OLG Hamm, Urteil vom 19.01.2015 - 2 U 46/14
Fundstelle
openJur 2015, 15929
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 07.03.2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene Urteil des Landgerichts ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die gegen ihn gerichtete Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Im Anschluss an eine Aus- und Einschaltung von Strom kam es in Gebäuden einer Versicherungsnehmerin des Klägers zu einem Brand. Er hat den Schaden reguliert und nimmt die Beklagte mit der Behauptung, die Beklagte, die das Stromnetz betreibt und deren Techniker die Aus- und Einschaltung durchgeführt hat, habe den Brandschaden verursacht, aus übergegangenem Recht, § 68 VVG, in Regress.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, zu Gunsten der Beklagten greife das Haftungsprivileg der AVBEltV. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe, der denen zu Grunde liegenden Feststellungen und wegen der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Gegen das Urteil richtet sich die Berufung des Klägers. Damit macht er im Wesentlichen geltend: Es gebe zwei sachlich völlig verschiedene Stromzuflüsse, die ungleichartig gewesen seien und völlig andere Schäden hätten entstehen lassen, nämlich den ersten Stromzufluss unter einer überhöhten Spannung nach dem ersten Einschalten des Lasttrennschalters und den zweiten Stromzufluss mit regulärem Strom unter regulärer Spannung nach dem zweiten Einschalten des Lasttrennschalters. Für die aufgrund des zweiten Stromzuflusses entstandenen Schäden greife § 6 AVBEltV deshalb nicht.

Er beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 327.188,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.01.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Für die Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat den Sachverständigen Dipl.-Ing. C ergänzend gehört. Für den Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 08.12.2014 verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass die Haftungsbegrenzung der AVBEltV greift. Ansprüche nach dem ProdHaftG, die der Kläger in zweiter Instanz reklamiert, sind nicht gegeben.

1.

Soweit der Kläger in erster Instanz einen Werkvertrag behauptet hat, hat er dieses Vorbringen bereits in erster Instanz fallen gelassen (GA838: Umstellung erfolgte anlässlich Anschlussarbeiten bei Nachbarn des Versicherungsnehmers der Klägerin, der Familie D).

2.

Zwischen der Versicherungsnehmerin des Klägers und der Beklagten bestand indessen ein Netzanschlussvertrag für dessen Ausgestaltung die Geltung der AVBEltV vereinbart war. Deren Haftungsprivileg, § 6 AVBEltV, greift.

a.

Die Geltung der AVBEltV ergibt sich aus der Stromlieferungsvereinbarung vom 22.12.1995/03.01.96, [GA87ff, GA227ff], in dem die Geltung der AVBEltV, wegen deren Einbeziehung in den Vertrag auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen wird, vereinbart ist. Danach hatte die Beklagte (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) die Energie zu bisherigen Bedingungen (bereitzustellende Zusatz- und Reserveleistung) weiter vorzuhalten und sollte der Anschluss an das Niederspannungsnetz zu Lasten der Versicherungsnehmerin des Klägers gehen. Das sind typische Vereinbarungen zum Netzanschluss.

An dieser Vereinbarung hat sich - anderes ist nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich - durch den Wechsel des Stromlieferanten (die Versicherungsnehmerin des Klägers bezog ab dem 01.01.01 Strom von der C2 GmbH) nichts geändert. Mit dem Wechsel des Stromlieferanten ist keine Kündigung des Netzanschlussvertrages - insoweit ist der Ursprungsvertrag in den Versorgungsteil und den Netzanschlussteil zerlegbar - einhergegangen. Die Bereitstellung des Netzanschlusses oblag weiterhin der Beklagten.

Die NAV ist entgegen der Auffassung der Berufung nicht anwendbar. Ob nach Inkrafttreten der NAV deren Vorschriften maßgeblich wären (die im Übrigen nur insoweit etwas änderten, als die Haftungssumme danach 5.000,00 € statt 2.500,00 € beträgt), kann dabei dahin stehen. Die NAV regelt die Behandlung von Ereignissen, die vor ihrem Inkrafttreten am 08.11.06 eingetreten sind, nicht. Das Brandereignis datiert vom 05.10.06 und damit etwa einen Monat zuvor.

b.

Zu Gunsten der Beklagten greift das Haftungsprivileg des § 6 II AVBEltV. Das Haftungsprivileg greift dann, wenn es um Risiken der Stromversorgung - Unterbrechung der Versorgung oder Belieferung mit Strom einer nicht vertragsgerechten Spannung oder Frequenz - geht, BGH NJW 2004, 2161. Soweit es um den Netzbetrieb geht, ist die Beklagte entgegen der Auffassung der Berufung, auch nachdem die Versicherungsnehmerin des Klägers zu einem a nderen Stromlieferanten gewechselt hatte, weiterhin Elektrizitätsversorgungsunternehmen im Sinne des § 6 II AVBEltV geblieben.

(1.)

Zu den tatsächlichen Vorgängen ist ergänzend zum vom Landgericht dazu Ausgeführten festzustellen:

(1.1)

Wegen Arbeiten am Netz der Beklagten öffnete deren Techniker G einen an einem Gebäude der Versicherungsnehmerin des Klägers befindlichen vierpoligen Lastentrennschalter, um die Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers vom Netz zu trennen. Nach Abschluss der Arbeiten am Netz der Beklagten schloss er den Trennschalter, um die Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers an das Netz der Beklagten anzuschließen. Weil er dabei das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte, öffnete er den Trennschalter wieder. Er bemerkte, dass das Nullmesser "lose drin saß" und setzte es händisch ein. Danach schloss er den Trennschalter wieder. Das ergibt sich aus den zeugenschaftlichen Bekundungen Gs, denen nicht zu folgen kein Anlass besteht.

(1.2)

Nach den Feststellungen des Sachverständigen - denen zu folgen keine Bedenken bestehen - anhand der von G geschilderten Vorgehensweise, anhand des Gangs der Ereignisse und anhand der Erkenntnisse des Brandsachverständigen H ergibt sich folgender, zum Brand führender Geschehensablauf:

Beim ersten Einschalten des Trennschalters wurde der Nullleiter im Trennschalter nicht geschlossen, so das an der Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers über die drei geschlossenen Phasen im Trennschalter eine Spannung von 400 V statt 230 V anlag. Dadurch kam es zu (Vor-) Schäden an Betriebsmitteln der Versicherungsnehmerin des Klägers. Beim zweiten Einschalten des Trennschalters wurde auch der Nullleiter im Trennschalter geschlossen, so dass an der Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers die - reguläre - Spannung von 230 V anlag. Die Vorschädigung durch das erste Einschalten führte dazu, dass der beim zweiten Einschalten fließende Nennstrom eine Erwärmung hervorrief, die schließlich zum Ausbruch des Brandes führte. Die erste Einschaltung hat nicht zum Brand geführt. Dazu hat der Senat den Sachverständigen C noch einmal gehört. Der Sachverständige hat dazu anhand der Erkenntnisse der Brandgutachten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, dass der Brand bereits durch das erste Einschalten ausgelöst wurde.

(2.)

Bei dieser Sachlage greift das Haftungsprivileg. Denn die Beaufschlagung mit Strom irregulärer Spannung - für die das Haftungsprivileg greift - war für den Brand ursächlich.

(2.1)

Beim ersten Einschalten ist die Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers mit einer falschen Spannung beaufschlagt worden. Dabei handelt es sich um eine Unregelmäßigkeit in der in der Elektrizitätsbelieferung im Sinne des § 6 I AVBEltV.

Für diese Bewertung spielt es keine Rolle, an welcher Stelle die Lieferung nicht vertragsgerechter Spannung ausgelöst wurde. Soweit der Kläger darauf abstellen möchte, es handele sich um einen handwerklichen Fehler bei der Aufschaltung, erscheint das unerheblich. Für die Frage, ob das Haftungsprivileg greift, kommt es nicht darauf an, an welcher Stelle der Beklagten ein handwerklicher Fehler unterlaufen ist. Ob die Beklagte eine Überspannung verursacht, weil ihr handwerkliche Fehler im vorgelagerten Bereich unterlaufen sind - was nicht in Rede steht - , oder aber beim konkreten Anschluss - was in Rede steht - , erscheint einerlei. Insoweit liegt die Sache nicht anders, als in der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes.

(2.2)

Dass die durch das erste Einschalten ausgelöste Überspannung Ursache für den Brand gewesen ist, steht fest. Nach den geschilderten Feststellungen des Sachverständigen wäre es ohne die durch die Überspannung verursachten Vorschäden nicht zum Brand gekommen. Die Kausalkette, die zum Brand geführt hat, ist mithin dadurch ausgelöst worden, dass die Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers mit einer unzulässigen Spannung beaufschlagt wurde.

(2.2)

Die so gesetzte Ursache für den Brand wäre für die Haftungsbegrenzung der Beklagten nach § 6 AVBEltV nur dann nicht maßgeblich, wenn der Vorgang des Aus- und Anschaltens von Strom auf die Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers - wie er meint - zerlegbar wäre und die Aufschaltung - mit regulärem Strom - eine neue Kausalkette in Lauf gesetzt hätte; oder anders gesprochen, mit dem erstmaligen und dem zweitmaligen Einschalten des Trennschalters zwei voneinander unabhängige Ursachen zum Brand geführt hätten. Denn bei mehreren Ursachen für einen Schaden ist jede der Ursachen für den Schaden kausal.

Für eine derartige Sichtweise spricht die Beurteilung des Sachverständigen, der keine Versäumnisse des Technikers der Beklagten bis zum zweiten Einschalten sieht und ein Versäumnis des Technikers der Beklagten darin erblickt, die Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers - nach erstmalige Einschalten und Bemerken, dass dabei etwas nicht gestimmt hat, sodann nach Ausschalten unter händischer Einsetzung des Trennmessers in den Trennschalter - noch einmal eingeschaltet zu haben, ohne zuvor eine Prüfung der Anlage der Versicherungsnehmerin der Klägerin veranlasst zu haben.

Wenngleich die Beurteilung des Sachverständigen einen Fehler des Technikers der Beklagten in der Nachschau bei der zweiten Einschaltung belegt, ist es nicht so, dass dieser Fehler als Setzen einer eigenständigen oder besonders zu betrachtenden Ursache für den Brand zu bewerten ist. Die Tätigkeit des Technikers der Beklagen beim Anschluss der Anlage der Versicherungsnehmerin der Klägerin ans Netz lässt sich nicht derart sezieren. Diesem ging es nach dessen Bekundungen darum, die Versicherungsnehmerin der Klägerin ans Netz zu bringen. Einen einheitlichen Vorgang, der sich unstreitig innerhalb von Minuten abgespielt hat, derart zu zerreißen, dass wegen der Ursache des Brandes auf einzelnen Schritte der Vorgehensweise des Technikers der Beklagen bei der Aufschaltung der Anlage der Versicherungsnehmerin des Klägers auf das Netz der Beklagten abgestellt wird, verbietet sich.

3.

Ansprüche aus dem ProdHaftG bestehen nicht.

Der Anwendungsbereich des ProdHaftG ist ohnehin nur in beschränktem Umfang eröffnet. Er gilt nach § 1 ProdHaftG für Sachen, die ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder Verbrauch bestimmt sind. Hier ist die Hofesstelle der Versicherungsnehmerin der Klägerin betroffen. Damit geht es teilweise um Sachen, die dem Anwendungsbereich des Gesetzes unterfallen und teilweise um Sachen, für die das nicht zutrifft.

Nach § 1 II Nr. 2 ProdHaftG ist die Haftung ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in Verkehr brachte. In Verkehr gebracht ist Strom mit der Belieferung über den Netzanschluss, BGH NJW 2014, 2106. Der Hausanschluss endet mit der Hausanschlusssicherung, es sei denn, dass eine abweichende Vereinbarung getroffen wird, § 10 I AVBElt. Hier haben die Versicherungsnehmerin des Klägers und die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin im Anschlussvertrag vereinbart, dass der Hausanschluss mit den netzseitigen Klemmen der kundeneigenen Übergabestelle endet, [GA88]. Das sind nach dem Ergebnis der Anhörung des Sachverständigen die netzseitigen Klemmen des Trennschalters. Bis dahin war das Produkt Strom fehlerfrei. Denn dort lag immer die richtige Spannung an, weil der Nullleiter bis dahin nicht unterbrochen war.

Ohne das es danach noch darauf ankommt, sei angemerkt, dass einiges dafür spricht, die Haftungsbeschränkung des § 6 II AVBEltV auf 2.500,00 € für grob fahrlässig verursachte Sach- und Vermögensschäden auch auf Ansprüche aus dem ProdHaftG - unabhängig vom Fahrlässigkeitsgrad und unabhängig davon, ob unverschuldet - anzuwenden. Denn andernfalls liefe die Haftungsbeschränkung der AVBEltV weitgehend leer.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO. Eine Zulassung der Revision, § 543 ZPO, ist nicht veranlasst.