OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.06.2015 - 11 A 2046/13
Fundstelle
openJur 2015, 14653
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert. Die Ziffern 1. b und 4. der Ordnungsverfügung der Beklagten vom 20. September 2012 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet. Die Ordnungsverfügung der Beklagten vom 20. September 2012 ist ? soweit sie streitbefangen ist - rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ziffer 1. b der Ordnungsverfügung ist zu unbestimmt. Nach § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dies bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung im Zusammenhang mit den Gründen und sonstigen bekannten oder ohne weiteres erkennbaren Umständen für die Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsakts, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass sie ihr Verhalten danach richten können. Bei der Ermittlung des Inhalts der Regelung ist nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Personen abzustellen, die innerhalb der Behörde die Entscheidung getroffen haben, sondern auf den objektiven Erklärungswert und Erklärungsinhalt des den Betroffenen als Inhalt des Verwaltungsakts Mitgeteilten, so wie sich dieses den Betroffenen darstellt und nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) verstanden werden darf. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde.

Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 15. Auflage 2014, § 37 Rn. 5 ff., m. w. N.

Danach ist die Regelung in Ziffer 1. b der Ordnungsverfügung "Künftig ist diese rechtswidrige Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums zu unterlassen" zu unbestimmt. Aus der Regelung selbst geht nicht hervor, welche Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums der Kläger zu unterlassen hat. Eine klare und unzweideutige Regelung, nach der der Kläger sein Verhalten richten könnte, ergibt sich auch nicht im Zusammenhang mit der unter Ziffer 1. a getroffenen Regelung und den Ausführungen in der Begründung der Ordnungsverfügung. Danach ist mit der Formulierung "diese rechtswidrige Inanspruchnahme" offensichtlich nicht allein die in Ziffer 1. a benannte Inanspruchnahme des dort näher bezeichneten öffentlichen Straßenraums durch das "abgestellte Werbefahrzeug" des Klägers gemeint. Diese Regelung soll sich vielmehr auf eine unbestimmte Anzahl anderer Bereiche des öffentlichen Straßenraums im Stadtgebiet der Beklagten beziehen. Nach den Ausführungen in der Begründung der Ordnungsverfügung soll sich ein verkehrsfremdes ganz überwiegend zu Werbezwecken dienendes Abstellen des Fahrzeugs jeweils aus "Art und Ort seiner Aufstellung" des Werbefahrzeugs des Klägers im öffentlichen Straßenraum ergeben.

In welcher Art und an welchen Orten dem Kläger die Aufstellung seines Anhängers im Stadtgebiet der Beklagten grundsätzlich nicht erlaubt ist, lässt sich aber aus der diesbezüglich weiter gegebenen Begründung in der Ordnungsverfügung nicht klar und eindeutig entnehmen. Dort beschreibt die Beklagte das verkehrsfremde Abstellen des Anhängers zwar weitergehend, nämlich als eine Aufstellung des Fahrzeugs in deutlicher Entfernung zu dem Betrieb, für den geworben werde, an einer stark frequentierten Straße mit hohem Aufmerksamkeitswert, ohne dass ein verkehrlich nachvollziehbarer Grund ersichtlich sei, warum das Fahrzeug gerade dort abgestellt worden sei. Schon die Fragen, ob und wann etwa nur die Merkmale "Aufstellung in deutlicher Entfernung zu dem Betrieb" und "an einer stark frequentierten Straße" im Falle der Inanspruchnahme der öffentlichen Straße durch Abstellen des Anhängers des Klägers erfüllt sind, lassen sich nicht eindeutig beantworten. So ist fraglich, ob das Merkmal "Aufstellung in deutlicher Entfernung" zu dem (früheren) Standort der Anwaltskanzlei des Klägers (den er zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung innehatte) bereits bei einem etwaigen Aufstellungsort seines Anhängers im Kreuzungsbereich der Straße I.----weg zur F. Straße oder erst im Kreuzungsbereich der F. Straße mit der S.------straße oder doch erst mit der Bundesstraße 8 gegeben (gewesen) wäre. Gleiches gilt für die Frage, ob es sich bei der F. Straße oder bei der Bundesstraße 8 um eine stark frequentierte Straße im Sinne der die Regelung beschreibenden Begründung der Beklagten handelt. Darüber hinaus ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich, wann "ein verkehrlich nachvollziehbarer Grund" für das Abstellen fehlt. Denn es ist fraglich, ob ein solcher grundsätzlich dann nicht mehr gegeben ist, wenn der Anhänger ohne Zugfahrzeug abgestellt wird, oder etwa erst dann, wenn noch eine gewisse Dauer des Abstellens hinzutritt.

Der Senat hat zwar in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass der Einsatz von Werbefahrzeugen den Gemeingebrauch überschreiten und eine straßenrechtliche Sondernutzung darstellen kann. Den Tatbestand der Sondernutzung hat der Senat aber jeweils bezogen auf den konkreten Einzelfall hergeleitet und zwar entweder:

- aus dem konkreten Ort und der Art der Aufstellung eines Werbefahrzeugs,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 2005 - 11 A 4433/02 -, NWVBl. 2006, 58, juris, Rn. 3 und 27 ff.; nachgehend: BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2006 - 3 B 145.05 -, juris,

? bzw. dem Erscheinungsbild der Werbefahrzeuge (Personenkraftwagen mit auffälligen Dachaufbauten),

vgl. OVG, Beschluss vom 30. Juni 2009 - 11 A 2393/06 -, juris, Rn. 29,

- und/oder dem jeweiligen Erscheinungsbild von Werbeanhängern und deren Standorten in einem bestimmten Umkreis,

vgl. OVG, Beschluss vom 30. Juni 2009 - 11 A 2393/06 -, juris, Rn. 28 und 31,

? oder dem objektiven Erscheinungsbild und dem Aufstellungsort eines LKW,

vgl. OVG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 11 A 4656/06 -, juris, Rn. 14 und 15.

Darüber hinaus waren in diesen Verfahren jeweils Gebührenbescheide Streitgegenstand, die auf konkret stattgefundene Sondernutzungen gerichtet waren und nicht ? wie in Ziffer 1. b der angefochtenen Ordnungsverfügung - auf eine unbestimmte Zahl abstrakter Sondernutzungsfälle in der Zukunft, die nicht ohne weiteres (nach Ort und Art der Aufstellung des Anhängers) bestimmbar oder nur eingrenzbar sind.

Vor dem Hintergrund der Unbestimmtheit und damit Rechtwidrigkeit der Ziffer 1. b der Ordnungsverfügung ist auch die Androhung eines Zwangsgelds für den Fall einer zukünftigen rechtswidrigen Nutzung öffentlicher Verkehrsflächen in Ziffer 4. der Ordnungsverfügung rechtswidrig. Die Voraussetzungen nach den §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 VwVG NRW liegen nicht mehr vor, weil es infolge der Aufhebung der Ziffer 1. b der Ordnungsverfügung an einer vollstreckbaren Grundverfügung fehlt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.