LG Hamburg, Urteil vom 19.12.2006 - 324 O 835/06
Fundstelle
openJur 2011, 14571
  • Rkr:
Tenor

I. Die einstweilige Verfügung vom 8. November 2006 wird bestätigt.

II. Die Antragsgegnerin hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin ein Äußerungsverbot auferlegt worden ist.

Der Antragsteller ist Wissenschaftler. Die Antragsgegnerin erbringt Dienstleistungen für Verlage.

Im Jahr 1986 veröffentlichte der Antragsteller in der Wochenzeitung "Die Zeit" einen Beitrag mit der Überschrift "E.", in dem er sich u.a. kritisch mit Thesen des Historikers J. befasste und der den sog. Historikerstreit auslöste. Diesen und andere Beiträge zum Historikerstreit veröffentlichte der Antragsteller später ebenfalls unter dem Titel "E." als Buch.

Im September 2006 erschien im "Rowohlt Verlag" das Buch "I." von J.. Darin enthalten ist folgende Textpassage:

"In der Tat hat es ungezählte Wege sowie Nebenpfade der Ausflucht gegeben. Einer wird von einem der führenden Köpfe des Landes berichtet. Der war in den Zeiten des ausgehenden Hitlerreiches HJ-Führer und dem Regime mit allen Fasern seiner Existenz verbunden gewesen. Auf einer Geburtstagsfeier in den achtziger Jahren habe ein ehedem Untergebener ihm, als seinem früheren HJ-Vorgesetzten, ein von diesem im Frühjahr 1945 verfasstes Schreiben über den Tisch gereicht, das ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Führer und die unerschütterliche Erwartung des Endsieges enthielt. Ohne einen genaueren Blick auf das Schriftstück zu werfen, so geht die Geschichte nach dem Zeugnis mehrerer Teilnehmer und Eingeweihter weiter, habe der Angesprochene das Papier zerknüllt, in den Mund gesteckt und nicht ohne einiges Herauf- und Herunterwürgen geschluckt. Man mag darin E. sehen, die Belastungen der Vergangenheit für sich persönlich loszuwerden."

Im April 2006 hatte F. bei dem Historiker Prof. Dr. H. angefragt, ob die soeben wiedergegebene "Anekdote" im Hinblick auf die Person des Antragstellers zutreffe. W. hatte darauf mit Schreiben vom 18.4.2006 geantwortet und den Sachverhalt im Einzelnen richtig gestellt. Unstreitig bildete der Antragsteller im Jungvolk und später in der Hitlerjugend Jungen in "Erster Hilfe" aus. Er hatte dabei auf die Einhaltung der freiwillig eingegangenen Teilnahmeverpflichtung zu achten. Sonstige "Führungsaufgaben" nahm er nicht wahr. Einer der Teilnehmer eines sog. Feldscherkurses des Antragstellers war H.. Nachdem dieser bei einem Kurs gefehlt hatte, erhielt er vom Antragsteller im Jahr 1943 eine "Aufforderung zum Dienst". Hierbei handelte es sich um einen Vordruck, den der Antragsteller mit den erforderlichen Daten (wie Name und Zeitangabe) und seiner Unterschrift versehenen hatte. In den 60er oder 70er Jahren - nachdem sich W. und der Antragsteller näher kennen gelernt hatten - erinnerte W. den Antragsteller an dieses Dokument und sandte es ihm zu. Der Antragsteller reagierte darauf nicht. Später erkundigte sich W. während eines gemeinsamen Urlaub bei der Frau des Antragstellers nach dem Verbleib der "Aufforderung zum Dienst". Darauf erwiderte diese in einer für die vier anwesenden Personen ersichtlich ironischen Art: "Er hat ihn verschluckt." Tatsächlich war der Zettel im Papierkorb gelandet.

Die Antragsgegnerin hat auf der Grundlage eines Vertrags mit dem "Rowohlt Verlag" hinsichtlich des Buches "I." von J. im Namen und für Rechnung des Verlages Bestellungen von Buchhändlern und Zwischenbuchhändlern angenommen, per EDV bearbeitet und abgerechnet.

Der Antragsteller hat eine einstweilige Verfügung der Kammer vom 8.11.2006 erwirkt, mit der der Antragsgegnerin untersagt worden ist, die oben zitierte Textpassage aus dem Buch "I." zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen.

Dagegen hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt. Sie vertritt die Ansicht, sie sei nicht passivlegitimiert, denn sie habe von der behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzung keine Kenntnis gehabt. Eine Überprüfung des Inhalts der von ihr betreuten Bücher sei ihr schon deshalb nicht möglich, weil sie auf diese Bücher gar keinen körperlichen Zugriff habe; sie sei ein reines Serviceunternehmen. Im Übrigen habe es die angegriffene Anekdote so tatsächlich gegeben. J. habe sie sich nicht zu Eigen gemacht. Der Antragsteller habe an dieser Anekdote auch über Jahrzehnte keinen Anstoß genommen. Schließlich sei er aus der angegriffenen Anekdote heraus nur für diejenigen Leser erkennbar, denen sie ohnehin schon bekannt gewesen sei.

Es gehe nicht um einen Angriff auf den Antragsteller, sondern um die exemplarische Schilderung der völlig unzureichenden Aufarbeitung eigener Verstrickungen vieler in das NS-System. Jedenfalls sei eine Aufbrauchfrist zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die einstweilige Verfügung aufzuheben und den ihr zugrunde liegenden Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die einstweilige Verfügung zu bestätigen.

Er verteidigt den Bestand der einstweiligen Verfügung.

Die Sache 324 O 815/06 ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.

Gründe

I.)

Die einstweilige Verfügung war zu bestätigen, denn sie ist auch nach dem Ergebnis der Widerspruchsverhandlung zu Recht ergangen. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit Artikeln 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG zu.

1.) Der Antragsteller ist in der angegriffenen Textpassage erkennbar. Erkennbarkeit ist bereits dann gegeben, wenn der Betroffene nur befürchten muss, dass sich seine Identität für einen Teil des Rezipientenkreises aus den in der angegriffenen Publikation übermittelten (Teil-)Informationen ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt (BVerfG, 1 BvR 263/03 vom 14.7.2004, Absatz-Nr. 12 f., www.bverfg.de; BGH, Urteil vom 26. Januar 1971, Az.: VI ZR 95/70, Juris, Orientierungssatz). Dies ist vorliegend der Fall. Die Publikationen des Antragstellers unter dem Titel "E." sind so bekannt, dass er ohne weiteres befürchten muss, dass zahlreiche Leser aus der Formulierung "Man mag darin E. sehen..." im Zusammenhang mit dem Hinweis, dass es um einen der "führenden Köpfe des Landes" gehe, auf ihn schließen werden. Darauf kommt es vorliegend allerdings schon gar nicht an, denn der Antragsteller hat Zeitungspublikationen verschiedener Verlage vorgelegt, in denen ausdrücklich festgestellt wird, dass mit der angegriffenen Passage nur er gemeint sein könne (vgl. etwa Anlagen Ast. 3, 7, 10 in der Sache 324 O 815/06). Der Antragsteller muss also nicht nur befürchten, erkannt zu werden, er ist vielmehr bereits erkannt worden.

2.) Die angegriffenen Textpassage verletzt den Antragsteller in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Artikeln 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.

Der tatsächliche, d.h. den Mitteln der Beweisführung zugänglich Inhalt dieser Passage ist unstreitig unwahr. Der Antragsteller hat die von ihm an H. versandte "Aufforderung zum Dienst" - die im Übrigen nicht aus dem Jahr 1945 stammt, sondern bereits 1943 verfasst wurde - nicht heruntergeschluckt, schon gar nicht auf einer Geburtstagsfeier in den achtziger Jahren. Die äußerungsrechtliche Relevanz dieser Falschbehauptung ist beträchtlich, denn sie legt den Schluss nahe, der Antragsteller habe sich seines Schreibens in einem solchen Ausmaße geschämt, dass er keinen anderen Ausweg gesehen habe, als es in dem Augenblick, in dem er damit konfrontiert wurde, zu vertilgen.

Die Aussagen, der Antragsteller sei "dem Regime mit allen Fasern seiner Existenz verbunden gewesen" und sein Schreiben habe "ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Führer und die unerschütterliche Erwartung des Endsieges" enthalten, sind zwar als Meinungsäußerungen anzusehen, denn sie lassen sich mit den Mitteln der Beweisführung nicht aufklären. Sie sind aber gleichwohl von der Meinungsäußerungsfreiheit im Sinne des Artikel 5 Abs. 1 GG nicht gedeckt. Zwar dürften Auseinandersetzungen mit dem Verhältnis des Antragstellers zum Naziregime eine "die Öffentlichkeit wesentlich berührende umstrittene Angelegenheit" betreffen (zu diesem Merkmal: BVerfG, 1 BvR 49/00 vom 24.5.2006, Leitsatz 5.a.), www.bverfg.de). Es handelt sich bei den angegriffenen Meinungsäußerungen aber um unzulässige "Schmähkritik". Darunter versteht man Äußerungen, die primär auf eine Herabsetzung der Person, nicht auf eine Auseinandersetzung in der Sache zielen (BVerfG, a.a.O., Absatz-Nr. 42). Entscheidend ist insoweit, ob es für die jeweilige Äußerung - gemessen an ihrer jeweiligen Eingriffsintensität - hinreichende tatsächliche Anknüpfungspunkten gibt (Soehring, Presserecht, 3. Aufl., Rn. 20.9). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die angegriffenen Äußerungen erwecken den Anschein, der Antragsteller sei ein glühender Anhänger des Nazi-Regimes gewesen. Dass dies geeignet ist, ihn im öffentlichen Ansehen schwer herabzuwürdigen, bedarf keiner näheren Begründung. Vor diesem Hintergrund kann der schlichte Umstand, dass der Antragsteller als Leiter eines Erste-Hilfe-Kurses eine formularmäßige "Aufforderung zum Dienst" ausfüllte, als Anknüpfungstatsache für die Bewertung, sein Schreiben habe "ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Führer und die unerschütterliche Erwartung des Endsieges" enthalten, bei aller Freiheit zu polemischer Überspitzung nicht ausreichen. Gleiches gilt für die Bewertung, er sei "dem Regime mit allen Fasern seiner Existenz verbunden gewesen".

3.) Die Antragsgegnerin ist hinsichtlich der Verbreitung der angegriffenen Passage als Störerin anzusehen, denn durch die Annahme, Bearbeitung und Abrechnung der Bestellungen von Buchhändlern und Zwischenbuchhändlern wirkte sie an der Verbreitung des Buches "I." kausal mit, mag sie auch auf das Werk keinen persönlichen Zugriff gehabt haben.

Die Grundsätze der eingeschränkten Verbreiterhaftung, insbesondere eine Rechtfertigung wegen der "Wahrnehmung berechtigter Interessen", kommen vorliegend nicht in Betracht, denn der Autor - J. - hat sich die angegriffene Passage in seinem Buch zu Eigen gemacht. Für den Durchschnittsleser verbleibt kein Zweifel, dass F. davon überzeugt war, dass sich die Geschichte wie beschrieben zugetragen hat. Dies folgt schon aus der Berufung auf das "Zeugnis mehrerer Teilnehmer und Eingeweihter" sowie aus der resümierenden Anmerkung "Man mag darin E. sehen, ...".

Auf die Frage, ob die Antragsgegnerin im Rahmen der Verbreitung des Buches eigene Prüfpflichten verletzt hat, kommt es nach Auffassung der Kammer nicht an. Wie der Bundesgerichtshof festgestellt hat, kann im presserechtlichen Bereich der Unterlassungsanspruch nicht nur gegen Autor und Verleger gerichtet werden, sondern ebenso gegen alle sonstigen Personen, die bei der Herstellung und Verbreitung des Publikationsmittels mitgewirkt haben oder in der Zukunft mitwirken werden, wie z.B. Grossisten oder Inhaber von Vertriebsstellen. Auf die Kenntnis der die Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit begründenden Umstände kommt es insoweit nicht an, denn der Betroffene muss die Möglichkeit haben, auch bereits im Vertreib befindliche Schriften "anzuhalten", bei denen sich Autor und Verleger darauf berufen könnten, sie seien nunmehr ihrer Einflussnahme entzogen (Urteil vom 3.2.1976, Az.: VI ZR 23/72, Juris, Absatz-Nr. 24 f.).

Auch der Umstand, dass die angegriffenen Äußerungen bereits anderweitig verbreitet worden sein mögen, ohne dass der Antragsteller dagegen vorgegangen wäre, kann die Haftung der Antragsgegnerin nicht entfallen lassen. Dem Verletzen steht es grundsätzlich frei, selbst zu entscheiden, gegen welchen von mehreren Verletzern er vorgehen möchte. Im Übrigen hat die Antragsgegnerin bereits nicht substantiiert vorgetragen, dass es in der Vergangenheit auch schon zu einer massenmedialen Verbreitung der angegriffenen Äußerungen gekommen ist, von der der Antragsteller Kenntnis hatte.

Schließlich ist das begehrte Verbot der Antragsgegnerin auch zumutbar. Es zwingt sie nicht etwa zu einer allgemeinen Kontrolle sämtlicher von ihr vertriebener Bücher, sondern bezieht sich nur auf das Buch "I." von J.. Die Antragsgegnerin ist demnach nur gehalten, zukünftig jeweils ein Exemplar dieses Buches auf die verbotene Äußerung hin zu überprüfen (vgl. zum Gesichtspunkt der auf eine bestimmte Publikation beschränkten Überprüfungspflicht: BGH, a.a.O., Absatz Nr. 29 ff.).

4.) Die Wiederholungsgefahr ist durch die rechtswidrige Erstbegehung indiziert.

5.) Eine Aufbrauchfrist für die bereits ausgedruckten und aufgebundenen Exemplare des Buches "I." war der Antragsgegnerin nicht zu gewähren. Die Zubilligung einer solchen Frist kommt gemäß § 242 BGB in Betracht, wenn ohne sie die Folgen des Verbotes für den Verletzer gemessen an den Umständen des Einzelfalls als unverhältnismäßig erscheinen (vgl. dazu: Prinz/Peters, Medienrecht, 1999, Rn. 419 ff.). Das ist vorliegend nicht der Fall. Zwar erfasst das streitgegenständliche Verbot nur eine kurze Passage des Werkes "I.", und es ist absehbar, dass der Antragsgegnerin durch das Verbot Schäden drohen könnten. Es ist aber andererseits zu berücksichtigen, dass die angegriffene Passage - wie bereits ausgeführt - das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers massiv beeinträchtigt. Zudem hat in die Gesamtabwägung einzufließen, dass J. bereits durch das Schreiben W. vom 18.4.2006, also ca. fünf Monate vor Erscheinen seines Buches, davon in Kenntnis gesetzt worden war, dass die angegriffene "Anekdote" nicht zutrifft. Gründe, die J. hätten hindern können, dieses Schreiben in der Endfassung seines Buches zu berücksichtigen, hat die Antragsgegnerin nicht substantiiert vorgetragen. Der Antragsteller hat vielmehr unbestritten dargelegt, dass F. nach dem Empfang des W.-Briefes u.a. noch einen Preis entgegennahm (Anlage Ast. 19 im Verfahren 324 O 815/06), ein Interview gab (Anlage Ast. 20 324 O 815/06) und einen Zeitungsartikel verfasste (Anlage Ast. 21 324 O 815/06). Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum er nicht auch in der Lage gewesen sein sollte, das Schreiben W. in die Endfassung seines Buches einfließen zu lassen. Demnach ist von einem vorsätzlichen Verstoß gegen die journalistische Sorgfalt auszugehen. Diesen Verstoß muss sich die Antragsgegnerin im Rahmen der vorliegenden Abwägung zurechnen lassen.

II.)

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

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