Zum Widerruf einer Befreiung von der Teilnahme am zahnärztlichen Notfalldienst aufgrund Erreichens einer besonderen Altersgrenze (§ 10 Abs. 1 Notfalldienstver-ordnung BW a. F.) nach Aufhebung des Befreiungstatbestandes durch die Landeszahnärztekammer
Der Bescheid der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg – Bezirkszahnärztekammer Tübingen – vom 16.05.2013 und der Widerspruchsbescheid der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg vom 07.10.2013 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Befreiung von der Teilnahme am zahnärztlichen Notfalldienst.
Der Kläger (Jahrgang 1949) wurde auf seinen Antrag vom 12.06.2007 hin mit Bescheid der Bezirkszahnärztekammer Tübingen vom 21.07.2008 von der Teilnahme am zahnärztlichen Notfalldienst befreit. Die Befreiung erging aufgrund der Rechtsgrundlage des § 10 Abs. 1 der Notfalldienstordnung der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (im Folgenden NO).
Mit Bescheid vom 16.05.2013 widerrief die Bezirkszahnärztekammer Tübingen die erteilte Befreiung mit sofortiger Wirkung. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid u. a., die Vertreterversammlungen der kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg und der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg hätten mit Beschlüssen vom 30.11.2012 bzw. 07.12.2012 beschlossen, den Befreiungstatbestand des § 10 Abs. 1 NO ersatzlos zu streichen. Nach Wegfall der Rechtsgrundlage sei der begünstigende Bescheid, der eine Dauerwirkung entfalte, zu widerrufen. Als Rechtsgrundlage wird in dem Bescheid § 49 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG angegeben.
Am 24.05.2013 ließ der Kläger hiergegen Widerspruch einlegen, der in der Folge nicht begründet wurde. Bis 26.06.2013 gingen bei der Beklagten 104 weitere Widersprüche anderer Zahnärzte, deren Befreiung widerrufen worden war, ein.
Der Widerspruch wurde mit am 11.10.2013 zugestelltem Bescheid zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte unter anderem an, seit 2003 seien die Anträge auf Befreiung von der Teilnahme am zahnärztlichen Notfalldienst aufgrund Erreichens der Altersgrenze stark angestiegen. Im Jahresdurchschnitt seien in den vergangenen Jahren 134 Zahnärzte antragsgemäß nach dem Befreiungstatbestand von der Teilnahme am Notfalldienst befreit worden. Mit diesem starken Anstieg seien zunehmende Schwierigkeiten bei der Sicherstellung des zahnärztlichen Notdienstes, insbesondere im ländlichen Raum, einhergegangen. Beispielsweise hätten im Jahr 2011 die Notfalldienstbezirke Leutkirch, Wangen (Allgäu) und Isny im Allgäu zu einem Kreis zusammengeschlossen werden müssen, da dort nur noch 28 Zahnärzte zur Einteilung zur Verfügung gestanden hätten. Im Notfalldienstbezirk Metzingen-Ermstal hätten nur noch 30 Zahnärzte, im übrigen Landkreis Reutlingen nur noch 24 Zahnärzte am Notdienst teilgenommen, weswegen auch diese Kreise hätten zusammengeschlossen werden müssen. Zunehmende Probleme zeigten sich auch im Zollernalbkreis, im Alb-Donau-Kreis (Nord) sowie im Kreis Tettnang. Auch im Bereich Calw, Nagold, Pforzheim und im oberen Enztal bestünden zunehmend Probleme. Aus diesem Grund habe die Befreiung widerrufen werden müssen. Das Ermessen sei in den Fällen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3-5 LVwVfG intendiert. Das öffentliche Interesse wiege schwerer als das Interesse des Klägers am Bestand des Verwaltungsaktes und das entsprechende Vertrauensinteresse. Für einen besonderen Vertrauensschutz des Klägers gebe es keine Anhaltspunkte. Der Kläger habe kein schutzwürdiges Vertrauen darin, für alle Zeit von der Teilnahme am Notfalldienst befreit zu sein. Die Beklagte müsse in der Lage sein, prospektiv tätig zu werden und ihre Regelungswerke anzupassen. Die Aufhebung der erteilten Befreiung sei auch aus Gründen der Gleichbehandlung geboten. Der einzelne Zahnarzt werde dadurch, dass die gesamte Zahnärzteschaft einen Notfalldienst organisiere, von seiner andernfalls bestehenden Verpflichtung zur Dienstbereitschaft rund um die Uhr entlastet. Als Gegenleistung hierfür müsse jeder Zahnarzt den Notfalldienst als gemeinsame Aufgabe aller Ärzte gleichwertig mit tragen. Diese Verpflichtung könne nur durch eine vollständige Befreiung durchbrochen werden. Daneben sei eine Aufteilung in Notfalldienstbezirke erforderlich, um der Bevölkerung eine möglichst wohnortnahe Versorgung zu ermöglichen. Die Versorgung in urbanen Gebieten sei bereits in der Vergangenheit einfacher sicherzustellen gewesen als im ländlichen Raum. Um eine ungleiche Lastenverteilung sowie einen weiteren Attraktivitätsverlust der ländlichen Räume zu vermeiden, sei es erforderlich, auch die Zahnärzte in urbanen Gebieten zu reaktivieren.
Am 09.11.2013 wandte sich der Kläger mit der vorliegenden Klage an das Verwaltungsgericht Sigmaringen. Zur Begründung seiner Klage trägt er u. a. vor, auch Art. 3 Abs. 1 GG gebiete nicht schematisch die Aufhebung aller Befreiungsbescheide. Dies sei auch nicht erforderlich. Nach der Streichung des § 10 Abs. 1 NO stünden neue Befreiungen nicht zu befürchten, der Notfalldienst sei deshalb zukünftig nicht mehr gefährdet. Ein milderes Mittel sei zudem die Neustrukturierung der Notfalldienstbezirke. Von Schwierigkeiten im Landkreis X., in dem sich der Kläger niedergelassen habe, sei ohnehin nichts bekannt. Die Gefährdung des öffentlichen Interesses müsse aber im Hinblick auf den konkreten Notfalldienstbezirk des Klägers untersucht werden. Der Ausgangsbescheid und der Widerspruchsbescheid schwiegen sich dazu aus und verwiesen nur auf andere Notfalldienstbezirke. Der Kläger habe von der Befreiung, die frei von Auflagen gewesen sei, auch bereits in einigem Umfang Gebrauch gemacht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg - Bezirkszahnärztekammer Tübingen - vom 16.05.2013 und den Widerspruchsbescheid der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg vom 07.10.2013 aufzuheben, unddie Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
In ihrer Klageerwiderung vom 19.02.2014 trägt sie u. a. vor, Art. 3 Abs. 1 GG gebiete nach der Rechtsprechung die gleichmäßige und gerechte Verteilung der Notfalldienstpflichten. Der einzelne Arzt habe einen Anspruch darauf, nicht stärker belastet zu werden als andere Ärzte. Die Einteilung des Zuständigkeitsgebiets der Beklagten in Notfalldienstbezirke diene der möglichst wohnortnahen Erreichbarkeit und damit der Zielsetzung des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung. Der einzelne Arzt könne aber keine besonderen Rechte aus der Zugehörigkeit zu einem Notfalldienstbezirk ableiten, weshalb die Beklagte auch alle Zahnärzte, die befreit worden waren, für einen Widerruf in Betracht gezogen habe. Alles andere hätte eine unzulässige Binnendifferenzierung bedeutet, weil allein aufgrund der Einteilung der Notfalldienstbezirke einzelne Zahnärzte weiterhin befreit geblieben, andere wieder in vollem Umfang zum Notdienst herangezogen worden wären. Die Notfalldienstversorgung sei aber eine gesamtstaatliche Aufgabe, zu der alle Kammermitglieder in gleichem Umfang herangezogen werden müssten.
Das Gericht hat am 01.09.2015 mit den Beteiligten eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Zur Situation in dem Notdienstbezirk befragt, in dem der Kläger niedergelassen ist, erklärte die Vertreterin der Beklagten, der Bezirk umfasse Teile des Landkreises X. (M., R. und die östliche Umgebung der Stadt T.) ohne die Stadt T. Dort seien derzeit 54 Zahnmediziner im Notdienst tätig. Von diesen 54 Ärzten seien acht ursprünglich von der Teilnahme am Notfalldienst befreit gewesen. Deren Befreiung sei aber bestandskräftig widerrufen worden. Zwei weitere Ärzte hätten ihren Widerruf angefochten und stünden derzeit wie der Kläger nicht für den Notfalldienst zur Verfügung. Die Zahnärzte müssten in diesem Notfalldienstbezirk etwa zweimal jährlich einen Notfalldienst leisten. Über Zusammenlegungen von Notfalldienstbezirken um den Niederlassungsort des Klägers herum werde ihrer Kenntnis nach derzeit nicht diskutiert. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Dem Gericht haben die Behördenakten der Beklagten vorgelegen, auf deren Inhalt und den der Gerichtsakte zu den weiteren Einzelheiten verwiesen wird.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie zum örtlich zuständigen Gericht erhoben worden, § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO. Beklagte ist die Landeszahnärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 7 Heilberufe-Kammergesetz Baden-Württemberg – HBKG –). Da die Landeszahnärztekammer für das Land Baden-Württemberg als Ganzes zuständig, ist gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO das Verwaltungsgericht Sigmaringen als das Gericht, in dessen Bezirk der Kläger als Beschwerter seinen Wohnsitz hat, örtlich zuständig.
Die Landeszahnärztekammer ist auch die richtige Beklagte, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VwGO ist die Klage zu richten gegen die Körperschaft, deren Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen hat. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde, § 78 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 VwGO. Die Bezirkszahnärztekammer, die den hier angegriffenen Ausgangsbescheid erlassen hat, ist als Untergliederung der Landeszahnärztekammer zwar Behörde, jedoch rechtlich unselbständig (§ 22 Abs. 1 Satz 1 HKBG). Ihre Rechtsträgerin (§ 78 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 VwGO) ist die Landeszahnärztekammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 7 HKBG). Die Bezeichnung der Bezirksärztekammer als den Ausgangsbescheid erlassende Behörde genügte jedoch.
Die Klage ist auch begründet. Der angegriffene Widerruf ist materiell rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Rechtsgrundlage liegen nicht vor.
Der angegriffene Bescheid ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil der Ausgangsbescheid (hier: Befreiung des Klägers vom Notfalldienst) seinerzeit in Bestandskraft erwachsen ist. Zwar ist der Bescheid formell bestandskräftig, weil er nicht innerhalb der Fristen der §§ 58 Abs. 2, 70 Abs. 1 VwGO mit einem Rechtsbehelf angegriffen wurde. Nur nebenbei ist insofern darauf hinzuweisen, dass die Bindung der Behörde an die getroffene Regelung gegenüber dem Adressaten des Verwaltungsaktes nicht erst mit dessen formeller Bestandskraft, sondern bereits mit Wirksamkeit des Verwaltungsakts (§ 43 Abs. 1 Satz 1 LVwVfG) entsteht. Allerdings besteht die Bestandskraft eines wirksamen Verwaltungsakt nur innerhalb der Grenzen der §§ 48, 49 LVwVfG (sog. materielle Bestandskraft). Sie regeln, in welchen Fällen auch bestandskräftige Verwaltungsakte aufgehoben und damit unwirksam werden können (§ 43 Abs. 2 Variante 2 LVwVfG).
Die Beklagte stützt ihren Bescheid auf § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 4 LVwVfG. Danach darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, wenn die Behörde auf Grund einer geänderten Rechtsvorschrift berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, soweit der Begünstigte von der Vergünstigung noch keinen Gebrauch gemacht oder auf Grund des Verwaltungsaktes noch keine Leistungen empfangen hat, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche den Widerruf eines Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist der Widerruf nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig, § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 49 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG.
Aus der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 12.07.2012 – L 11 KA 39/12 B ER – juris) vermag die Kammer für das vorliegende Verfahren keine hilfreichen Schlüsse zu ziehen. In dem dort entschiedenen Fall war die Befreiung unter anderem nur „bis auf Widerruf“ erteilt. Die Beklagte hatte ihre Befreiungsbescheide wie auch deren Rechtsgrundlage vorbehaltlos ausgestaltet, so dass ihr der Widerruf unter den einfacheren Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LVwVfG verwehrt ist.
Der angegriffene Verwaltungsakt ist nicht schon rechtswidrig, weil der Kläger davon in der Vergangenheit Gebrauch gemacht hat, indem er nicht am Notfalldienst teilnahm. Die Vorschrift des § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LVwVfG untersagt die Rücknahme seinem Wortlaut nach nur „soweit“ von dem begünstigenden Verwaltungsakt Gebrauch gemacht wurde. Für die Zukunft hat der Kläger indes noch nicht von der Befreiung Gebrauch gemacht, sondern nur in der Vergangenheit. Soweit er unabhängig davon Dispositionen im Vertrauen auf den Bestand des angegriffenen Widerrufsbescheids getätigt hätte, wären diese im Rahmen der Ermessensausübung entsprechend zu würdigen (vgl. Sachs, in: Stelkens/Bonk/ders., VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 49 Rn. 77).
Ein Widerruf scheitert aber an einer mangelnden Gefährdung des öffentlichen Interesses ohne den Widerruf, § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LVwVfG.
Die Regelung des § 49 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG geht davon aus, dass bei ihrem Erlass rechtmäßige Verwaltungsakte nicht allein deshalb aufgehoben werden, weil sich die tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für ihren Erlass hiernach geändert haben. Zu diesen Änderungen muss vielmehr hinzukommen, dass ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre (vgl. § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 LVwVfG). Für einen Widerruf genügt es danach auch nicht, dass der Widerruf im öffentlichen Interesse liegt. Erforderlich ist vielmehr, dass der Widerruf zur Abwehr einer Gefährdung des öffentlichen Interesses, das heißt zur Beseitigung oder Verhinderung eines sonst drohenden Schadens für wichtige Gemeinschaftsgüter geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 16.07.1982 – 7 B 190/81 –, juris, Tz. 6; Urteil vom 24.01.1992 – 7 C 38/90 –, juris, Tz. 13 – st. Rspr., zuletzt Beschluss vom 01.02.2005 – 6 B 66/04 –, juris, Tz. 7). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass der Widerruf geeignet sein muss, die Gefährdung des öffentlichen Interesses auszuschließen.
Diese Gefährdung ist hier nicht dargetan. Zwar handelt es sich bei den Anforderungen eines effektiv organisierten ärztlichen Notfalldienstes um einen Gemeinwohlbelang (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17.09.2009 – 3 B 67/09 –, juris, Tz. 2), dem in Anbetracht der dahinterstehenden, von Verfassungs wegen geschützten Rechtsgüter des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) hohe Bedeutung beizumessen ist (vgl. BVerwG, a. a. O., Tz. 18), eine (hypothetische) Beeinträchtigung dieses öffentlichen Interesses, bliebe der Widerruf aus, ist jedoch nicht zu erkennen.
Die Beklagte hat es zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen gemacht, dass in der Vergangenheit aufgrund der demographischen Entwicklung zahlreiche Zahnärzte einen Befreiungsantrag gestellt hatten und deshalb Engpässe in einzelnen Notfalldienstbezirken eingetreten sind. Im Notfalldienstbezirk des Klägers geht jedoch auch die Beklagte nicht von einer solchen Mangelsituation aus. Auch die Kammer ist der Auffassung, dass die zahnmedizinische Notfallversorgung nicht gefährdet ist, wenn eine ausreichende Zahl von Zahnärzten vorhanden ist, so dass jeder Zahnarzt nur zweimal jährlich zum Notfalldienst herangezogen werden muss.
Ein Widerruf einer vorbehaltlos erteilten Notfalldienstpflichtbefreiung aufgrund einer zwischenzeitlich aufgehobenen Satzungsvorschrift kann jedoch nach § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LVwVfG nur dann erfolgen, wenn damit einer Gefährdung des öffentlichen Interesses in dem Notfalldienstkreis begegnet werden soll, in dem der Adressat des Widerrufs niedergelassen ist.
Da in dem den Kläger betreffenden Notfalldienstbezirk unstreitig kein Mangel an Zahnärzten besteht, die am Notfalldienst teilnehmen, ist auch das öffentliche Interesse an der zahnmedizinischen Notfallversorgung in diesem Bezirk nicht gefährdet. Damit ist insoweit auch konkret-individuell mit Blick auf den Kläger eine Gefährdung des öffentlichen Interesses ohne den Widerruf nicht zu befürchten. Der Widerruf seiner Befreiung ist darüber hinaus auch nicht geeignet, womöglich in anderen Notfalldienstbezirken Gefährdungen des öffentlichen Interesses durch einen Mangel an notfalldienstfähigen Zahnärzten auszuschließen oder auch nur zu mindern. Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 HBKG kann der Kläger nämlich ohnehin nur in dem Notfalldienstbezirk eingesetzt werden, in dem er niedergelassen ist. Seine „Reaktivierung“ für den Notfalldienst entlastet die unterversorgten Bezirke daher nicht. Weil derzeit auch eine Zusammenlegung von Notfalldienstbezirken mit Auswirkungen auf den Bezirk des Klägers nicht bevorsteht, ist der Widerruf auch nicht geeignet, in näherer Zukunft zu einer Beseitigung einer solchen Gefährdung des öffentlichen Interessen beizutragen.
Weiter gibt die Beklagte an, sie müsse eine Gleichbehandlung aller Fälle, in denen Befreiungen erteilt wurden, auch unter dem Gesichtspunkt der Attraktivität der Niederlassung in ländlichen Räumen vornehmen. Dieses Argument überzeugt indes nicht, es begründet in seiner Heranziehung womöglich sogar einen Ermessensfehler. Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet keinen schematischen Widerruf aller erteilten Befreiungen ohne jede weitere Prüfung des Einzelfalles. Als Abwehrrecht wäre Art. 3 Abs. 1 GG zuvörderst von denjenigen Zahnärzten zu bemühen, die sich in einem Notdienstkreis niedergelassen haben, in dem sie nach Widerruf ihrer Befreiung häufiger zum Notdienst herangezogen werden als ihre Kollegen in den besser versorgten Gebieten. Auch in diesen Fällen müsste eine derartige Einwendung gegen den Widerruf aber nicht unbedingt zum Erfolg eines Rechtsbehelfs führen. Etwaige Ungleichbehandlungen können nämlich unter Umständen vor Art. 3 Abs. 1 GG durch unterschiedliche Versorgungslagen in den einzelnen Notfalldienstkreisen gerechtfertigt sein. Zwar ist es nachvollziehbar, wenn die Beklagte vorträgt, eine Niederlassung im ländlichen Raum verliere zusätzlich an Attraktivität, wenn dort niedergelassene Ärzte häufiger zum Notdienst herangezogen würden als ihre in urbanen Räumen niedergelassenen Kollegen. Wenngleich derartige Überlegungen ein öffentliches Interesse für die Abschaffung eines Befreiungstatbestands und damit eine Gleichbehandlung der zukünftig die Altersgrenze des bisherigen § 10 Abs. 1 NO erreichenden Zahnärzte mit den jüngeren Kollegen begründen mögen, erlauben sie einen Widerruf bereits gewährter Befreiungen ohne Hinzutreten weiterer Umstände indes nicht.
Gewiss wäre es eine Ungleichbehandlung, wenn sich Zahnärzte in gut versorgten Notfalldienstbezirken vom Notfalldienst befreien lassen könnten, während dies ihren Kollegen in nicht hinreichend versorgten Bezirken unter Verweis auf die schlechte Versorgungslage in ihrem Notfalldienstkreis abgeschlagen würde. Eine solche Rechtslage hat jedoch weder unter § 10 Abs. 1 NO noch nach dessen Streichung jemals bestanden. Mit der Streichung des § 10 Abs. 1 NO sind zukünftig alle Zahnärzte unbeschadet des Vorliegens anderer Befreiungsgründe verpflichtet, an der Notfallversorgung teilzunehmen. Eine Privilegierung der Zahnärzte in gut versorgten Notfalldienstbezirken tritt im Übrigen insoweit ein, als dort auch nach Abschaffung des Befreiungstatbestandes stets mehr Zahnärzte für den Notdienst zur Verfügung stehen. An dieser tatsächlichen Privilegierung der Zahnärzte in verstädterten Regionen änderte sich aber auch bei Widerruf aller Befreiungen nichts, weil wegen § 31 Abs. 1 Satz 2 HBKG alle Zahnärzte jeweils nur in dem Bezirk eingesetzt werden dürfen, in dem sie sich niedergelassen haben. Es stünden also nur generell und landesweit mehr Zahnärzte für den Notfalldienst zur Verfügung, ohne dass sich der Widerruf von Befreiungen in gut versorgten Gebieten mildernd auf die Zustände in unterversorgten Gebieten auswirkte. Derartige Missstände können nur durch die Neugestaltung der Notfalldienstbezirksgrenzen beseitigt werden. Die Gefahr aber, dass Zahnärzte aufgrund von rechtlichen Privilegierungen in städtisch geprägte Regionen abwandern, besteht aber nur insoweit, als sie im Besitz einer Befreiung sind, die nunmehr aufgrund der Rechtsänderung und der im konkreten Notfalldienstbezirk bestehenden Versorgungsschwierigkeiten widerrufen werden könnte. Allein die über 60-jährigen befreiten Zahnärzte, deren Befreiung noch nicht widerrufen wurde, könnten also versucht sein, sich ihre Privilegierung durch Abwanderung in gut versorgte Regionen zu erhalten – dass es zu derart motivierten Umzügen kommen könnte, hält die Kammer für abwegig, auch deshalb, weil die Beklagte mitgeteilt hat, sämtliche Befreiungen widerrufen zu haben. Alle anderen Ärzte könnten nur wegen der generell höheren Zahl der Notdienstärzte in gut versorgten Bezirken versucht sein, dorthin umzuziehen, ohne dass schematische Widerrufe von Befreiungen an diesem faktischen Anreiz irgendetwas ändern könnten. Der verbleibende Wert einer bloßen „Signalwirkung“ eines schematischen Widerrufs, nach der alle Zahnärzte aus Solidarität nun wieder Notfalldienst leisten müssen, genügt nicht für die Annahme einer Gefährdung des öffentlichen Interesses ohne einen Widerruf. Denjenigen Zahnärzten, die einmal in den Genuss einer Befreiung von der Teilnahme am Notfalldienst gekommen sind, kann dieses Privileg solange nicht mehr genommen werden, wie ohne den Widerruf im konkreten Einzelfall keine Gefährdung des öffentlichen Interesses besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gemäß § 167 Abs. 2 VwGO wird davon abgesehen, die Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war für notwendig zu erklären, § 162 Abs. 3 Satz 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift sind Gebühren und Auslagen, soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Notwendig ist die Hinzuziehung, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschluss vom 14.01.1999 – 6 B 118/98 –, juris, Tz. 9). Dies ist im vorliegenden Fall, der schwierige Fragen des allgemeinen Verwaltungsrechts präsentiert, zu bejahen.
Die Berufung war gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bei der, soweit erkennbar, bisher nicht in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärten Frage, ob bei einer in einzelnen Notfalldienstbezirken geringen Zahl an für den Notfalldienst zur Verfügung stehenden Zahnärzten landesweit von einer Gefährdung des öffentlichen Interesses im Sinne von § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 LVwVfG ausgegangen werden kann, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die in einer Vielzahl von Fällen Bedeutung erlangen dürfte. Sie sollte deshalb für den Geltungsbereich der Notdienstordnung einheitlich entschieden werden.