AG Moers, Urteil vom 22.10.2015 - 601 Ds-103 Js 80/14-44/15
Fundstelle
openJur 2015, 20713
  • Rkr:

Eigenmächtiger ärztlicher Eingriff bei von Voruntersuchungen abweichender Befunderhebung

Tenor

Der Angeklagte wird wegen vorsätzlicher Körperverletzung kostenpflichtig zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100,- € verurteilt.§§ 223 Abs. 1, 230 StGB.

Gründe

I. Zur Person

Der heute 69-jährige Angeklagte ist verheiratet und hat einen Sohn im Alter von 38 Jahren.

Der Angeklagte ist seit dem 01.01.2014 Rentner. Zuvor war er 25 Jahre als Arzt im A-Krankenhaus in B tätig. Seine monatliche Rente beläuft sich auf ca. 4.000,- € netto. Seine Ehefrau ist Hausfrau.

Strafrechtlich ist der Angeklagte bislang nicht in Erscheinung getreten.

II. Zur Sache

Die Nebenklägerin wurde auf Grund anhaltender Beschwerden von ihren Frauenarzt, dem Zeugen Dr. F, am 13.11.2013 mit der Verdachtsdiagnose "Bartholinische Pseudozyste links" zu einer ambulanten Operation in die Frauenklinik des A-Krankenhauses in B überwiesen. Am 14.11.2013 fand dort die Voruntersuchung durch den Chefarzt Dr. U und die aufnehmende Ärztin Frau Dr. L statt, welche die Nebenklägerin in dem Zusammenhang über den geplanten ambulanten Eingriff - eine sogenannte Marsupialisation: die Eröffnung der Drüse mit anschließender Nahtversorgung zur Ermöglichung des Sekretabflusses - aufklärte. Nach der erfolgten Aufklärung unterzeichnete die Nebenklägerin die Einwilligungserklärung mit folgendem Wortlaut:

"... Ich willige in den umseitig vermerkten Eingriff ein. Mit der Schmerzbetäubung, mit unvorhersehbaren, sich erst während des Eingriffs als medizinisch notwendig erweisenden Änderungen oder Erweiterungen sowie mit erforderlichen Neben- und Folgeeingriffen bin ich ebenfalls einverstanden. ..."

Die Operation sollte am Folgetag stattfinden. Operateur war der Angeklagte, der zum damaligen Zeitpunkt leitender Oberarzt der Klinik war. Als die Nebenklägerin sich bereits in Narkose befand, wurde sie vom Angeklagten untersucht. Dieser konnte die noch am Vortag bei der Voruntersuchung im Bereich der linken Labie festgestellte Bartholinische Zyste nicht feststellen. Stattdessen ertastete er im Bereich der rechten großen Labie eine 2x2 cm große solide Resistenz, deren Entfernung und histologische Untersuchung er (zutreffend) für medizinisch indiziert hielt. Auch der vom Angeklagten auf Grund der festgestellten Diskrepanz zum Ergebnis der Voruntersuchungen hinzugezogene Oberarzt Dr. C2 konnte die im Rahmen der Voruntersuchung vorgefundene Bartholinische Zyste im Bereich der linken Labie nicht ertasten, bestätigte indessen den vom Angeklagten erhobenen Tastbefund im Bereich der rechten Labie. Der Angeklagte, der sich bewusst war, dass eine Absprache mit der Nebenklägerin betreffend die Entfernung des (rechtsseitigen) Befunds zur histologischen Abklärung nicht erfolgt und die Entnahme des Gewebes nicht eilbedürftig war, entschloss sich - "das Einverständnis der Patientin voraussetzend" - zur Vermeidung einer weiteren Operation gleichwohl zur sofortigen Entfernung der Resistenz. Infolge der - gegenüber dem geplanten (ambulanten) Eingriff - weitergehenderen Operation musste die Nebenklägerin bis zum 17.11.2013 in stationärer Nachsorge verbleiben.

Die anschließende histologische Untersuchung des entnommenen Gewebes ergab keinen Anhalt für Malignität.

Der weitere Heilungsverlauf nach der Operation, in deren Vornahme die Nebenklägerin nicht eingewilligt hätte, verlief - trotz lege artis erfolgter Ausführung des Eingriffs - nicht komplikationslos und war für mehrere Monate mit nicht unerheblichen körperlichen Schmerzen für die Nebenklägerin verbunden. Ihr Sexualleben ist seit der Operation beeinträchtigt. Sie befindet sich bis zum jetzigen Zeitpunkt in psychotherapeutischer Behandlung auf Grund der von ihr als fehlerhaft empfundenen Behandlung.

III. Beweiswürdigung

1.

Die getroffenen Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben des Angeklagten sowie dem Inhalts des in der Hauptverhandlung verlesenen Bundeszentralregisterauszugs vom 08.07.2015.

2.

Die Feststellungen zur Sache beruhen auf der Einlassung des Angeklagten sowie den weiteren, ausweislich der Sitzungsniederschrift erhobenen Beweisen, insbesondere den zeugenschaftlichen Angaben der Nebenklägerin sowie den Ausführungen und Erläuterungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. O.

Der Angeklagte hat das objektive Tatgeschehen sowie die innere Tatseite entsprechend den getroffenen Feststellungen geschildert. Anhaltspunkte, welche die Richtigkeit seiner diesbezüglichen Einlassung in Frage stellen könnten, sind aus Sicht des Gerichts nicht ersichtlich.

Die festgestellten Folgen der Operation beruhen auf den zeugenschaftlichen Angaben der Nebenklägerin, welche diese entsprechend den getroffenen Feststellungen geschildert hat. Anhaltspunkte an der Richtigkeit ihrer diesbezüglichen Angaben zu zweifeln, sieht das Gericht ebenfalls nicht.

Die ergänzenden Feststellungen zur ursprünglich geplanten Operation, zu dem Ergebnis der Voruntersuchung, zum Inhalt der erfolgten Aufklärung und Einwilligungserklärung sowie zu dem tatsächlich erfolgten Eingriff und zu dem Ergebnis der histologischen Untersuchung des entnommenen Gewebes beruhen - neben den entsprechenden Angaben des Angeklagten und der Nebenklägerin hierzu - auf den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. O, der die Unterlagen betreffend die Behandlung der Nebenklägerin ausgewertet und auf dieser Basis den festgestellten Hergang des Geschehens dargelegt hat.

Soweit es für die Frage der Rechtfertigung darüber hinaus auf einzelne Fragen der Beweiswürdigung ankommt, wird hierauf der besseren Übersichtlichkeit halber im Rahmen der nachfolgenden rechtlichen Würdigung eingegangen werden.

IV. Rechtliche Würdigung

Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte durch den operativen Eingriff der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230 StGB schuldig gemacht.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich das Gericht anschließt, stellt jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eine tatbestandsmäßige Körperverletzung dar (vgl. die Nachweise bei: Fischer, StGB, 60. Aufl., § 223, Rn. 17). Vom Vorliegen des objektiven Tatbestandes sowie des erforderlichen Vorsatzes ist dementsprechend ohne weiteres auszugehen.

Der Eingriff war auf Grundlage der getroffenen Feststellungen auch nicht gerechtfertigt.

Eine ausdrückliche Einwilligung in den erfolgten Eingriff, welche die Rechtswidrigkeit entfallen ließe, ist nicht anzunehmen. Soweit die Verteidigung sich insoweit auf die von der Nebenklägerin unterzeichnete Einwilligungserklärung, namentlich auf den Passus "mit ... sich erst während des Eingriffs als medizinisch notwendig erweisenden Änderungen oder Erweiterungen ... bin ich ebenfalls einverstanden" berufen hat, ist nicht davon auszugehen, dass dieser den tatsächlich erfolgten Eingriff abdeckt. Der tatsächlich vorgenommenen Operation lag - wie der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat - ein gänzlich anderer Befund zu Grunde, als der geplanten Maßnahme. Infolge dessen erforderte der Eingriff von Vornherein deutlich weitergehendere Maßnahmen als diejenigen, die im Rahmen des geplanten Eingriffs grundsätzlich vorgesehen waren: Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die auch für das Gericht nachvollziehbar und anschaulich waren, erforderte die vom Angeklagten zutreffend als indiziert beurteilte histologische Untersuchung der von ihm rechtsseitig ertasteten Resistenz in jedem Falle eine vollständige Exstirpation, also Entfernung des Gewebes (mit zwingend anschließendem stationärem Aufenthalt), wohingegen die geplante Behandlung des zystischen Befundes linksseitig grundsätzlich lediglich eine (ambulante) Eröffnung des Gewebes mit anschließender Nahtversorgung erfordert hätte. Angesichts dessen kann nicht angenommen werden, dass die von der Nebenklägerin abgegebene Einwilligungserklärung den tatsächlich erfolgten Eingriff abdeckt, zumal und maßgeblich weil die erfolgte Operation gerade an gänzlich anderer Stelle - wenn auch innerhalb desselben Organs - durchgeführt worden ist. Auch der Umstand, dass sich nach den sachverständigen Ausführungen auch im Fall der Durchführung des geplanten Eingriffs intraoperativ hätte herausstellen können, dass ausnahmsweise eine Exstirpation des Gewebes erforderlich sei, gebietet letztlich keine abweichende Beurteilung. Hätten sich bei Vornahme des geplanten Eingriffs (links) Besonderheiten gezeigt, die eine vollständige Entfernung des Gewebes erforderlich gemacht hätten, mag es zutreffen, dass diese "Weiterung" von dem zitierten Passus der Einwilligungserklärung abgedeckt gewesen wäre. Im vorliegenden Fall wurden indessen gerade nicht während der geplanten Operation (links) weitergehende Maßnahmen notwendig, sondern es wurde auf Grund der von den Voruntersuchungen abweichenden Befunderhebung von Vornherein ein anderer und weitreichenderer Eingriff aus anderem Anlass und an anderer Stelle (wenn auch innerhalb desselben Organs) vorgenommen. Dies stellt einen bedeutenden Unterschied dar, der für die Annahme, das Vorgehen des Angeklagten sei von der Einwilligungserklärung der Nebenklägerin gedeckt, keinen Raum lässt. Dies entspricht letztlich auch der ureigenen Einschätzung des Angeklagten: Dieser hat - wie sich auch im OP-Bericht wiederspiegelt - in der Hauptverhandlung selbst angegeben, erkannt zu haben, dass eine Absprache der von ihm beabsichtigten und letztlich durchgeführten Maßnahme mit der Nebenklägerin nicht vorgenommen worden war. Insofern habe er sich die Frage gestellt, ob er die Operation abbrechen, oder aber wegen der bereits erfolgten Narkotisierung durchführen solle, um einen weiteren Eingriff zu vermeiden. Dementsprechend ging der Angeklagte selbst nicht davon aus, dass hinsichtlich der beabsichtigten Operation eine wirksame Einwilligungserklärung der Nebenklägerin vorlag.

Der Eingriff ist auch nicht im Wege der mutmaßlichen Einwilligung gerechtfertigt. Das Eingreifen der mutmaßlichen Einwilligung setzt voraus, dass eine Einwilligung des Patienten nicht eingeholt werden kann. Für den hier in Rede stehenden Fall, dass der Arzt intraoperativ vor der Frage steht, ob er eine mit Zustimmung des Patienten begonnene Operation auf Grund von veränderten Umständen abbrechen oder fortsetzen soll, kommt nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten dann nicht in Betracht, wenn die Verzögerung des Eingriffs, die durch die Aufklärung und Einholung der Einwilligungserklärung entstünde, nicht mit akuter Lebensgefahr oder erheblichen Risiken für die Gesundheit des Patienten verbunden ist. Eine "Operationserweiterung" ohne Zustimmung des Patienten allein unter dem Gesichtspunkt, dass eine weitere Operation - sollte sie vom Patienten gewünscht werden - mit den (üblichen) körperlichen oder seelischen Belastungen verbunden wäre, ist dementsprechend in aller Regel unzulässig. Anderenfalls liefe das Selbstbestimmungsrecht des Patienten weitgehend leer (vgl. BGH, 5 StR 712/98, Urteil vom 04.10.1999, Rn. 9 ff. (11)). Nach diesen Maßgaben scheidet die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung im vorliegenden Fall aus. Denn der vom Angeklagten vorgenommene Eingriff war nach seinen eigenen Angaben - wie auch nach der gleichlautenden Einschätzung des Sachverständigen - gerade nicht in dem Sinne eilbedürftig, dass eine Verzögerung weitere Risiken barg, als diejenigen, die mit einer Folgeoperation zwangsläufig verbunden sind.

Schließlich ist auch nicht von einer Rechtfertigung des Eingriffs unter dem Gesichtspunkt der hypothetischen Einwilligung auszugehen.

Nach Auffassung des Gerichts ist der im zivilrechtlichen Arzthaftungsrecht entwickelten Rechtsfigur der hypothetischen Einwilligung für den Bereich des Strafrechts bereits die Anerkennung zu versagen. Dabei wird nicht verkannt, dass der 1. und 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs von einer Anwendbarkeit der Rechtsfigur auch bei der Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Arztes ausgehen (vgl. BGH, NStZ 1996, 34 f.; BGH, NStZ-RR 2004, 16; BGH, NStZ 2004, 442; BGH, NStZ-RR 2007, 340; BGH, NStZ 2008, 2008, 150). Dem ist jedoch aus triftigen Gründen nicht zu folgen (vgl. zum Ganzen: Sowada, Die hypothetische Einwilligung im Strafrecht, NStZ 2012, 1 ff; Rönnau, Grundwissen Strafrecht, JuS 2014, 882 ff., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen):

Die bei der hypothetischen Einwilligung aufgeworfene Frage, ob der Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den vorgenommenen ärztlichen Eingriff eingewilligt hätte, begegnet bereits methodischen Bedenken. Denn die Frage, wie sich ein Patient bei ordnungsgemäßer Aufklärung entschieden hätte, kann mangels Kenntnis entsprechender Naturgesetze prinzipiell kaum sinnvoll beantwortet werden, zumal unter Berücksichtigung des Umstandes, dass nicht auf die Entscheidung eines "vernünftigen Patienten", sondern auf diejenige des höchstpersönlich betroffenen Patienten abzustellen sein soll. Angesichts der hiermit verbundenen, kaum zu überwindenden praktischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des fiktiven Patientenwillens wäre auf Grund des im Strafrecht geltenden indubioproreo-Grundsatzes ein angemessener Strafrechtsschutz des Patienten nicht mehr gewährleistet. Vor dem Hintergrund kann die Übertragung der Grundsätze der hypothetischen Einwilligung aus dem Zivilrecht auch nicht mit der Forderung nach der Einheit der Rechtsordnung begründet werden. Denn auf Grund des im Strafrecht geltenden indubio-Grundsatzes würde die Anerkennung der hypothetischen Einwilligung den Arzt dort weit mehr entlasten, als dies im Zivilrecht der Fall ist. Dort ist die Rechtsfigur in ein sorgfältig austariertes Geflecht von Darlegungs- und Beweislastregeln eingebettet, nach denen dem Arzt der (kaum zu erbringende) Nachweis für eine hypothetische Einwilligung zufällt, wenn der Patient plausibel darlegen kann, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte.

Ferner spricht aus Sicht des Gerichts maßgeblich gegen die Anerkennung der hypothetischen Einwilligung, dass durch sie das - von den §§ 223 ff. StGB jedenfalls auch - geschützte Selbstbestimmungsrecht des Patienten erheblich ausgehöhlt werden würde. Anders als die mutmaßliche Einwilligung, setzt die Rechtsfigur der hypothetischen Einwilligung gerade nicht voraus, dass eine Einwilligung nicht bzw. nicht ohne erhebliche Risiken für Leib oder Leben des Patienten (s.o.) eingeholt werden kann. Überspitzt formuliert, könnte der Arzt seinem Patienten daher ohne jegliche Aufklärung jeden lege artis durchgeführten Eingriff im Vertrauen darauf aufzwingen, dass die medizinische Indikation und die sachkundige Ausübung des Eingriffs beim Richter zumindest hinreichende Zweifel auslösen werden, dass sich der Patient bei korrekter Information dem ärztlichen Votum angeschlossen hätte. Die Barriere, die der - auch und gerade vom Bundesgerichtshof proklamierte - Subsidiaritätsgrundsatz im Fall der mutmaßlichen Einwilligung völlig zu recht gegen ein Unterlaufen des Selbstbestimmungsrechts errichtet hat, würde damit gänzlich wieder eingerissen.

Schließlich überzeugt die Annahme der hypothetischen Einwilligung als Rechtfertigungsgrund auch in dogmatischer Hinsicht nicht. Die Gründe, die das (vorläufige) Unwerturteil der Tatbestandsmäßigkeit in Rechtfertigungssituationen revidieren, liegen bei der hypothetischen Einwilligung gerade nicht vor: Weder stellt sich die hypothetische Einwilligung als Akt der Selbstbestimmung dar (als Surrogat der Einwilligung oder mutmaßlichen Einwilligung), noch war der ärztliche Heileingriff in Abwägung kollidierender Interessen zu diesem Zeitpunkt erforderlich (Erforderlichkeitsprinzip als Kennzeichen von Rechtfertigungsgründen). Dass die hypothetische Einwilligung als Rechtfertigungsgrund dementsprechend nicht taugt, wird letztlich auch daran deutlich, dass das in diesem Fall zwangsläufige Entfallen der Rechtswidrigkeit des Eingriffs konsequenter Weise zugleich zur Folge hätte, dass gegen einen auf Basis der hypothetischen Einwilligung handelnden Arzt keine Nothilfe geleistet werden dürfte. Dass dies nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand, ohne dass man für dieses Urteil zwingend auf die oben pointierte Zuspitzung zurückgreifen muss. Soweit in der Literatur statt der Annahme eines Rechtfertigungsgrundes zur dogmatischen Begründung der hypothetischen Einwilligung der Gedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens aus dem Bereich der Zurechnungslehre fruchtbar gemacht wird, mit der Folge dass lediglich das Erfolgsunrecht ausgeschlossen sein soll, die Rechtswidrigkeit als solche hingegen unberührt bleibe, wird dieses untragbare Ergebnis zwar umgangen. Abgesehen davon, dass die übrigen bereits angeführten Einwände gegen die hypothetische Einwilligung durch diesen dogmatischen "Kniff" nicht ausgeräumt werden, vermag diese Anlehnung an die Zurechnungslehre aber auch sonst nicht zu überzeugen. Der Gedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens lässt sich nicht ohne Brüche von der Tatbestandsebene des Fahrlässigkeitsdelikts auf die Rechtfertigungsebene übertragen. Insbesondere der unterschiedliche strukturelle Ansatz liegt deutlich auf der Hand: Im Falle des Fahrlässigkeitsdelikts entfällt die Zurechnung des tatbestandlichen Erfolgs unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs dann, wenn es dem Täter auch im Falle rechtmäßigen Alternativverhaltens faktisch nicht möglich gewesen wäre, den Eintritt des Erfolges zu vermeiden. Der Arzt kann indessen in der Situation der hypothetischen Einwilligung den (Unrechts-)Erfolg faktisch immer vermeiden, indem er den Eingriff, von dem er weiß, dass er weder durch eine tatsächliche noch durch eine mutmaßliche Einwilligung gedeckt ist, schlichtweg unterlässt.

Nach alledem ist die hypothetische Einwilligung nach hier vertretener Auffassung für den Bereich des Strafrechts abzulehnen. Selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Ansicht der hypothetischen Einwilligung im Strafrecht die Anerkennung nicht versagen wollte, wäre im Übrigen im hier zu entscheidenden Fall eine Rechtfertigung (oder ein Ausschluss des Erfolgsunrechts) unter diesem Gesichtspunkt letztlich abzulehnen. Wie bereits angedeutet, setzt die Annahme einer hypothetischen Einwilligung voraus, dass davon auszugehen ist, dass der konkret betroffene Patient - hier die Nebenklägerin - auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Eingriff eingewilligt hätte. Davon ist jedoch nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht auszugehen.

Zwar hat sich - abweichend vom Inhalt der Anklageschrift - der Vorwurf, der Eingriff sei (auch) nicht lege artis erfolgt, in der Hauptverhandlung nicht bestätigt: Dass bei der Operation ohne jeden medizinischen Grund (zusätzlich zu der entfernten Resistenz) ein Teil der rechten Labie entfernt worden ist, haben die hierzu vernommenen Zeugen Dr. F, Dr. C und Dr. J, welche die Nebenklägerin "nachbehandelt" haben, nicht bestätigen können. Soweit von den Zeugen ein "asymmetrisches Bild" der Labien geschildert worden ist, welches "für ein Entfernen eines Teils der (rechten) Labie" sprechen könnte, hat der Sachverständige hierzu anschaulich dargelegt, dass das alleine beschriebene asymmetrische Bild der Labien keinen Anhalt für das Entfernen eines Labienteils darstellt, da sich ein solcher Eindruck auch auf Grund der Wundheilung und der hiermit verbundenen Narbenbildung einstellen könne. Anhaltspunkte an der Richtigkeit dieser Beurteilung zu zweifeln, sieht das Gericht ebenso wenig wie Anhaltspunkte, welche gleichwohl für eine Entfernung eines Labienteils sprechen könnten. Vor dem Hintergrund bestand auch kein Anlass von Amts wegen eine ergänzende Begutachtung durch den Sachverständigen veranlassen.

Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme ist indessen ohne vernünftigen Zweifel davon auszugehen, dass die Nebenklägerin im Falle vorangegangener Aufklärung über den erfolgten Eingriff diesem nicht zugestimmt hätte. Die Nebenklägerin hat hierzu in ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung bekundet, dass sie dem Eingriff schon deswegen nicht zugestimmt hätte, weil es zuvor keinen entsprechenden Befund oder Beschwerden in dem operierten Bereich gegeben habe. Nachdem sie auf der linken Seite die "Verhärtung" festgestellt habe, habe sie zum Vergleich auch die rechte Seite selbst abgetastet, ohne hier etwas festgestellt zu haben. Schon deswegen hätte sie eine weitere Abklärung gewollt, zumal sie auch rechts - anders als links - keine Beschwerden gehabt habe und auch bei den Voruntersuchungen kein entsprechender Befund festgestellt worden sei. Selbst die geplante (ambulante) Operation habe sie nur widerstrebend auf sich nehmen wollen wegen der anhaltenden Beschwerden. Noch bei der Aufklärung habe sie die Notwendigkeit dieses Eingriffs ausdrücklich nochmals hinterfragt. Unter Zugrundelegung dieser Angaben ist davon auszugehen, dass die Nebenklägerin in den Eingriff nicht eingewilligt hätte. Anlass an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, besteht nicht. Insofern ist eben und gerade auch zu bedenken, dass der Eingriff nicht eilbedürftig war. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des Gerichts völlig plausibel und lebensnah, dass die Nebenklägerin "mangels Beschwerden und entsprechender Vorbefunde" dem Eingriff ohne weitere Abklärung nicht zugestimmt hätte. Soweit die Verteidigung insofern angeführt hat, es sei lebensfremd anzunehmen, dass ein Patient bei entsprechender medizinischer Indikation seine Einwilligung zu dem Eingriff nicht erteilt hätte, verkennt dieser Einwand schon im Ansatz, dass es sich bei der - hier zu bejahenden - medizinischen Indikation der Maßnahme und der - hier zu verneinenden - Frage nach der Zustimmung des (konkret betroffenen) Patienten um verschiedene Voraussetzungen der hypothetischen Einwilligung handelt. Allein von der medizinischen Indikation ist eben nicht auf die Annahme der Einwilligung zu schließen. Im Übrigen geht die Argumentation auch deswegen fehl, weil die von der Nebenklägerin geschilderte (fiktive) Einwilligungsverweigerung aus Sicht des Gerichts im hier gegeben Fall - keine Beschwerden, kein Vorbefund - deutlich lebensnäher erscheint, als die Annahme der Verteidigung.

Ist der Eingriff nach alledem nicht gerechtfertigt, entfällt die Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Körperverletzung auch nicht wegen Vorliegens eines Erlaubnistatbestandsirrtums. Ein solcher ist im vorliegenden Fall auf Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht gegeben. Wenn ein Arzt das fehlende Einverständnis des Patienten erkennt, einen körperlichen Eingriff aber gleichwohl für rechtlich zulässig hält, weil ihm dieser aus medizinischer Sicht sinnvoll und geboten erscheint, liegt kein Erlaubnistatbestands- sondern "lediglich" ein Verbotsirrtum (in Form des Erlaubnisirrtums) gemäß § 17 StGB vor. In diesem Fall missachtet er - wenn auch wohlmeinend - das dem Patienten grundsätzlich zustehende Selbstbestimmungsrecht und irrt damit lediglich über die Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes (vgl. BGH, 5 StR 712/98, Urteil vom 04.10.1999, Rn. 21 mwN ). Exakt so liegt der Fall hier. Der Angeklagte ging, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, nicht vom Vorliegen einer tatsächlichen Einwilligung aus. Er nahm auch nicht irrtümlich Tatsachen an, bei deren Vorliegen eine mutmaßliche Einwilligung zu bejahen gewesen wäre. Vielmehr ging der Angeklagte nach seinen eigenen Angaben davon aus, dass der Eingriff auf Grund der medizinischen Indikation zur Vermeidung einer weiteren Operation und der hiermit verbundenen Narkose "im Interesse der Nebenklägerin" vorgenommen werden dürfe. Dieser Irrtum schließt auch die Schuld des Angeklagten nicht aus. Diese Wirkung kommt dem Verbotsirrtum nur dann zu, wenn er unvermeidbar war. Dies kann im Falle eines Irrtums vorstehend dargestellten Inhalts bei einem Arzt kaum je der Fall sein (vgl. BGH, a.a.O.). Angesichts des Umstandes, dass es sich bei dem Angeklagten um einen erfahrenen Mediziner handelt(e), sind keine Anhaltspunkte erkennbar, die im vorliegenden Fall eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.

V. Strafzumessung

Das Gesetz sieht für die vorsätzliche Körperverletzung im Regelfall die Verhängung von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vor. Unter Berücksichtigung des anzunehmenden vermeidbaren Verbotsirrtums des Angeklagten ist dieser Strafrahmen indessen gemäß §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB zu seinen Gunsten zu mildern. Ausgehend von dem derart gemilderten Strafrahmen hat sich das Gericht bei der konkreten Strafzumessung im Wesentlichen von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Zu Gunsten des Angeklagten ist zunächst bedacht worden, dass er den ihm zur Last gelegten Sachverhalt eingeräumt hat. Ferner ist strafmildernd berücksichtigt worden, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt nicht vorbestraft war und sich auch seit der Tat, die nunmehr bereits nahezu 2 Jahre zurückliegt, nichts hat zu Schulden kommen lassen. Darüber hinaus hat das Gericht zu seinen Gunsten bedacht, dass der Angeklagte zum vermeintlich Besten der Nebenklägerin gehandelt hat, indem er den (medizinisch indizierten) Eingriff (lege artis) vornahm, um der Nebenklägerin eine weitere Operation zu ersparen; dies rechtfertigt oder entschuldigt den Eingriff nicht, lässt die Körperverletzung indessen in einem anderen - milderen - Licht erscheinen, als dies klassischer Weise der Fall ist.

Zu Lasten des Angeklagten mussten sich demgegenüber maßgeblich die erheblichen psychischen und physischen Folgen des Eingriffs für die Nebenklägerin auswirken.

Dies vorausgeschickt, hat das Gericht unter Abwägung aller - insbesondere der genannten - für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte die Verhängung einer Geldstrafe von

30 Tagessätzen zu je 100,- €

für tat- und schuldangemessen erachtet. Die Tagessatzhöhe resultiert aus § 40 Abs. 2 StGB unter Berücksichtigung der vom Angeklagten geschilderten wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse.

VI. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.