LG Köln, Urteil vom 30.06.2015 - 4 O 355/14
Fundstelle
openJur 2015, 16231
  • Rkr:
Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.509,95 € nebst Zinsen in Höhe von 8 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.100,51 € nebst Zinsen in Höhe von 8 % Punkten über dem Basiszinssatz seit 22.04.2014 an vorgerichtlichen Kosten zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger war bis 31.03.2014 rund 11 Jahre als Handelsvertreter und Agenturleiter für die Beklagte tätig.

Ziffer 11 des zwischen den Parteien geschlossenen Vertretervertrags bestimmt:

"Mit Beendigung des Vertragsverhältnisses erlischt jeglicher Anspruch des Vertreters auf irgendwelche Vergütungen oder Provisionen."

In den zwischen den Parteien vereinbarten Besonderen Bestimmungen - Basis - Bestandspflegeprovision SHUR für Agenturleiter ist in Ziffer 1.5 bestimmt (Anlage 1):

"Der Bestandspflegeprovisionsanspruch entsteht mit der Zahlung des vollen Jahresbeitrags, bei ratierlicher Zahlungsweise proratatemporis. Soweit der Agenturvertreter Bestandsprovisionen erhalten hat, für die entsprechende Beiträge nicht entrichtet wurden, sind die Bestandsprovisionen voll bzw. anteilig zurückzuzahlen."

Ziffer 1.5 der Besonderen Bestimmungen - Basis - Bestandspflegeprovision Kfz für Agenturleiter enthält eine wortgleiche Regelung.

Die Provisionsaufstellung der Beklagten vom 29.01.2014 weist einen Anspruch des Klägers in Höhe von 18.893,63 € auf (Anlage 7). Am 18.02.2014 zahlte die Beklagte 4.723,41 € und am 12.03.2014 einen Betrag von 3.660,27 € an den Kläger.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 24.03.2014 unter Fristsetzung zur Zahlung auf. Mit Schreiben vom 05.03.2014 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zur Zahlung von 18.257,95 € sowie 1.100,51 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten auf.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Anspruch auf ungekürzte Bestandspflegeprovisionen zu, und verweist hierzu auf §§ 87, 87a HGB. Denn bei Zahlung der Prämie durch den Kunden falle der Provisionsanspruch für den Zeitraum vollständig an. Der Vertrag enthalte auch keine Provisionsrückforderungsklausel. Er, der Kläger, fordere ausschließlich Provisionen, die bereits bis zum 31.03.2014 verdient worden seien. Gemäß § 87a Abs. 1 HGB sei der Provisionsanspruch mit der Zahlung der Versicherungsbeiträge entstanden und fällig. Denn mit der Zahlung für das gesamte Jahr komme auch der Versicherungsvertrag für diesen Zeitraum zustande, da eine Kündigung erst wieder für das Folgejahr möglich sei.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.509,95 € nebst 9 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, 1.100,51 € nebst 9 % Punkten über dem Basiszinssatz seit 22.04.2014 an vorgerichtlichen Kosten zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, sie habe berechtigter Weise die Bestandsprovisionen gekürzt, da diese noch nicht vollständig von dem Beklagten verdient waren und nach seinem Ausscheiden auch nicht mehr vollständig verdient werden konnte. Die Provisionen seien deshalb von ihm zurückzuerstatten gewesen. Der Kläger habe mit der Beklagten in Ziffer 11 des Vertretervertrags einen nachvertraglichen Provisionsverzicht vereinbart. Ziffer 1.5 der Besonderen Bestimmungen stelle eine bloße Fälligkeitsregelung dar, während das endgültige Verdienen der Bestandsprovisionen erkennbar von weiteren Voraussetzungen abhängig sei. Gemäß Ziffer 2.1 der Besonderen Bestimmungen erhalte der Vertreter die Bestandsprovisionen als Gegenleistung für die Pflege und die Betreuung der Kundenbeziehungen sowie für die weiteren dort genannten Tätigkeiten. Solche Leistungen habe der Kläger jedoch nach Beendigung des Vertrags nicht mehr erbringen können. Der Kläger verlange deshalb eine Gegenleistung für eine von ihm selbst nicht erbrachte Leistung. Würde der Kläger für das ganze 2014 Provisionen erhalten, komme es zu einer Doppelzahlung, da dem Nachfolger des Klägers ebenfalls anteilige Bestandsprovisionen für das Restjahr 2014 zustünden. Sofern sie dem Kläger Provisionen für das ganze Jahr auszahle, wäre sie umgehend zu deren Rückforderung berechtigt. Dies ergebe sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung oder aus dem Bereicherungsrecht.

Die Beklagte meint, es fehle an jeglicher Darlegung der Zusammensetzung der Klageforderung.

Gründe

Die zulässige Klage ist, mit Ausnahme eines Teils des Zinsantrags, begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von 10.509,95 € gegen die Beklagte zu. Der Anspruch folgt aus Ziffer 4. des zwischen den Parteien geschlossenen Vertretervertrags vom 23./24.09.2003 (Anlage 2, Bl. 7 ff. AH) in Verbindung mit Ziffer 1.5 der Besonderen Bestimmungen - Basis - Bestandspflegeprovision SHUR für Agenturleiter bzw. Besonderen Bestimmungen - Basis - Bestandspflegeprovision Kfz für Agenturleiter (Anlage 1, Bl. 1 ff. bzw. Bl. 4 ff. AH; im Folgenden zusammenfassend "Besondere Bestimmungen").

1. Nach Ziffer 1.5 der Besonderen Bestimmungen entsteht der Bestandsprovisionsanspruch mit der Zahlung des vollen Jahresbeitrags, bei ratierlicher Zahlungsweise proratatemporis. Damit steht dem Vertreter ein Anspruch auf die Bestandsprovision zu, sobald der Jahresbeitrag bzw. der entsprechende unterjährige Beitrag, namentlich ein Halb- oder Vierteljahresbeitrag oder der monatliche Beitrag, gezahlt wurde. Ausgehend von dem von der Beklagtenseite erstellten Ausweis der Bestandsprovision für Januar 2014 (Anlage 7, Bl. 17 AH) stand dem Kläger - jedenfalls ursprünglich und ohne Berücksichtigung der Beendigung des Vertragsverhältnisses - ein Anspruch auf Bestandsprovision in Höhe von 18.893,63 € zu. Davon gehen sowohl der Kläger als auch die Beklagte (S. 4 des Schriftsatzes vom 12.03.2015, Bl. 45 d.A.) aus. Abzüglich der von ihr am 18.02.2014 gezahlten 4.723,41 € und am 12.03.2014 gezahlten 3.660,27 €, insgesamt 8.383,68 €, verbleibt eine Differenz in Höhe der Klageforderung von 10.509,95 €.

2. Dem Anspruch des Klägers steht nicht entgegen, dass das Vertragsverhältnis mit der Beklagten zum 31.03.2014 beendet wurde. Dies führt nicht dazu, dass der Bestandsprovisionsanspruch anteilig zu kürzen wäre oder insoweit ein anteiliger Rückforderungsanspruch der Beklagten bestehen würde.

Eine ausdrückliche Regelung der vorliegend eingetretenen Situation, dass der Vertreter im laufenden Jahr ausscheidet, haben die Parteien nicht getroffen. In Ziffer 1.5 ist die Entstehung des Anspruchs auf Bestandsprovisionen geregelt. In dessen Satz 2 ist bestimmt, dass der Vertreter Bestandsprovisionen voll bzw. anteilig zurückzuzahlen hat, soweit er Bestandsprovisionen erhalten hat, für die entsprechende Beiträge nicht entrichtet wurden. Ziffer 11 des Vertretervertrags regelt, dass mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses jeder Anspruch des Vertreters auf irgendwelche Provisionen und Vergütungen erlischt.

Für die von der Beklagten befürwortete, ergänzende Vertragsauslegung, nach der bei Vertragsbeendigung im laufenden Jahr der Anspruch auf Bestandsprovision zu kürzen wäre oder ein Rückforderungsanspruch bestehen würde, besteht weder Raum noch ein Bedürfnis. Insbesondere ist eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung, dass die Bestandsprovision verdient werden müsste, indem der Vertreter während des gesamten Jahres für die Beklagte tätig bleibt, nicht durch die beiderseitige Interessenlage begründet. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Provisionszahlung im Austausch für die Pflege und Betreuung der Kundenbeziehungen erfolgt. Indes erbringt der Vertreter im Rahmen der Bestandspflegeprovisionen seine Leistung dadurch, dass die Kunden bestehende Verträge nicht kündigen und die fällige Prämie bezahlen. Damit ist der Erfolg, für den er die Bestandsprovision erhalten soll, eingetreten, insbesondere ist mit der Prämienzahlung auch der wirtschaftliche Vorteil, für den die Provisionszahlung erfolgt, bei der Beklagten angekommen. Da eine Rückgängigmachung der Vertragslaufzeit und der Prämienzahlung grundsätzlich nicht möglich ist, bestimmt Ziffer 1.5 der Besonderen Bestimmungen folgerichtig, dass unter dieser Voraussetzung der Bestandsprovisionsanspruch entsteht.

Demgegenüber kann die weitere Pflege und Betreuung der Kundenbeziehungen nach diesem Zeitpunkt nur noch den weitergehenden Zweck verfolgen, auch für den darauf folgenden Zeitabschnitt ein Fortbestehen der Verträge und eine Zahlung fälliger Prämien herbeizuführen. Sie kann sich denknotwendigerweise nicht mehr auf die bereits eingetretene Vertragslaufzeit und die erfolgte Prämienzahlung auswirken. Eine zeitliche Verknüpfung der Leistungen des Vertreters kann somit nur den Zeitraum bis zur Verlängerung des Versicherungsvertrags und der Zahlung der Prämie betreffen. Andernfalls würde die Bestandspflegeprovision zu einer "Treueprämie" umfunktioniert.

Demgemäß besteht kein Grund, die vertraglichen Regelungen über den Bestandsprovisionsanspruch um das ungeschriebene Merkmal des "Verdienens" zu ergänzen. Selbst wenn dies jedoch bejaht würde, könnte aufgrund der vorstehenden Erwägungen das Ergebnis nur lauten, dass der Vertreter die Bestandspflegeprovision mit eingetretenem Fortbestand des Versicherungsvertrags und Prämienzahlung tatsächlich "verdient" hat.

Dies ist auch deshalb interessengerecht, weil es - wie der vorliegende Fall zeigt - nicht zu einer Doppelzahlung an den Nachfolger des Klägers kommt. Die Beklagte hat den klägerseitigen Vortrag, an seinen Nachfolger sei für das Jahr 2014 keine Bestandspflegeprovision gezahlt worden, nicht bestritten. Eine solche würde dem Nachfolger, jedenfalls ausgehend von den zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen, auch nicht zustehen. Sofern die Beklagte in anderen Fällen, wie in dem dem Urteil des LG Bonn vom 13.09.2011 (2 O 164/11) zugrunde liegenden Sachverhalt, eine Pauschale an den nachfolgenden Vertreter gezahlt hat, berührt dies den hiesigen Rechtsstreit nicht. Im Übrigen würde eine solche Zahlung auch im vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Ergebnis führen, da sich vertragliche Vereinbarungen der Beklagten mit dem Nachfolger des Klägers und Zahlungen an diesen nicht auf die Vertragsbeziehung zu dem Kläger auswirken können.

3. Dem Anspruch des Klägers auf Zahlung der Bestandspflegeprovision steht auch nicht Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen. Denn der Kläger ist nicht verpflichtet, nach Erhalt der Bestandspflegeprovision diese aufgrund Bereicherungsrechts umgehend an die Beklagte zurück zu zahlen. Insbesondere besteht kein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB wegen späteren Wegfalls des rechtlichen Grundes. Der rechtliche Grund, das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien, bestand bis zum 31.03.2014 und somit auch in demjenigen Zeitpunkt, in dem der Anspruch des Klägers entstanden (und die Provision "verdient") war. Entgegen der in dem von der Beklagten vorgelegten Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 18.05.2015 (Az. 332 S 74/14) zum Ausdruck kommenden Auffassung handelt es sich bei der Zahlung der Bestandspflegeprovision auch nicht um eine im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses erfolgende Vorausleistung. Denn wie bereits ausgeführt, besteht die für die Bestandsprovision maßgebliche Leistung des Vertreters darin, dass der jeweilige Versicherungsvertrag fortbesteht und die Prämie gezahlt wird. Die Bestandsprovision wird sodann als Gegenleistung für diese - vom Vertreter bereits in der Vergangenheit erbrachte - Leistung entrichtet.

4. Dem Anspruch des Klägers steht der in Ziffer 11 des Vertretervertrags vereinbarte nachvertragliche Provisionsverzicht nicht entgegen. Wie sich aus dessen Satz 2 ergibt, betrifft dieser Verzicht lediglich Provisionen, die erst nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses entstanden sind. Ein umfassender Verzicht auf jegliche dem Vertreter zustehende, aber noch nicht beglichene Vergütungsansprüche, kann dieser Bestimmung nicht entnommen werden. Ein dahingehender Inhalt wäre zudem wegen unangemessener Benachteiligung gemäß §§ 305 Abs. 1, 307 Abs. 1, 310 Abs. 1 BGB unwirksam.

5. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 2 BGB. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen höheren Zinssatz als die tenorierten 8 Prozent gemäß § 288 Abs. 2 BGB in der bis zum 28.07.2014 geltenden Fassung. Gemäß Art. 229 § 34 EGBGB ist § 288 BGB n.F. nur auf Schuldverhältnisse anzuwenden, die nach dem 28.07.2014 entstanden sind. Der Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich aus Verzugsgesichtspunkten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Streitwert: 10.509,95 €