VG Düsseldorf, Beschluss vom 04.03.2015 - 14 L 484/15
Fundstelle
openJur 2015, 21532
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Antragstellers,

die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 1148/15 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2015 wiederherzustellen,

hat keinen Erfolg.

Der Antrag ist zulässig.

Der erhobenen Klage kommt hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins wegen der behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 112 Satz 1 des Justizgesetzes Nordrhein-Westfalen (JG NRW) keine aufschiebende Wirkung zu.

Der Antrag ist jedoch unbegründet.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt wiederherstellen bzw. anordnen, wenn bei einer Interessenabwägung das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegt. Dies kommt dann in Betracht, wenn die angefochtene Verfügung offensichtlich rechtswidrig ist oder aus anderen Gründen das Interesse des Antragstellers an der beantragten Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Vorliegend überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.

In formeller Hinsicht genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung dem in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO normierten Begründungserfordernis. Die Antragsgegnerin war sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst und hat dies in der angefochtenen Verfügung hinreichend zum Ausdruck gebracht. Dem stehen auch möglicherweise formelhaft klingende Wendungen angesichts der Vielzahl vergleichbarer Verfahren und der jeweils sehr ähnlich gelagerten widerstreitenden Interessen nicht entgegen.

Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 19. März 2012 - 16 B 237/12 -, Rn. 2, juris; OVG NRW, Beschluss vom 7. April 2014 - 16 B 89/14 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 14. November 2014 - 16 B 1195/14 - juris; VGH Bayern, Beschluss vom 15. Juni 2009- 11 CS 09.373 -, Rn. 19, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Januar 2012 - 6 L 1971/11 -,Rn. 2, juris.

Das Erlassinteresse und das Interesse an der sofortigen Vollziehung können - gerade im Gefahrenabwehrrecht - durchaus zusammenfallen, wobei die Frage, ob die Abwägung inhaltlich tragfähig ist, keinen Aspekt des Formerfordernisses gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO darstellt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2012 - 16 B 237/12 -, Rn. 2, juris; OVG NRW, Beschluss vom 8.August 2008 - 13 B 1122/08 -, Rn. 4, 6, juris.

Die angefochtene Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2015 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung auch in materieller Hinsicht als offensichtlich rechtmäßig. Die in der Hauptsache erhobene Klage wird voraussichtlich erfolglos bleiben.

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung maßgeblich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2008 - 3 C 26.07 -, Rn. 16, juris; OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2012 - 16 B 356/12 -, Rn. 6, juris.

Die Verfügung findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV -). Nach dieser Vorschrift hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.

Der am 00.00.1920 geborene Antragsteller beschädigte am 31. Oktober 2014 selbst seinen PKW, indem er auf dem Parkplatz eines Friedhofes beim Rückwärts-Ausparken aus einer Parkbox den Vorwärtsgang seines Automatikgetriebes einlegte und sodann mit seinem Fuß vom Bremspedal abrutschte, so dass der PKW schnell beschleunigt wurde und vorwärts gegen einen circa drei Meter entfernt stehenden Baum fuhr. Dadurch wurde die gesamte Front des PKW stark eingedrückt, so dass das Fahrzeug nicht mehr fahrbereit war. Die Beifahrerin, die Ehefrau des Antragstellers, wurde bei dem Zusammenstoß leicht am rechten Schienbein verletzt. Bei seiner Vorsprache bei der Antragsgegnerin am 13. November 2014 gab der Antragsteller an, dass er "die Pedale verwechselt habe".

Nach dem von der Antragsgegnerin nach diesem Vorfall angeforderten Eignungsgutachten vom 12. Dezember 2014 durch den TÜV-Nord E. zeigen die in der 30-minütigen Fahrprobe festgestellten Verhaltensweisen des Antragstellers, dass eine ausreichende Beherrschung des Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr nicht gegeben ist.

In dem Gutachten wurden die einzelnen Fehlverhalten, wie z.B. ein dreimaliges Nichtbeachten der Regelung "Rechts vor Links" und ein zweimaliges Nichtbeachten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit angegeben. Der Gutachter hat zudem die einzelnen Verkehrsverstöße detailliert beschrieben und u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller bei einer Rechtsvorlinks-Situation trotz fehlender Sicht auf den Querverkehr keine Reaktion gezeigt habe. Im Bereich eines Fußgängerüberweges sowie einer Baustelle sei er deutlich zu schnell gefahren. Bei dem Auffahren auf die Autobahn sei er zögerlich und unsicher gewesen. Der Gutachter führt unter der Rubrik "Orientierende Beobachtung" aus, dass der Antragsteller Verkehrssituationen oder Verkehrsschilder nicht wahrnehme und dass sein Orientierungsverhalten eingeschränkt sei. Auch habe er sich bei einem Links-Abbiege-Vorgang so auf dem Fahrstreifen des Gegenverkehrs eingeordnet, dass der begleitende Fahrlehrer aufgrund des nahenden Gegenverkehrs habe eingreifen und das Fahrzeug wieder auf die rechte Fahrbahnseite habe lenken müssen. Zudem sei eine Beobachtung des rückwärtigen Verkehrs durch den linken Außenspiegel und den Innenspiegel nur ansatzweise zu erkennen gewesen.

Damit wurden in dem Gutachten die wesentlichen Details der Fahrprüfung angegeben. Das Ergebnis, dass der Antragsteller den Fahrtest nicht bestanden hat, ist vor allem vor dem Hintergrund schlüssig und nachvollziehbar, dass die Vielzahl der Verkehrsverstöße nur innerhalb von 30 Minuten begangen wurden.

Die Frage, ob die Anforderung des Gutachtens durch die Fahrerlaubnisbehörde zu Recht erfolgt ist, ist ohne Bedeutung. Nach dem Bekanntwerden des Gutachtens bei der Fahrerlaubnisbehörde stellt dieses eine neue Tatsache im Verfahren dar, der selbständige Bedeutung zukommt,

vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1982, BVerwGE 65, 157.

Damit hat der Gutachter die Kraftfahreignung des Antragstellers derzeit uneingeschränkt verneint. Das Gericht sieht keinen Anlass, die Einschätzung des Gutachters, die im Übrigen derjenigen des Hausarztes des Antragstellers, Herrn Dr. C. , entspricht, in Frage zu stellen und ein amtsärztliches Gutachten anzuordnen. Denn der Hausarzt hat mit E-Mail vom 14. Januar 2015 schriftlich seine bereits telefonisch vorgetragenen Bedenken gegen die Kraftfahreignung des Antragstellers bestätigt. Nach dem Ergebnis des vorliegenden Gutachtens könnte auch ein positives amtsärztliches Gutachten die Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers nicht ausräumen.

Zwar ist ein hohes Alter eines Fahrerlaubnisinhabers für sich genommen noch kein Grund, die Fahreignung anzuzweifeln. Allerdings führt eine nicht bestandene praktische Fahrprobe, die ein geeignetes Mittel zur Überprüfung der Kraftfahreignung ist, zu der Verneinung dieser Kraftfahreignung,

vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., 2015, § 2 StVG, Rdnr. 43, § 11 FeV, Rdnr. 27; VG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 2013 - 6 L 299/13 - juris, m.w.N..

Vorliegend liegt daher wegen der nicht bestandenen Fahrprobe ein Befähigungsmangel im Sinne des § 46 Abs. 4 FeV vor, der zwingend zum Entzug der Fahrerlaubnis führt.

Auch die Interessenabwägung im Übrigen geht zu Lasten des Antragstellers aus. Denn in aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -, Rn. 50 ff., juris; BVerfG, Beschluss vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, Rn. 4, juris; OVG NRW, Beschluss vom 11. September 2012 - 16 B 944/12 -, Rn. 11, juris; OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012- 16 B 1106/12 -, Rn. 7, juris.

Rechtliche Bedenken gegen die in der Ordnungsverfügung vom 14. Januar 2015 getroffenen sonstigen Entscheidungen bestehen ebenfalls nicht.

Die Verpflichtung zur Vorlage des Führerscheins folgt aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FeV. Die mit der Fahrerlaubnisentziehung verbundene Zwangsgeldandrohung ist gemäß §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) rechtmäßig.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Das Interesse an der Fahrerlaubnis der betroffenen Klassen wird in Klageverfahren nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2012 - 16 B 1106/12 -, Rn. 9, juris,

der das Gericht folgt, mit dem Auffangwert des GKG angesetzt. Im Verfahren betreffend die Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ermäßigt sich dieser Betrag um die Hälfte.