VG Ansbach, Beschluss vom 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473
Fundstelle
openJur 2015, 18833
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

4. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1974 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 10. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. Juli 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung). Mit E-Mail vom 23. Juli 2015 erhielt der Antragsgegner Mitteilung, dass für den Antragssteller ein EUROCAC-Treffer für Ungarn unter der Nummer ... vorliegt.

Am 21. September 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. September 2015 gab der Antragsteller an, ein Bruder befände sich in Deutschland. Er gab an, zunächst nach Bulgarien eingereist zu sein. In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Ehefrau und sieben Kinder sowie die Großfamilie lebten noch im Irak.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015, der dem Kläger am 13. Oktober 2015 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 19. Oktober 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50474) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft. Es könne nicht hingenommen werden, dass vom IS bedrohte Yeziden im Dublin-Verfahren nach Ungarn zurückkehren müssten, obwohl es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handle. Im Vergleich zu den syrischen Staatsangehörigen, für die das Dublin-Verfahren keine Anwendung mehr finde, liege eine Ungleichbehandlung vor. Die Trennung des Antragstellers von seinen in Deutschland lebenden Verwandten stelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar.

Auch sei das Übernahmeverlangen Deutschlands an Ungarn zu spät gestellt worden. Maßgeblich für den Fristlauf sei der Zeitpunkt des Asylbegehrens.

Außerdem sei der Antragssteller nicht wie in Art. 4 und 5 der Dublin III-VO vorgeschrieben belehrt worden. Das in der Anlage X zur Dublin III-VO abgedruckte Informationsschreiben sei dem Antragsteller nicht in seiner Muttersprache ausgehändigt worden, weshalb die Informationsrechte des Antragstellers verletzt seien.

Es wurde verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Hannover 21.9.2015 – 2 B 4549/15

Verwaltungsgericht Minden 1.9.2015 – 10 L 285/15.A

VG Bayreuth 12.10.2015 B 3 S 15.50241

sowie auf eine Kurzstellungnahme des UNHCR zu Ungarn vom 17.9.2015.

Der Kläger habe sich in Ungarn zunächst geweigert, Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Daraufhin sei er für zwei Tage inhaftiert worden, dann aber aus der Haft entlassen und ohne weitere Hinweise zur Durchführung seines Asylverfahrens sich selbst überlassen gewesen. Er habe sich nach Deutschland durchgeschlagen.

Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 21. September 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Die Frist von zwei Monaten, die Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO der Bundesrepublik Deutschland für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs einräumt, begann mit der Eurodac-Treffermeldung nach Art. 9 Absatz 5 der Dublin III-VO zu laufen. Diese erfolgte hier per E-Mail am 23. Juli 2015 (Blatt 42 der Behördenakte) und lief demzufolge am 23. September 2015 ab, §§ 31 VwVfG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Das Wiederaufnahmegesuch erfolgte mit Schreiben vom 21. September und damit vor Ablauf der maßgeblichen Frist.

Der Bescheid des Bundesamtes begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er sei nicht nach den Vorgaben der Art. 4 und 5 Dublin III-VO über deren Anwendung belehrt worden. Es liegt insoweit kein Verfahrensfehler vor.

Dem Antragsteller wurden ausweislich der Behördenakte am 22. Juli 2015 zwei Merkblätter für das Dublin-Verfahren ausgehändigt (Blatt 19 der Behördenakte). Dies haben sowohl der Antragsteller selbst als auch der kurdische Dolmetscher durch ihre Unterschrift bestätigt. Eine Rüge dahingehend, dass der Antragsteller deren Inhalt nicht hätte verstehen können, findet sich in der Behördenakte nicht. Außerdem fand am 7. September 2015 das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO in Anwesenheit eines kurdischen Dolmetschers statt.

Auch wenn das vom Bundesamt verwendete (und dem Antragsteller in der Sprache „Arabisch“ ausgehändigte) Merkblatt nicht den Anforderungen der in Anlage X der Durchführungsverordnung (EU) vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 abgedruckten Version entsprechen sollte, lässt sich daraus allein keine Rechtsverletzung des Klägers ableiten. Denn zum einen erscheint das von der Behörde verwendete Merkblatt inhaltlich ausreichend, um den Asylantragsteller das Dublin-Verfahren und die daraus für ihn entstehenden Folgen ausreichend näher zu bringen. Als Ergänzung der Information diente das vorliegend durchgeführte persönliche Gespräch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).

Zum anderen hat das Informationsrecht aus Art. 4 Dublin III-VO den Sinn, den Antragsteller über seine Rechte zu informieren, damit er diese wahren kann. Dass der Antragsteller über diese Informationen verfügt, zeigen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die gleichzeitig erhobene Klage.

Auch hätte ein möglicher Verfahrensfehler keine Auswirkung auf die Entscheidung des BAMF gehabt. Denn bei der Entscheidung nach § 27 a AsylG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe in Ungarn keinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 – C-411/10 und C-493/10 – Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich – ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) – auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a.a.O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 – 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://milo.bamf.de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://bordermonitoring.eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a.a.O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a.a.O.; UNHCR vom 9.5.2014 a.a.O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z.B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a.a.O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 – 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 – M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 – 23 L 899.14 A – juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 – 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 – 13a ZB 15.50097 – juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 – 14 ZB 13.30076 – juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 – 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a.a.O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er einer Überstellung nach Ungarn nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 – 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 – AN 4 K 14.30119).

Er beruft sich auch nicht darauf, dass in Deutschland Familienangehörige i.S. des Art. 2 Buchstabe g Dublin III-VO leben, was die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 9 Dublin III-VO begründen könnte, da es sich beim (volljährigen) Bruder nicht um einen Familienangehörigen nach der Definiton der Dublin III-VO handelt.

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 Bezug genommen.

Aus den oben genannten Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen, da der Antrag keine hinreichende Erfolgsaussicht hat, § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.