VG Köln, Urteil vom 13.07.2015 - 10 K 5373/14
Fundstelle
openJur 2015, 14571
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wurde am 00.00.1991 in Hannover geboren. Sie war von Geburt türkische Staatsangehörige. Am 1. August 2002 wurde sie gemäß § 40 b StAG in den deutschen Staatsverband eingebürgert.

Mit Schreiben vom 31. August 2009 wies der Beklagte die Klägerin auf ihre Erklärungspflicht nach § 29 StAG (in der bis zum 19. Dezember 2014 geltenden Fassung; nunmehr: a. F.), die sich daraus ergebenden Erklärungs- und Handlungsmöglichkeiten sowie die nach den Absätzen 2 bis 4 möglichen Rechtsfolgen hin. Er teilte ihr u. a. mit, dass sie im Falle der Erklärung, die deutsche Staatsangehörigkeit behalten zu wollen, verpflichtet sei, die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres nachzuweisen. Anderenfalls gehe die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Wegen der Einzelheiten des Schreibens des Beklagten wird auf Blatt 2 ff. des Verwaltungsvorgangs verwiesen. Unter dem 27. Oktober 2009 übersandte der Beklagte der Klägerin ein inhaltlich identisches Schreiben, das ihr am 29. Oktober 2009 zugestellt wurde. Erinnerungsschreiben erfolgten am 5. August 2010, 14. Mai 2012, 18. November 2013 und 2. April 2014.

Am 30. Juni 2014 reichte die Klägerin bei dem Beklagten eine auf den 6. Juni 2014 datierte Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats in Köln ein, wonach sie am vorgenannten Tag einen Antrag auf Ausbürgerung aus der türkischen Staatsangehörigkeit gestellt hatte und dieser Antrag an das Innenministerium in Ankara weitergeleitet worden war.

Der Beklagte wies die Klägerin am 30. Juni 2014 mündlich sowie mit Schreiben vom 11. August 2014 auf die besondere Dringlichkeit der Angelegenheit hin, insbesondere darauf, dass die Klägerin ihre deutsche Staatsangehörigkeit im Falle der Nichterbringung eines Nachweises über die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres kraft Gesetzes verlieren werde.

Am 25. August 2014 teilte die Klägerin dem Beklagten bei einer Vorsprache mit, ein Mitarbeiter des türkischen Generalkonsulats habe ihr gegenüber am 22. August 2014 geäußert, das türkische Innenministerium habe über ihren Entlassungsantrag mit Bescheid vom 15. August 2014 entschieden und der Bescheid werde voraussichtlich in der zweiten Septemberwoche 2014 beim Konsulat eingehen.

Mit Bescheid vom 2. September 2014 stellte der Beklagte nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StAG a. F. den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin mit der Vollendung ihres 23. Lebensjahres am 29. August 2014 fest. Zur Begründung führte er an: Die Klägerin sei nach § 29 Abs. 1 StAG a. F. erklärungspflichtig gewesen. Er, der Beklagte, habe sie gemäß § 29 Abs. 5 StAG a. F. auf die sich hieraus ergebenden Erklärungs- und Handlungsmöglichkeiten sowie die nach den Absätzen 2 bis 4 möglichen Rechtsfolgen hingewiesen. Die Klägerin habe zwar mit der Einreichung der Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats über den von ihr gestellten Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit zum Ausdruck gebracht, die deutsche Staatsangehörigkeit behalten zu wollen. Sie habe aber nicht den gemäß § 29 Abs. 3 Sätze 1 und 2 StAG a. F. erforderlichen Nachweis über die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres geführt. Die bloße Stellung des Antrags auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit sei als Nachweis im Sinne der vorgenannten Vorschrift nicht ausreichend. Gleiches gelte für die Aussage eines Mitarbeiters des türkischen Generalkonsulats, wonach das türkische Innenministerium über den Entlassungsantrag entschieden habe und der Bescheid auf dem Postweg sei. Die Klägerin habe nicht gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StAG a. F. einen Antrag auf Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit gestellt.

Die Klägerin hat dagegen am 30. September 2014 Klage erhoben.

Zur Begründung trägt sie vor: Sie räume ein, den Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit zu spät gestellt zu haben. Sie bitte aber darum, die Entlassungsurkunde noch nachreichen zu dürfen. Die Urkunde befinde sich auf dem Postweg.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 2. September 2014 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verteidigt den angegriffenen Bescheid. Er teilt mit, die Urkunde über die Entlassung der Klägerin aus der türkischen Staatsangehörigkeit sei bis heute nicht bei ihm eingegangen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 2. September 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die von dem Beklagten getroffene Feststellung über den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit der Klägerin ist § 29 Abs. 6 Satz 1 StAG a. F. Danach wird der Fortbestand oder Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit nach § 29 StAG von Amts wegen festgestellt.

Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind gegeben. Die Klägerin hat die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 29 Abs. 3 Satz 2 StAG a. F. verloren, weil sie die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit nicht bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres nachgewiesen hat.

Die Klägerin ist gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 StAG a. F. erklärungspflichtig gewesen. Sie hat die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem 31. Dezember 1999 durch Einbürgerung nach § 40 b StAG zusätzlich zu ihrer türkischen Staatsangehörigkeit erworben. Der Beklagte hat sie gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 StAG a. F. auf ihre Erklärungspflicht, die sich daraus ergebenden Erklärungs- und Handlungsmöglichkeiten und die nach den Absätzen 2 bis 4 möglichen Rechtsfolgen hingewiesen. Er hat den Hinweis am 29. Oktober 2009 und damit (noch) unverzüglich im Sinne des § 29 Abs. 5 Satz 3 StAG a. F. nach Vollendung des 18. Lebensjahres der Klägerin zugestellt. Die Klägerin hat zwar am 30. Juni 2014 gemäß § 29 Abs. 1, 3 Satz 1 StAG a. F. durch Einreichung der Bescheinigung des türkischen Generalkonsulats in Köln über den von ihr gestellten Antrag auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit gegenüber dem Beklagten sinngemäß erklärt, die deutsche Staatsangehörigkeit behalten zu wollen. Sie hat die Aufgabe der türkischen Staatsangehörigkeit aber nicht nach § 29 Abs. 3 Sätze 1 und 2 StAG a. F. bis zur Vollendung ihres 23. Lebensjahres am 29. August 2014 nachgewiesen. Die bloße Stellung des Antrags auf Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit ist als Nachweis im Sinne der vorgenannten Vorschrift nicht ausreichend. Gleiches gilt für die Aussage eines Mitarbeiters des türkischen Generalkonsulats, wonach das türkische Innenministerium über den Entlassungsantrag entschieden habe und der Bescheid auf dem Postweg sei. Die Klägerin hat nicht gemäß § 29 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 StAG a. F. eine Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit erhalten.

Die in der Literatur gegen die Optionsregelung des § 29 StAG a. F. erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch.

Näher dazu VG Köln, Urt. vom 22. April 2015 - 10 K 2582/14 - juris Rdnr. 15 ff. m. w. N.

Auf die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 13. November 2014 (BGBl. I 1714) mit Wirkung vom 20. Dezember 2014 in Kraft getretene Gesetzesänderung, wonach ein "im Inland aufgewachsener" Mehrstaater nicht mehr der Optionspflicht unterliegt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 1 a StAG n. F.), kann die Klägerin sich nicht berufen, da die Regelung nicht auf "Altfälle" anwendbar ist, in denen - wie hier - der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bereits eingetreten ist. Der Gesetzgeber hat von einer Rückwirkung des Gesetzes bewusst abgesehen.

Vgl. BT-Drs. 18/1312, Seite 8; VG Köln, Urt. vom 22. April 2015 - 10 K 2582/14 - juris Rdnr. 24; Mosbacher, NVwZ 2015, 268, 271.

§ 29 Abs. 3 Satz 4 StAG a. F. führt zu keiner anderen Bewertung. Danach tritt der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit bei gestelltem Antrag auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung erst ein, wenn der Antrag bestandskräftig abgelehnt wird. Hier hat die Klägerin keinen Antrag auf Erteilung einer Beibehaltungsgenehmigung gestellt, der - im Falle nicht bestandskräftiger Ablehnung - eine Beurteilung der materiellen Optionspflicht nach neuem Recht rechtfertigen würde.

Vgl. dazu Berlit, ZAR 2015, 90, 96; Berlit, in: GK-StAR, § 29 Rdnr. 264 f. (Stand: Juni 2015).

Für eine analoge Heranziehung des § 29 Abs. 3 Satz 4 StAG a. F. auf die vorliegende Konstellation des kraft Gesetzes eingetretenen Staatsangehörigkeitsverlustes bei noch nicht bestandskräftiger Feststellung nach § 29 Abs. 6 Satz 1 StAG a. F. ist mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum.

Offen gelassen von Berlit, ZAR 2015, 90, 96 f.; Berlit, in: GK-StAR, § 29 Rdnr. 266 (Stand: Juni 2015).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.