen Nutzung abstellt, entspricht § 131 Abs. 2 BauGB und wird von der Rechtsprechung seit jeher als vorteilsgerecht angesehen.

Driehaus, a.a.O., § 18, Rdnr. 26 mit weiteren Nachweisen.

Daneben ist für eine "Berücksichtigung des Frontmetermaßstabes" kein Raum.

Das klägerische Grundstück zählt auch zu den von der U Straße erschlossenen Grundstücken.

Von einer Anbaustraße erschlossen wird ein Grundstück, für das die Anlage allein, d.h. eine etwaige weitere Erschließung hinweggedacht, das herzugeben geeignet ist, was das Bebauungsrecht für seine bestimmungsgemäße Nutzung an verkehrsmäßiger Erschließung verlangt. Dies erfordert im Grundsatz, dass ein Wohngrundstück über eine öffentliche Straße für Kraftfahrzeuge erreichbar ist, d.h., dass bis auf die Höhe des Grundstücks herangefahren werden kann, um es von dort aus zu betreten.

Vgl. Driehaus, a.a.O., § 17, Rdnr. 56 ff. mit weiteren Nachweisen.

Demgegenüber ist beitragsrechtlich unerheblich, ob der auf diese Weise gebotene Erschließungsvorteil vom Grundstückseigentümer tatsächlich in Anspruch genommen wird.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 1977 - IV C 103.74 -, BRS Bd. 37, S. 195.

Danach zählt das im unbeplanten Gebiet liegende und mit einem Wohnhaus bebaute klägerische Grundstück zu den von der abgerechneten Anbaustraße erschlossenen Grundstücken, da es mit einer für die Anlegung eines Zugangs ausreichender Breite unmittelbar an die Straße angrenzt und tatsächliche Hindernisse, die einen Zugang hindern könnten, nicht bestehen. Insbesondere stehen die an der Grundstücksgrenze befindlichen Bäume ausweislich der von der Beklagten vorgelegten Lichtbilder weit genug auseinander, um ohne Eingriff in den bestehenden Baumbestand und dessen Wurzelwerk einen Zugang anlegen zu können, was auch das zuständige Fachamt der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 9. Juli 1996 bestätigt hat.

Bei der für die Frage des Erschlossenseins maßgeblichen abstrakten Betrachtungsweise, die nicht auf eine tatsächlich vorhandene Bebauung, sondern auf die (grundsätzliche) Bebaubarkeit des jeweiligen Grundstücks abstellt,

vgl. OVG NW, Beschluss vom 15. April 1999 - 3 B 68/99 -,

ist auch unerheblich, zu welcher Seite die auf dem klägerischen Grundstück befindlichen Gebäude ausgerichtet sind. Für die verkehrsmäßige Erschließung ebenso ohne Belang ist die Frage, zu welcher Straße ein Grundstückseigentümer sein Abwasser entsorgt und von welcher die Versorgung mit Trinkwasser erfolgt.

Die geforderte Vorausleistung ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Fehler bei der zu Grunde liegenden Schätzung des voraussichtlichen beitragsfähigen Erschließungsaufwandes sind nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht geltend gemacht worden.

Das 6.700 qm große klägerische Grundstück ist bei der Verteilung gemäß § 8 Abs. 2 EBS 88 nur mit einer Fläche von 5.115 qm berücksichtigt worden, wobei zu Recht nicht die - pauschale - satzungsmäßige Tiefenbegrenzung von 40 m, sondern die darüber hinausgehende tatsächliche baulich genutzte Grundstücksfläche zu Grunde gelegt wurde.

Für das Grundstück des Klägers ist im Ergebnis auch zu Recht keine Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke gewährt worden.

Dabei kann dahinstehen, ob tatsächlich § 10 Abs. 2 EBS 88 der Gewährung einer Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke entgegenstehen würde.

Insoweit spricht allerdings viel dafür, dass diese Regelung wegen Verstoßes gegen das Vorteilsprinzip unwirksam ist, weil kein nachvollziehbarer Grund erkennbar ist, weshalb mehr als 40 m tiefe Eckgrundstücke in den Genuss der satzungsmäßigen Vergünstigung kommen sollen, 40 m tiefe Grundstücke zwischen zwei Erschließungsanlagen dagegen nicht.

Vgl. VGH München, Beschluss vom 29. November 1989 - 6 N 86.01300 -, NVwZ RR 91, 663; Verwaltungsgericht Schwerin, Urteil vom 11. Juni 1999 - 8 A 3225/96, sowie Driehaus, a.a.O. § 18, Rdnr. 79.

Fraglich ist auch, ob das klägerische Grundstück, das nur an die U Straße unmittelbar angrenzt, während es mit der gegenüberliegenden N1 Straße nur durch eine rechtlich nicht gesicherte Zuwegung verbunden ist, überhaupt zu den Grundstücken "zwischen zwei Erschließungsanlagen" im Sinne des § 10 Abs. 2 EBS 88, der erkennbar auf eine Beschränkung der Grundstücksfläche sog. "durchgehender" Grundstücke zwischen zwei Erschließungsanlagen abstellt, zu zählen ist und ob sich das Grundstück nicht (auch) in einer Ecklage zur L Straße befindet, sodass mit Blick hierauf einer Vergünstigung jedenfalls nicht § 10 Abs. 2 EBS 88 entgegenstehen würde.

Die Gewährung der streitigen Vergünstigung, die grundsätzlich nach dem ausdrücklichen Wortlaut auch für Grundstücke gilt, die von mehr als zwei Straßen erschlossen werden (§ 10 Abs. 1 Satz 2 EBS 88), ist nämlich bereits deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei dem klägerischen Grundstück nicht um ein mehrfach erschlossenes Grundstück im Sinne des § 10 Abs. 1 EBS 88 handelt.

Bei an Wortlaut sowie an Sinn und Zweck dieser Regelung orientierter Auslegung ergibt sich nämlich, dass nur solche Grundstücke in den Genuss der Vergünstigung kommen sollen, die hinsichtlich mehr als einer Erschließungsanlage die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 BauGB erfüllen.

Nach § 10 Abs. 1 1. Halbsatz EBS 88 sind Grundstücke, die von mehr als einer Erschließungsanlage erschlossen werden, für alle Erschließungsanlagen beitragspflichtig. Beitragspflichtig ist ein Grundstück aber nur, wenn es im Sinne von § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen ist, d.h., wenn ihm über den für eine Erschließung nach § 131 Abs. 1 BauGB ausreichenden "latenten" Vorteil hinaus durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der Anlage ein "akuter" Erschließungsvorteil vermittelt wird und insbesondere etwaige rechtliche Hindernisse, die einer ungehinderten Nutzung der in Rede stehenden Erschließungsanlage entgegenstanden, ausgeräumt sind.

Nur bei einem mehrfach in diesem Sinne erschlossenen Grundstück kann zudem davon gesprochen werden, dass ihm die Erschließung durch zwei Erschließungsanlagen insgesamt nur einen minderen als den gleichsam doppelten Vorteil bringt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1976 - IV C 56.74 -,

und deshalb die Einräumung einer Vergünstigung gerechtfertigt ist. Auch dem weiteren denkbaren Zweck der Vergünstigung, die finanzielle Doppelbelastung durch ein mehrfach erschlossenes Grundstück zu schmälern, würde nur durch die aufgezeigte Auslegung hinreichend Rechnung getragen, da für nur nach § 131 Abs. 1 BauGB erschlossene Grundstücke - rechtmäßiger Weise - in der Vergangenheit kein Beitrag gezahlt worden sein kann und - jedenfalls bei Vorliegen beachtlicher tatsächlicher und/oder rechtlicher Hindernisse - ungewiss ist, ob eine Beitragspflicht nach § 133 Abs. 1 BauGB jemals entstehen wird.

Auf eine solche am tatsächlich bereits verwirklichten mehrfachen Erschließungsvorteil orientierte Sichtweise wird für die Frage, ob eine Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke zu gewähren ist, im Übrigen auch dann abgestellt, wenn ein Grundstück außer an die abgerechnete an eine weitere, lediglich im Bebauungsplan festgesetzte, tatsächlich aber noch nicht angelegte zweite Erschließungsanlage "angrenzt"; auch für diesen Fall eines erst zu erwartenden Erschließungsvorteils ist die satzungsmäßige Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke ausgeschlossen.

Driehaus, a.a.O. § 18, Rdnr. 74 unter Bezugnahme auf OVG Hamburg, Urteil vom 25. Juli 1989 - Bf VI 1/89 -, KStZ 90, 180.

Danach ist für das klägerische Grundstück keine Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke zu gewähren, da es allein von der abgerechneten Straße im Sinne der § 133 Abs. 1 BauGB, § 10 Abs. 1 EBS 88 erschlossen wird, während hinsichtlich der drei weiteren Anbaustraßen, zu denen tatsächliche Zufahrten bestehen, erschließungsbeitragsrechtlich nur ein "latenter" Erschließungsvorteil im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB gegeben ist. Die jeweiligen Zufahrten führen nämlich jeweils über Grundstücke, die nicht dem Kläger gehören, und sind hinsichtlich ihres dauerhaften Bestandes weder dinglich und erst recht nicht, wie § 4 BauO NW dies für eine bauliche Nutzung des Grundstücks verlangt, öffentlichrechtlich durch Baulast gesichert. Solange dieses rechtliche Hindernis nicht beseitigt ist, ist das klägerische Grundstück schon aus diesem Grund für keine dieser Straßen beitragspflichtig, mit der Folge, dass nach § 10 Abs. 1 EBS 88 eine Vergünstigung für mehrfach erschlossene Grundstücke ausgeschlossen ist.

Die Entscheidung der Beklagten, den Kläger zu einer Vorausleistung heranzuziehen, war auch ermessensgerecht.

Wegen des tatsächlich durch die Anbaustraße gebotenen Erschließungsvorteils für alle von der Straße erschlossenen Grundstücke ist für die Frage der Erhebung einer Vorausleistung unerheblich, auf wessen Initiative der Entschluss der Gemeinde zum Ausbau letztlich zurückgeht.

Da sich die Höhe des auf jedes einzelne Grundstück entfallenden Beitrags ausschließlich nach der satzungsmäßigen Verteilungsregelung zu richten hat, konnte die Beklagte vorliegend auch nicht berücksichtigen, dass auf die Grundstücke des Klägers und der Fa. U1 - wegen ihrer Größe - ein erheblich höherer Beitrag entfällt als auf die Grundstücke der Fa. B, die im Übrigen nicht, wie der Kläger annimmt, entsprechend ihrer geringen Front an der abgerechneten Erschließungsanlage, sondern satzungsgemäß entsprechend ihrer Grundstücksfläche sowie dem Maß und der Art der Nutzung bei der Verteilung berücksichtigt worden sind.

Auch mit Blick auf die - tatsächliche - Mehrfacherschließung des klägerischen Grundstücks ist die Ermessensentscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Nach den vorausgegangenen Ausführungen ist dessen bauliche Nutzung derzeit allein mit Blick auf die abgerechnete Anbaustraße zulässig, da es allein von dieser Erschließungsanlage im Sinne des § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen wird.

Letztlich war die Beklagte auch nicht gehalten, unter Billigkeitsgesichtspunkten auf die Erhebung einer Vorausleistung ganz oder teilweise zu verzichten.

Ungeachtet der Fragen, wann die Gemeinde verpflichtet sein kann, bei der Heranziehung zu einer Vorausleistung von Amts wegen zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 135 Abs. 5 BauGB erfüllt sind und ob gegebenenfalls die Verletzung dieser Berücksichtigungspflicht für die Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides von Belang ist oder nur Gegenstand eines selbstständigen Erlassverfahrens sein kann,

vgl. insoweit Driehaus, a.a.O., § 26, Rdnr. 37 ff. mit weiteren Nachweisen,

liegen nämlich keine Anhaltspunkte für eine unbillige Härte vor. Insbesondere scheidet die geltend gemachte "Mehrfacherschließung" bzw. damit verbundene etwaige finanzielle Belastungen als Billigkeitsgesichtspunkt schon deshalb aus, weil ausweislich der Verwaltungsvorgänge das Grundstück des Klägers - anders als möglicherweise das Grundstück der Fa. Tuchwerk - für die bereits abgerechneten Erschließungsanlagen N- und L Straße - bei der F Straße handelt es sich nach den Angaben der Beklagten um eine beitragsfreie vorhandene Straße - nicht zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen wurde und auch der Kläger selbst keine Belege für frühere Zahlungen vorlegen konnte.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.