OLG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2015 - 10 U 114/14
Fundstelle
openJur 2015, 19131
  • Rkr:

Eine Klausel, mit der dem jeweiligen Erwerber eines in einer Wohnungseigentumsanlage befindlichen Reihenhauses eine unwiderrufliche Vollmacht erteilt wird, das seinem ausschließlichen Sondernutzungsrecht unterliegende Gemeinschaftseigentum für alle Erwerber abzunehmen, hält einer Inhaltskontrolle stand, wenn schützenswerte Belange der anderen Erwerber - hier bei faktischer Realteilung des Gemeinschaftseigentums - nicht beeinträchtigt werden.

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das am 14. Oktober 2014 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn, Az. 2 O 197/12, wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Beklagte die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu Ziffer 4 und 5. Von den übrigen Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Kläger zu Ziffer 1 bis 3 und 6 bis 14 jeweils 6,9 %, die Beklagte 17,2 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger zu je 1/14.

3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 15.600,00 EUR.

Gründe

I.

Ohne Tatbestand (gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs.1 Satz 1 ZPO).II.

Die Kläger sind Erwerber von Wohnungseigentum in einer Wohnungseigentumsanlage, die aus zwei Gebäuden besteht, die jeweils wiederum in vier Reihenhäuser aufgeteilt sind. In diesen Gebäuden ist die Zuordnung von Heizkörpern zu den Dachflächenfenstern mangelhaft. Das Landgericht hat den Nachbesserungsanspruch den Erwerbern eines der Reihenhäuser im Hinblick auf deren Reihenhaus zugesprochen und die Nachbesserungsansprüche der anderen Erwerber wegen Verjährung abgewiesen.

Die dagegen gerichtete zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Der Anspruch der Kläger auf Nachbesserung der Mängel an den Dachfenstern und den Heizungen gem. §§ 634 Nr. 1, 635 BGB ist verjährt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) und beginnt mit der Abnahme des Werkes (§ 634a Abs. 2 BGB).

a) Die in der Berufung noch streitgegenständlichen Dachflächenfenster und Heizkörper nebst Leitungen sind durch die jeweiligen Erwerber der Reihenhäuser abgenommen worden. Die Abnahme erfolgte sowohl hinsichtlich des Sondereigentums als auch hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums, an welchen den einzelnen Reihenhauseigentümern ein Sondernutzungsrecht zugeordnet wurde, vor dem Oktober 2004. Die einzelnen Sondereigentümer der Reihenhäuser waren von den anderen Erwerbern wirksam bevollmächtigt, die Wohnungseigentümergemeinschaft bei der Abnahme der Dachflächenfenster und Heizkörper, die dem ausschließlichen Sondernutzungsrecht der einzelnen Sondereigentümer zugewiesen sind, zu vertreten.

aa) In § 6 der (gleich lautenden) notariellen Kaufverträge wird folgendes geregelt:

Die Vertragsschließenden sind sich darüber einig, dass die Verjährungsfristen mit der Abnahme des Vertragsobjekts durch den Erwerber beginnen. Bezüglich des Gemeinschaftseigentums, das nicht vom Käufer alleine abzunehmen ist, beginnen die Fristen mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums.

In § 8 der jeweiligen notariellen Kaufverträge heißt es:

„1. Nach Abrechnung und Zahlung der Rate c) des Zahlungsplanes erfolgt im Rahmen einer gemeinsamen Besichtigung die Abnahme des erworbenen Sondereigentums und des Teiles des gemeinschaftlichen Eigentums, der vom betroffenen Sondereigentum zur ausschließlichen Sondernutzung zugewiesen wurde, durch den Erwerber, (...).

6. Eine Abnahme des gemeinschaftliche Eigentums durch den Erwerber ist insoweit nicht vorgesehen, als dieser durch bestehende Sondernutzungsrechte von dessen Nutzung vollkommen ausgeschlossen ist.“

bb) Die Klauseln modifizieren das Abnahmerecht des einzelnen Erwerbers in § 640 BGB hinsichtlich des gemeinschaftlichen Eigentums. Diese Klausel ist dahingehend auszulegen, dass dem jeweiligen Erwerber des Reihenhauses eine unwiderrufliche Vollmacht erteilt wird, das in seinem ausschließlichen Sondernutzungsrecht befindliche Gemeinschaftseigentum für alle Erwerber abzunehmen.

cc) Diese Klauseln sind nicht nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.

Da es sich unstreitig um Klauseln handelt, die für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert sind, sind diese nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Die notarielle Beurkundung steht dem Formularcharakter nicht entgegen.

Von einer unangemessenen Benachteiligung ist im Zweifel auszugehen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, oder wesentliche Rechte so eingeschränkt werden, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 307 Abs. 2 BGB).

Ob eine unangemessene Benachteiligung vorliegt, ist zunächst ausgehend von den Vorschriften des dispositiven Rechts zu beurteilen, die ohne die Klausel gelten würden. Eine unangemessene Benachteiligung setzt voraus, dass die Abweichung vom dispositiven Recht Nachteile von einigem Gewicht begründet. Sie liegt vor, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Zur Beurteilung bedarf es einer umfassenden Würdigung, in die die Interessen beider Parteien und die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise einzubeziehen sind. Auszugehen ist dabei von Gegenstand, Zweck und Eigenart des Vertrages, wobei der gesamte Vertragsinhalt zu berücksichtigen ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 307 Rn. 12 m.w.N.). Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch aus der Unklarheit oder Undurchschaubarkeit der Regelung ergeben (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB). Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglichst klar, einfach und präzise darzustellen (BGH, Urteil vom 15. April 2010 - Xa ZR 89/09, juris Rn. 25 m.w.N., NJW 2010, 2942).

cc) Die Abnahme stellt zwar ein originäres Erwerberrecht dar. Dem einzelnen Erwerber darf deshalb grundsätzlich nicht die Möglichkeit genommen werden, selbst frei darüber zu entscheiden, ob er die erbrachten Leistungen als im Wesentlichen vertragsgemäß anerkennen möchte (Senat, Urteil vom 31. März 2015 - 10 U 46/14, juris). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist daher eine von einem Bauträger in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Erwerbsvertrags verwendete Klausel, die die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch einen vom Bauträger bestimmbaren Erstverwalter ermöglicht, unwirksam (BGH, Beschluss vom 12. September 2013 - VII ZR 308/12, NJW 2013, 3360, juris Rn. 7 ff.).

Weiterhin kommen verdrängende, unwiderrufliche Vollmachten grundsätzlich nicht in Betracht, bedeuten sie doch eine „Selbstentmündigung“ des Wohnungseigentümers (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 27. September 2011 - 8 U 106/10, BauR 2012, 138, juris Rn. 83 f.; Hogenschurz, MDR 2012, S. 487).

Hier liegen die Dinge jedoch anders, da durch die Klauseln schützenswerte Belange der nicht begünstigten Erwerber nicht beeinträchtigt werden.

b) Mit notarieller Urkunde Nr. XXX/2013 (vgl. Anlage B 6 des Notariats R vom 16. Juli 2003) erklärten die Beklagte und die Eigentümerin die Teilung der streitgegenständlichen Wohnanlage gemäß § 8 WEG (vgl. hierzu Anlage B 6, als K 8 bezeichnet). Dort heißt es unter anderem:

„II. § 2 Nr. 9:

Den Wohnungserbbaueinheiten Nrn. 1 - 8 ist weiter an allen im Bereich des jeweiligen Hauses befindlichen Gebäudeteilen des gemeinschaftlichen Eigentums das Sondernutzungsrecht zugewiesen. …

III. § 8 Instandhaltung:1.

Die Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bzw. Erbbaurechts obliegt der Gemeinschaft der Erbbauberechtigten.2.

Jeder Erbbauberechtigte hat sein Sondereigentum und die seinem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gegenstände und Flächen ordnungsgemäß zu unterhalten, instand zu setzen und instand zu halten. Dies gilt somit auch für alle Teile eines jeweiligen Reihenhauses, an denen nach Abschnitt II § 2 Ziffer 18 (Hinweis: gemeint ist Ziffer 9) dieser Urkunde ein Sondernutzungsrecht zugewiesen ist.“

c) Danach besteht an den Heizkörpern nebst Leitungen im jeweiligen Reihenhaus und an den Dachflächenfenstern als abgegrenzte Teile des Daches entweder Sondereigentum (hinsichtlich der Heizkörper nebst Leitungen) oder jedenfalls ein ausschließliches Sondernutzungsrecht (Dachflächenfenster) des jeweiligen Reihenhauseigentümers.

Das Sondernutzungsrecht hat sowohl eine negative als auch eine positive Komponente: einerseits werden durch die Einräumung des Sondernutzungsrechts die übrigen nicht berechtigten Wohnungseigentümer vom weiteren Gebrauch der gemeinschaftlichen Sache ausgeschlossen, andererseits wird die ausschließliche Nutzungsbefugnis den berechtigten Reihenhauseigentümern allein zugewiesen. Die Gewährung eines solchen Sondernutzungsrechts ist gem. §§ 13 Abs. 2, 14, 15 WEG zulässig. Es führt im konkreten Fall zur faktischen Realteilung des Gemeinschaftseigentums (Bärmann/Klein WEG 12. Auflage 2013, § 13 Rn. 95 ff.) und ordnet dieses dem jeweiligen Sondereigentümer des Reihenhauses zu. Die Zuweisung der Sondernutzungsrechte ist hinreichend bestimmt. Auf diese Teilungserklärung nehmen die notariellen Erwerberverträge Bezug.

In einem solchen Fall ist eine unangemessene Benachteiligung der übrigen Gemeinschaftseigentümer durch eine Klausel, mit welcher dem jeweiligen sondernutzungsberechtigten Eigentümer eine unwiderrufliche Vollmacht zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums erteilt wird, nicht gegeben. Die schützenswerten Belange der weiteren Wohnungseigentümer werden durch diese Klausel nicht berührt. Die übrigen Wohnungseigentümer haben weder im Hinblick auf eine Nutzung noch hinsichtlich der Kosten einer Mängelbeseitigung ein eigenes Interesse an der Mangelfreiheit des der Sondernutzung zugewiesenen Gemeinschaftseigentums bei Abnahme.

Durch die Teilungserklärung ist die Nutzung des Gemeinschaftseigentums, das einer Sondernutzung unterliegt, dauerhaft einem oder mehreren Wohnungseigentümern zugewiesen und einer Nutzung durch die anderen Wohnungseigentümer dauerhaft entzogen.

Wirtschaftliche Interessen der übrigen Eigentümer begründen hier keine Unangemessenheit der Regelung der Abnahme des der Sondernutzung zugewiesenen Gemeinschaftseigentums. Nach III § 8 Nr. 2 der Teilungserklärung hat der Reihenhauseigentümer den Gegenstand, der seinem ausschließlichen Sondernutzungsrecht unterfällt, u.a. instand zu setzen. Damit sind die anderen Erwerber wirtschaftlich von eventuellen Mängeln des der Sondernutzung zugewiesenen Gemeinschaftseigentums bei Abnahme nicht betroffen. Die verbleibende Gefahr, dass der verpflichtete Wohnungseigentümer insolvent wird und er deshalb Mängel des der Sondernutzung zugewiesenen Gemeinschaftseigentums nicht mehr auf eigene Kosten instand setzen kann, begründet noch keine Unangemessenheit der Abnahmeklausel für das zur Sondernutzung zugewiesene Gemeinschaftseigentum.

d. Die jeweiligen Eigentümer, die die Abnahme ihrer Reihenhäuser am 16. September 2014 erklärt haben, können ihre Nachbesserungsansprüche nicht mehr durchsetzen. Die nach Ablauf der Verjährungsfrist eingereichte Klage, die am 5. Oktober 2009 beim Landgericht erhoben wurde, konnte keine verjährungshemmende Wirkung mehr entfalten. Danach sind die Nachbesserungsansprüche der Berufungskläger 1 bis 3 und 6 bis 14 verjährt.

2. Die Berufung ist auch insoweit unbegründet, als das Landgericht den Nachbesserungsanspruch hinsichtlich des Reihenhauses, dessen Abnahme am 27. Januar 2015 erfolgte, nur den konkreten Erwerbern dieses Hauses zugesprochen hat und nicht allen Erwerbern.

Durch die dargelegte Zuweisung des Sondernutzungsrechts an den jeweiligen Sondereigentümer steht allein diesem die Geltendmachung der Gewährleistungsansprüche zu, sind doch die übrigen Gemeinschaftseigentümer von der Nutzung dieses Gemeinschaftseigentums ausgeschlossen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Kostenentscheidung erster Instanz war insoweit abzuändern, als die Kläger nach Kopfteilen für die Kostenerstattung haften.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gegeben ist.