Hamburgisches OVG, Beschluss vom 20.06.2005 - 3 Bs 72/05
Fundstelle
openJur 2011, 13960
  • Rkr:

Gelegentlicher Cannabiskonsum kann grundsätzlich, wenn einer der in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung genannten weiteren Umstände wie die fehlende Trennung von Konsum und Fahren hinzutritt, die Nichteignung begründen, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug, insbesondere ein Mofa, zu führen.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung darf im Falle der nach § 3 Abs. 1 FeV ausgesprochenen Untersagung, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug zu führen, wegen der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer regelmäßig erfolgen und in allgemeiner Form mit der Ungeeignetheit des Betroffenen begründet werden.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 11. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerde ist zulässig; sie ist insbesondere nach §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ist der Prüfungsumfang des Oberverwaltungsgerichts bei Beschwerden gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beschränkt. Danach prüft das Beschwerdegericht nur die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe. Auf dieser Grundlage hat die Beschwerde in der Sache keinen Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO nicht bereits deshalb (teilweise) Erfolg, weil die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 16. September 2004 gegebene Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung bzw. die Begründung, mit der die Antragsgegnerin die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2005 aufrechterhalten hat, soweit es um die Untersagung geht, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug zu führen, nicht dem Gebot des § 80 Abs. 3 VwGO genügen. Dieses wäre nur dann der Fall, wenn es an einer Begründung fehlt, sich eine tatsächlich gegebene Begründung in einer Wiederholung des Gesetzeswortlautes erschöpft, sie über allgemeine, den zu entscheidenden Einzelfall unberücksichtigt lassende Formeln nicht hinausgeht oder sich in anderer Weise erweist, dass die Behörde das Regel-Ausnahme-Prinzip des § 80 Abs. 1 und 2 VwGO missachtet hat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 4.6.1996 - OVG Bs III 106/96 -). So liegt es hier jedoch nicht. Die Antragsgegnerin hat zur Begründung in den angefochtenen Bescheiden ausgeführt, dass der Antragsteller - derzeit - als ungeeignet anzusehen sei, ein Mofa zu führen, und dass von ungeeigneten Fahrern eines Kraftfahrzeugs eine erhöhte Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer ausgehe. Weiter hat sie auf die schützenswerten und besonders hoch zu bewertenden Interessen anderer Verkehrsteilnehmer abgestellt, den Gefahren für Gesundheit und Leben, die von einem ungeeigneten Verkehrsteilnehmer ausgehen, nicht ausgesetzt zu werden. Indem die Antragsgegnerin zudem dargetan hat, dass diesem Interesse nur dadurch Rechnung getragen werden könne, dass die verfügte Untersagung schon vor dem Abschluss eines Rechtsmittelverfahrens "vollstreckbar" werde, hat sie überdies deutlich gemacht, dass der Antragsteller ohne die Anordnung des Sofortvollzugs Rechtsgüter anderer Menschen vor Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung gefährden könnte. Diese Begründung zeigt, dass einer der Zwecke des § 80 Abs. 3 VwGO, nämlich die Verwaltung dazu anzuhalten, die Notwendigkeit einer sofortigen Vollziehung sorgfältig zu prüfen, hier erreicht worden ist. Sie genügt darüber hinaus dem weiteren Zweck der Vorschrift, den betroffenen Bürger in die Lage zu versetzen, seine Rechte wirksam wahrzunehmen und die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels abzuschätzen.

Dem Antragsteller ist zwar einzuräumen, dass die von der Antragsgegnerin gewählten Begründungen mehr oder weniger für sämtliche Fälle der Untersagung des Führens eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs passen. Diese Allgemeinheit ist jedoch kein Mangel der Begründung, der ihre Aufhebung zur Folge haben müsste. Der Beschwerdesenat hat für die Entziehung der Fahrerlaubnis entschieden, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung abweichend von dem Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO nicht nur ausnahmsweise, sondern wegen der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer regelmäßig erfolgen und in allgemeiner Form mit der Ungeeignetheit des Kraftfahrers begründet werden darf (Beschl. v. 25.4.1995 - OVG Bs VII 42/95 -; Beschl. v. 4.6.2002 - 3 Bs 85/02 -).

Diese Bewertung des Vollziehungsinteresses, die den Umfang der Begründungspflicht mindert, ist in dem zur Entscheidung stehenden Fall nicht deshalb in Frage zu stellen, weil es hier nicht um die Entziehung einer Fahrerlaubnis, sondern um die Untersagung, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug zu führen, geht. Die Gefahren, die von dem Führer eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs ausgehen, mögen zwar etwas geringer einzustufen sein als diejenigen, die ungeeignete Kraftfahrer verursachen, die erlaubnispflichtige Fahrzeuge führen. Sie sind aber immer noch erheblich genug, um es auch hier für bedenkenfrei zu halten, wenn die Behörde bei der Untersagung, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug zu führen, die sofortige Vollziehung regelmäßig mit der Begründung fehlender Eignung anordnet; auch in dieser Konstellation würde es angesichts der Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit eine Übersteigerung der Anforderungen bedeuten, wenn von der Behörde erwartet wird, dass sie sich in ihrer Begründung eingehend mit allen Gesichtspunkten befasst, die im Einzelfall für das jeweilige Maß der von dem Betroffenen ausgehenden Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer von Bedeutung sind.

Denn Verkehrsunfälle, die ungeeignete Fahrer erlaubnisfreier Kraftfahrzeuge verursachen, können ebenfalls mit schwerwiegenden Folgen für Gesundheit und Leben anderer Verkehrsteilnehmer verbunden sein. Zwar sind andere motorisierte Verkehrsteilnehmer - insbesondere Autofahrer - bei Kollisionen mit einem Mofa grundsätzlich weniger stark gefährdet als im Fall von Zusammenstößen etwa mit einem Personenkraftwagen. Die Folgen einer Kollision können für Fußgänger und Radfahrer aber schon beträchtlich sein. Bei der hier vorzunehmenden Gewichtung der Interessen der Allgemeinheit sind überdies nicht nur die unmittelbaren Folgen eines Zusammenstoßes, sondern auch die mittelbaren Folgen der fehlenden Fahreignung des Führers eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs in den Blick zu nehmen. Auch bei einem im Cannabis-Rausch fahrenden Fahrer eines solchen Kraftfahrzeugs ist grundsätzlich damit zu rechnen, dass er zu einer erhöhten Risikobereitschaft neigt, seine Aufmerksamkeit gestört, seine Sehschärfe wegen einer inadäquaten Weitstellung der Pupillen herabgesetzt ist und er infolge dieser Erscheinungen verzögert und unangemessen auf die im Straßenverkehr auftretenden Ereignisse reagiert (vgl. zu diesen Folgen BVerfG, Beschl. v. 20.6.2002, NJW 2002, 2378, in juris Rnrn. 27 ff.). Motorisierte Verkehrsteilnehmer, die sich schneller als Mofas im Straßenverkehr bewegen, gefährden sich und andere erheblich, wenn sie wegen der unvorhersehbaren Fahrweise eines unter Cannabis-Einfluss fahrenden Mofa-Fahrers zu riskanten und folgenschweren Ausweichmanövern verleitet werden. Angesichts der allgemein erheblichen Verkehrsdichte darf die Wahrscheinlichkeit, dass eine derartige Situation eintritt, auch nicht als gering angesehen werden. Die Folgen eines auf solche Art verursachten Unfalls sind dabei genauso schwerwiegend wie die Folgen eines Verkehrsunfalls, die durch einen ungeeigneten PKW-Fahrer entstehen. Schließlich ist zu beachten, dass die Untersagung, erlaubnisfreie Kraftfahrzeuge zu führen, schon eine hinreichende Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Verkehrsverstößen des jeweiligen Kraftfahrers voraussetzt.

2. Das Vorbringen des Antragstellers, es liege kein überwiegendes Vollziehungsinteresse vor, weil er - da er nicht drogenabhängig sei - andere Verkehrsteilnehmer nicht in einem so hohen Maße gefährde, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht abgewartet werden könne, kann die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht erschüttern.

a) Das Verwaltungsgericht hat den Antragsteller für ungeeignet zum Führen erlaubnisfreier Kraftfahrzeuge gehalten, weil dieser gelegentlich Cannabis einnehme und nicht zwischen dem Konsum und dem Führen eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs trennen könne. Das fehlende Trennungsvermögen hat das Verwaltungsgericht mit der Mofa-Fahrt unter Cannabis-Einfluss am Abend des 5. Mai 2004 begründet. Demgegenüber hatte die Antragsgegnerin die Frage, ob der Antragsteller zwischen Cannabis-Konsum und der Teilnahme am Straßenverkehr trennen könne, erst noch durch die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens einschließlich Drogenscreenings klären wollen. Da der Antragsteller jedoch der Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei diesem Sachverhalt sei auch ohne die Anforderung und Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens von der mangelnden Fahreignung des Antragstellers auszugehen, nicht substantiiert entgegengetreten ist, ist der Beschwerdesenat zu einer Überprüfung der angefochtenen Entscheidung insoweit nicht befugt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

b) Soweit sich der Antragsteller mit seinem Vorbringen dagegen wenden will, dass das Verwaltungsgericht grundsätzlich die in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung getroffenen Regelungen, die ausdrücklich nur die Eignung von Fahrern erlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge betreffen, zum Maßstab für die Frage der Eignung genommen hat, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug zu führen, folgt ihm das Beschwerdegericht nicht.

Schon angesichts der bereits oben beschriebenen Auswirkungen von Cannabis-Konsum auf die Fahrtüchtigkeit auch des Führers eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs und im Hinblick auf die deshalb zu befürchtenden Verkehrsunfälle mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit und das Leben der anderen Verkehrsteilnehmer spricht im Rahmen des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich nichts dafür, dass bei der Beurteilung der Eignung des Führers eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs wesentlich größere drogenkonsumbedingte Beeinträchtigungen der Fahrtüchtigkeit in Kauf zu nehmen wären als in Bezug auf die Fahreignung hinsichtlich der in der Anlage 4 angeführten Fahrerlaubnisklassen. Erst recht ist nichts dafür ersichtlich, dass das Stadium der Abhängigkeit von dieser Droge erreicht sein müsste, um von einer die Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtfertigenden Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgehen zu können. Je stärker der Konsum ausfällt, desto größer ist zwar die Gefährdung anderer anzunehmen. Ein Mofa-Fahrer stellt aber nicht erst im Falle regelmäßiger Einnahme von Cannabis eine Gefährdung der anderen Teilnehmer am Straßenverkehr dar. Schon der gelegentliche Konsum kann die fehlende Eignung begründen, wenn zusätzlich einer der in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung angeführten Umstände hinzutritt, insbesondere also die Trennungsbereitschaft fehlt. Eine abweichende gesetzliche Wertung ist nicht zu erkennen. § 3 Abs. 2 FeV erklärt die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV - und damit nach § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV auch die Anlage 4 - für entsprechend anwendbar. Dass der Verordnungsgeber die von einem Mofa-Fahrer ausgehenden Gefahren nicht als gering einschätzt, zeigen zudem die Bestimmungen in § 5 FeV. Andernfalls hätte er kein Bedürfnis für die dort getroffenen Regelungen gesehen, die von Mofa-Fahrern bestimmte Kenntnisse fordern sowie die Pflicht begründen, eine Prüfbescheinigung bei sich zu führen, und es damit ermöglichen, Zuwiderhandlungen gegen ausgesprochene Untersagungen leichter festzustellen.

c) Soweit die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht argumentiere widersprüchlich, wenn es ein fehlendes Trennungsvermögen des Antragstellers auf Seite 3 letzter Absatz des Beschlusses als gegeben angesehen, aber auf Seite 5 zweiter Absatz eingeräumt habe, dass diesbezüglich noch keine zweifelsfreie Klärung vorliege, ist diese Rüge unbegründet: Ein Widerspruch kann nicht festgestellt werden. Denn während das Verwaltungsgericht auf Seite 3 des angefochtenen Beschlusses zur Eignung des Antragstellers, ein erlaubnisfreies Kraftfahrzeug zu führen, und dabei bezogen auf das fehlende Trennungsvermögen des Antragstellers ausführt, dass dieser Mangel durch dessen Fahrt am 5. Mai 2004 belegt sei, stellen die Ausführungen auf Seite 5 zweiter Absatz lediglich die Äußerungen der Antragsgegnerin in ihrer Anordnung vom 3. August 2004 und nicht etwa die Ansichten des Verwaltungsgerichts dar.

Doch selbst wenn der Antragsteller mit diesem Einwand rügen will, dass das Verwaltungsgericht die Gefahren, die durch das Führen eines erlaubnisfreien Kraftfahrzeugs entstehen, nicht anders hätte beurteilen dürfen als diejenigen, die von Radfahrern ausgehen, könnte der Antragsteller daraus im Rahmen der Entscheidung über die vorliegende Beschwerde nichts für sich herleiten. Die Richtigkeit der Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur fehlenden Fahreignung des Antragstellers in Bezug auf erlaubnisfreie Kraftfahrzeuge hängt nicht davon ab, welche Anforderungen es an die Eignung des Antragstellers zum Radfahren gestellt hat. Ob das Verwaltungsgericht die Eignung des Antragstellers zum Radfahrern richtig beurteilt hat, ist im Übrigen nicht Gegenstand dieser Entscheidung, da dieser Teil des Beschlusses des Verwaltungsgerichts nicht angegriffen worden ist.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Den für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Wert der Untersagung, erlaubnisfreie Kraftfahrzeuge zu führen, bemisst das Beschwerdegericht mit dem halben Auffangwert. Dieser Wert ist in Hinblick auf das vorliegende einstweilige Rechtsschutzverfahren nochmals zu halbieren.