LAG Hamm, Beschluss vom 15.10.2015 - 13 Ta 52/15
Fundstelle
openJur 2015, 19929
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen - wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Minden vom 04.11.2014 - 3 BV 16/14 - abgeändert.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 7.656,23 € festgesetzt.

Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe einer auf 25,-- € ermäßigten Gebühr zu tragen.

Gründe

A.

Im Ausgangsverfahren hat die Arbeitgeberin beantragt, festzustellen, dass die Zustimmung zur Einstellung von 23 Leiharbeitnehmern im Zeitraum vom 10. bis zum 21.03.2014 als erteilt gilt; hilfsweise hat sie die Ersetzung der Zustimmung begehrt und die Feststellung, dass die Maßnahmen aus sachlichen Gründen dringend erforderlich waren. Das Verfahren wurde später infolge Zeitablaufs übereinstimmend für erledigt erklärt.

Daneben leitete die Arbeitgeberin für den Zeitraum vom 24.02. bis 30.04.2014 fünf weitere vergleichbare Verfahren ein, die aus dem gleichen Grund eingestellt wurden.

Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 04.11.2014 den Gegenstandswert auf 7.187,51 € festgesetzt. Es ist hinsichtlich des Antrages nach § 99 Abs. 4 BetrVG von 4.791,67 € und für den Feststellungsantrag gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG von 2.395,84 € ausgegangen.

Dagegen wenden sich die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates mit ihrer Beschwerde. Sie meinen, auf der Grundlage der Bruttomonatsvergütung der Leiharbeitskräfte müsse jedes von der Arbeitgeberseite betriebene Verfahren einzeln betrachtet werden. Daraus ergebe sich hier ein Gegenstandswert in Höhe von 15.312,51 €, wobei als Grundlage vom Hilfswert in Höhe von 5.000,-- € auszugehen sei.

B.

Die gemäß § 33 RVG zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates ist in dem sich aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen war sie als unbegründet zurückzuweisen.

I. Nach Ansicht beider Beschwerdekammern des Landesarbeitsgerichts Hamm (zuletzt z.B. 21.02.2014 - 7 Ta 7/14 und 7 Ta 9/14; 08.08.2014 - 13 Ta 332/14; 29.08.2014 - 13 Ta 402/14) ist im Ausgangspunkt bei einem Antrag auf Zustimmung zur Einstellung eines Arbeitnehmers gegenstandswertmäßig unverändert die dreifache Bruttomonatsvergütung des betroffenen Mitarbeiters zugrunde zu legen.

1. Bei einem Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit, so dass bei der Bemessung des Gegenstandswertes grundsätzlich von § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG auszugehen ist. Der danach gegebene außerordentlich weite Bewertungsrahmen sowie der Auffangwert in Höhe von derzeit 5.000,-- € stellt die Rechtsprechung vor die Aufgabe, die im Beschlussverfahren infrage kommenden Streitgegenstände in ein Bewertungssystem einzubinden, das adäquate Abstufungen zulässt und zugleich tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsprozesses ausreichend Rechnung trägt; erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen.

Entscheidend ist allerdings immer die "Lage des Falles"; es bedarf also einer auf die konkreten Umstände des einzelnen Verfahrens abgestellten Wertfestsetzung.

Was die maßgeblichen Einzelfallumstände angeht, kann auf die vergleichbare Regelung zur Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten in § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG zurückgegriffen werden, wonach es in erster Linie auf die Bedeutung der Angelegenheit ankommt (vgl. BVerfG, 28.02.1989 - 1 BvR 1291/85 - NJW 1989, 2047; siehe auch § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG).

Maßgeblich ist die Tragweite der begehrten gerichtlichen Entscheidung für die materielle und ideelle Stellung der Betroffenen.

2. In dem Zusammenhang ist vom Landesarbeitsgericht Hamm seit den grundlegenden Entscheidungen vom 19.03.1987 (8 TaBV 2/87 - LAGE ArbGG § 12 Streitwert Nr. 70) und vom 23.02.1989 (8 TaBV 146/88 - LAGE BRAGO § 8 Nr. 12) immer wieder zu Recht herausgestrichen worden, dass es angesichts der im Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG (auch) in Frage stehenden wirtschaftlichen Interessen sachgerecht ist, bei der Bemessung des Gegenstandswertes in Anlehnung an (jetzt) § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG von der dreifachen Bruttomonatsvergütung des von der beabsichtigten Einstellung betroffenen Arbeitnehmers auszugehen.

Hieran ist entgegen der Empfehlung der Streitwertkommission der Arbeitsgerichtsbarkeit unter II. 13.2.2 des aktuellen Streitwertkatalogs (NZA 2014, 745, 747) festzuhalten. Dabei ist ergänzend zu berücksichtigen, dass nach einer namhaften Meinung in der Literatur (Fitting, 27. Aufl., § 99 Rn. 277e f.) dann, wenn der Arbeitgeber es pflichtwidrig unterlässt, das Verfahren nach § 99 BetrVG durchzuführen, oder bei einer beachtlichen Zustimmungsverweigerung nicht den Weg des § 100 BetrVG geht, der beabsichtigte Arbeitsvertragsabschluss (schwebend) unwirksam sein soll. Darin wird deutlich, dass die für die Höhe des Gegenstandswerts relevante Bedeutung eines Beschlussverfahrens, gerichtet auf die Ersetzung der Zustimmung zu einer beabsichtigten Einstellung, vergleichbar ist mit einer Bestandsrechtsstreitigkeit im Sinne des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.

II. Der weiterhin auf der Basis des § 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war, ist zusätzlich zu bewerten, und zwar in Höhe von 50 % des Werts für das Regelungsbegehren nach § 99 Abs. 4 BetrVG. Der Feststellungsantrag legitimiert nämlich die vorläufige Durchführung der personellen Maßnahme bis zum Abschluss des Verfahrens.

III. Allerdings handelte es sich nach dem maßgeblichen Antrag der Arbeitgeberin im Ausgangsverfahren nicht um unbefristete, sondern um auf unter unter sechs Monate begrenzte Einstellungen von Leiharbeitnehmern. Deshalb ist nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern (z.B. 21.02.2014 - 7 Ta 7/14 und 7 Ta 9/14; 30.11.2009 - 10 Ta 601/09; 19.10.2006 - 13 Ta 550/06) nicht der in § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG festgelegte Höchstbetrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgeblich. Vielmehr ist bei einer Einstellung von unter einem Monat der entsprechende Arbeitsverdienst in Ansatz zu bringen, während bei über einem Monat bis zu drei Monaten Einsatzzeit ein Monatsverdienst und darüber hinaus bis zu sechs Monaten zwei Monatsverdienste zu berücksichtigen sind.

IV. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts führten die Grundsätze zur Bemessung des Gegenstandswerts bei sogenannten Massenverfahren hier zu keiner weiteren Herabsetzung des Werts für die anwaltliche Tätigkeit. Denn die Erwägungen gelten nur dann, wenn mehrere personelle Einzelmaßnahmen Gegenstand eines einzigen Beschlussverfahrens waren (vgl. zuletzt z.B. LAG Hamm, 29.08.2014 - 13 Ta 402/14), nicht aber dann, wenn - wie hier - die Arbeitgeberin wegen zahlreicher Zustimmungsverlangen mehrere arbeitsgerichtliche Verfahren eingeleitet hat (vgl. LAG Hamm, 21.02.2014 - 7 Ta 7/14 und 7 Ta 9/14).

1. So hat das Bundesarbeitsgericht (19.10.2010 - 2 AZN 194/10 (A)) zu Recht herausgestrichen, dass sich die Wertberechnung nach dem prozessualen Begehren richtet, dass in dem jeweiligen Rechtsstreit verfolgt wird. Es fehlt an einer Rechtsgrundlage für die Anrechnung der jeweiligen Gegenstandswerte in unterschiedlichen Verfahren (zust. ErfK/Koch, 15. Aufl., § 12 ArbGG Rdnr. 16). Entschließt sich also die Arbeitgeberseite - wie hier - trotz gegebenenfalls einheitlich zu betrachtender personeller Einzelmaßnahmen zur getrennten Einleitung mehrerer Beschlussverfahren, so muss gebührenrechtlich jedes Verfahren für sich betrachtet werden, auch wenn durch eine solche wenig prozesswirtschaftliche Vorgehensweise vermeidbare Kosten entstehen (vgl. auch BAG, 29.07.2009 - 7 ABR 95/07 - AP BetrVG 1972, § 40 Nr. 93; BGH, 14.04.2010 - IV ZB 6/09 - NJW 2010, 3377).

2. Dies entspricht auch der Empfehlung der Streitwertkommission unter II. 13.7 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichtsbarkeit von 2014 (NZA 2014, 745, 748). Der Passus am Ende von II. 13.7 der Empfehlung von 2013 (NZA 2013, 809, 812), wonach die Grundsätze für Massenverfahren unabhängig davon gelten sollten, ob die Verfahren in einem oder verschiedenen Beschlussverfahren geführt wurden, ist nämlich ersatzlos weggefallen. Dadurch wurde eine verfahrensübergreifende Bewertung von Streitgegenständen zu Recht aufgegeben (vgl. Willemsen/Schipp/Oberthür, NZA 2014, 886; siehe auch Willemsen/ Schipp/Reinhard/Meier, NZA 2013, 1112).

3. Diese Sichtweise entspricht auch der Bestimmung des § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG, in der danach differenziert wird, ob in getrennten Prozessen verhandelt wurde oder nicht (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 45. Aufl., § 45 GKG, Rdnr. 5).

V. Bei der Bemessung der maßgeblichen Bruttovergütung hat sich die Kammer im Rahmen billigen Ermessens (§ 23 Abs. 3 Satz 2 RVG) von folgenden Erwägungen leiten lassen: Die hier zum Einsatz gekommenen Leiharbeitskräfte eines konzerneigenen schwedischen Unternehmens werden in Schweden aufgrund tarifvertraglicher Regeln nach dem "eqalpay"-Prinzip vergütet, sofern es sich um Industriearbeiter handelt, die in der Produktion beschäftigt sind (Vanselow/Weinkopf, Zeitarbeit in europäischen Ländern - Lehren für Deutschland?, S. 45 m.w.N.). Das Einkommen eines Mechanikers, das am ehesten der Produktionsarbeit nahe kommt, lag in 2012 in Schweden bei durchschnittlich 2624,16 Euro monatlich (Statistikamt Schweden, zitiert nach elchburger.de). Ausgehend davon, dass die Produktionshelfer, die bei der Arbeitgeberin zum Einsatz gekommen sind, eher angelernte Kräfte waren und es seit 2012 auch in Schweden zu Einkommensverbesserungen gekommen ist, hält es die Beschwerdekammer daher für angemessen, eine Monatsvergütung von 2.500,00 Euro zugrunde zu legen.

Daraus ergibt sich folgende Berechnung:

1. Fall: 2.500,-- € : 30 Tage x 10 Arbeitstage = 833,33 €

2. - 20. Fall: 19 x 208,33 € = 3.958,32 €

21. - 23. Fall: 3 x 208,33 € = 312,50 €

zuzüglich 50 % = 2.552,08 €.

Daraus resultiert ein Gesamtgegenstandswert in Höhe von 7.656,23 €.

Die Entscheidung über die Auferlegung einer Gebühr in Höhe von 25,-- € wegen des teilweisen Unterliegens der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates mit ihrer Beschwerde beruht auf § 1 Abs. 4 GKG i.V.m. Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG.