VG Augsburg, Beschluss vom 25.09.2015 - Au 5 S 15.50439
Fundstelle
openJur 2015, 18380
  • Rkr:
Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich im Wege einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Anordnung ihrer Abschiebung nach Frankreich.

Die am ... 1967 (Antragsteller zu 1) bzw. am ... 1971 (Antragsteller zu 2) in ... (Irak) geborene Antragsteller sind irakische Staatsangehörige mit arabischer Volkszugehörigkeit und christlichem Glauben.

Ihren Angaben zufolge reisten die Antragsteller erstmalig am 9. März 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei ihrer Einreise waren sie im Besitz eines am 12. Februar 2015 ausgestellten Visums der französischen Botschaft in ... (Jordanien), welches eine Gültigkeit bis zum 1. April 2015 aufwies.

Am 7. Mai 2015 stellten die Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland erstmalig Asylantrag, beschränkt auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Bei ihrer persönlichen Anhörungen gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 30. Juni 2015 gaben die Antragsteller an, dass der Bruder der Antragstellerin zu 2 in ... lebe. Weiter führten die Antragsteller aus, dass sie gerne in Deutschland bleiben möchten, da niemand bereit sei, Christen aus dem Irak aufzunehmen. In Frankreich hätten sie keine Bezugspersonen.

Für den weiteren Inhalt der persönlichen Anhörung der Antragsteller vom 30. Juni 2015 wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift des Bundesamts Bezug genommen.

Das Bundesamt hat am 5. August 2015 ein Übernahmeersuchen für die Antragsteller an die Französische Republik gerichtet.

Die Republik Frankreich hat mit Schreiben vom 11. August 2015 erklärt, dass sie die Übernahme der Antragsteller akzeptiere und ein Asylverfahren durchführen werde.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 2. September 2015 wurden die Anträge der Antragsteller als unzulässig abgelehnt (Ziff. 1). In Ziff. 2 des Bescheides wurde gegenüber den Antragstellern die Abschiebung nach Frankreich angeordnet. Ziff. 3 des Bescheides bestimmte, dass das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf null Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet werde.

Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass nach den Erkenntnissen des Bundesamtes Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vorlagen. Die Antragsteller seien im Besitz französischer Visa gewesen. Die Asylanträge seien gemäß § 27a Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) unzulässig, da Frankreich aufgrund der erteilten Visa gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Antragsteller bei ihrer persönlichen Anhörung könne nicht dazu führen, dass die Bundesrepublik Deutschland zuständiger Mitgliedsstaat für die Behandlung des Asylantrages werde. Der Bruder der Antragstellerin zu 2 stellte keinen Familienangehörigen im Sinne des Dublin III-VO dar. Auch lägen keine Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im französischen Asylverfahren vor. Dies werde von vielen deutschen Verwaltungsgerichten bestätigt. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass in Frankreich Asylsuchenden der notwendige Schutz gewährt werde, es seien keine Mängel im Asylverfahren erkennbar. Auch gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Asylbewerber in Frankreich in ihr Herkunftsland abgeschoben würden, bevor ihr Asylgesuch dort behandelt worden sei. Daher würden die Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Frankreich als zuständigem Mitgliedsstaat innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch Frankreich oder der endgültigen negativen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder einer Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung habe, durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamts vom 2. September 2015 wird ergänzend Bezug genommen.

Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 15. September 2015 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben, mit dem Antrag, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. September 2015 (Gz: ...) aufzuheben (Az: Au 5 K 15.50438). Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden worden.

Ebenfalls mit Schriftsatz vom 15. September 2015 haben die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Eine Begründung des Antrages ist nicht erfolgt.

Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte vorgelegt. Eine Antragstellung ist unterblieben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (Az: Au 5 K 15.50438) gegen die im Bescheid des Bundesamts vom 2. September 2015 enthaltene Abschiebungsanordnung der Antragsteller nach Frankreich (Ziff. 2 des Bescheids) anzuordnen, hat keinen Erfolg. Der am 15. September 2015 gestellte Antrag, der nach der Neufassung von § 34a AsylVfG auch zulässig und insbesondere statthaft ist, erweist sich als unbegründet.

Die Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. September 2015 hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 75 AsylVfG grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse der Antragsteller, von der Vollziehung des Bescheides vorläufig verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Bei der somit vorzunehmenden Interessenabwägung (vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 80 Rn. 146) sind vor allem die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Stellt sich bei summarischer Betrachtung heraus, dass die Klage aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird, so hat das Aussetzungsinteresse der Antragsteller hinter dem öffentlichen Vollziehungsinteresse zurückzustehen.

Da vorliegend die Erfolgsaussichten der von den Antragstellern erhobenen Klage als gering einzustufen sind, führt die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des Vollzugsinteresses. Der Bescheid vom 2. September 2015, mit dem das Bundesamt das Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland für unzulässig erklärt und die Abschiebung der Antragsteller nach Frankreich angeordnet hat, wird sich im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig erweisen.

Ein Asylantrag ist gemäß § 27 a AsylVfG unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Falle ist gemäß § 34 a Abs. 1 AsylVfG durch das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Staat anzuordnen; einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.

Hintergrund dieser Bestimmungen ist, dass Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft kraft Verfassungsrechts (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG) als sichere Drittstaaten gelten, während sonstige sichere Drittstaaten durch Gesetz bestimmt werden. Wer sich in einem sicheren Drittstaat aufgehalten hat, bedarf grundsätzlich nicht des Schutzes eines anderen Staates. Bei der Republik Frankreich handelt es sich um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union und damit um einen sicheren Drittstaat (§ 26 a Abs. 2 AsylVfG). Die Einreise aus einem dieser Staaten schließt die Berufung auf ein Asylrecht aus (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG).

Im vorliegenden Fall ist auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union die Republik Frankreich für die Durchführung des Asylverfahrens der Antragsteller zuständig.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Dublin III-Verordnung. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung. Die Antragsteller haben am 7. Mai 2015 in der Bundesrepublik Deutschland Asylerstantrag beschränkt auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gestellt.

Da die Antragsteller bei ihrer Einreise, was auch nicht bestritten worden ist, im Besitz eines am 12. Februar 2015 von der französischen Botschaft in ... (Jordanien) ausgestellten Visums für die Republik Frankreich (Gültigkeitsdauer bis zum 1. April 2015) waren, ist die Französische Republik gemäß Art. 12 Abs. 1 und 4 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylgesuchs der Antragsteller zuständig.

Es liegen auch keine Umstände vor, die die Zuständigkeit Frankreichs in Durchbrechung des Systems der Bestimmungen der Dublin-Verordnungen entfallen ließen.

Dem gemeinsamen Europäischen Asylsystem, zu dem insbesondere die Dublin-Verordnungen gehören, liegt die Vermutung zu Grunde, dass jeder Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EuGrCh) sowie der EMRK behandelt wird. Es gilt daher die Vermutung, dass Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat eine Behandlung entsprechend den Erfordernissen der Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention zukommt.

Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ zu Grunde liegende Vermutung ist jedoch dann als widerlegt zu betrachten, wenn in Mitgliedstaaten „nicht unbekannt sein kann“, also ernsthaft zu befürchten ist, dass dem Asylverfahren einschließlich seiner Aufnahmebedingungen in einem Mitgliedstaat derart grundlegende, systemische Mängel anhaften, dass für dorthin überstellte Asylbewerber die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EuGrCh ausgesetzt zu werden.

Als systemische Mängel sind solche Störungen anzusehen, die entweder im System eines nationalen Asylverfahrens angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von ihnen nicht nur vereinzelt oder zufällig, sondern in einer Vielzahl von Fällen objektiv vorhersehbar treffen oder die dieses System auf Grund einer empirisch feststellbaren Umsetzung in der Praxis in Teilen funktionslos werden lassen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 21.2.2014 – 10 A 10656 – juris).

In Bezug auf Frankreich ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern im Falle ihrer Rücküberstellung in dieses Land eine menschenunwürdige Behandlung droht. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass in Frankreich systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen (vgl. VG München, B.v. 16.3.2015 – M 12 S 15.50026 – juris Rn. 28; VG Augsburg, B.v 12.1.2015 – Au 7 S 14.50364 – juris; VG Bremen, B.v. 4.8.2014 – 1 V 798/14 – juris Rn. 15 ff; VG Düsseldorf, B.v. 24.7.2014 – 13 L 1502/14.A – juris). Auch liegen dem Gericht keine Erkenntnisse darüber vor, dass namhafte sachverständige Institutionen, Nicht-Regierungsorganisationen oder insbesondere der UNHCR eine Empfehlung dahingehend ausgesprochen hätten, Asylbewerber nicht nach Frankreich zu überstellen (vgl. VG München, G.v. 12.5.2014 – M 21 K 14.30320 – juris Rn. 35).

Frankreich gilt außerdem als sicherer Drittstaat im Sinne von Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylVfG. Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle konkrete Gefährdungstatbestände geltend machen kann, die ihrer Eigenart nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassungs- und Gesetzeswegen berücksichtigt werden können und damit von vorne herein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind. Dies ist – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch selbst zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93BVerfGE 94, 49).

Die Sonderfälle in diesem Sinne entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln, die zu einer Gefahr für unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden führen. Derartige Sonderfälle liegen im Falle Frankreichs nicht vor (VG München, B.v. 16.3.2015 – M 12 S 15.50026 – juris Rn. 29 f).

Auch sonstige Gründe, die die Antragsgegnerin veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, sind nicht ersichtlich. Bei dem von der Antragstellerin zu 2 benannten, sich in Deutschland aufhaltenden Bruder, handelt es sich nicht um einen Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchstabe g Dublin III-VO. Damit liegt aber auch kein Fall von Art. 10 Dublin III-VO vor.

Ein der Abschiebung nach Frankreich entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34 Abs. 1 AsylVfG ausnahmsweise von der Antragsgegnerin auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – AuAS 2014, S. 244 ff – juris Rn. 11 f; OVG NRW, B.v. 30.8.2011 – 18 B 1060/11 – juris Rn. 4), ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Auch ist die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO von 6 Monaten seit Annahme des Überstellungsgesuchs durch die Französische Republik (11. August 2015) noch nicht abgelaufen, so dass es keiner Entscheidung über die Frage bedarf, ob den Antragstellern allein aus dem Fristablauf ein subjektiv-öffentliches Recht erwachsen kann.

Schließlich begegnet die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung der Antragsteller nach Frankreich keinen Bedenken. Die französischen Behörden haben der Rückführung der Antragsteller mit Schreiben vom 11. August 2015 ausdrücklich zugestimmt.

Das in Ziffer 3. des Bescheides vom 2. September 2015 enthaltene und auf der Grundlage von § 11 AufenthG erlassene Einreise – und Aufenthaltsverbot, beinhaltet nach der von der Antragsgegnerin gewählten Fassung keine rechtliche Beschwer der Antragsteller.

Nach allem war der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen, haben die Antragsteller die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, § 159 Satz 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).