Bayerisches LSG, Urteil vom 18.05.2015 - L 15 VG 17/09 ZVW
Fundstelle
openJur 2015, 18383
  • Rkr:

1. Ein tätlicher Angriff gemäß § 1 OEG ist dann rechtswidrig, wenn Rechtfertigungsgründe im strafrechtlichen Sinn fehlen. Das Fehlen solcher rechtfertigenden Gründe muss mit dem Maßstab des Vollbeweises erwiesen sein (Fortführung der Rspr. des Senats vom 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10).2. Zur Ermittlung, ob Rechtfertigungsgründe fehlen, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.3. Die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit des Angriffs nicht positiv, sondern negativ über den Ausschluss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, bewirkt keine Umkehr der objektiven Beweislast. Ansatzpunkte für eine Umkehr der Beweislast aufgrund von tatsächlichen Vermutungen existieren nicht (Fortführung der Rspr. des Senats vom 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10).4. Zur verfahrensrechtlichen Pflicht, die bereits im Straf und im Zivilverfahren einvernommenen Zeugen erneut zu vernehmen.

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23. November 2007 wird zurückgewiesen.

II. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundessozialgericht Az. B 9 VG 22/08 B trägt der Beklagte. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen

Tatbestand

Die Beteiligten streiten wegen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Am 03.07.2001 stellte die Klägerin beim Beklagten Antrag auf eine Entschädigung nach dem OEG. Als gesundheitliche Schädigung waren "Ruptur vorderes Kreuzband, rechtes Kniegelenk" und "Stoßverletzungen linke Schulter" genannt. Zum Tathergang war auf dem Formblatt vermerkt, der Nachbar der Klägerin J. M. habe widerrechtlich auf dem Eigentümerweg zwischen ihrem und dem Nachbargrundstück den Absperrpfosten beschädigt und beseitigt.

Dem Vorgang liegt im Wesentlichen folgende Problematik zu Grunde: Seit 1988 wohnt die Klägerin mit ihrer Familie in A-Stadt. Sie ist Miteigentümerin des Grundstücks S-Ring 53a. Ihr Nachbar J. M. ist Eigentümer des Anwesens S-Ring 53; bei den beiden Häusern handelt es sich um Doppelhaushälften. Beide Anwesen sind über eine Grundstückszufahrt zu erreichen, die im Gemeinschaftseigentum der Familien A. und M. steht. Seit Jahren streiten diese wegen der Benutzung dieses Weges, u.a. unter Zuhilfenahme zivilgerichtlichen Rechtsschutzes.

Die streitgegenständliche Tat geschah am 22.03.2001. Eine erste Auseinandersetzung fand etwa zwischen 14:00 und 14:30 Uhr statt und zog einen ersten Polizeieinsatz nach sich. Nachdem die Polizei das Grundstück wieder verlassen hatte, kam es um ca.15:30 Uhr zu dem zweiten Vorfall, der einen weiteren Polizeieinsatz nach sich zog; die Klägerin leitet ihre Versorgungsansprüche aus gesundheitlichen Störungen infolge dieses zweiten Vorfalls ab.

Am 14.05.2001 erstattete die Klägerin gegen J. M. Strafanzeige wegen schwerer Körperverletzung. In dieser Anzeige wird der Vorgang dahin geschildert, J. M. habe den Absperrpfosten auf der im Zentrum des Nachbarstreits stehenden Zufahrt gegen 14.30 Uhr widerrechtlich entfernt. Die Polizei sei erschienen, habe aber nur auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Sodann habe sie, die Klägerin, den Pickel geholt, um den Pfosten provisorisch wieder einzusetzen. Als J. M. das gesehen habe, sei er wütend auf die Klägerin zugesprungen, habe den Pickel - ebenso wie die Klägerin - mit beiden Händen umfasst und kraftvoll mehrmals gegen deren Schulter gestoßen. Sodann habe er sie mitsamt Pickel brutal zu Boden gestoßen. Bei dem Sturz habe sie mehrere Prellungen am rechten Knie sowie eine Ruptur des Kreuzbands erlitten.

Am 26.08.2001 wurden die Anwohnerin B. B. und die Spaziergängerin A. B. in der Polizeiinspektion A-Stadt als Zeuginnen vernommen. Diese bestätigten die Angaben der Klägerin nicht.

Mit Verfügung vom 08.11.2001 wurde das Ermittlungsverfahren gegen J. M. eingestellt. Hierzu erging auf Betreiben der Klägerin eine Beschwerdeentscheidung des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg und schließlich auch eine Entscheidung gemäß § 172 Abs. 3 Strafprozessordnung (StPO) des OLG. Der Antrag wurde aus formalen Gründen als unzulässig verworfen.

Anzeigen der Klägerin in diesem Zusammenhang gegen verschiedene Personen (u.a. gegen J. M.) blieben ohne Erfolg.

Der beschuldigte Nachbar J. M. ließ in seiner Gegenanzeige folgenden Sachverhalt vortragen: In der ersten Situation (vor Eintreffen der Polizei) habe ihn die Klägerin zunächst beschimpft und sei dann mit der Spitzhacke auf ihn losgegangen. Diesen Angriff habe er gerade noch abwenden können, indem er versucht habe, die Spitzhacke zu ergreifen. Die Klägerin sei dann zurück auf ihr Grundstück gegangen und habe gesagt, sie werde noch sehen, wie man ihn, den Nachbarn, mit dem Sarg hinaustragen werde, denn sie werde jetzt zu anderen Mitteln greifen. Anschließend sei es zum Erscheinen der Polizei gekommen. Als diese wieder abgerückt gewesen sei, sei die Klägerin erneut herausgekommen und habe gegen 15:15 Uhr wieder in der gemeinsamen Zufahrt ein Loch graben wollen. Als er sich dagegen verwehrt habe, sei sie mit der Spitzhacke auf ihn losgegangen. Bei dem anschließenden Gerangel habe sie sich absichtlich fallen lassen sowie zu schreien und zu weinen begonnen. Den Pickel habe er der später erneut eintreffenden Polizei als Tatwaffe übergeben.

In der Sitzung des Amtsgerichts E. (AG) - Strafrichter - wurden die Klägerin (als Angeklagte) sowie die Zeugen J. M., B. M. (Ehefrau des J. M.; diese bestätigte dessen Aussage), A. B., B. B., Polizeikommissar T., der die Angaben der Klägerin nicht bestätigte, sowie der Enkel der Klägerin A. A. (geb. 1992) vernommen. A. A. bestätigte genau deren Version. Die Strafrichterin verurteilte die Klägerin wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Amtsgericht stellte in seinem Urteil vom 04.10.2002 fest, dass es "zwischen 13:40 Uhr und 15:00 Uhr" zu einer Auseinandersetzung gekommen sei. Die Klägerin sei mit einer Spitzhacke auf ihren Nachbarn J. M. losgegangen, der sich gerade noch umdrehen und ihr die Spitzhacke habe entwenden können. Im Anschluss daran sei es noch zu einer Bedrohung gekommen. Feststellungen zur zweiten Auseinandersetzung enthält das Urteil nicht. Zur Aussage des A. A. ist im Urteil ausgeführt, dieser habe Formulierungen gebraucht, die denen eines zehnjährigen Kindes nicht entsprächen. Die Aussage habe den Eindruck hinterlassen, als ob sie entweder aus Gefälligkeit erfolgt sei oder, nachdem der Vorfall schon eineinhalb Jahre zurückgelegen habe, er die Äußerungen wiedergegeben habe, die er von der Klägerin gehört habe.

Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht (LG) N. wurden in einer ersten Sitzung am 12.05.2003 weitere Ermittlungen beschlossen, so die Einvernahme des Kindes T. G.. Bevor diese (zum Tatzeitpunkt acht Jahre alt) in der Sitzung befragt wurde, erfolgte am 12.06.2003 eine Vernehmung durch die Polizei. U.a. sagte das Mädchen aus, sie und A. A. hätten am 22.03.2001 auf der Terrasse der Familie A. gespielt. Sie habe u.a. gesehen, wie die Klägerin den Pickel mit beiden Händen über dem Kopf gehalten und richtig Schwung geholt habe, um J. M. auf den Kopf zu hauen. J. M. habe mit beiden Händen nach oben gelangt, den Pickel festgehalten und ihr aus den Händen gerissen. Er habe den Pickel weggestellt. Dann habe er die Klägerin weggeschubst. Wie die Klägerin gestürzt sei, habe sie nicht gesehen. Diese habe vor einigen Wochen bei ihrer Mutter angerufen und darum gebeten, sie, T. G., solle aussagen, dass J. M. sie verletzt habe.

Die Verhandlung vor dem LG fand am 18. und 20.08.2003 statt. Die Klägerin wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten (ohne Bewährung) verurteilt. Aus dem Urteil, in dem u.a. die Feststellung enthalten ist, dass die Klägerin seit ihrem Umzug nach A-Stadt mit ihrer gesamten Nachbarschaft in Streit lebe und der Überzeugung sei, dass sich sämtliche Anwohner in ihrer Umgebung gegen sie verschworen hätten, geht hervor, dass die Klägerin in der Berufungshauptverhandlung Zeugen mehrfach als Lügner beschimpft und angeschrien und die H. Polizei und die ganze Justiz als ausländerfeindliche Behörden, die sich gegen sie verschworen hätten, beschimpft habe.

A. B., J. M. und B. M. hätten ihre bisherigen Aussagen bestätigt und ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer ausgesagt; an der Glaubwürdigkeit der Zeugen bestünden keine Zweifel.

A. A. sagte aus, die Klägerin habe J. M. nicht beschimpft oder beleidigt. Der Pickel sei so schwer gewesen, dass die Klägerin ihn nur am Boden habe schleifen können; erhoben habe sie ihn nie. A. habe den Eindruck erweckt, so das LG, er habe die Aussage auswendig gelernt; seine Wortwahl sei nicht altersgerecht gewesen. Vor etwa zwei Wochen habe er mit der Familie ausführlich über den Vorfall gesprochen. A. sei offenkundig unglaubwürdig gewesen; er sei erkennbar unter Druck gestanden. Er habe bewusst gelogen, die Aussage sei ihm angelernt worden.

Zum zweiten Vorfall wiederholte T. G. ihre Aussage. Das Gericht beurteilte diese ohne Einschränkung als glaubhaft. Das Kind sei ständig im Haus der Familie A. verkehrt und habe die Klägerin sogar als "Oma" bezeichnet; es sei nicht der geringste Belastungseifer zu erkennen gewesen. T. G. sei so verschüchtert gewesen, vor Gericht aussagen zu müssen, dass sie überhaupt nicht in der Lage gewesen wäre zu lügen. Die Mutter von T. G., S. G., sagte aus, am Abend des Tattages sei T. G. völlig verändert gewesen, habe sich geweigert, zu Abend zu essen und sei ohne fernzusehen ins Bett gegangen. Sie habe nur erzählt, dass J. M. die Klägerin geschubst habe. Erst später habe sie den ganzen Vorfall berichtet. Die Klägerin rief nach Angaben von S. G. Ende Mai 2003 dreimal bei dieser an und verlangte nach einer Bestätigung, dass ihre Tochter T. G. gesehen habe, wie der Nachbar die Klägerin geschlagen habe. Sie, S. G., habe dies abgelehnt. B. B. und A. A. wiederholten ihre bisherigen Einlassungen zum zweiten Vorfall. Dabei sei A. auch bei diesem Teil seiner Aussage völlig unglaubwürdig gewesen. Seine Aussagen hätten auswendig gelernt geklungen und seien nicht altersgerecht formuliert gewesen.

Es kam sodann zu einem Revisionsverfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG). In der Revisionsschrift der Klägerin wurde u.a. gerügt, die Einführung der Aussage der T. G. vor der Polizei sei unzulässig gewesen. A. A. habe das Gericht unzulässig eingeschüchtert; (auch) bezüglich ihm hätte ein Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt werden müssen. Nach Stellungnahme der Staatsanwaltschaft beim BayObLG verwarf dieses die Revision mit Beschluss vom 15.01.2004 als unbegründet.

Sodann beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 11.02.2004 und 15.07.2004 die Wiederaufnahme des Verfahrens. Das LG R. lehnte dies jedoch ab. Auch in diesem Zusammenhang wurden (erfolglos) Rechtsmittel eingelegt und Verfahrensverstöße der Gerichte gesehen.

Die Haftstrafe verbüßte die Klägerin vom 05.04. bis 18.10.2005.

Im Rahmen des Zivilrechtsstreits (Az.: 4 O 5101/01) zwischen der Klägerin (als dortiger Klägerin) und J. M. (als dortigem Beklagten) vor dem LG sagte B. M. am 25.05.2004 u.a. aus, dass sie beim ersten Vorfall ihren Mann gewarnt habe, als die Klägerin auf diesen mit der Hacke zuging. Er habe ihr die Hacke entreißen wollen, was ihm zunächst nicht gelungen sei; es habe sich dann ein regelrechter Kampf um die Spitzhacke entwickelt. Ihrem Mann sei es schließlich gelungen, der Klägerin die Hacke abzunehmen. Die Klägerin habe im Rahmen ihrer Beschimpfungen dann auch geäußert, sie werde noch sehen, wie man ihn (den Nachbarn) hier im Sarg hinaustrage. Zum zweiten Vorfall gab sie an, die Klägerin habe geäußert, den Pfosten jetzt wieder einsetzen zu wollen; dabei habe sie mit der Hacke mehrfach auf den Boden geklopft. Auf einmal habe sie die Hacke wieder erhoben. Daraufhin habe ihr Mann wieder nach dem Stiel gegriffen. Die Klägerin habe die Hacke plötzlich losgelassen und sich einfach auf den Boden gesetzt, wo sie "leise in sich hineinzuweinen schien".

Medizinische Ermittlungen führte der Beklagte nicht durch. Mit Bescheid vom 29.08.2003 lehnte er den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab, weil J. M. nicht rechtswidrig, sondern zur Abwehr eines gegen ihn gerichteten Angriffs gehandelt habe.

Dagegen legte die Klägerin am 29.09.2003 Widerspruch ein. Sie sei von ihrem Nachbarn angegriffen worden. Dieser stelle nun Lügen auf, um von seinen abscheulichen Taten abzulenken.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2005 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach den vorliegenden Zeugenaussagen, so die Begründung, habe sich J. M. lediglich verteidigen wollen. Dass die Klägerin dabei zu Fall gekommen sei und sich verletzt habe, könne ihm nicht angelastet werden.

Am 17.11.2005 hat die Klägerin zum Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben. In ihrer Klagebegründung hat sie daran festgehalten, J. M. habe nicht in Notwehr gehandelt, sondern einen vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen sie unternommen. Als Zeugen hat sie wiederum ihren Enkel A. A. sowie ihren Ehemann A. und die Anwohnerin B. B. benannt.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 23.11.2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es sei nicht mit dem notwendigen Vollbeweis feststellbar, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gegen die Klägerin stattgefunden hätte. Insoweit hat sich das SG auf die beigezogenen Strafakten gestützt, die es im Wege des Urkundenbeweises verwertet habe. Bei dem von den Strafgerichten festgestellten Handlungsablauf könne das Gericht keinen vorsätzlichen tätlichen Angriff des J. M. auf die Klägerin feststellen, zumal dessen Einlassungen im Strafverfahren auch von unbeteiligten Tatzeugen bestätigt worden seien. Das SG habe sich nicht gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen anzustellen. Dazu bestünde nur dann eine Verpflichtung, wenn neue erfolgversprechende Ansatzpunkte zur Feststellung einer rechtswidrigen Vorsatztat aufgetaucht wären oder der Sachverhalt unter anderen rechtlichen Kriterien als im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu würdigen gewesen wäre; das sei jedoch nicht der Fall.

Am 19.03.2008 hat die Klägerin beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) gegen das Urteil Berufung (Az.: L 15 VG 10/08) eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat die Klägerin u.a. verschiedene medizinische Unterlagen vorgelegt. Der Senat hat die Berufung mit Urteil vom 08.07.2008 als unzulässig, weil verfristet, verworfen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Beschluss vom 23.04.2009 (Az.: B 9 VG 22/08 B) das Senatsurteil aufgehoben und die Sache an das BayLSG zurückverwiesen (Az.: L 15 VG 17/09 ZVW). In den Gründen hat es festgestellt, die Berufung der Klägerin sei zulässig, so dass der Senat zu Unrecht nicht in der Sache entschieden habe. Denn die Berufung sei rechtzeitig erfolgt.

Mit Schriftsatz vom 17.08.2009 hat die Klägerin die Berufung neu begründet. Im Wesentlichen hat sie vorgetragen, dass die Beweiswürdigung des SG fehlerhaft gewesen sei. Unabhängig von vorliegenden Urteilen des Strafgerichts oder von Zivilverfahren sei eine Tatsachenwürdigung durch die Sozialgerichte vorzunehmen. Soweit das "LSG" [Anm.: Gemeint ist offensichtlich das SG] das Strafurteil als Urkundenbeweis verwertet habe, widersetze sich die Klägerin diesem wegen offenkundiger Rechtswidrigkeit. Es seien die Zeuginnen B. B. und B., beide Anwohnerinnen, anzuhören, dass diese keine Äußerung der Klägerin gehört hätten, wonach diese dafür sorgen werde, dass man J. M. "hier mit dem Sarg heraustragen" werde. Dies habe die Klägerin, so der Bevollmächtigte, nicht gesagt, sondern, dass sie jetzt andere Mittel anwenden werde. Diese Äußerung habe sie mit dem Herbeirufen der Polizei wahrgemacht. Zudem werde ausdrücklich die Einholung eines Sachverständigengutachtens hinsichtlich der vorgetragenen körperlichen Schäden beantragt.

Am 21.12.2010 hat in Nürnberg ein Erörterungstermin des Senats stattgefunden. Mit Schreiben vom 17.01.2011 hat die Klägerin Beschwerde hiergegen erhoben; ihre Beschwerde richtete sich gegen die Durchführung des Termins als solchen, gegen das Protokoll sowie gegen dieses und andere Gerichtsverfahren.

Mit Schriftsatz vom 25.01.2011 hat die Klägerin den (damaligen) Berichterstatter des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf seine Ankündigung, es werde keine neuen Zeugenvernehmungen geben, abgelehnt. Zudem hat sie gerügt, dass der Erörterungstermin in nichtöffentlicher Sitzung erfolgt sei. In dem Schriftsatz hat die Klägerin weiter auf Umstände am Tattag und fehlerhafte Beweiswürdigungen seitens des Strafgerichts hingewiesen. Im Hinblick auf die durch den Berichterstatter herausgestellte Problematik der Zeitferne sei festzustellen, dass sich bei einer neuen Zeugeneinvernahme auch das Gegenteil der Beweiswürdigung ergeben könne.

Mit Beschluss vom 13.09.2011 hat der Senat entschieden, dass das Ablehnungsgesuch gegen den damaligen Berichterstatter unbegründet sei.

Mit Schreiben vom 26.01.2011 ist erneut die Vernehmung weiterer Zeugen beantragt worden, insbesondere der B. M., der B., des PK T., des A. A. sowie des A.. Auch im Schriftsatz vom 04.03.2011 hat die Klägerseite wieder Beweisanträge gestellt. Einzuvernehmen sei auch A. B.; ein Sachverständigengutachten im Hinblick auf die erfolgten Gesundheitsstörungen sei einzuholen.

Am 25.06.2014 hat der Senat die Anwohnerin B. schriftlich befragt.

Mit Schriftsatz vom 25.08.2014 hat die Klägerin hervorgehoben, dass sie beim zweiten Vorfall am Tattag von ihrem Nachbarn auf das Schwerste verletzt worden sei und dass B. in ihrem Garten gewesen sei und gesehen haben müsse, wie "der brutale Mann" sie angegriffen und verletzt habe. Auch B. B. sei draußen auf ihrer Terrasse gewesen. Im Übrigen hat sich die Klägerin gegen die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und die Gerichtsverfahren der Strafjustiz gewandt. In dem Schriftsatz hat die Klägerin erneut die Vernehmung der Zeugen B., B. sowie A. und A. beantragt.

In der mündlichen Verhandlung am 18.05.2015 hat der Senat die Zeugen B. und A. einvernommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG vom 23.11.2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29.08.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2005 zu verurteilen, die wegen des Vorfalls am 22.03.2001 erlittenen Verletzungen in Gestalt eines Kreuzbandrisses, eines Meniskusschadens, Halswirbeltrauma und Halsschädigungsfolgen nach dem OEG anzuerkennen und deshalb Beschädigtenversorgung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten, des SG, des BSG, der Staatsanwaltschaft N. Aktenzeichen 902Js142731/01 sowie des Amtsgerichts E. - Zivilgericht - Aktenzeichen 4C1652/99 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet.

Sie ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden; dies ergibt sich aus dem Beschluss des BSG vom 23.04.2009, § 170 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist, wie das SG zu Recht entschieden hat, nicht nachgewiesen.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.

Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat von folgenden rechtlichen Maßgaben aus (vgl. z.B. Urteil v. 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; zum Ganzen vgl. auch BSG, Urteile v. 17.04.2013, Az.: B 9 V 1/12 R sowie Az.: B 9 V 3 /12 R, und v. 16.12.2014, Az.: B 9 V 1/13 R):

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das Strafgesetzbuch (StGB) geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011, Az.: B 9 VG 2/10 R, m.w.N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Be-griffs des "tätlichen Angriffs" (vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 28.03.1984, Az.: B 9a RVg 1/83, BSGE 56, 234, 235 f). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z.B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z.B. Urteil v. 29.04.2010, Az.: B 9 VG 1/09 R, BSGE 106, 91).

Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a.a.O., m.w.N.).

Zwar spricht aus Sicht des Senats sehr viel dafür, dass es sich bei der Einwirkung des Nachbarn J. M. auf die Klägerin ("Schubser") um einen vorsätzlichen tätlichen Angriff im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG handelt. Nähere Erläuterungen dazu erübrigen sich aber. Der von der Klägerin geltend gemachte Versorgungsanspruch scheitert daran, dass sich der Senat nicht davon hat überzeugen können, dass der tätliche Angriff rechtswidrig war.

Ein tätlicher Angriff ist dann rechtswidrig, wenn Rechtfertigungsgründe im strafrechtlichen Sinn fehlen. Das Fehlen solcher rechtfertigenden Gründe muss mit dem Maßstab des Vollbeweises erwiesen sein (vgl. Urteil des Senats vom 17.08.2011, Az.: L 15 VG 21/10; Weiner, in: Gelhausen/ders., OEG, 6. Aufl., § 1 Rn. 69, 72; vgl. weiter BSG, Urteil vom 22.06.1988, Az.: 9/9a RVg 3/87). § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) mit dem weniger strengen Beweismaßstab der Glaubhaftmachung greift vorliegend nicht ein.

Wie der Senat wiederholt (vgl. z.B. Urteil vom 21.04.2015, Az.: L 15 VG 24/09) unterstrichen hat, sind nach den Grundsätzen im sozialgerichtlichen Verfahren die einen Anspruch begründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen (vgl. BSG, Urteil vom 15.12.1999, Az.: B 9 VS 2/98 R). Für diesen Beweisgrad ist es zwar nicht notwendig, dass die erforderlichen Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, Az.: B 9 VG 3/99 R), d.h. dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RV 1/92; Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdnr. 3b).

Zur Ermittlung, ob Rechtfertigungsgründe fehlen, gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Die Beweiswürdigung des Gerichts hat sich an den individuellen Gegebenheiten des konkreten Falls zu orientieren, soweit nicht gesetzliche Beweisregeln existieren. Letzteres ist hier nicht der Fall. Generalisierungen oder typisierende Betrachtungsweisen sind daher unangebracht. Es gibt keinen beweisrechtlichen Automatismus, dass das Fehlen von Rechtfertigungsgründen anhand von unmittelbaren Beweismitteln (z.B. Zeugenaussagen, Filmmitschnitten) nachgewiesen sein müsste (vgl. bereits das Senatsurteil vom 17.08.2011, a.a.O.). Die Rechtswidrigkeit des Angriffs kann unter Umständen auch dann als erwiesen angesehen werden, wenn der genaue Tatablauf im Übrigen nicht zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Trotz dieser für die Klägerin günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen gelingt es nicht, das Fehlen von Rechtfertigungsgründen mit dem Maßstab des Vollbeweises festzustellen. Denn es spricht sehr viel dafür, dass die Tatversion, die die Klägerin schildert, falsch bzw. unvollständig ist; die Tatumstände, die erwiesen sind, nämlich die von den Zeugen beobachteten Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und dem beschuldigten Nachbarn, lassen auch solche Geschehensabläufe als denkbar, realistisch und sogar naheliegend erscheinen, bei denen der Rechtfertigungsgrund der Notwehr (§ 32 StGB) gegeben wäre.

Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens hält der Senat es nicht nur für nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß für erwiesen, dass J. M. am Nachmittag des 22.03.2001 auf die Klägerin zugesprungen wäre, den Pickel und ebenso die Klägerin mit beiden Händen umfasst und kraftvoll mehrmals gegen die Schulter der Klägerin gestoßen sowie diese dann mitsamt dem Pickel brutal zu Boden gestoßen hätte. Der Senat hält vielmehr diese Version des Geschehensablaufs für wenig wahrscheinlich. Er hält es dagegen für naheliegend, dass die Klägerin selbst mit dem Pickel auf ihren Nachbarn losgegangen ist, worauf dieser versucht hat, ihn der Klägerin abzunehmen, und dass die Klägerin im Verlauf dieser Auseinandersetzung gestürzt ist oder sich ggf. sogar selbst hingesetzt hat.

Im Einzelnen würdigt der Senat die vorliegenden Beweismittel wie folgt:

1. Mit Ausnahme des einvernommenen Enkelsohns der Klägerin, A. A., hat keiner der in den gerichtlichen Verfahren von der Polizei vernommenen Zeugen den Sachverhalt so bestätigt, wie die Klägerin ihn angegeben hat. Vielmehr erscheint aus Sicht des Senats das Vorliegen einer Notwehrsituation für den von der Klägerin beschuldigten Nachbarn J. M. naheliegend.

Dies ergibt sich aus den Aussagen der Anwohnerin B. B., der Spaziergängerin A. B., des Beschuldigten J. M. und dessen Ehefrau B. M., ferner des Kindes T. G.. Keine Beobachtungen des Tathergangs haben die Zeugen S. G., B. und Polizeikommissar T. schildern können. Die Aussagen von S. G. und Polizeikommissar T. stehen jedoch auch dieser Annahme des Senats nicht entgegen und fügen sich in das Bild des vom Senat für naheliegend gehaltenen Geschehensablaufs nahtlos ein.

Wie das LG sieht auch der Senat keinen Anlass zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit dieser Zeugen. Neben der Konsistenz der Zeugenaussagen in den verschiedenen Vernehmungssituationen fällt dabei auf, dass die Zeugen ruhig, sachlich und ohne Belastungseifer ausgesagt haben. Es liegt nahe, dass für den Fall, dass insbesondere J. M. und B. M. die Bedrohung durch die Klägerin etc. nur erfinden hätten wollen, eine weniger ausgefallene Version als die geschilderte zu erwarten gewesen wäre. Auch wenn das Interesse von J. M. und ggf. seiner Ehefrau nicht von der Hand zu weisen ist, in keinem Fall als Täter eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs dazustehen, sieht der Senat durch die genannten weiteren Aspekte die Glaubwürdigkeit als gegeben an. Entsprechendes gilt auch im Hinblick auf die grundsätzlichen Bedenken, die hinsichtlich der Glaubhaftigkeit bestehen könnten, da zwischen der Klägerin einerseits und der gesamten Nachbarschaft andererseits ein gestörtes Verhältnis bestehen dürfte. Würde der Senat aus diesem Grund generell Bedenken hinsichtlich des Wahrheitsgehalts der Angaben der Nachbarn der Klägerin haben, so müsste dies folgerichtig in gleicher Weise für die Angaben der Klägerin selbst gelten, die mit ihrer gesamten Nachbarschaft in Streit lebt und - entsprechend der strafgerichtlichen Feststellung - der Überzeugung ist, dass sich sämtliche Anwohner in ihrer Umgebung gegen sie verschworen hätten.

Im Übrigen kann der Vortrag der Klägerin, dass die Aussagen der Zeugen in den gerichtlichen Verfahren widersprüchlich seien und dass die Beweiswürdigungen seitens der Strafgerichte fehlerhaft seien etc., nicht überzeugen. Vielmehr ist das Vorbringen der Klägerseite z. B. zu den Zeugenaussagen im zivilgerichtlichen Verfahren (Verhandlung vom 25.05.2004) zumindest missverständlich und jedenfalls nicht nachvollziehbar. Es zeugt jedenfalls von einer nicht korrekten Erfassung des Sachverhalts und von unzutreffenden Schlussfolgerungen durch die Klägerseite; an dieser Stelle muss dahingestellt bleiben, ob es insoweit lediglich versehentlich zu diesen Unrichtigkeiten gekommen ist. So ist im Schriftsatz vom 25.01.2011 auf die Aussage von B. M. im zivilgerichtlichen Verfahren verwiesen worden, die gesagt habe, dass die Klägerin mehrfach mit der Hacke auf den Boden geklopft und auf einmal die Hacke wieder erhoben habe. J. M. habe, so die Klägerseite, deshalb sofort wieder nach dem Stiel gegriffen. Auf Nachfrage durch das Gericht habe B. M. ausgesagt, dass es nicht so gewesen sei, dass sie mit der Hacke besonders gefährliche Gesten gemacht und die Hacke auch nicht über den Kopf erhoben habe. Diese Aussage der Zeugin M., hat sich jedoch, was die Klägerseite zumindest nicht erwähnt, auf den ersten Vorfall, um den es hinsichtlich des geltend gemachten tätlichen Angriffs nicht geht, bezogen. Weiter hat die Klägerseite darauf hingewiesen, dass durch die Zeugenaussage von B. M. sowohl das Handeln von J. M. "verständlich" als auch die von Seiten des Strafgerichts vorgenommene Beweiswürdigung ad absurdum geführt werde. Denn es finde sich keine Grundlage für die dortige Feststellung: "Als der Geschädigte nicht reagierte, sondern fortfuhr, das Loch zu schließen und dabei mit dem Rücken zur Angeklagten stand, war diese darüber so erbost, das sie sich entschloss, nunmehr mit dem Pickel auf den Geschädigten einzuschlagen, um diesen zu verletzten." Anders als die Klägerseite betont, geht aus dem Protokoll der genannten zivilgerichtlichen Verhandlung aber gerade hervor, dass die Klägerin dann die Hacke durchaus erhoben hat (vgl. S. 5 des Protokolls). Diese Feststellung erwähnt die Klägerseite jedoch nicht.

Auch im Übrigen kann der Senat Widersprüche oder weitere Anhaltspunkte dafür nicht erkennen, dass die Annahme einer Notwehrsituation (für den beschuldigten Nachbarn J. M.) fernliegend wäre.

Zwar hat der einvernommene Enkelsohn der Klägerin, A. A., der zum Tatzeitpunkt neun Jahre alt war, die von der Klägerin geschilderte Version des Geschehensablaufs exakt bestätigt. Auch scheitert die Verwertung der Aussage von A. A. nicht von vornherein an seinem damaligen Alter. Die Aussagen von Kindern als Zeugen können dann wichtige Beiträge zur Wahrheitsfindung darstellen, wenn beachtet wird, "dass das Kind die Ereignisse der Umwelt aus seiner Welt ansieht, nach seinen Erfahrungen und Erwartungen beurteilt und mit seinen subjektiven Fähigkeiten, seiner Geisteshaltung und charakterlichen Formung wiedergibt" (Peters, Strafprozess, 4. Aufl., S. 385); ein Kind kann nur das leisten, "was seiner Erfahrung, seinem Wissen, seinem Vorstellungsbild und seinem Interessensbereich entspricht." Dabei besteht eine besonders große Gefahr für die bewusste oder unbewusste Beeinflussung des Kindes durch Dritte (a.a.O.).

Der Senat sieht die Angaben von A. A. nicht als glaubhaft an. Entsprechend den Feststellungen des AG und des LG hat A. A. nicht altersgerechte Formulierungen bei seiner Aussage gebraucht. Diese hat den Eindruck hinterlassen, als ob sie entweder aus Gefälligkeit erfolgt ist, oder der Zeuge nur Äußerungen wiedergegeben hat, die er von der Klägerin gehört hat. Die Aussagen haben auswendig gelernt geklungen.

2. Auch die Aussage des Ehemanns der Klägerin A. und die weiteren von der Klägerseite vorgebrachten Aspekte können zu keinem Nachweis eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs auf die Klägerin oder dazu führen, dass das Vorliegen einer Notwehrsituation als fernliegend einzustufen wäre.

- Der Zeuge A. hat ausgesagt, dass die Klägerin und der beschuldigte Nachbar in den Tagen und Wochen vor dem Ereignis am 22.03.2001 bereits Streit gehabt hätten und dass der Beschuldigte gegenüber der Klägerin bedrohend geworden sei; er, der Zeuge, habe - ca. drei Wochen vor dem genannten Tag - den Nachbarn davon abgehalten, auf die Klägerin loszugehen. Hieraus ergibt sich zwar, den Wahrheitsgehalt dieser Aussage unterstellend, eine gewisse Plausibilität hinsichtlich einer "angeheizten" Stimmung zwischen den Nachbarn und hinsichtlich möglicher direkter Konfrontationen zwischen der Klägerin und dem Nachbarn J. M.; Rückschlüsse hinsichtlich der Rechtswidrigkeit eines tätlichen Angriffs von letzterem lassen sich daraus aber in keiner Weise gewinnen. Es kann also offen bleiben, ob die Aussage des Ehemanns der Klägerin überhaupt als glaubhaft angesehen werden kann.

- Unmaßgeblich ist aus Sicht des Senats auch der von der Klägerseite hervorgehobene Aspekt, dass es die Klägerin gewesen sei, die zweimal die Polizei gerufen habe. Denn die Motivation hierfür kann vielfältig sein und lässt keinen Schluss darauf zu, dass sich die Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Vorgang vom Nachbarn bedroht gefühlt habe; insbesondere ergibt sich daraus nicht die Rechtswidrigkeit einer Handlung von J. M..

- Es kommt auch nicht darauf an, ob das Ehepaar M. an dem betreffenden "Tattag" erfahren hat, aus einem zivilgerichtlichen Vergleich nicht vollstrecken zu können. Aufgrund einer solchen Tatsache würde sich kein Hinweis auf einen Angriff und insbesondere nicht auf dessen Rechtswidrigkeit auf die Klägerin ergeben.

- Unmaßgeblich sind schließlich auch die - z.B. im Schriftsatz vom 04.03.2011 enthaltenen - den Nachbarn betreffenden (überflüssigen) Hinweise auf dessen Vorleben in der DDR, die durchaus geeignet sind, J. M. zu diskreditieren. Ob der Nachbar in der DDR wegen Straftaten gesucht worden und ob er ohne seine Frau und Kinder aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet ist, hat auf das vorliegende Verfahren keinerlei Einfluss.

- Nicht von Belang ist auch, ob die Äußerung der Klägerin gefallen ist, sie werde noch sehen/dafür sorgen, dass man J. M. "mit dem Sarg heraustragen" werde. Unmaßgeblich ist auch, wer zu welchem Zeitpunkt eine solche Äußerung behauptet hat. Denn auch hieraus ergeben sich keine verlässlichen Rückschlüsse auf das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs auf die Klägerin bzw. auf das Vorliegen einer Notwehrsituation.

3. Ebenso wenig vermag sich der Senat allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bilden. Zwar kann sich eine Entscheidung in freier Beweiswürdigung jedenfalls dann allein auf den beteiligten Vortrag stützen, wenn dieser glaubhaft ist - wobei "glaubhaft" hier nicht im Sinn einer Herabsetzung des Überzeugungsmaßstabes verstanden werden darf -, der Lebenserfahrung entspricht und nicht zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (vgl. z.B. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 128, Rdn. 4; Gutzler, in: Sgb 2009, S. 73, 76, jeweils m.w.N.).

Der Senat betrachtet die Aussagen der Klägerin im Kern aber als nicht glaubhaft. Vor allem widerspricht sie derjenigen aller einvernommenen Zeugen (mit Ausnahme des Kindes A. A.). Darüber hinaus ergeben sich starke Zweifel auch aufgrund von Randereignissen, die von Zeugen glaubhaft geschildert worden sind. So ist die Klägerin nach dem Vorfall zu der Zeugin A. B. hingetreten und hat gegenüber dieser - aus Sicht des Senats vorsorglich - klar gemacht: "Sie haben doch sowieso nichts gesehen." Diese Bemerkung wäre nach Auffassung des Senats im Falle eines rechtswidrigen Angriffs auf sie schwer nachvollziehbar. Gewisse Zweifel ergeben sich auch aufgrund des von der Zeugin T. G. bestätigten dreimaligen Anrufs der Klägerin bei ihrer Mutter, dass die Zeugin T. G. bestätigten solle, dass der Nachbar die Klägerin geschlagen habe.

Weiter ergeben sich Zweifel an den Angaben der Klägerin auch bereits deshalb, weil ihre im Laufe des gerichtlichen Verfahrens aufgestellte Behauptung, sie sei vom Nachbarn J. M. bereits mehrfach körperlich verletzt worden, sich in der Beweisaufnahme des Senats als unzutreffend herausgestellt hat. So hat der vom Senat als Zeuge einvernommene Ehemann der Klägerin, von dem anzunehmen ist, dass er über das Ausmaß der Auseinandersetzungen zwischen seiner Ehefrau und dem Nachbarn im Einzelnen Kenntnis besitzt, lediglich bestätigt, dass J. M. auf die Klägerin einmal losgehen habe wollen. Von einer Verletzung hat er nicht berichtet.

Der vollen richterlichen Überzeugung, dass die Klägerin Opfer des von ihr behaupteten rechtswidrigen Angriffs durch J. M. geworden sein könnte, wirken auch die im Raum stehenden bzw. naheliegenden Erklärungsmodelle für die (möglicherweise falschen) Angaben der Klägerin entgegen:

Zwar stellt der Senat nur in untergeordnetem Maße auf das unmittelbare Interesse der Klägerin am Verfahrensausgang ab. Dass Beteiligte am Verfahrensausgang ein solches Interesse haben und damit die Gefahr von Einseitigkeit, Voreingenommenheit oder gar Unwahrhaftigkeit besteht, ist naheliegend und bedarf keiner näheren Erläuterung, muss jedoch in den Hintergrund treten. Denn diese aussagepsychologischen Faktoren sind bei jeder Beteiligtenvernehmung zu berücksichtigen; eine zu starke Gewichtung ohne erkennbaren Anlass würde jedoch jegliche beteiligten Angaben von vornherein unverwertbar machen, was offensichtlich nicht sachgerecht wäre und auch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Einklang stünde (vgl. Urteil des Senats vom 05.02.2013, Az.: L 15 VG 22/09; Gutzler, a.a.O.). Allerdings bestehen mit Blick auf die von der Klägerin geäußerte Überzeugung, dass sich sämtliche Anwohner in ihrer Umgebung gegen sie verschworen hätten, doch grundsätzliche Zweifel an ihren Angaben (siehe unten).

Auch der Detailreichtum der klägerischen Schilderungen (zur Beachtung inhaltlicher Realitätskriterien vgl. z. B. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl., Rdn. 310 ff.) ist im Rahmen der Beweiswürdigung von sehr untergeordneter Bedeutung, weil die Angaben im Widerspruch zu den ebenfalls detaillierten Angaben der Zeugen stehen.

Im Falle der Klägerin erscheint aus der Sicht des Senats nicht ausgeschlossen, dass die Angaben im Rahmen der wohl schon lange andauernden grundsätzlichen Auseinandersetzungen zwischen ihr und ihrer Umgebung zurückzuführen sind. Möglich erscheint vorliegend, dass die Klägerin vor dem Hintergrund dieses dauernden Konflikts die vorliegenden Angaben gemacht hat. Gut möglich erscheint daneben auch, dass bei der Klägerin eine Gedächtnistäuschung gegeben ist, dass sie also aufgrund des bei ihr vorliegenden Feindbilds den genauen Vorgang der Auseinandersetzung am 22.03.2001 nicht zutreffend wiedergeben kann und die gefährliche und rechtswidrige Handlung - gewissermaßen automatisch - ihrem Nachbarn zuschreibt.

Der Senat war nicht gehalten, positiv festzustellen, aus welchem Grund die Klägerin eine falsche Schilderung gegeben hat; daher hat es auch insoweit keines Sachverständigengutachtens bedurft. Die möglichen Erklärungen festigen lediglich den aus anderen Gründen gewonnenen Eindruck, dass der Klägerin nicht geglaubt werden kann.

Das somit bestehende non liquet in Bezug auf das Fehlen von Rechtfertigungsgründen wirkt sich nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Ungunsten des Klägers aus. Die prüfungstechnische Besonderheit, dass die Rechtswidrigkeit nicht positiv, sondern negativ über den Ausschluss von Rechtfertigungsgründen festgestellt wird, bewirkt keine Umkehr der objektiven Beweislast. Ansatzpunkte für eine Umkehr der Beweislast aufgrund von tatsächlichen Vermutungen existieren nicht (vgl. Urteil des Senats vom 17.08.2011, a.a.O.; BSG, Urteil vom 22.06.1988, a.a.O.).

Zu einer persönlichen Einvernahme der - teilweise bereits mehrfach vor Gericht gehörten - Zeugen bestand für den Senat keine Veranlassung und erst Recht keine verfahrensrechtliche Pflicht. Dies gilt insbesondere auch für den einzigen Zeugen, der die Version der Klägerin gestützt hat, nämlich den A. A. (siehe oben).

1. In Streitsachen zum OEG ist grundsätzlich eine von den Straf- und Zivilgerichten unabhängige Beweiswürdigung geboten. Eine solche hat der Senat vorgenommen. Denn diese Voraussetzung besagt nicht, dass Zeugen in betreffenden gerichtlichen Verfahren persönlich einzuvernehmen sind. Das Erfordernis der unabhängigen Beweiswürdigung besagt vielmehr, dass im Hinblick auf die Feststellung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs weder die Verwaltungsbehörde noch die Sozialgerichte an das Ergebnis des Strafverfahrens gebunden sind (vgl. die Urteile des BSG vom 07.12.1983, Az.: 9 ArV 40/82, sowie vom 25.06.1986, Az.: 9 ArV 2/84). Somit können Beweisergebnisse aus anderen Verfahren (z. B. Zeugenaussagen in anderen Gerichtsverfahren) auch ohne Zustimmung der Beteiligten im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., a.a.O., § 103, Rdn. 11 d).

2. Vorliegend bestand für den Senat weder im Hinblick auf den Untersuchungsgrundsatz gemäß § 103 SGG noch auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz gemäß § 117 SGG die Veranlassung, neben den Zeugen B. und A. auch die anderen Zeugen in der mündlichen Verhandlung am 18.05.2015 persönlich einzuvernehmen.

a. Hierbei ist - zunächst ohne Blick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Falls - festzustellen, dass das sozialgerichtliche Verfahrensrecht nicht verlangt, ausnahmslos das unmittelbare Beweismittel, hier also die Einvernahme der weiteren Zeugen, auszuschöpfen. Eine Regelung wie § 251 StPO, die es den Strafgerichten nur in enumerativen Ausnahmefällen erlaubt, die Verlesung von Niederschriften als Beweismittel zuzulassen und auf die persönliche Einvernahme zu verzichten, existiert im Sozialprozessrecht nicht; überdies existiert nach der herrschenden Meinung nicht einmal im Strafprozessrecht ein weitreichender Grundsatz, dass allgemein bei der Beweisaufnahme das sachnächste Beweismittel benutzt werden müsste (vgl. z. B. Meyer-Gossner, StPO, 57. Aufl., § 250, Rdn. 3).

Entsprechend den Vorschriften des sozialgerichtlichen Verfahrens ist die Verwertung der Niederschrift über eine Zeugenaussage in einem anderen gerichtlichen Verfahren oder in einem Verwaltungsverfahren im Wege des Urkundenbeweises möglich. Grundsätzlich hat die Verwertung einer Urkunde in der Regel zwar einen geringeren Beweiswert als eine unmittelbare Zeugenaussage, weil das Gericht keinen unmittelbaren Eindruck vom Zeugen erhält. Ob das Gericht aber einen Zeugen erneut vernimmt, liegt in seinem Ermessen (vgl. Keller, a.a.O., § 117, Rdn. 5, m. w. N.). Die über § 202 SGG anwendbaren Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) enthalten keine Regelung, welche die Verwertung von Zeugenaussagen aus anderen Gerichtsverfahren zugunsten der unmittelbaren Zeugenvernehmung verbieten würde. Vielmehr gilt auch hier, dass Beweisergebnisse aus anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises eingeführt werden dürfen (z. B. Greger, in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 355, Rdn. 4).

b. Wegen der Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens bestand für den Senat keine verfahrensrechtliche Pflicht, die Zeugeneinvernahmen zu wiederholen. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Aufklärung durch die Staatsanwaltschaft und die Strafgerichte exakt die sich im hier vorliegenden OEG-Verfahren aufgeworfenen Beweisfragen betrifft, also auch für die den Senat stellenden Rechtsfragen das tatsächliche Fundament bereit stellt. Aus dieser Aufklärung kann unmittelbar - ohne weitere Zwischenschritte - abgeleitet werden, dass die Klägerin nicht Opfer eines rechtswidrigen Angriffs im Sinne von § 1 OEG durch J. M. geworden ist bzw. dass viel dafür spricht, dass eine Notwehrsituation für den beschuldigten Nachbarn bestanden hat.

c. Der Senat musste sich nicht gedrängt fühlen, die Zeugeneinvernahmen im Rahmen dieses Verfahrens zu wiederholen. Dies ist nach Auffassung des Senats, die auch nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG im Bereich der Opferentschädigung (vgl. Urteil vom 10.11.1993, Az.: 9 RvG 2/93) steht, nicht bereits deshalb erforderlich, wenn einer der Beteiligten dies beantragt. Maßgeblich ist, ob Anhaltspunkte vorliegen, dass bei einer eigenen Vernehmung des Zeugen eine andere Bewertung stattfinden könnte. Nur eine solche eher restriktive Auffassung kann aus Sicht des Senats dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung das erforderliche Gewicht verschaffen (Vermeidung widersprechender Ergebnisse), (ggf. erneute) sekundäre Viktimisierungen vermeiden und prozessualen Doppelaufwand auf ein Minimum reduzieren. Der Senat geht jedoch mit dem BSG (vgl. Beschluss vom 08.08.2001, Az.: B 9 VG 1/01 B) davon aus, dass Zeugen persönlich einzuvernehmen sind, wenn die Aussagen einzelner oder mehrerer Zeugen zum Tathergang anders als vom Straf- oder Zivilgericht gewertet werden können, weil sie widersprüchlich sind und daher dies im Einzelnen herauszuarbeiten ist, wobei auch auf die Glaubwürdigkeit der Zeugen einzugehen ist, die widersprüchliche Aussagen gemacht haben.

Unbeschadet der Tatsache, dass eine erneute Zeugeneinvernahme zum heutigen Zeitpunkt nach den Grundsätzen des ungeeigneten Beweismittels nicht in Betracht kommt (siehe hierzu im Einzelnen unten), sind die Voraussetzungen nach dem genannten Beschluss des BSG vorliegend nicht gegeben, weil ein solcher Fall nicht vorliegt. Wie oben bereits dargelegt, hat die Klägerseite nicht vermocht, substantiiert und nachvollziehbar aufzuzeigen, dass die einzelnen Zeugeneinvernahmen - die Aussage von A. A. ausgenommen - zueinander widersprüchlich seien. Vielmehr ist, wie dargelegt, die Argumentation der Klägerseite nicht plausibel. Es bestand kein Bedarf, die Glaubwürdigkeit der Zeugen aus der Nachbarschaft im Einzelnen herauszuarbeiten im Hinblick auf die vorhandenen "Lager" mit der Klägerin auf der einen und der Nachbarschaft auf der anderen Seite.

d. Der Senat hat auch keine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung vorgenommen, indem er von einer (erneuten) Einvernahme der Zeugen abgesehen hat. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Beschluss vom 31.01.2008, Az.: B 13 R 53/07 B, sowie Beschluss vom 16.05.2007, Az.: B 11 B AS 37/06 B) darf ein Gericht auf die Vernehmung eines ordnungsgemäß benannten Zeugen nur in engen Ausnahmefällen verzichten, etwa wenn es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht ankommt, diese bereits erwiesen sind oder das Beweismittel ungeeignet oder unerreichbar ist. Nach Auffassung des Senats ist vorliegend eine neuerliche Zeugeneinvernahme ungeeignet, da nun ein besonders langer Zeitraum nach dem Vorfall vergangen ist und die Erinnerung der Zeugen weitaus schlechter sein muss als zum Zeitpunkt der Hauptverhandlungen im Jahr 2003. Zwar gibt es nach der Rechtsprechung des BSG keine generelle Beweisregel dafür, dass frühere Aussagen einen höheren Beweiswert haben als spätere (vgl. BSG vom 11.11.2003, Az.: B 2 U 41/02 R). Im Hinblick auf die besonders lange Zeitdauer und die für die Zeugen grundsätzlich eher geringe Bedeutung des Vorfalls vom 22.03.2001, der auch wenig einprägsam ist, hält es der Senat jedenfalls in diesem Einzelfall für ausgeschlossen, dass eine Zeugeneinvernahme jetzt auch nur annähernd die Effizienz der Zeugeneinvernahme des Jahres 2003 aufweisen könnte.

e. Auch hat die Beweiswürdigung der Strafgerichtsbarkeit keine Lücken oder Ungereimtheiten gelassen. Die Aussagen der Zeugen, die diese dort gemacht haben, reichen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht aus und es sind keine Gründe erkennbar, dass sich der Senat bei der Beweiswürdigung den Strafgerichten nicht anschließen könnte. Gerade weil damals divergierende Zeugenaussagen vorlagen, haben sich die Strafgerichte sehr sorgfältig mit der Glaubhaftigkeit jeder einzelnen Aussage befasst. Es spielt für den Senat auch eine große Rolle, dass die Strafgerichte ihre Beweiswürdigung ausführlich dargestellt und begründet haben. Allein das Urteil des LG zeugt bereits von einer "einfühlsamen" und sorgfältigen Beweiswürdigung. Der Senat sieht sich aufgrund der vorhandenen Unterlagen sehr gut in der Lage, sich aus den ausführlichen Schilderungen des LG ein authentisches Bild vom Aussageverhalten der einzelnen Zeugen zu machen. Es liegen überhaupt keine Anhaltspunkte vor, dass die Beobachtungen des LG (z. B. Eingeschüchtertheit der T. G., Verwenden einer nicht kindgerechten Sprache bei A. A. etc.) falsch sein könnten oder dass das Gericht aus diesen Eindrücken unzulässige Schlüsse auf die Glaubhaftigkeit der Aussagen gezogen hätte. Zudem besteht vorliegend die Besonderheit, dass es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass bei einer unterstellten, im Vergleich zu 2003 identisch guten Erinnerung irgendeiner der Zeugen nunmehr abweichend aussagen würde.

3. Zusammenfassend ermöglichen somit die Strafakten gerade wegen der Besonderheiten dieses Einzelfalls dem Senat eine Rekonstruktion der Zeugeneinvernahmen, die vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes ausreicht, um zu einer sicheren Überzeugung zu kommen. Alles, was der Senat für seine eigene rechtssichere Würdigung benötigte, liegt aufgrund der strafgerichtlichen Tätigkeit und aufgrund der Zeugeneinvernahmen in der mündlichen Verhandlung des Senats vor. Demgegenüber erscheint dem Senat das komplette Wiederaufrollen der Beweisaufnahme nicht nur überflüssig, sondern wegen des langen Zeitraums seit der Tat wie dargelegt weit unterlegen bzw. ungeeignet. Dies gilt im Übrigen insbesondere für den Zeugen A. A., der zum Tatzeitpunkt bekanntlich erst neun Jahre alt gewesen ist.

Weitere Ermittlungen waren darüber hinaus ebenfalls nicht veranlasst. Im Hinblick auf die in den strafgerichtlichen Verfahren bereits gemachten Zeugenaussagen seitens der Polizei besteht kein Ansatzpunkt für die Vermutung, dass etwaige Nachfragen dort weitere Erkenntnisse hätten bringen können. Lediglich der Vollständigkeit halber weist der Senat auch darauf hin, dass die Einholung aussagepsychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten vorliegend nicht in Frage kam. Eine solche Begutachtung kommt nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. die Urteile vom 05.02.2013, a.a.O., sowie vom 21.04.2015, a.a.O.) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschluss vom 16.12.2002, Az.: 2 BvR 2099/01) nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn nämlich dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Hierfür gibt es vorliegend keinerlei Anhaltspunkte.

Die Berufung kann somit keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt u.a., dass die Klägerin im Verfahren Aktenzeichen B 9 VG 22/08 B erfolgreich war.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).