AG Essen, Urteil vom 17.09.2014 - 17 C 288/13
Fundstelle
openJur 2015, 15249
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Beklagte ist Gesellschafter der als GbR geführten Gemeinschaftspraxis O für Reproduktionsmedizin in Essen. Im Jahr 1993 schlossen die Eheleute B einen Behandlungsvertrag mit der seinerzeitigen Praxis des Beklagten über eine Behandlung von Frau B mittels hetereologischen Insemination. Die vertraglich vereinbarte Behandlung wurde in der Folgezeit auch durchgeführt. Nach dem Behandlungsvertrag waren die Eheleute B nicht berechtigt, Auskunft über die Identität des Samenspenders zu verlangen; die Identität hatte anonym zu bleiben.

Am 30.11.1993 wurde der Kläger als Sohn der Eheleute B geboren.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.08.2013 erbat der Kläger den Beklagten um Mitteilung des Namens seines biologischen Vaters. Dem kam der Beklagte nicht nach. Der Beklagte hat die Daten der Spender seit dem Jahre 1981 nicht aufbewahrt, zudem sind Behandlungsunterlagen über Behandlungen mit Spendersamen nicht mehr vorhanden. Nach der Entscheidung des OLG Hamm vom 06.02.2013 - Aktz.: 14 U 7/12 - haben die damaligen Mitarbeiterinnen des Beklagten eine umfassende Recherche nach Spenderdaten und Behandlungsunterlagen vorgenommen und insbesondere sämtliche Praxisräume sowie den Archivkeller der Gemeinschaftspraxis erfolglos nach Unterlagen für den hier streitgegenständlichen Zeitraum durchsucht. Es gibt keine Mitarbeiterinnen in der Praxis, die mit der Führung von Unterlagen befasst waren, sich an den Inhalt erinnern oder wissen könnten, wo noch Unterlagen sein könnten.

Der Kläger ist der Ansicht, er habe einen Anspruch auf Auskunft über seine genetische Abstammung. Er behauptet, seine Mutter sei in dem Unternehmen des Beklagten behandelt worden.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen,

1.

Auskunft über die genetische Abstammung des Klägers zu erteilen und Einsicht in vorhandene Unterlagen zu gewähren, aus denen sich die genetische Abstammung des Klägers ergibt.

2.

Für den Fall, dass die Auskunft nicht oder nicht fristgerecht erfolgt, den Beklagten zur Zahlung einer Entschädigung in Geld zu verurteilen, deren Summe den Betrag von 2.000,00 € nicht unterschreiten sollte.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet vor dem Hintergrund fehlender Behandlungsunterlagen mit Nichtwissen, dass der Kläger durch eine Samenspende im J-Zentrum, bzw. im Zentrum für Reproduktionsmedizin gezeugt worden ist. Er ist der Ansicht, der Auskunftsanspruch sei erfüllt weil - was unstreitig ist - weitergehende Auskünfte nicht erteilt werden könnten. Der Beklagte erhebt hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs die Einrede der Verjährung bzw. Verwirkung.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten gemäß § 242 BGB keinen Anspruch auf Auskunft über seine genetische Abstammung. Zwar hat der Beklagte - entgegen der von ihm vertretenen Rechtsauffassung - den Auskunftsanspruch des Klägers nicht erfüllt. Da er die Auskunft nach der von ihm dargelegten umfassenden Recherche nach den dafür benötigten Behandlungsunterlagen bzw. Daten der Samenspender unstreitig nicht erteilen kann, liegt Unmöglichkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 BGB vor. Soweit das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 06.02.2013, Aktz.: 14 U 7/12, ausgeführt hat, die Recherche verlange "nicht nur eine umfassende Suche nach den aussagekräftigen schriftlichen Unterlagen, sondern auch eine umfassende Befragung aller Mitarbeiter, die etwas zum Verbleib oder Inhalt der fraglichen Unterlagen sagen könnten" war auch dies vorliegend unstreitig erfolglos. Weitere Anforderungen sind an den Beklagten nicht zu stellen.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten aufgrund der Unmöglichkeit der Auskunftserteilung kein Anspruch auf Schadensersatz zu.

Grundsätzlich ist die Verletzung des Rechts auf Kenntnis der eigenen Abstammung geeignet, einen Anspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu begründen (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 BGB, Rdn. 160). Etwaige Ansprüche wegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung des Klägers sind jedoch verjährt.

Gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1, 852 Abs. 1 des BGB in der bis zum 01.01.2002 geltenden Fassung verjährt der Anspruch auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt, ohne Rücksicht auf diese Kenntnis in dreißig Jahren von der Begehung der Handlung an. Für die Kenntnis vom Schaden genügt, dass der Verletzte davon Kenntnis hat, dass eine unerlaubte Handlung zu einem Schaden geführt hat, nicht erforderlich ist, dass er die einzelnen Elemente und Ausprägungen des Schadens erfasst (Palandt-Thomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 852 Rdn. 8). Bei Geschäftsunfähigen ist die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters maßgeblich (Palandt a.a.O., Rdn. 5). Eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts eines Kindes kann nicht nur dann vorliegen, wenn das Kind die persönlichkeitserheblichen Einwirkungen Dritter bemerkt; sie ist vielmehr auch dann gegeben, wenn sie sich erst in der Zukunft konkret auswirkt (vgl. BGH NJW 2014, 2276 bis 2278). Insofern war das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers bereits mit seiner Geburt beeinträchtigt, weil ihm von Geburt an die Kenntnis der eigenen Abstammung - nach seiner Behauptung durch die Vereinbarung seiner Eltern mit dem Beklagten - vorenthalten worden ist; die Beeinträchtigung ist also nicht erst durch die Aktenvernichtung seitens des Beklagten eingetreten. Bei dem Kläger zuzurechnender Kenntnis seiner gesetzlichen Vertreter war sein Anspruch danach bereits mit Ablauf seines dritten Lebensjahres verjährt.

Allerdings kann die Berufung des Schädigers auf ausreichende Kenntnis des Geschädigten unter besonderen Umständen ausnahmsweise gegen Treu und Glauben verstoßen (Palandt a.a.O., Rdn. 10). Selbst wenn man solche Umstände hier annimmt, ist ein Anspruch des Klägers jedoch gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 10 Jahren von seiner Entstehung an und daher spätestens mit Ablauf des 01.01.2012 verjährt. Gemäß Artikel 229 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB finden die Vorschriften des BGB über die Verjährung in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung auf die an diesem Tag bestehenden und noch nicht verjährten Ansprüche Anwendung. Gemäß Artikel 229 § 6 Abs. 1 S. 2 EBGB richtet sich der Beginn der Verjährung dabei für den Zeitraum vor dem 01.01.2002 nach dem BGB in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung. Maßgeblich ist hier demnach gemäß § 852 Abs. 1 BGB a.F. der Zeitpunkt der Begehung der Handlung. Da die Verjährungsfrist nach dem bürgerlichen Gesetzbuch in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung kürzer als nach dem bürgerlichen Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung ist (bei Annahme einer 30-jährigen Verjährung nach den obigen Ausführungen), wird die kürzere Frist des § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB von dem 01.01.2002 an berechnet (Art. 229 § 6 Abs. 4 S. 1 EGBGB). Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers ist daher mit Ablauf des 01.01.2012 verjährt.

Auf die Frage, ob der Kläger überhaupt durch eine Samenspende in dem Unternehmen des Beklagten gezeugt worden ist, kommt es daher vorliegend nicht an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert: 2.000,00 €.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Essen zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Essen durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Amtsgericht Essen statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Amtsgericht die Beschwerde zugelassen hat. Die Beschwerde ist spätestens innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Amtsgericht Essen, Zweigertstr. 52, 45130 Essen, schriftlich in deutscher Sprache oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichtes abgegeben werden.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.