VG Bayreuth, Beschluss vom 30.09.2015 - B 4 E 15.608
Fundstelle
openJur 2015, 18582
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt ... wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist aserbaidschanischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im November 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 07.12.2005 einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) mit Bescheid vom 16.01.2006 unter Androhung der Abschiebung vollumfänglich ablehnte. Die dagegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Urteil vom 06.10.2006 als offensichtlich unbegründet ab. In der Folgezeit erhielt der Antragsteller Duldungsbescheinigungen, weil seine Abschiebung wegen fehlender Heimreisepapiere nicht möglich war. Nachdem das Konsulat der Republik Aserbaidschan am 22.08.2007 einen bis zum 22.09.2007 gültigen Heimreiseschein für den Antragsteller ausgestellt hatte, wurde er am 05.09.2007 auf dem Luftweg nach Baku abgeschoben. Die Wirkungen der Abschiebung wurden bis 31.05.2014 befristet.

Am 17.05.2015 reiste der Antragsteller mit einem vom 15.05.2015 bis 08.06.2015 gültigen litauischen Schengen-Visum für einen Aufenthalt von 10 Tagen erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte beim Landratsamt Kronach am 20.05.2015 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen Daueraufenthalt aus familiären Gründen. Dem Antrag beigefügt waren eine Erklärung vom 18.05.2015, mit welcher der Antragsteller die Vaterschaft für das am 08.01.2008 geborene Kind einer deutschen Staatsangehörigen mit deren Zustimmung anerkannte, sowie eine Erklärung ebenfalls vom 18.05.2015 beider Elternteile, dass die elterliche Sorge gemeinsam ausgeübt werde. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 10.06.2015 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, hilfsweise gemäß § 25 Abs. 4 AufenthG, hilfsweise die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 3, 4 AufenthG für die Dauer des Prüfungsverfahrens.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30.08.2015, beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen am 07.09.2015, hat der Antragsteller beantragt,

den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig bis zur Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Duldung zu erteilen,

hilfsweise

die Antragstellung hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis durch Erteilung einer Fiktionsbescheinigung zu bestätigen.

Zur Begründung wird geltend gemacht, als Vater eines deutschen Kindes habe der Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Jedenfalls sei ihm eine Bescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG zu erteilen. Daneben habe er einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung zur Ausübung des Umgangs und der elterlichen Sorge. Eine Ausreise des Antragstellers sei aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil eine durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Lebensgemeinschaft mit seinem deutschen Kind bestehe. Die Probleme mit einer Ausreise nach Aserbaidschan und der dortigen Beantragung eines Visums zur Familienzusammenführung seien dem Antragsteller derzeit nicht zumutbar. Der Anordnungsgrund ergebe sich aus dem Fehlen einer weiteren melderechtlichen Gestattung und der daraus resultierenden Notwendigkeit, den aktuell bestehenden, tatsächlich fortgesetzten Aufenthalt unverzüglich im Wege des einstweiligen Rechtschutzes rechtlich durch eine Duldung zu sichern.

Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30.08.2015 hat der Antragsteller außerdem

Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt ...

beantragt.

Auf die Aufforderung des Gerichts, umgehend eine ladungsfähige Anschrift des Antragstellers mitzuteilen, erwiderte dieser mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ebenfalls vom 30.08.2015, die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfalle ausnahmsweise bei fehlendem Wohnort wegen Obdachlosigkeit oder wegen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses. Der Antragsteller verfüge in Deutschland derzeit nicht über eine Wohnung, sei also obdachlos. Darüber hinaus sei ihm die Mitteilung seines derzeitigen Aufenthaltsortes nicht zumutbar, weil er jederzeit mit sofortigen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen rechnen müsse, wenn die Ausländerbehörde seinen Aufenthaltsort erfahre.

Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 18.09.2015 beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei bereits unzulässig, weil der Antragsteller unbekannten Aufenthalts sei und somit kein Rechtsschutzbedürfnis für einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht habe. Seit dem 22.05.2015 habe er sich nicht mehr bei der Ausländerbehörde gemeldet und sei persönlich nicht erreichbar, weil auch seine Lebensgefährtin angegeben habe, dass ihr der derzeitige Aufenthaltsort des Antragstellers nicht bekannt sei. Wer durch Untertauchen zu verstehen gebe, dass er den Kontakt mit deutschen Behörden bewusst vermeide, habe keinen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz. Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Eine Fiktionsbescheinigung könne nicht erteilt werden, weil die Voraussetzungen des § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG nicht erfüllt seien. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG laufe ins Leere, weil der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig sei und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen dauerhaften Aufenthalt begehre. Schließlich sei eine Abschiebung auch nicht mit Blick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK aus rechtlichen Gründen unmöglich. Im Rahmen der gebotenen Abwägung sei insbesondere zu berücksichtigen, dass eine Vater-Kind-Beziehung seit Geburt des Kindes bis zur Wiedereinreise des Antragstellers nicht nachgewiesen sei, dass der Antragsteller zunächst die deutsche Auslandsvertretung durch Beantragung eines Schengen-Visums getäuscht habe und nach Ablehnung dieses Antrags mit einem auffällig knapp bemessenen litauischen Schengen-Visum eingereist sei, dass Bemühungen des Antragstellers um das erforderliche nationale Visum für einen längerfristigen Aufenthalt (Familiennachzug) bei der deutschen Auslandsvertretung nicht nachgewiesen seien und dass die Aussagen der Lebensgefährtin des Antragstellers gegenüber den Mitarbeitern der Ausländerbehörde, auch zum Verhältnis und dem gemeinsamen Umgang mit dem Antragsteller, markante Widersprüche enthalten hätten. Zudem sei insgesamt davon auszugehen, dass eine Rückreise des Antragstellers in sein Heimatland zur dortigen Beantragung des erforderlichen nationalen Visums lediglich eine kurzfristige, zeitlich absehbare Beeinträchtigung des sich seit Mai 2015 entwickelnden Familienlebens darstelle, die unter den vorgenannten Umständen auch zumutbar sei. Ein Aufenthaltstitel werde somit – auch aufgrund der Bedeutung des Visumverfahrens – im Ermessenswege nicht erteilt werden.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Originalakten des Landratsamtes Kronach Bezug genommen.

II.

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Absatz 1 Satz 1 ZPO unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgend dargestellten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Infolgedessen kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht.

2. Der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist möglicherweise schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

a) Die Zulässigkeit des Antrags scheitert nicht am fehlenden Rechtsschutzinteresse, unter Umständen aber an der fehlenden Angabe einer ladungsfähigen Anschrift.

(1) Jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf gerichtliche Sachentscheidung. Fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Verhalten eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an der Sachentscheidung des Gerichts nicht mehr gelegen ist (BayVGH, Beschluss vom 29.07.2014 – 10 CE 14.1523 – juris Rn. 17). Der Antragsteller ist zwar unbekannten Aufenthalts. Allein aus der Tatsache, dass er für die Ausländerbehörde persönlich nicht erreichbar ist, lässt sich aber nicht ohne weiteres auf sein fehlendes Rechtsschutzinteresse schließen. Für die Annahme, dass er noch Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung hat, spricht, dass er offensichtlich mit seinem Prozessbevollmächtigten in Kontakt steht und durch diesen einen Duldungsanspruch wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung geltend machen lässt.

(2) Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der analog auch für Anträge gilt, muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die Zulässigkeit der Klage regelmäßig die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift voraussetzt. Hiermit ist die Angabe des tatsächlichen Wohnorts gemeint, also die Anschrift, unter der die Partei tatsächlich zu erreichen ist. Dies gilt auch, wenn der Kläger anwaltlich vertreten ist. Die Anschrift muss nur dann nicht angegeben werden, wenn sie sich bereits aus den gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO von der Behörde vorzulegenden Akten ergibt, sonstwie bekannt ist oder sich auf andere Weise ohne Schwierigkeiten ermitteln lässt. Ferner entfällt die Pflicht zur Angabe der Anschrift, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa gegeben, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Ebenso ist das Fehlen der ladungsfähigen Anschrift dann unschädlich, wenn der Kläger glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt (BayVGH, Beschluss vom 28.07.2015 – 6 ZB 15.410 – juris Rn. 9 bis 12 m. w. N.).

Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Maßstabs spricht vieles für die Unzulässigkeit des vorliegenden Antrags. Auf die Aufforderung des Gerichts mit der Antragseingangsbestätigung vom 07.09.2015, umgehend eine ladungsfähige Anschrift des Antragstellers mitzuteilen, wurde die Angabe mit Schriftsatz vom 30.08.2015 unter Verweis auf bestehende Obdachlosigkeit und Unzumutbarkeit der Mitteilung wegen drohender aufenthaltsbeendender Maßnahmen verweigert. Diese Argumente überzeugen nicht. Nachdem im Verwaltungsverfahren eine schriftliche Bestätigung der Kindsmutter vorgelegt wurde, dass der Antragsteller bei ihr wohnen und regelmäßigen Kontakt zum Kind pflegen könne, kann er sich auf Obdachlosigkeit nicht mit Erfolg berufen, zumal es ihm doch gerade darum geht, die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter herzustellen. Drohende aufenthaltsbeendende Maßnahmen begründen grundsätzlich kein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse, weil effektiver Eilrechtsschutz in aller Regel auch dann gewährleistet ist, wenn der Antragsteller seine Anschrift mitteilt.

b) Letztendlich kann die Frage der Zulässigkeit des Antrags aber offen bleiben, ebenso im Rahmen der Begründetheit die Frage nach der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Denn jedenfalls hat der Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

(1) Es bestehen gewisse Zweifel, ob sich aus dem Vorbringen des Antragstellers mit der für die Glaubhaftmachung erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit ergibt, dass ihm ein Anspruch auf Aussetzung seiner Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen zusteht.

In Betracht käme eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen, wenn dadurch die effektive Verfolgung und Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 27 Abs. 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vereitelt oder wesentlich erschwert würde.

Gemäß § 27 Abs. 1 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Artikel 6 GG erteilt und verlängert. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, d. h. auch wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist, zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

Die Vaterschaftsanerkennung und die Übernahme der gemeinsamen elterlichen Sorge sprechen für die Annahme, dass der Antragsteller die Aufenthaltserlaubnis tatsächlich zum Zweck der Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Tochter und zur Ausübung der Personensorge begehrt. Etwas befremdlich erscheint, dass der Antragsteller – nach Aktenlage – den ersten Antrag auf Erteilung eines Schengen-Visums bei der deutschen Auslandsvertretung erst im Januar 2015 gestellt hat, obwohl er bereits ab 01.06.2014 wieder zur Einreise ins Bundesgebiet berechtigt war. Ferner fehlen Angaben dazu, ob und wie intensiv der Antragsteller den Fernkontakt zu Mutter und Kind während seiner Abwesenheit gepflegt hat.

Fraglich ist auch, ob die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AufenthG erfüllt sind.

Der Antragsteller ist unstreitig nicht nach Maßgabe des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit dem für einen längerfristigen Aufenthalt zum Zwecke des Familiennachzugs gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist. Zwar kann gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hiervon abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Der Antragsgegner hat aber mit vertretbaren Argumenten eine Ermessensausübung dahingehend angekündigt, vom Visumerfordernis nicht abzusehen.

Allerdings könnte ein Fall des § 39 Nr. 3 Alt. 2 AufenthV vorliegen. Danach kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Der Antragsteller war bis zum 26.05.2015 im Besitz eines gültigen Schengen-Visums. Die Voraussetzung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG „zur Ausübung der Personensorge“ ist nach der Einreise am 17.05.2015 und vor Ablauf des Schengen-Visums entstanden, weil dem Antragsteller die Personensorge für sein deutsches Kind erst seit Abgabe der Sorgeerklärung beider Elternteile vom 18.05.2015 tatsächlich zusteht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 BGB).

Andererseits steht möglicherweise auch ein Ausweisungsinteresse gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Raum, weil vieles dafür spricht, dass der Antragsteller, der nach seinen eigenen Angaben von Anfang an einen längerfristigen Aufenthalt zum Familiennachzug anstrebte, bei der litauischen Botschaft falsche Angaben zum Aufenthaltszweck gemacht hat.

(2) Die aufgeworfenen Fragen bedürfen in diesem Verfahren aber keiner abschließenden Klärung, weil der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung jedenfalls an der fehlenden Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes scheitert. Die gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche besondere Dringlichkeit besteht zum einen deshalb nicht, weil der Antragsteller nicht abgeschoben werden kann, solange er „untergetaucht“ und somit für die zuständige Behörde nicht erreichbar ist. Gerichtlicher Eilrechtsschutz gegen eine Abschiebung kann in diesen Fällen erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Antragsteller wieder „auftaucht“ und der zuständigen Behörde den tatsächlichen Aufenthalts- und Wohnort mitteilt (BayVGH, Beschluss vom 29.07.2014 – 10 CE 14.1523 – juris Rn. 18). Zum anderen steht eine Abschiebung des Antragstellers noch gar nicht konkret bevor, weil bislang noch nicht einmal die gemäß § 59 AufenthG notwendige Abschiebungsandrohung vorliegt. Allein der Umstand, dass der Antragsteller nicht über einen erforderlichen Aufenthaltstitel verfügt und vollziehbar ausreisepflichtig ist, rechtfertigt nicht die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes.

3. Der auf Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG gerichtete Hilfsantrag ist ebenfalls abzulehnen, weil kein Fiktionstatbestand gemäß § 81 Abs. 3 AufenthG oder § 81 Abs. 4 AufenthG erfüllt ist.

§ 81 Abs. 3 AufenthG, nach dessen Satz 1 der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt gilt, wenn er die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, ist nicht einschlägig. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet setzt einen Aufenthaltstitel voraus, weil er als aserbaidschanischer Staatsangehöriger gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Anhang I VO (EG) Nr. 539/2001 (EG-VisaVO) der Visumpflicht unterliegt und auch nicht aus anderen Gründen vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels (§ 4 AufenthG) befreit ist.

Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der bisherige Aufenthaltstitel eines Ausländers, der vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung beantragt hat, vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Der Antragsteller hat zwar am 20.05.2015 und damit vor Ablauf seines Schengen-Visums am 26.05.2015 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug beantragt. Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gilt Satz 1 aber ausdrücklich nicht für ein Schengen-Visum.

4. Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abzulehnen.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG (halber Auffangstreitwert).

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