AG Aachen, Urteil vom 18.11.2003 - 10 C 320/03
Fundstelle
openJur 2016, 4094
  • Rkr:
Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.636,69 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.9.2003 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen zukünftig entstehenden materiellen Schaden aus dem Ereignis vom 29.6.2001 in C-Stadt zu ersetzen hat, soweit der Schaden nicht auf Sozialversiherungsträger übergegangen ist.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht der begehrte Schmerzensgeldanspruch gemäß §§ 823, 847 a. F. BGB zu.

Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Beklagte den Kläger mit zumindest bedingtem Verletzungsvorsatz in das Gesicht geschlagen hat, ohne dass insoweit ein Rechtfertigungsgrund i. S. der §§ 32 ff. StGB bzw. §§ 227 ff. BGB gegeben war.

Die jeweils persönlich glaubwürdigen Zeugen M, P und K haben - im wesentlichen übereinstimmend - Folgendes geschildert: Zunächst befanden sich nur die damals 13 Jahre alten Zeuginnen P und K auf dem besagten Schulhof, einem beliebten Treffpunkt von Jugendlichen aus der Umgebung. Der Kläger, der Bruder der Zeugin K, und der Zeuge M erschienen dann dort und unterhielten sich mit den beiden Mädchen. Wiederum zeitlich nachfolgend kam der Beklagte allein auf den Schulhof und begann dort, sich einen "Joint" zu drehen, also den Konsum von Marihuana vorzubereiten. Der Kläger erklärte dem Beklagten daraufhin, er solle den Drogenkonsum in Gegenwart der - noch relativ jungen - Mädchen ("meine kleine Schwester und ihre Freundin") unterlassen. Dies lehnte der Beklagte ab. Daraufhin forderte der Kläger die beiden Mädchen auf, den Schulhof zu verlassen. Die Zeuginnen P und K blieben allerdings an ihrem Standort, während der Kläger und der Zeuge M den Schulhof verließen, um in der Nähe andere Freunde zu treffen. Der Beklagte lief den beiden nach und griff den Kläger von hinten an. Es kam zu einer kurzen Rangelei. Ohne dass für den Beklagten eine Bedrohungssituation bestand, versetzte er dem Kläger den streitigen Faustschlag in das Gesicht.

Soweit der Beklagte behauptet hat, er habe sich keinen "Joint", sondern eine Zigarette gedreht (Bl. 12 d. A.), ist dieser Vortrag durch die übereinstimmenden, glaubhaften Bekundungen aller Zeugen widerlegt worden. Insoweit ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die Zeuginnen P und K bereits bei ihrer polizeilichen Vernehmung im Sommer 2001 die von dem Beklagten gedrehte Substanz als Marihuana identifizieren konnten (Bl. 9, 11 d. Beiakte).

Die von dem Beklagten behauptete Notwehrsituation konnte von diesem nicht bewiesen werden (vgl. zur Beweislast Palandt/Thomas, BGB, 62. Aufl., § 823 Rn. 173). Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass sich beide Parteien miteinander geprügelt haben. Hinsichtlich der Bekundung der Zeugin P, es habe als einzige Tätlichkeit den streitgegenständlichen Faustschlag gegeben (Bl. 33/34 d. A.),geht das Gericht aufgrund der insoweit übereinstimmenden Angaben der weiteren Zeugen davon aus, dass die Zeugin P wegen der damit verbundenen Heftigkeit bzw. Schadenfolgen nur diesen Schlag in Erinnerung behalten hat. Keiner der Zeugen hat jedoch bekundet, dass der Kläger den Beklagten in einer solchen Weise attackiert hätte, dass er zur Vermeidung von Verletzungen seinerseits den streitgegenständlichen Faustschlag setzen musste. Zu der von dem Beklagten insoweit vorgebrachten "Kopfnuss" (Bl. 12 d. A.) haben die Zeuginnen P und K - der Zeuge M hatte insoweit keine positive Erinnerung - vielmehr ausgesagt, der Beklagte habe den Kläger zunächst in den "Schwitzkasten" genommen, dann habe der Kläger versucht, sich mittels Kopfstößen hieraus zu befreien (Bl. 31 f. bzw. Bl. 34 d. A.). Es war also der Beklagte selbst, der zunächst diejenige Situation geschaffen hatte, aus welcher sich der Kläger versuchte, durch eine "Kopfnuss" zu befreien. Wenn der Beklagte aber in diesem Kontext seinem "Gefangenen" noch einen zusätzlichen Faustschlag in das Gesicht versetzt, kann er sich dafür nicht mehr auf Notwehrrechte berufen (vgl. Palandt/Heinrichs a. a. O, § 227 Rn. 9 m. w. N.).

Das Gericht geht weiter aufgrund des von den Zeugen beschriebenen Geschehensablaufs davon aus, dass der besagte Faustschlag zumindest mit bedingtem Verletzungsvorsatz erfolgte. Insbesondere die Zeuginnen P und K haben übereinstimmend und glaubhaft bekundet, der Beklagte habe ihrem Eindruck nach mit der Faust gezielt in Richtung des Gesichtes des Klägers und keinesfalls mehr oder weniger "blind" um sich geschlagen. Das nachfolgend darzustellende, massive und nach der langjährigen Erfahrung des Gerichts kaum auf "Zufälle" zurückzuführende Schadensbild stützt die vorgenannte Einschätzung der Zeuginnen.

Durch den vorgenannten Faustschlag ist der Kläger erheblich verletzt worden: Er erlitt eine Nasenbeinmehrfach-Fragmentfraktur mit Dislokation und Fraktur der Nasenscheidewand mit absteigender Fraktur von der Nasenwurzel in den Orbitalboden links im Sinne einer Mittelgesichtsfraktur, ein Monokelhämatom links sowie eine Sehstörung mit Doppelbildern bei Blick nach oben und nach unten. Für einen Tag befand er sich in stationärer und sechs Tage in ambulanter Behandlung im Klinikum B-Stadt. Im Anschluss daran musste er zwei Wochen einen Nasengips tragen.

Der entsprechende Sachvortrag des Klägers wird als zugestanden behandelt (§ 138 Abs. 3 ZPO), da der Beklagte dem Inhalt der entsprechenden Atteste (Bl. 7/8 d. A.) nicht mehr qualifiziert entgegengetreten ist.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht primär das vorstehend geschilderte, massive Verletzungsbild gewürdigt. Hinzutritt, dass der Beklagte die Primärursache für den nachfolgenden Geschehensablauf dadurch verursachte, dass er entgegen dem Straftatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG unerlaubt Betäubungsmittel mit sich führte und sogar für Minderjährige offen zur Schau stellte. Ein Mitverschulden des Beklagten i. S. von § 254 BGB konnte hingegen nicht festgestellt werden.

Unter Berücksichtigung der bislang zu ähnlichen Sachverhaltskonstellationen veröffentlichten Judikatur (vgl. LG Hanau zfs 1989, 406; AG Borken zfs 1990, 260 = ADAC-Schmerzensgeldtabelle, 21. Aufl. 2002, Nr. 576) sowie der allgemeinen Lohn- und Preissteigerungen erscheint deshalb ein Schmerzensgeld von 1.250 € tat- und schuldangemessen.

Die von dem Kläger in seinem Schriftsatz vom 4. 11. 2003 zitierten Entscheidungen betreffen sämtliche Fallkonstellationen, welche in ihrem Ausmaß deutlich über das hier festgestellte Schadensbild hinausgehen.

Die Forderung nach Erstattung der dem Kläger vom Klinikum B-Stadt in Rechnung gestellten Behandlungskosten von 386,69 € (Bl. 9 d. A.) ist aus den vorstehend ausgeführten Gründen ebenfalls gerechtfertigt nach §§ 823, 249 BGB.

Die Zinsforderung ist begründet gemäß §§ 291, 288 BGB.

Der Feststellungsantrag zu 2. ist zulässig gemäß § 256 ZPO. Das Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich daraus, dass ihm, wie er qualifiziert und plausibel vorträgt (Bl. 5 d. A.), infolge des Vorfalls vom 29. 6. 2001 weitere gesundheitliche Konsequenzen drohen können. Zur Begründetheit ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

Da der Kläger seinen Schmerzensgeldantrag nicht beziffert hatte und ein seinerseitiges Mitverschulden i. S. von § 254 BGB nicht festzustellen war, ist eine Kostenquotelung i. S. von § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht geboten (vgl. Zimmermann, ZPO, 6. Aufl., § 92, Rn. 5 m. w. N.).

Streitwert: 2.136,69 € (Zahlungsantrag zu 1: 1.250 € + 386,69 € = 1.636,89 €; Antrag zu 2: 500 €).