OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.11.2015 - 1 B 1104/15
Fundstelle
openJur 2015, 20145
  • Rkr:

Es unterliegt im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren nicht der Dispositionsbefugnis des Dienstherrn, für den Antragsteller eine nicht streitbefangene Planstelle (aus einer "Stellenreserve") freizuhalten und ggf. später mit ihm zu besetzen. Deswegen lässt eine gleichwohl in diesem Sinne abgegebene Erklärung des Dienstherrn weder das Rechtsschutzinteresse noch den Anordnungsgrund entfallen.

Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 8. September 2015 - 1 L 655/15 - ist mit Ausnahme der dortigen Festsetzung des Streitwerts, welche nicht Gegenstand der Beschwerde gewesen ist, wirkungslos.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 9.444,42 Euro festgesetzt.

Gründe

Nachdem beide Beteiligte das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist es (zur Klarstellung) in entsprechender Anwendung der §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; ferner ist der angefochtene Beschluss entsprechend § 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 VwGO für wirkungslos zu erklären.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es in der Regel, demjenigen Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der in dem Verfahren ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich unterlegen wäre. Dies trägt dem Grundgedanken des Kostenrechts Rechnung, nach dem der Unterliegende die Kosten des Verfahrens trägt (vgl. § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 VwGO). Wird das Verfahren - wie hier - erst in der Rechtsmittelinstanz für erledigt erklärt, so kommt es darauf an, ob das Rechtsmittel nach dem bisherigen Sach- und Streitstand im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich Erfolg gehabt hätte.

Danach entspricht es hier billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Denn die Beschwerde hätte im maßgeblichen Zeitpunkt (Eröffnung der für den Beurteilungszeitraum 1. Februar 2011 bis 31. Dezember 2012 neu erstellten und mit Datum vom 16. November 2015 schlussgezeichneten dienstlichen Regelbeurteilung für den Antragsteller und Absichtserklärung der Antragsgegnerin, den Antragsteller mit Blick auf das erreichte Gesamturteil bei der Planstellenvergabe des Monats Juli 2015 für die Besoldungsgruppe A 8 zu berücksichtigen, ihn zu befördern und ihn rückwirkend in eine Planstelle A 8 einzuweisen) nach Maßgabe der fristgerecht vorgelegten Beschwerdegründe aller Voraussicht nach Erfolg gehabt. Denn nach diesen Gründen spricht alles dafür, dass der Antragsteller das Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht hatte und dem Erfolg des Antrags auch sonst nichts entgegenstand.

Ein Anordnungsanspruch war gegeben, weil der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers durch seine Nichtberücksichtigung im hier in Rede stehenden Beförderungsauswahlverfahren (Juli 2015) verletzt war und seine Chancen, bei einer rechtsfehlerfreien Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, schon deshalb offen waren, weil es der Antragsgegnerin - in ihre Sphäre fallend - seit März 2015 nicht gelungen war, für den Kläger die maßgebliche Regelbeurteilung 2013 neu zu erstellen. Bestätigt wird diese Einschätzung im Übrigen durch das Geschehen, welches zur Erledigung der Hauptsache geführt hat: Der Antragsteller hat nämlich in der ihm jetzt eröffneten Regelbeurteilung ein Gesamturteil erzielt, welches zusammen mit dem Ergebnis der Vorbeurteilung zur seiner Reihung geführt und die Antragsgegnerin zu der Zusage der Beförderung veranlasst hat.

Der Antragsteller hatte bei Eintritt des erledigenden Ereignisses auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dieser ergab sich aus der Absicht der Antragsgegnerin, die ausgewählten Beamten alsbald zu befördern. Denn damit drohte dem Antragsteller wegen des sog. Grundsatzes der Ämterstabilität grundsätzlich der Verlust seines Bewerbungsverfahrensanspruchs.

Der Anordnungsgrund (oder das Rechtsschutzinteresse) war - entgegen der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts - auch nicht etwa dadurch entfallen, dass die Antragsgegnerin zugesichert hatte, dem Antragsteller für die Beförderungsrunde Juli 2015 eine Planstelle aus ihrer monatlichen Stellenreserve freizuhalten, bis über seinen Widerspruch gegen die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung in dieser Beförderungsrunde bestandskräftig entschieden ist. Denn diese - nicht auf eine der streitgegenständlichen Stellen bezogene - Zusicherung führt nicht auf die Annahme, der als verletzt behauptete, maßgeblich durch die streitgegenständlichen Stellen und die entsprechenden Konkurrenzverhältnisse geprägte Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers sei (hinreichend) gesichert. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterliegt es nämlich, wie die Beschwerdebegründung zutreffend aufgezeigt hat, nicht der Dispositionsbefugnis des Dienstherrn, für einen um Rechtsschutz nachsuchenden Bewerber eine nicht streitbefangene Planstelle (aus einer "Stellenreserve") freizuhalten und später mit dem im Auswahlverfahren zunächst unterlegenen Beamten zu besetzen, wenn sich im Gerichtsverfahren die Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung herausstellen sollte, weil auch die anderweitige, freigehaltene Planstelle erst nach einem auf sie bezogenen Vergabeverfahren besetzt werden darf, ihre Vergabe also - in den Worten des Antragstellers - nicht drittanfechtungsfest ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 2003- 2 C 14.02 -, BVerwGE 118, 370 = ZBR 2004, 101 = juris, Rn. 21; ferner Hessischer VGH, Beschluss vom 23. April 2012 - 1 B 2284/11 -, ZBR 2013, 56 = juris, Rn. 3 f., sowie (unter dem Aspekt des Rechtsschutzinteresses) Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, 2015, Kap. 6 Rn. 20, m. w. N.; anders noch die Senatsbeschlüsse vom 29. Mai 2008 - 1 B 625/08 - und vom 14. Februar 2008- 1 B 1606/07 -, jeweils n.v., mit dem von demSenat heute nicht mehr für zutreffend gehaltenenArgument, die zugesagte Freihaltung der nicht streitgegenständlichen Stelle knüpfe ausschließlich an die Auswahl in der im Eilverfahren gegeben gewesenen Konkurrenz an (und könne deswegen ohne erneutes Auswahlverfahren vergeben werden).

Nichts anderes würde im Übrigen dann gelten, wenn Gegenstand der Zusicherung (nur) eine der insgesamt 110 bzw. - nach Konkretisierung des Begehrens - 105 streitgegenständlichen Stellen gewesen wäre. Denn der Antragsteller hat seinen Bewerbungsverfahrensanspruch ausweislich der Fassung seines Antrags und der beigegebenen Begründung in Bezug auf sämtliche bei der "Einstellungskampagne Juli 2015" betrachteten und ausgewählten 110 bzw. 105 Konkurrenten geltend gemacht. In einer solchen Situation würde es seinen Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzen, wenn der Dienstherr nur eine der in der maßgeblichen Beförderungsrunde zu vergebenden Planstellen unbesetzt ließe. Denn der Antragsteller kann insoweit (bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs) bezüglich aller zur Beförderung anstehenden Beamten seinen Beförderungsverfahrensanspruch geltend machen und hat einen Anspruch darauf, dass über jede einzelne Beförderung (im Verhältnis zu ihm) rechtsfehlerfrei entschieden wird. Dieser Anspruch verändert sich nicht dadurch, dass über mehrere Beförderungen nicht nacheinander, sondern zusammen entschieden wird. Das gilt unabhängig davon, dass der Beamte für sich selbst letztlich nur eine einzige Beförderung erstrebt und erstreben kann.

So BVerwG, Beschluss vom 22. November 2012- 2 VR 5.12 -, BVerwGE 145, 112 = NVwZ-RR 2013, 267 = ZBR 2013, 207 = BWV 2013, 277 = juris, Rn: 18 bis 20, unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung in dem - im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 24. August 2015 noch zitierten - Beschluss vom 10. November 1993- 2 ER 301.93 -, Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 50 = ZBR 1994, 52 = juris; dem folgend OVG NRW, Beschlüsse vom 19. November 2015 - 1 B 980/15 - und vom 24. November 2015 - 1 B 884/15 -, beide demnächst in juris; ebenso etwa Schnellenbach, Konkurrenzen im öffentlichen Dienst, 2015, Kap. 6 Rn. 7 bis 9, m. w. N., und schon OVG NRW, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 B 691/12 -, juris, Rn. 17 bis 19.

Dass das Verhalten des Antragstellers, wie die Antragsgegnerin geltend macht, rechtmissbräuchlich sein könnte, ist nicht einmal ansatzweise erkennbar. Die Situation, vor die sich der Antragsteller gestellt sah, war maßgeblich durch die Entscheidungen der Antragsgegnerin geprägt, eine "Massenbeförderung" vorzunehmen und dabei den Antragsteller nicht zu reihen, weil sie es versäumt hatte, für diesen rechtzeitig die erforderliche Regelbeurteilung zu erstellen. Vor diesem - insgesamt der Antragsgegnerin zuzurechnenden - Hintergrund durfte es der Antragsteller zur Wahrung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs ohne Weiteres für angezeigt halten, eine Überprüfung jeder einzelnen beabsichtigten Beförderung im Verhältnis zu ihm anzustreben.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 i. V. m. Abs. 6 Satz 4 Fall 1 i. V. m. Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und 3, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Anzusetzen ist danach im Ergebnis ein Viertel (Reduzierung des Jahresbetrages i.S.v. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 GKG wegen § 52 Abs. 6 Satz 4 GKG und wegen des im Eilverfahren lediglich verfolgten Sicherungszwecks, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG) der dem Antragsteller nach Maßgabe des im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung (21. September 2015) geltenden Besoldungsrechts fiktiv, d.h. unter Berücksichtigung des angestrebten Amtes der Besoldungsgruppe A 8, im Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen und ohne Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind. Das führt hier auf den tenorierten Streitwert, der sich im Einzelnen wie folgt berechnet: Anzusetzen ist bei der hier nach Mitteilung der Antragsgegnerin gegebenen Erfahrungsstufe 7 zunächst ein fiktives monatliches Grundgehalt nach A 8 von 3.013,14 Euro. Dieser Monatsbetrag ist wegen der bei Auslegung des § 52 Abs. 6 GKG grundsätzlich gebotenen generalisierenden Betrachtung nicht mit Blick auf die mitgeteilte Teilzeitbeschäftigung des Antragstellers zu kürzen.

Vgl. insoweit schon den Senatsbeschluss vom 12. Juni 2014 - 1 B 271/14 -, IÖD 2014, 203 = juris, Rn. 28.

Diesem Monatsbetrag hinzuzusetzen ist der - ebenfalls nicht zu kürzende - monatliche Betrag der dem Kläger anteilig zu zahlenden Feuerwehrvergütung nach § 79 BBesG (135,00 Euro). Die Stellenzulage nach Bundesbesoldungsordnungen A und B, Vorbemerkungen, II. Nr. 10 Abs. 1 ist entgegen der Mitteilung der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 24. November 2015 nicht noch hinzuzurechnen. Denn sie ist nicht ruhegehaltfähig (vgl. § 42 Abs. 4 BBesG und das - abgesehen von der hier nicht einschlägigen Übergangsregelung des § 81 BBesG - zu konstatierende Fehlen einer besonderen gesetzlichen Bestimmung der Ruhegehaltfähigkeit; hierzu auch Kümmel/Pohl, Bundesbesoldungsrecht, Stand: August 2015, VB Nr. 10 zu BBesO A u. B, Rn. 14 f.). Der maßgebliche Monatsbetrag beläuft sich mithin insgesamt auf 3.148,14 Euro (3.013,14 Euro + 135,00 Euro); seine Multiplikation mit dem Faktor 3 (Monate) führt auf den festgesetzten Streitwert.

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Streitwertfestsetzung nach §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG und im Übrigen gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.