LG Köln, Urteil vom 06.12.2012 - 15 O 35/12
Fundstelle
openJur 2016, 4281
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 165.696,44 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2011 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus einer Bürgschaft für Verbindlichkeiten der G Logistics AG, deren Aktionär und Vorstand er war, in Anspruch.

Die Klägerin kündigte nach zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Hauptschuldnerin am 16.02.2009 ein dieser gewährtes Darlehen und einen Kontokorrentkredit und stellte einen Betrag von 1.358.657,07 € fällig. Am gleichen Tag forderte sie den Beklagten zur Zahlung bis zum 14.02.2009 auf. Am 01.09.2009 wurde über das Vermögen der Hauptschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 11.06.2009 gab der Beklagte gegenüber der Klägerin an, nunmehr in Teheran zu leben. In einer E-Mail vom 16.02.2011 benannte er eine englische Adresse als seinen Wohnsitz. Am 26.08.2011 wurde aufgrund eines Eigenantrags des Beklagten in England das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet. Nach anderweitigen Verwertungen belief sich die Hauptschuld am 16.02.2011 auf 165.696,44 €.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe seinen Wohnsitz nur zum Schein nach England verlegt. Sie ist der Ansicht, die Insolvenzveröffnung in England entfalte nach Art. 26 EuInsVO keine Bindungswirkung.

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt

Der Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er sei berufsbedingt zunächst nach Teheran verzogen. Seit dem 01.06.2010 habe er zunächst in A gewohnt, am 01.06.2011 sei er dann innerhalb des gleichen Ortes nach B umgezogen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Beklagte schuldet der Klägerin 165.696,44 € gemäß § 765 BGB.

Der einzige hiergegen vorgebrachte Einwand, der Klage stehe das in Großbritannien nach englischem Recht anhängige Insolvenzverfahren entgegen, greift nach Art. 26 EuInsVO nicht durch. Die Kammer macht sich insoweit die Ausführungen des 13. Zivilsenats des OLG in seinem Beschluss vom 13.11.2012 zu Eigen. Im Einzelnen:

Nach der Rechtsprechung des BGH muss zwar im Grundsatz anerkannt werden, dass sich ein ausländisches lnsolvenzgericht für örtlich zuständig erklärt hat. Ein etwaiger Missbrauch seitens des lnsolvenzschuldners sei lediglich als möglicher Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung (Ordre public) zu prüfen (BGH, Beschl. v. 18.09.2001, lX ZB 51/00, NJW 2002, 960, 961). Nach Art. 26 EulnsVO kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist. Nach der Auffassung des BGH ist die deutsche öffentliche Ordnung verletzt, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (BGH, Beschl. v. 18.09.2001, IX ZB 51/00, NJW 2002, 960, 961). Ein in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannter Anwendungsfall liegt dabei vor, wenn die ausländische Entscheidung durch vorsätzlich falschen Prozessvortrag erwirkt wird, denn eine solche Entscheidung verstoße gegen die deutsche öffentliche Ordnung (z.B. BGH, Beschl. v. 06.05.2004, IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2388 [Zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ]; Beschl. v. 19.09.2005, 3 W 132/05; NJW-RR 2006, 207, 208 [zu Art. 34 Nr. 1 EuGWO] jeweils m.w.N.). Bezogen auf Art. 26 EuInsVO kann dementsprechend ein Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung in Betracht kommen, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz rechtsmissbräuchlich ins Ausland verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, um dabei Vorteile zu erzielen, die ihm nicht zustehen (vgl. BGH, Beschl. v. 18.09.2001, IX ZB51/00, NJW 2002, 960, 961; ebenso LG Köln, Urt. V. 14.10.2011, 82 O 15/08, NZI 2011, 957). Zwar verkennt die Kammer nicht, dass dadurch in gewisser Weise eine Zuständigkeitskontrolle über Art. 26 EuInsVO erfolgt, was kontrovers diskutiert und teilweise abgelehnt wird (siehe dazu z.B. die Anmerkung zum Urteil des LG Köln von Mankowski, NZI 2011, 958, 959 m.w.N.). Wie oben ausgeführt hat der BGH (Beschl. v. 18.09.2001, IX ZB 51/00, NJW 2002, 960, 961) aber ausdrücklich ausgeführt, dass zwar im Grundsatz anerkannt werden müsse, dass sich ein ausländisches lnsolvenzgericht für örtlich zuständig erklärt habe, aber ein etwaiger Missbrauch durch den lnsolvenzschuldner unter dem Aspekt eines möglichen Verstoßes gegen die deutsche öffentliche Ordnung (Ordre public) zu prüfen sei. Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 21.01.2010, C-444/07, NZI 2010, 156 ff.). Dort hat der EuGH ausgeführt, dass aus Art. 16 Abs. 1 i. V.m. Art. 17 Abs. 1 EuInsVO, hervorgehe, dass die Entscheidung über die Eröffnung eines lnsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen sei, da davon ausgegangen werde, dass der Mitgliedstaat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, seine Zuständigkeit sorgfältig prüft, also untersucht, ob der Schuldner den Mittelpunkt seiner Interessen in diesem Mitgliedstaat hat, woran allerdings im vorliegenden Fall schon aufgrund der zeitlichen Abläufe erhebliche Bedenken bestehen müssen. Im Übrigen verlangt der EuGH in der genannten Entscheidung zwar, dass die Gründe für eine Nichtanerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt werden müssten, erkennt allerdings ausdrücklich eine Verweigerung auf der Grundlage von Art. 26 EuInsVO an.

Die Kammer geht bei Würdigung aller Umstände und Indizien davon aus, dass der Beklagte seinen Lebensmittelpunkt ausschließlich und damit rechtsmissbräuchlich nach Großbritannien verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen - nämlich über den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (center of main interest, Art. 3 EulnsVO) - berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen, um dabei Vorteile zu erzielen, die ihm nicht zustehen.

Der Wechsel ins Ausland - zunächst Ende April 2009 in den Iran und insbesondere Anfang Juni 2010 nach Großbritannien - erfolgte zu einem Zeitpunkt, als sich der Beklagte bereits in der finanziellen Krise befand und insbesondere absehbar war, dass eine umfangreiche Inanspruchnahme durch die Klägerin erfolgen würde. So hatte die Klägerin ihm mit Schreiben vom 16.02.2009 (Anlage K 5) mitgeteilt, dass die der G Logistics AG gewährten Kredite, für die der Beklagte sich verbürgt hatte, am selben Tag gekündigt worden und er als Bürge in Anspruch genommen werde, wenn die Forderungen der Klägerin über knapp 1,4 Mio. EUR nicht bis zum 02.03.2009 ausgeglichen sein sollten. Mit Schreiben vom 11.06.2009 (Anlage K 7) kündigte der Beklagte unter Angabe seiner neuen Anschrift in Teheran alle bestehenden Bürgschaften. Mit Schreiben vom 11.10.2009 (Anlage B 5) wies er seine Inanspruchnahme als Bürge nochmals zurück. In seinem Insolvenzantrag hat der Beklagte zudem angegeben, seit Dezember 2009 - und damit bereits vor seinem Umzug nach Großbritannien- erstmals Probleme gehabt zu haben, seine Schulden zu bezahlen (S. 25 des Formulars 6.28).

Obwohl am 26.08.2011 aufgrund eines Eigenantrags des Beklagten das Insolvenzverfahren nach englischem Recht eröffnet worden ist, hat er dies im Folgenden gegenüber der Klägerin verschwiegen, zuletzt noch im E-Mail-Kontakt mit dem Prozessbevollmächtigten im Januar 2012 (Anlage, K 10), obwohl dieser ausdrücklich auf die bevorstehende Klage hingewiesen hatte, hinsichtlich derer er den Beklagten um Benennung einer zustellungsfähigen Anschrift gebeten hatte. Selbst wenn der Beklagte geglaubt haben sollte, dass der Klägerin die Verfahrenseröffnung mitgeteilt worden wäre, musste er spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennen, dass die Klägerin davon offensichtlich keine Kenntnis hatte.

Der Beklagte hat nach dem vorgelegten Mietvertrag über einen "bedroom" vom 01.06.2010 (Anlage B 8) zunächst unter der Anschrift "A" gewohnt. Dabei handelt es sich um exakt dieselbe Anschrift, unter der die Firma, bei der Beklagte laut Arbeitsvertrag vom 01.06.2010 (Anlage B 9) angestellt ist, seinen Geschäftssitz (Registered Office) hat. Bei dieser Firma handelt es sich zudem um die G Logistics UK Ltd., die nach ihrem Namen und ihrem Tätigkeitsfeld erstaunliche Parallelen zu der Firma G Logistics AG aufweist, deren alleiniger Inhaber und Geschäftsführer der Beklagte nach eigenen Angaben (S. 25 des Formulars 6.28) gewesen ist.

Ferner befinden sich sämtliche in der vom Beklagten erstellten Vermögensübersicht genannten Gläubiger des Beklagten außerhalb Großbritanniens, nämlich - bis auf eine einzige Ausnahme - in Deutschland.

Schließlich sind andere Motive und Gründe für eine Verlagerung seines Lebensmittelpunktes nach Großbritannien derzeit weder vorgetragen noch ohne Weiteres ersichtlich. Das Angestelltenverhältnis mit einem Jahreseinkommen i.H.v. 10.080 EUR vermag die Kammer insoweit nicht als ausschlaggebend anzusehen.

Dass der Beklagte eine Sozialversicherungsnummer sowie Steuererklärungen vorlegt, steht der Bewertung angesichts der vorgenannten Indizien nicht entgegen. Diese Unterlagen könnten im Übrigen auch nur belegen, dass der Beklagte tatsächlich und nicht nur zum Schein in Großbritannien lebt und arbeitet. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten setzt jedoch nicht zwingend voraus, dass die Verlagerung des Lebensmittelpunktes nur vorgetäuscht wird. Dies ist vielmehr nur der stärkste Fall des Rechtsmissbrauchs.

Die obigen Indizien lassen danach einen hinreichend sicheren Rückschluss zu, dass der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen einzig nach Großbritannien verlegt hat, um sich rechtsmissbräuchlich den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger - vorliegend namentlich der Klägerin - zu entziehen. Gegen die erforderliche Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen die deutsche öffentliche Ordnung bestehen ebenfalls keine Bedenken.

Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 06.05.2004, IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2388) steht der Annahme eines Verstoßes gegen die deutsche öffentliche Ordnung nicht entgegen, dass derjenige, der den Einwand des Verstoßes gegen die deutsche öffentliche Ordnung erhebt, von Rechtsbehelfsmöglichkeiten im Erststaat keinen Gebrauch gemacht hat.

Ein Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen folgt aus §§ 286, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 165.696,44 €