Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.10.2015 - 8 ZB 14.2356
Fundstelle
openJur 2015, 18984
  • Rkr:

Der Erlass einer Duldungsverfügung nach § 93 Satz 1 WHG 2010 setzt voraus, dass an der Durchleitung durch das Nachbargrundstück ein besonderes wasserwirtschaftliches Interesse besteht.Duldung einer Durchleitung von Abwasser durch ein Nachbargrundstück aufgrund einer behördlichen Anordnung;Bedeutung eines zivilgerichtlichen Vergleichs, der einen Verzicht auf das Durchleitungsrecht enthält;Öffentliches Interesse als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 93 Satz 1 WHG 2010

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Beigeladene hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Beigeladene bekämpft ein erstinstanzliches Urteil vom 22. September 2014, in dem eine zu seinen Gunsten erlassene Duldungsanordnung des Landratsamts vom 20. Dezember 2013 nach § 93 WHG 2010 zur Durchleitung von Abwasser durch das (Nachbar-)Grundstück der Kläger aufgehoben wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Vielmehr ist der Ausgangsbescheid des Landratsamts vom 20. Dezember 2013 offensichtlich rechtswidrig.

a) Zutreffend führt das Erstgericht aus, dass bereits der Grundtatbestand des § 93 Satz 1 WHG 2010 nicht erfüllt ist.

§ 93 Satz 1 WHG 2010 enthält eine Rechtsgrundlage zum Erlass einer Duldungsanordnung, die aus den verfassungsrechtlichen Gründen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nur eingreifen kann, wenn ein öffentliches Interesse an der Erfüllung wichtiger wasserwirtschaftlicher Aufgaben im Sinne des § 93 Satz 1 WHG 2010 besteht. Nur insoweit muss das von der Durchleitung betroffene nachbarliche Grundeigentum zurückstehen und eine Belastung zugunsten des angrenzenden privaten Durchleiters hinnehmen. Der Gesetzgeber muss nämlich bei der Wahrnehmung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, sowohl die grundgesetzliche Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG als auch das Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG beachten (BVerfG, B.v. 15.7.1981 – 1 BvL 77/78BVerfGE 58, 300/338 f.). Damit wäre es nicht vereinbar, im Verhältnis privater Nachbarn zueinander ein Durchleitungsrecht anzunehmen, dem keine oder nur nicht relevante Gemeinwohlbelange zugrunde liegen. Das allgemeine Interesse an der Durchführung einer geordneten Abwasserbeseitigung kann deshalb insoweit nicht genügen; vielmehr muss sich dieses öffentliche Interesse nach den Umständen des Einzelfalls im Sinne einer konkreten Erforderlichkeit im Zusammenhang mit ansonsten eintretenden Nachteilen für das allgemeine Wohl rechtfertigen lassen (vgl. OVG NW, B.v. 9.12.2013 – 20 B 1104/13 – juris Rn. 26; VGH BW, B.v. 19.11.2013 – 3 S 1525/13NVwZ-RR 2014, 263/264; Zöllner in Sieder/Zeitler/ Dahme, WHG 2010, Stand 48. Erg. Lfg. September 2014, § 93 Rn. 11 ff., insbes. Rn. 16 und 18; im Ergebnis auch Czychowski/Reinhardt, WHG 2010, 11. Aufl. 2014, § 93 Rn. 7). Nach diesen Anforderungen ist die Durchleitung vorliegend nicht erforderlich.

aa) Das zuständige Wasserwirtschaftsamt hat mit seinem gesetzlichen Bewertungsvorrang nach Art. 63 Abs. 3 BayWG 2010 im wasserrechtlichen Behördenverfahren mehrfach ausgeführt, dass sich eine Durchleitung auf dem Nachbargrundstück vermeiden lasse, wenn auf dem Grundstück des Einleiters (Beigeladenen) eine neue Leitung errichtet werde, was technisch möglich sei; der geschätzte Kostenrahmen betrage dabei bis zu 50.000 – 55.000 Euro (Stellungnahmen des Wasserwirtschaftsamts vom 10. und 17.12.2013). Solche privatrechtlichen Vermögensinteressen rechtfertigen indes ohne Hinzutreten gewichtiger öffentlicher Belange im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die Inanspruchnahme des Nachbargrundstücks nicht. Auch der Zulassungsantrag legt kein solches öffentliches Interesse dar und durchdringt insoweit die Streitsache nicht (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Der Eigentümer der bestehenden privaten Rohrleitung, die hier vom Beigeladenen in Anspruch genommen wird, braucht es auch nicht ohne Weiteres hinzunehmen, dass seine bestehende Anlage mitbenutzt wird, wenn er dies – beispielsweise aus mehr oder minder begründeten Besorgnissen über einen Schadenseintritt – nicht erlauben will. § 94 WHG 2010 sieht eine solche Mitbenutzung aufgrund behördlicher Anordnung nur aufgrund gewichtiger wasserwirtschaftlicher Belange vor, die insoweit weder ersichtlich noch dargelegt sind (vgl. Berendes, WHG 2010, 1. Aufl. 2010, § 94 Rn. 1).

bb) Hinzu kommt, dass sich der Beigeladene in einem zivilgerichtlichen Vergleich vor dem Landgericht verpflichtet hat, ab 31. Dezember 2013 die streitbefangene Einleitung zu unterlassen (Ziff. 1 des landgerichtlichen Vergleichs vom 30.7.2012). Diesen Vergleich hat er aus freiem Willen geschlossen. Damit fehlt es an einem weiteren Umstand im Hinblick auf das Merkmal der Erforderlichkeit im Rahmen des § 93 Satz 1 WHG 2010. Denn eine behördliche Anordnung nach dieser Vorschrift kommt erst dann in Betracht, wenn sich der Einleiter und der Eigentümer des Nachbargrundstücks über die Einleitung zivilrechtlich nicht einigen können (vgl. VGH BW, B.v. 19.11.2013 – 3 S 1525/13NVwZ-RR 2014, 263/264). Hier hat der Beigeladene durch den Abschluss des landgerichtlichen Vergleichs auf diese Rechtsposition aber gerade verzichtet. Das Erstgericht hat die anschließende Antragstellung des Beigeladenen bei der Behörde deshalb zu Recht als treuewidrig bezeichnet; hierauf wird verwiesen (§ 130b Satz 2 VwGO).

cc) Dem Erstgericht ist ferner ebenfalls darin zuzustimmen, dass die Entscheidung des Landratsamts zum gesetzlichen Rahmen der Ermessensausübung auch insoweit defizitär ist, als es den zivilgerichtlichen Vergleich nicht in seine Abwägung eingestellt hat. Auch hierauf wird verwiesen (§ 130b Satz 2 VwGO).

2. Grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt der Streitsache nicht zu.

Der Beigeladene begründet diese angebliche Bedeutung nur mit Blick auf die fehlgeschlagenen Verhandlungen der privaten Beteiligten. Diese Frage ist aber durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. November 2013 (3 S 1525/13NVwZ-RR 2014, 263) mit den dortigen weiterführenden Nachweisen angemessen geklärt. Weiteren Klärungsbedarf sieht der Senat nicht, abgesehen davon, dass der Zulassungsantrag die Streitsache auch insoweit nicht hinreichend durchdrungen hat (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Überhaupt nicht durchdrungen hat der Zulassungsantrag die Streitsache, soweit es um das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des öffentlichen Interesses im Rahmen des § 93 Satz 1 WHG 2010 im Zusammenwirken mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geht. Insoweit liegt ein völliger Begründungsausfall vor (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Kostenentscheidung: § 154 Abs. 2, 3 VwGO.

Streitwert: § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Tz. 51.2.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).