LG Wuppertal, Urteil vom 18.06.2015 - 9 S 66/15
Fundstelle
openJur 2015, 17073
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Amtsgerichts Solingen vom 10.03.2015 (Az. 12 C 18/15) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, unter Aufsicht des zuständigen Gerichtsvollziehers, gegebenenfalls durch zwangsweise Öffnung, den mit einem Ausweis versehenen Beauftragten der Stadtwerke P Netz GmbH Zutritt zu dem Haus Xxx in P zu gestatten und die Einstellung der Stromversorgung durch Sperrung, nötigenfalls Ausbau, des Zählers Nr. ... zu dulden.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragsgegnerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin wird von der Antragstellerin unter der im Tenor genannten Lieferadresse mit Strom versorgt. Die monatlichen Abschläge betragen 991,00 €, es handelt sich um eine gewerblich genutzte Immobilie. Die Antragsgegnerin hat seit Vertragsbeginn keinerlei Zahlungen geleistet und ist somit die Zahlung der Jahresrechnung vom 01.12.2014 über 1.652,36 € sowie jedenfalls der Abschläge für Januar und Februar 2015 schuldig geblieben. Die Antragstellerin begehrt die Unterbrechung der Stromversorgung nach § 19 Abs. 2 StromGVV. Mit Schreiben vom 19.12.2014 wurde der Antragsgegnerin eine Liefersperre mit vierwöchiger Frist angedroht. Am 09.02.2015 - nachdem die beabsichtigte Sperrung am 03.02.2015 schriftlich angekündigt wurde - versuchte ein Mitarbeiter des Netzbetreibers im Auftrag der Antragstellerin erfolglos, Zutritt zu dem Zähler zu erhalten.

Das Amtsgericht hat den sodann gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, die Sperrung/den Ausbau des Zählers zu dulden, durch ein sogenanntes "unechtes Versäumnisurteil" zurückgewiesen. Die Antragstellerin habe zwar nach § 19 Abs. 2 StromGVV einen Anspruch auf Unterbrechung der Grundversorgung, es bestehe jedoch kein Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung würde der Anspruch auf Unterbrechung der Grundversorgung erfüllt und die Hauptsache vorweggenommen. Das Hauptsacheverfahren sei nicht auf Zahlung der Rückstände gerichtet, sondern ebenfalls in der Duldung des Zutritts zur Wohnung nebst Sperrung/Ausbau des Zählers. Der Antragstellerin sei es zuzumuten, ihren Anspruch aus § 19 Abs. 2 StromGVV im ordentlichen Klageverfahren geltend zu machen, zumal zu erwarten sei, dass ein Versäumnisurteil ergehen könne und damit kein langwieriges Verfahren durchzuführen sein werde.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragstellerin, die ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Von einer weiteren Sachverhaltsdarstellung wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht anwaltlich vertreten wurde, war ein Versäumnisurteil zu erlassen, denn die Klägerin hat den geltend gemachten Anspruch schlüssig vorgetragen.

Die Berufung ist zulässig. Der Beschwerdewert des § 511 Abs. 2 ZPO ist erreicht. Der Streitwert für die Klage eines Versorgers auf Gewährung des Zutritts und Duldung der Sperrung des Stromzählers bemisst sich regelmäßig nach dem Sechsfachen der monatlichen Abschlagszahlungen; aufgelaufene Zahlungsrückstände bleiben außer Betracht. Für das vorliegende Einstweilige Verfügungsverfahren ist nach Ansicht der Kammer ein Abschlag zu machen; in der Regel ist hier 1/3 anzusetzen (Kammer, 9 T 163/14 = WuM 2015, 117). Aufgrund der vorliegend sehr hohen monatlichen Abschläge liegt die Beschwer jedoch über 600 €.

Die Berufung ist auch begründet. Nach Ansicht der Kammer bedeutet der Erlass einer auf Duldung der Sperrung der Stromversorgung gerichteten einstweiligen Verfügung keine Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. Kammer, aaO). In der Rechtsprechung ist umstritten, ob bei Bestehen eines Anspruchs auf Einstellung von Versorgungsleistungen dieser im Wege der einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden kann. Teilweise - wie vom Amtsgericht - wird die Auffassung vertreten, dass die Unterbrechung von Versorgungsleistungen eine Vorwegnahme der Hauptsache darstelle, die nicht mit einer einstweiligen Verfügung verlangt werden könne. Nach Ansicht der Kammer übt das Versorgungsunternehmen durch die - temporäre - Versorgungsunterbrechung jedoch lediglich das ihr zustehende Zurückbehaltungsrecht aus, um ein weiteres Anwachsen der Zahlungsrückstände zu verhindern. Zwar wäre auch ein Hauptsacheverfahren auf Unterbrechung der Versorgung durch Duldung der Sperrung des Zählers gerichtet. Diese Betrachtungsweise erscheint jedoch zu formal. Das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren dient dazu, dass der Anspruchsinhaber nicht unter Umgehung des Hauptsacheverfahrens und unter Ausnutzung der erleichterten Voraussetzungen für den Erlass eines Titels im einstweiligen Verfügungsverfahren bereits eine Befriedigung erlangt. Befriedigung erlangt die Antragstellerin vorliegend jedoch nicht durch Sperrung der Versorgung, sondern durch Zahlung der Rückstände, zu deren Durchsetzung sie ihr Zurückbehaltungsrecht geltend machen will. Die Antragstellerin hat kein Interesse an einer Sperrung der Versorgungsleistungen (im Gegenteil möchte sie diese ja weiterhin "verkaufen"), sondern allein am Ausgleich der Rückstände. Aus diesem Grund kann auch im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich eine Duldung der Versorgungsunterbrechung geltend gemacht werden (so im Ergebnis auch u.a. OLG Koblenz, 8 W 826/04, Beck-RS 2011, 06299; Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 940, Rn. 8, "Energielieferung", m.w.N.).

Die Kammer geht davon aus, dass nach Zahlung der Rückstände die Stromversorgung unverzüglich wieder aufgenommen wird. Wäre dies anders, so wäre der Antrag auf Unterbrechung der Versorgung wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache unbegründet. Es besteht jedoch kein Anlass zu der Vermutung, dass die Antragstellerin nach Zahlung der Rückstände nicht unverzüglich die Stromversorgung wieder aufnimmt. Zur Sicherstellung einer unverzüglichen Wiederaufnahme der Stromversorgung war auszusprechen, dass der beantragte Ausbau des Zählers nur "nötigenfalls" zu erfolgen hat, falls eine Sperrung technisch nicht möglich ist.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 2 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 1.982,00 €