FG München, Urteil vom 07.01.2015 - 9 K 166/14
Fundstelle
openJur 2015, 18997
  • Rkr:
Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 20. Juli 2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2013 wird dahin geändert, dass die Einkommensteuer mit 14.610 € festgesetzt wird.

2. Die Kosten des Verfahrens bis zum 28. Mai 2014 tragen die Kläger zu 61 v.H. und der Beklagte zu 39 v.H.. Die Kosten des Verfahrens ab dem 28. Mai 2014 tragen die Kläger zu 45 v.H. und der Beklagte zu 55 v.H..

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

I. Die Kläger wurden im Streitjahr 2010 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Die am xx.xx.1992 geborene Tochter der Kläger besuchte von Januar 2010 bis Juli 2010 den Lehrgang des Instituts für Unterricht (IUS) zur Vorbereitung auf die externe staatliche Mittlere-Reife-Prüfung. Nach bestandener Mittlerer-Reife-Prüfung besuchte sie von September 2010 bis Dezember 2010 den Lehrgang des IUS zur Vorbereitung auf die externe staatliche Abiturprüfung. Bei beiden Lehrgängen handelte es sich um Vollzeitunterricht. Das IUS bereitet in privaten Klassen auf die staatlichen Abschlussprüfungen Abitur, Mittlere Reife und qualifizierender Hauptschulabschluss in externer Form vor. Die Prüfung findet an einer entsprechenden öffentlichen Schule (Gymnasium, Realschule, Hauptschule/Mittelschule) gemäß den Bestimmungen für andere Bewerber der jeweiligen Schulordnung statt. Das IUS ist keine Ersatz- oder Ergänzungsschule i.S. des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG). Der Unterricht wird nach den entsprechenden Lehrplänen des Bayerischen Kultusministeriums (KM) von qualifizierten Lehrkräften durchgeführt. Er besitzt im Wesentlichen die übliche Organisationsform einer Schule. Der Vormittagsunterricht findet von Montag bis Freitag zwischen 08:15 und 13:45 Uhr statt; der zeitliche Rahmen für ggf. erforderlichen Nachmittagsunterricht  liegt zwischen 13:00 und 16:00 Uhr. Die Ferienordnung des KM wird in der Regel angewandt. Im Streitjahr zahlte der Kläger für seine Tochter für deren Besuch des IUS insgesamt 5.880 €.

In der Einkommensteuererklärung für 2010 machten die Kläger das an die IUS gezahlte Entgelt als Sonderausgaben geltend. Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) erkannte die Aufwendungen bei der Festsetzung der Einkommensteuer  für 2010 mit Bescheid vom 20. Juli 2012 nicht an. Den hiergegen gerichteten Einspruch der Kläger wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2013 als unbegründet zurück, weil die Kläger keinen Anerkennungsbescheid der zuständigen Kultusbehörde für das IUS vorgelegt haben.

Mit ihrer Klage bringen die Kläger im Wesentlichen vor, das FA hätte die Schuldgeldzahlungen als Sonderausgaben berücksichtigen müssen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) komme es ausschließlich darauf an, ob der Abschluss, auf den die Schule in freier Trägerschaft vorbereite, zu einem anerkannten allgemein bildenden Schulabschluss führe  oder darauf vorbereite. Um was für eine Schule es sich handele, sei irrelevant.

Die Kläger beantragen,den Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 20. Juli 2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 6. Dezember 2013 dahin zu ändern, dass bei der Festsetzung der Einkommensteuer Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG in Höhe von 1.764 € berücksichtigt werden.

Das FA beantragt,die Klage abzuweisen.

Das FA verweist auf die Einspruchsentscheidung.

Gründe

II. Die Klage ist begründet. Entgegen der Auffassung des FA ist das vom Kläger im Streitjahr für seine Tochter für deren Besuch des IUS gezahlte Entgelt in Höhe von insgesamt 5.880 € bei den Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu berücksichtigen.

1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG sind Sonderausgaben 30 % des Entgelts, höchstens 5.000 €, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder auf Kindergeld hat, für dessen Besuch einer Schule in freier Trägerschaft oder einer überwiegend privat finanzierten Schule entrichtet, mit Ausnahme des Entgelts für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung. Voraussetzung ist, dass die Schule in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat belegen ist, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, und die Schule zu einem von dem zuständigen inländischen Ministerium eines Landes, von der Kultusministerkonferenz der Länder oder von einer inländischen Zeugnisanerkennungsstelle anerkannten oder einem inländischen Abschluss an einer öffentlichen Schule als gleichwertig anerkannten allgemein bildenden oder berufsbildenden Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss führt (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG). Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 3 EStG steht der Besuch einer anderen Einrichtung, die auf einen Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG ordnungsgemäß vorbereitet, einem Schulbesuch i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 EStG gleich.

2. Entgegen der Auffassung des FA ist das IUS eine andere Einrichtung, die auf einen Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss i.S. § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG ordnungsgemäß vorbereitet (§ 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 3 EStG). Der Unterricht beim IUS bereitete die Tochter der Kläger auf die anerkannten (inländischen) Schulabschlüsse Mittlere Reife und Abitur vor. Auch war die Vorbereitung auf diese Abschlüsse ordnungsgemäß, da der Vollzeit-Unterricht nach den entsprechenden Lehrplänen des KM von qualifizierten Lehrkräften durchgeführt wurde (vgl. auch BTDrucks 16/11108, S. 12; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 9. März 2009, BStBl I 2009, 487 Tz 2).

11Für die Auffassung des FA, das Vorliegen einer anderen Einrichtung i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 3 EStG setze einen Anerkennungsbescheid der zuständigen Kultusbehörde voraus, gibt es keine Rechtsgrundlage; sie findet im Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 3 EStG  keine Stütze. Die Bindungswirkung eines solchen außersteuerlichen Verwaltungsakts in Form eines Grundlagenbescheids i.S. der § 171 Abs. 10, § 175 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) müsste jedoch durch das Gesetz ausdrücklich angeordnet sein (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679, unter C.4.). Der Vorschlag des Bundesrates, eine zusätzliche Nachweispflicht des Steuerpflichtigen bzw. der Schule für das Vorliegen der Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs in die Regelung aufzunehmen (vgl. BRDrucks 545/08, Beschluss, S. 5), wurde gerade nicht in das Gesetz übernommen (dazu BTDrucks 16/11108, S. 12). Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass - wie das FA meint - § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 3 EStG die ordnungsgemäße Vorbereitung auf einen Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG verlangt; denn der Verweis auf § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 EStG bezieht sich nach dem Satzbau des § 10 Abs. 1 Nr. 9 Satz 3 EStG ausschließlich auf den Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss.

Gegenteiliges ergibt sich schließlich nicht aus dem BFH-Urteil vom 20. August 2014 X R 17/13 (juris). Diese Entscheidung ist zu der Frage ergangen, ob eine Schule im Ausland zu einem einem inländischen Abschluss an einer öffentlichen Schule als gleichwertig anzuerkennenden allgemein bildenden Schul- oder Jahrgangsabschluss führt. Im Streitfall hat das IUS die Tochter der Kläger demgegenüber auf die anerkannten (inländischen) Schulabschlüsse Mittlere Reife und Abitur vorbereitet.

3. Hiernach ist das vom Kläger im Streitjahr für seine Tochter für deren Besuch des IUS gezahlte Entgelt in Höhe von insgesamt 5.880 € - ein Entgelt für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung war darin nicht enthalten - in Höhe von 30 %, also (5.880 € x 30 % =) 1.764 €, Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Die Einkommensteuer für 2010 war daher wie folgt festzusetzen:

Einkommen lt. FA        72.733 €./.     Sonderausgaben nach § 10 Abs.1 Nr. 9 EStG  1.764 €=       Einkommen neu70.969 €./.     Freibeträge für Kinder14.016 €=       zu versteuerndes Einkommen56.953 €zu versteuern nach dem Splittingtarif           10.300 €./.     Ermäßigung nach § 35a EStG     106 €+       Kindergeld  4.416 €festzusetzende Einkommensteuer            14.610 €4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 i.V.m. § 135 Abs. 1 bzw. § 135 Abs. 1 und § 136 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Da die Kläger mit Schriftsatz vom 26. Mai 2014 - eingegangen bei Gericht am 28. Mai 2014 - erklärt haben, ihr Klagebegehren hinsichtlich der geltend gemachten Schuldzinsen nicht weiterzuverfolgen und damit ihren Klageantrag beschränkt haben, war eine Kostenverteilung nach Zeitabschnitten vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2012 XI R 38/10, BFHE 240, 366, unter II.4.a). Insoweit und soweit die Kläger ihren Klageantrag in der mündlichen Verhandlung vom 7. Januar 2015 weiter beschränkt haben - sie haben dort erklärt, ihr Klagebegehren auch hinsichtlich der Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung nicht weiterzuverfolgen - , haben sie die Kosten zu tragen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1969 I R 81/66, BFHE 96, 510, BStBl II 1970, 15, unter 1., m.w.N.). Im Übrigen hat das FA die Kosten zu tragen, weil die Klage mit dem beschränkten Antrag begründet war. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.